Archiv für den Monat August 2016

Hunger – Teil 6.

Diese Nacht konnte Marissa trotz völliger Erschöpfung nicht schlafen. Sie wälzte sich Stunde um Stunde hin und her, versuchte ihre Gedanken zu ordnen und zur Ruhe zu kommen. Ihr Magen knurrte und verlangte nach einem ordentlichen Mahl. Um drei Uhr nachts gab sie entnervt auf. Sie schwang sich aus dem Bett, um sich wenigstens mit einem Pudding mit Früchten ab zu lenken. Sie hatte schon überlegt, die Früchte zu trocknen und haltbarer zu machen aber das erschien ihr dann als Verschwendung. Sie sollte sie genießen, solange sie noch frisch waren.

Die Augen halb geschlossen saß sie im Schneidersitz an ihrem Schreibtisch, die Schüssel Pudding im Schoß. Sie beruhigte sich allmählich ein wenig und mit jedem Löffel wurden ihre Arme schwerer. Den letzten Löffel noch im Mund, rollte sie sich schon wieder auf ihre Matratze. Am Rande bemerkte sie noch, dass sie soeben ein weiteres Memo bekommen hatte. Diese Information schaffte es aber nicht mehr in ihr Bewusstsein. Sie hatte die Augen bereits geschlossen und wusste genau, sie würde den Wecker am nächsten Morgen ganz besonders verfluchen.

Das schrille Kreischen des Weckers riss sie erneut viel zu früh aus einem traumlosen Schlaf. Ihre Kabine war abgekühlt und sie fror neben der dünnen Bettdecke. Sie hatte es nicht mehr geschafft sich zu zu decken, aber bei dieser Decke hätte es wohl keinen Unterschied gemacht. Sie zwang sich aus dem Bett und unter die heiße Dusche. Bändigte ihre Haare in einen strengen Zopf und wusch die alte Schminke ab. Heute würde es auch ohne gehen müssen. Bei ihrem Frühstück, bestehend aus einem heißen Tee und einem Butterbrot, schaffte es die Information über das Memo in ihr Bewusstsein. Ohne es zu lesen rief sie es auf ihrem Pad auf, deaktivierte den Bildschirm und ging in Richtung der Farm.

Ihr verschlafener Zustand an diesem Morgen entging den wenigen Menschen auf den Fluren nicht. So freundlich die gegrüßt wurde, so besorgt wurde ihr nach gesehen. Sie musste sich nicht umdrehen. Jeden einzelnen Blick konnte sie so deutlich im Rücken spüren, als würden die Leute durch sie hindurch stechen. Das Getuschel erschien ihr, als würden ihr die Leute ins Ohr schreien. Sie war heilfroh, endlich die Türe der Farm hinter sich schließen zu hören.

Marissas erste Amtshandlung an diesem Tag bestand darin, ein großes Glas kalten Wassers zu trinken. Sie legte ihr Pad beiseite und griff sich die erste Lampe. Es galt nicht noch mehr Zeit zu verschenken, also warf sie Verlängerungskabel und brachte die Lampen in Position. Mit Blumendraht und Klebeband improvisierte sie vorläufige Aufhängungen und hob die Höhensonnen unter die Decke. Nach wenigen Stunden erschien ihr die Farm regelrecht überstrahlt hell. Die zugequollenen Augen brannten. Irgendwo gab es bestimmt eine Schweißermaske auf dem Schiff. Sonnenbrillen gab es kaum. Wofür auch? Es war eh immer gleich hell und der Tag-Nacht-Rhytmus an Bord hatte sich auch noch nie verändert. Im gleißenden Licht blickte sie über die extra versorgten Regale. Die zusätzlichen Lampen hatten für mehr gereicht, als sie geglaubt hatte, trotzdem lag nun der größte Teil der Farm im Schatten.

Sie gönnte sich eine kurze Pause. Zeit genug, den alltäglichen Papierkram zu erledigen, ganz ohne Papier. Auf ihrem Pad fand Marissa auch gleich das Memo wieder. Zerknirscht erinnerte sie sich an die nächtliche Störung. Das Memo selbst was halbwegs allgemein gehalten. Es war eine Information an die Abteilungsleiter. Eine Information darüber, dass der Triebwerksreaktor aufgrund eines technischen Defekts nicht ordnungsgemäß hochgefahren werden konnte. Man habe das Problem bereits identifizieren können.

Solange die Reparaturarbeiten andauern, wird der Energiebedarf durch die Hauptreaktoren kompensiert werden. Sämtliche verfügbaren Reaktoren sind bereits auf ihre volle Leistung hoch gefahren. Um das Energienetz nicht unnötig zu strapazieren, werden alle nicht notwendigen Verbraucher vom Netz genommen. Das beinhaltet unter anderem ein Aussetzen der Notfallübungen im besagten Zeitraum. Des weiteren werden für die Dauer der Verknappung keine Flüge genehmigt. Der Hangar bleibt geschlossen.

Es fanden sich noch einige kleinere Beeinträchtigungen auf der Liste. Die Reduzierung der Beleuchtung, herabsetzen der Temperatur an Bord und so weiter. Marissa schielte in die große Farmhalle. Sie hatte von keiner Verknappung etwas mitbekommen und was ihr noch absurder erschien, es gab keinen Grund für die Umleitung. Das Triebwerk würde noch für einige Wochen kalt bleiben, der Triebwerksreaktor also noch überhaupt nicht benötigt. Natürlich war es sinnvoll ihn zu testen und gegebenenfalls zu reparieren. Nur wofür brauchte es dafür so viel Energie, dass die Bienen im Hangar eingesperrt werden mussten? Sie verstand die Welt nicht mehr.

Sie hatte gerade eine weitere Nachricht von der Brücke das erste mal überflogen, da stand der Techniker vom Vortag mit hochrotem Kopf vor ihr.

„Ich war im Hangar, es ist ein Skandal! Mir wurde gestern ganz selbstverständlich eine Biene zugesichert und das für den ganzen Tag. Jetzt komme ich in den Hangar und was ist los? Nichts! Er ist verschlossen! Sämtliche Flüge sind gestrichen um Energie zu sparen. Das ist ein Skandal! Man sollte sich auf der Brücke beschweren, wenn es nicht von da kommen würde.“

Sie versuchte ihn zu beruhigen aber er hatte sich in Rage geredet. Es war wohl besser, die letzte Nachricht vorerst zu vergessen. Wenn er erfuhr, dass die Brücke angeordnet hatte, trotz des Energiemangels die Nahrungsproduktion wieder dem Bedarf an zu passen, er wäre vollends explodiert. Für Marissa aber war das Problem damit gelöst. Sie hatte einen vorrangigen Befehl von ‚ganz oben‘ bekommen und den würde sie nun ausführen. Sie bat den verdatterten Techniker alles vor zu bereiten, strich sich die Haare glatt, richtete sich auf und schritt in Richtung des Hangars davon.

Fortsetzung folgt…

Planeten

Hunger – Teil 5.

„Ich habe keine Idee, wo wir noch suchen könnten. Andererseits, die Notrationen waren auch eher in der Inventur versteckt. Vielleicht gibt es da noch mehr im Lager, was wir nicht erwartet hätten. Die Container sind allerdings in keinem guten Zustand.“

„Darauf können wir wohl keine Rücksicht nehmen. Wir haben nicht mehr all zu viele Optionen und diese erscheint mir am verlockendsten. Ich werde mal die Listen durchsehen. Viel mehr bleibt uns gerade eh nicht übrig.“

Marissa konnte ihm nicht widersprechen. Sie hatte ein schreckliches Gefühl bei der Sache aber es stimmte schon, ihnen gingen die Optionen aus. Stattdessen meldete sich das Nachrichtenzentrum und wünschte eine Stellungnahme. Sie gab nur an, dass sie zum aktuellen Zeitraum keinen Kommentar abgeben könne. Bevor sie weiter ausholen konnte, stand auch schon der nächste Besucher in der Tür. Frau Doktor Verdun. Immer im Dienst, immer übermüdet, immer nervös und immer voller Koffein. Sie drückte sich an den Rand des Türrahmens und knetete ihre Hände. Marissas Aufforderung hinein zu kommen wimmelte sie ab. Sie wolle gar nicht so lange stören, habe aber diverse Gerüchte gehört und könne vielleicht helfen. Marissa wurde neugierig, hauptsächlich wegen der Gerüchte. Die Frau Doktor aber druckste zunächst etwas unbeholfen herum.

„Nun, die Leute reden, es gäbe nicht mehr genug zu Essen. Die Pflanzen wären krank, sagen die Leute. Ich habe eine große Auswahl an Mitteln gegen Pilzbefall und bakterielle Erkrankungen. Damit sollte man natürlich sehr vorsichtig sein um den Konsumenten nicht zu gefährden. Andere Leute sagen, das Saatgut wäre verkümmert. Da bin ich leider weitgehend machtlos. Ich habe versucht Pflanzenzellen zu klonen und teilweise ist es mir auch gelungen. Es reicht nur nicht für einen kompletten, gesunden Samen.

Heute Mittag habe ich durch einige Patienten erfahren, es könne das Licht sein. Die Lampen könnten kaputt sein oder zu schwach, keine Ahnung, ich bin kein Techniker. Aber dabei fiel mir ein, wir haben auf der Krankenstation noch immer zwei oder drei alte Höhensonnen. Sie sind zwar auch nicht jünger als die Lampen in der Farm, aber sie wurden so gut wie nie benutzt. Wie gesagt, ich habe keine Ahnung, wo genau ihr Problem liegt aber das sind die Gerüchte, die ich bisher am häufigsten gehört habe. Ansonsten weiß ich auch nicht, was ich ihnen ansonsten für Hilfe anbieten kann.

Außer vielleicht einem noch. Ich erinnere mich an ein Projekt, damals, auf der Erde noch. Eine kleine Gruppe von Biotechnikern kultivierte Fleisch in Kanistern voller Nährlösung. Eine einzelne Faser eines Spendertieres wurde in der Lösung zum Wachstum angeregt, bis sich der Kanister damit gefüllt hatte. Da keine Nervenfasern darin vorhanden waren, konnte man das Fleisch verkaufen, trotz der Konvention von Monschau. Zu dem Zeitpunkt war der Markt für Fleischprodukte aber bereits verschwunden. Jedenfalls glaube ich, verstanden zu haben, was diese Leute damals getan haben. Im Notfall könnte ich das ganze replizieren, hoffe ich.“

Die Doktorin starrte etwas beschämt zu Boden und knetete ihre Hände fester. Fleisch stand nicht mal ansatzweise auf dem Speiseplan der Besatzung. Es mochte einmal als Zeichen von Luxus und Wohlstand gegolten haben aber das war lange her. Sie würde sich vorkommen wie ein Höhlenmensch, wie die Barbaren aus grauer Vorzeit. Marissa starrte sie mit offenem Mund an. Sie war bei einem anderen Punkt hellhörig geworden und der könnte vielleicht wirklich helfen. Höhensonnen, die ursprünglichsten Tageslichtlampen von denen sie wusste. Als sie sich bewusst wurde, dass ihr Mund offen stand biss sie sich beschämt auf die Lippe und hoffte nur, die Doktorin hätte es nicht bemerkt. Zwei, vielleicht drei Lampen. Das war nicht viel aber es war ein Ansatz und sie brauchten alles was sie kriegen konnten. In ihrem Kopf arrangierte sie die Lampen bereits so auf einem imaginären Grundriss, dass sie möglichst viel abdeckten. Es gab also Hoffnung.

„Versuchen wir es doch mit den Höhensonnen. So unfassbar es klingt, damit könnten wir wirklich an etwas dran sein. Ich wäre ihnen wirklich sehr dankbar, wenn Sie sie zur Verfügung stellen würden. Ich versichere Ihnen, wir werden gut darauf acht geben. Mit etwas Glück kommen wir um die Fleischproduktion herum. Aber so unappetitlich der Gedanke sein mag, es ist beruhigend, wenigstens die Option zu haben. Behalten wir sie mal im Auge.“

Die Doktorin Verdun freute sich regelrecht kindlich, hilfreich sein zu können. Sich ausschweifend bedankend verschwand sie, mit dem Versprechen umgehend alle Höhensonnen vorbei zu bringen, die sie finden konnte.

Sie hielt Wort. Zum Feierabend standen zwei Höhensonnen und zwei Ersatzbirnen dafür in der Farm. Vier frische Lichtquellen würden mehr als willkommene Dienste leisten können. Wenn es nach Marissa ging, waren alle vier morgen noch vor der Mittagspause im Einsatz.

Pünktlich zum Schichtende stand der Techniker wieder in der Tür. Diesmal weniger verwirrt, dafür um so aufgeregter. Er hämmerte mit dem Finger auf die Inventarlisten in seiner Hand.

„Ich habe etwas gefunden! Hier sind einige Container aufgelistet, in denen unter anderem Quecksilberdampflampen verstaut sein sollen. Das könnte die Brücke doch gemeint haben. Sie liegen hier, am Frachtausleger.“ Er deutete vage auf eine Stelle auf einem Schiffsquerschnitt. „Ich habe schon im Hangar Bescheid gegeben und für morgen eine Biene reserviert. Mit etwas Glück, können wir dann direkt morgen Mittag mit den Reparaturen beginnen.“

Marissa sah sich die Stelle auf dem Querschnitt genauer an. Ungefähr da hätten auch die Rationen liegen sollen. Genau an der Stelle war der Einschlag. Sie hatte keine Hoffnung, dass die Lampen noch dort waren, traute sich aber nicht, den Techniker zu entmutigen. Er wirkte gerade so aufgeregt und zuversichtlich. Sie entschloss sich stattdessen, ihn etwas zu bremsen und drauf aufmerksam zu machen, dass er nicht wissen konnte, ob die Liste korrekt war und selbst wenn, ob die Lampen noch brauchbar waren. Er ignorierte sie zwar nicht, zeigte sich aber zunächst wenig beeindruckt. Sein Blick wanderte über die Leihgabe der Krankenstation. Fragend zog er die Augenbrauen hoch. Marissa erklärte ihm flüchtig die Situation und er kündigte ohne Umschweif seine Hilfe an.

Fortsetzung folgt…

Planeten

Hörsaalgetuschel – Ausgabe 96

Auszeichnungen

Erik hatte sich einen Sessel ins Bett gebaut, indem er Kissen und Bettdecke zu einer bequemen Rückenlehne gerollt hatte. So bequem es auch aussah, war er erstaunt, wie sehr der Anblick täuschen konnte. Es war zu warm im Rücken, behinderte seine Ellenbogen und seine Beine lagen zu niedrig, als dass er wirklich bequem mit seinem Laptop darauf arbeiten konnte. Trotzdem saß er hier, mit stoischer Ruhe und summte unbewusst vor sich hin. Mia saß an ihrem Schreibtisch und war zu sehr in ihre eigenen Angelegenheiten vertieft, um sich von seinem Summen und beiläufigem Klicken ablenken zu lassen.

Es musste etwa einen Monat nach der Veröffentlichung von seinem Buch (Siehe Ausgabe 52) gewesen sein, als er seinen Blog eröffnet hatte. Ursprünglich war es der halbherzige Versuch, Werbung für sein Wekr zu machen. Das Buch dann aber tatsächlich offen und aggressiv zu bewerben war ihm dann aber doch schnell zu viel gewesen. Es hatte sich auch einfach nicht richtig angefühlt. Immerhin hatte er es für Mia geschrieben und so oder so, es war etwas, was er selbst geschaffen hatte. Naturgemäß war es also bestenfalls mittelmäßig und bedurfte absolut keiner Verbreitung. Auch wenn er sich durch positives Feedback durchaus sehr geschmeichelt gefühlt hätte, aber das würde er sich nie trauen, offen zuzugeben.

So war er dazu übergegangen, sich hauptsächlich als Leser und Kommentareschreiber zu versuchen. Ab und an veröffentlichte er auch Kurzgeschichten, die er nebenbei geschrieben hatte. Er hatte sogar eine Hand voll regelmäßiger Leser, die, völlig zu seinem Unverständnis, Freude an seinen Texten hatten. Dabei waren es nur völlig banale Abenteuergeschichten. Hirngespinste, wie er sie schon als kleiner Junge hatte, wenn er in die Welt zwischen den Zeilen abgetaucht war und für Stunden das Universum der realen Welt völlig vergessen und ausgetauscht war. Gelegentlich, wenn er sich daran erinnerte, sehnte er sich in diese Zeit zurück, als seine Fantasie noch frisch und kindlich war. Frei von Bitterkeit und Ängsten.

Als er sich heute durch seinen Blog klickte, war etwas anders. Er hatte einen Kommentar bekommen, von einem seiner Leser. Nicht irgendeinen Kommentar sondern eine „Nominierung“. Er hatte bereits davon gehört, es bei anderen Blogs gesehen. Im Grunde waren es Kettenbriefe mit Interaktionswunsch. Beantworte einige Fragen, denke dir selbst welche aus und verteile sie an andere Blogs. Er wäre verärgert gewesen, wenn das Ziel hinter dieser Aktion nicht gewesen wäre, kleineren, unbekannteren Blogs, eine Bühne zu bieten, sich selbst vorzustellen. Und nun war er selbst einer von denen, die sich vorstellen, im Rampenlicht stehen sollten. Da war es dann. Er fühlte sich geschmeichelt und am Selbstbewusstsein gekitzelt. Neugierig las er die Fragen und versuchte sie im Kopf zu beantworten, merkte aber schnell, dass er es besser gleich aufschreiben sollte.

Seine Lesering, Eva, studierte gerade in der Schweiz (ich bitte den Bruch in der Logik zu entschuldigen) und wollte von fünf Blogs folgendes wissen:

  1. Wie und wann bist du auf das Blogschreiben aufmerksam geworden?

Wie war er darauf aufmerksam geworden? Er wusste halt, dass es so etwas wie Blogs gab, wo Leute Texte und persönliche, virtuelle Tagebücher teilten. Und als sein Buch erschienen war, hatte er einfach keine bessere Möglichkeit gewusst, darüber zu schreiben, als auf einem Blog. Er kam sich bei dieser Erklärung seltsam vor. Andere Blogs schrieben bei solchen Fragen immer so poetische Antworten über Lebensträume und Ideale. Er selbst wollte einfach nur, dass sein Buch wenigstens von einigen wenigen wahrgenommen wurde.

  1. Warum hast du selber angefangen zu schreiben?

Das Erste, was ihm hierzu durch den Kopf ging, war: Weil es in der Grundschule die Hausaufgabe war, etwas zu schreiben. Damals hatte er es gehasst wie die Pest. Aber auf Dauer konnte er sich dann doch nicht davor retten. Er hatte zu viele Geschichten im Kopf, die dort einfach raus wollten. Erzählen konnte er sie niemandem, also schrieb er. Nur beiläufig und ohne Leserschaft, aber er schrieb. Irgendwann, so sein Ziel, würde er ein Buch schreiben. Ein gutes! Bis dahin hatte er noch viel zu lernen.

  1. Was motiviert dich am Schreiben?

Was motivierte ihn? Wieso schrieb er? Er konnte es nicht echt sagen. Er tat es einfach um seine Gedanken aus dem Kopf auszulagern, um sie besser strukturieren zu könne. War es das, was als intrinsische Motivation bezeichnet wurde? Er wusste es nicht genau.

  1. Schreibst du deine Beiträge vor und überlegst du dann, ob du sie veröffentlichst oder bist du spontan ohne zu überlegen?

Das konnte er dafür umso leichter beantworten. Er schrieb einfach. Wenn seine Gedanken einmal zu schnell liefen, dann notierte er die Stichpunkte und formulierte es im zweiten Durchgang aus, aber ansonsten schrieb er einfach aus dem Kopf und korrigierte später nur noch die Fehler.

  1. In wie weit kommst du auf deine Themen? Suchst du danach? Fallen sie dir einfach ein? Hebst du sie dir auf, wenn du sie nicht direkt schreiben kannst?

Er schrieb generell nur dann, wenn er eine Idee hatte. Was sollte er sich da also aufheben? Es war wie ein undichter Wasserhahn in seinem Gehirn. Manches mal fragte er sich, wieso die Gedanken nicht einfach durch die Nase ausliefen.

  1. Wissen andere Personen, dass du einen Blog schreibst? Lesen sie sogar mit?

Mia wusste von dem Blog. Anfangs hatte sie sogar noch die Ambitionen, ihn zu lesen. Es war ihr aber schnell langweilig geworden. Sie interessierte sich einfach für andere Sachen und investierte ihre Zeit lieber in die Uni oder den Sport. Für das Hobby ihres Freundes blieb da wenig Zeit übrig. Erik war bereits froh darüber, dass sie sein Buch wenigstens bis zum Ende gelesen hatte.

  1. Wie viele Blogs liest du und wie: RSS-Feed oder E-Mail-Abo oder Programm?

Hauptsächlich las er die Blogs, die im Gegenzug auch ihn abonniert hatten. Es waren nicht viele aber die Meisten davon gefielen ihm sehr gut. Abgesehen davon fand er es irgendwo nur fair. Er hatte lange nicht mehr nachgesehen, wie viele es eigentlich waren. Er schätzte die Zahl auf etwa zehn und lag damit weit daneben.

  1. Bei welchen bist du eher der stille Mitleser und bei welchen kommentierst du fleissig mit? Und warum?

Der stille Mitleser? Bei Allen. Außer, wenn er etwas sinnvolles beizutragen hatte und selbst das stellte sich im Nachhinein meistens als weniger sinnvoll heraus.

  1. Was veränderte sich – positiv oder negativ – über deine Einstellung oder dein Leben nachdem du angefangen hast zu schreiben?

  1. In wie weit hast du eine spezielle Tageszeit, in der du für deinen Blog schreibst?

Der Abend war es. Dann, wenn Mia eifrig am Schreibtisch zu Gange war und auch er eigentlich eher lernen sollte, sich aber nicht aufraffen konnte. Das war die Zeit, in denen er am Laptop saß und schrieb.

„Du hörst mir wieder nicht zu, oder? Was beschäftigt dich denn da schon wieder so? Murmelst die ganze Zeit vor dich hin und hämmerst auf die Tastatur.“

Mia war aufgestanden und auf dem Weg zu ihm. Offenbar hatte sie ihm eine Frage gestellt und er hatte nichts mitbekommen. Das war etwas, woran sie sich noch nie gewöhnen hatte wollen. Wenn er in Gedanken war, dann war er in Gedanken und sie erreichte ihn nur, wenn sie ihn an tippte. Eigentlich sollte sie das inzwischen wissen. Dennoch hielt sie ihm immer noch vor, er würde sie absichtlich ignorieren. Manches mal erlaubte er sich eine sture Trotzreaktion und riskierte einen kleinen Streit damit. Meistens ließ er sie aber einfach gewähren. Heute überging er ihre Kritik einfach und erklärte ihr die Aktion.

„Wer ist denn diese Eva? Woher kennt ihr euch? Mach mal Platz da, ich will das mal sehen.“

„Woher soll ich sie kennen? Ich kenne doch nur ihren Blog. Wieso bist du denn gleich so eifersüchtig?“

Mia antwortete nicht. Sie hatte ihm den Laptop abgenommen und klickte sich nun selbst durch die Blogwelt. Was auch immer sie zu finden gehofft hatte, sie fand stattdessen etwas anderes.

„Schau mal einer an, unser Autor hat ebenfalls Fragen gestellt bekommen. Ein „Blogstöckchen“ von einem offenschreiben-Blog? Was soll denn so etwas sein? Komm, die beantworte ich jetzt mal.“

„Einfach so? Denkst du nicht, dass unser Autor etwas dagegen haben könnte, wenn du ihm einfach so sein Stöckchen klaust? Und du hast das Konzept von Blogs echt nicht verstanden, oder? Leute schreiben hier halt und tauschen sich mit ihren Lesern aus. Ein Bisschen wie das Peer-Reviewen von den Aufsätzen in der Uni.“

„Was für ein Quatsch. Entweder man steht hinter dem, was man schreibt, oder eben nicht und dann veröffentlicht man es halt nicht. Und natürlich hat er nichts dagegen. Immerhin hat er auch uns geschrieben. Wir sind also ein Teil von ihm und wenn ihm das nicht passt, dann soll er sich halt beschweren.“ (Vielleicht sollte ich das wirklich einmal tun. Du bist ganz schön frech geworden.)

Mia las Offenschreibens Fragen laut vor und beantworte sie gleich in den Raum hinein:

  1. Was müssen wir als Gesellschaft am dringendsten anpacken und verändern?

„Wir müssen auf jeden Fall aufgeräumter werden und dürfen uns nicht immer mit Kompromissen zufrieden geben. Es kann immer alles noch etwas besser werden.“

  1. Glaubst du an Seelenverwandtschaft?

„Nein. So etwas wie eine Seele funktioniert nicht.“

  1. Was ist Freiheit für dich?

„Wenn ich die Mittel habe, alles, was ich will, auch tun zu können. Solange es natürlich dem kategorischen Imperativ genüge tut.“

  1. Glaubst du an so etwas wie eine Seele? Und wenn ja hat dann jeder deiner Meinung nach nur eine Seele?

„Wie gesagt, das Konzept funktioniert nicht. Wir sind bioelektrische Maschinen.“

  1. Glaubst du an das Schicksal?

„Was für ein esoterischer Blödsinn, diese Fragen. Seele, Schicksal. Mir hat das Schicksal bisher auch nix geschenkt. Ich habe das alles alleine geschafft.“

  1. Gibt es einen freien Willen?

„Okay das ist tatsächlich nicht so leicht jetzt. Frei ja, aber nur im Rahmen unserer Programmierung, sprich den Instinkten? Hmm…“

  1. Folgst du eher deinem Kopf oder deinem Gefühl?

„Dem Kopf natürlich“ und noch während sie es sagte verriet alles an ihr, dass sie log.

  1. Bist du abergläubisch?

„Nein, nicht wirklich, glaube ich.“

  1. Was ist deine früheste Erinnerung?

„Ich glaube, es ist, als mein Vater ein Seil um meinen Hochstuhl gebunden hat, und mich damit durchs Wohnzimmer gezogen hat. Unspektakulär aber viel weiter zurück komme ich glaub ich nicht.“

  1. Was magst du am meisten an dir?

„Meinen Verstand“ sagte sie, ohne zu überlegen. Dann sah sie kurz an sich herab, lächelte Erik auffordernd an und ergänzte „und meine Brüste. Oder was meinst du, Schatz?“ Erik zwinkerte ihr nur zu, und dachte sich seinen Teil.

  1. Was war deine verrückteste Begegnung?

Sie sah Erik tief in die Augen und sprach mit ernster, grabestiefer Stimme „Du,“ ehe sie in lautem Gelächter ausbrach.

„Das hat doch irgendwie Spaß gemacht. Hast du noch mehr davon?“

„Ich hatte doch nur den Einen. Das zweite hast du ja dem Autoren geklaut. Ich glaube, er hatte noch einen Neueren aber willst du den wirklich noch machen? Wir könnten ihn auch einfach an Flo schicken.“

„Du bist langweilig, aber okay. Frag ihn ruhig mal. Wenn er nein sagt, dann drück ichs ihm einfach aufs Auge. Und du hältst mich mit deinen albernen Fragen hier schon wieder nur von der Arbeit ab!“

Mit diesen Worten sprang sie aus dem Bett und stiefelte zurück an den Schreibtisch. Auch Erik klappte den Rechner zu und ging in die Küche. Das Abendessen würde etwas spartanisch ausfallen, wenn er sich den Kühlschrank so ansah, aber er würde trotzdem etwas Leckeres daraus zaubern können.

Ich hoffe mein etwas unkonventionellerer Ansatz hat niemanden vor den Kopf gestoßen. Ich gebe zu, ich habe die Nominierungen ein wenig schleifen lassen, weswegen hier gleich zwei auf einmal versammelt sind. Hui, wer hätte gedacht, dass so schnell so viele zusammen kommen. Und als sagenhafter Spaßverderber werde ich niemanden nötigen, weitere Fragen zu beantworten sondern Euch lediglich einladen, die Fragen auszusuchen, die Ihr selbst beantworten wollt, wenn Ihr es denn wollt. Teilnahme ist offen und für jeden freiwillig.

Liebster Award

Hunger – Teil 4.

„Das Problem ist die Lichtzelle selbst, da kann man nichts reparieren. Sie ist einfach nach all den Jahren ausgebrannt. Es bräuchte also wirklich Ersatzbirnen und Sie wissen ja selbst, egal wie nötig es ist, die Brücke gewährt so etwas nur sehr ungern. Wir haben uns also umgesehen. Wo auf dem Schiff hat die Beleuchtung wenigstens ein Jahr weniger an Leuchtstunden? Nur in den Frachträumen, Lagerräumen und im Kartenraum. In den Frachträumen sind billige Diodenleisten verbaut, außerdem ist dort kein Wachstum gewünscht. Gleiches gilt für die Lager. Eine Pechfackel wäre geeigneter als Beleuchtung. Der Kartenraum ist mit Buntlicht versorgt. Blau und Rot, da sind wir mit den ausgebrannten Lampen noch besser dran. Es führt also kein Weg an den Reservelampen vorbei. Laut Inventar sind sie hier.“

Er trat zur Seite und gab den Blick in den Schrank frei. Auf den staubigen Regalbrettern lag ein Satz Schraubenschlüssel in antiker Maßeinheit, drei leere und eine halb volle Schachtel mit Nägeln, eine Hand voll loser Schrauben, eine Packung zerknitterter Zigaretten (Nikotinfrei aber trotzdem illegal an Bord) und ein leerer Streifen einer Empfängnissverhütungspille. Ersatzbirnen waren weder in diesem Schrank, noch in anderen zu finden. In der Werkstatt herrschte absolute Stille. Niemand traute sich auch nur zu atmen. Diesmal griff einer der Techniker nach dem Strohhalm.

„Wenn wir die Tageslichtlampen aus den Wohnquartieren dazu nehmen und pro Lampe… sagen wir mal drei Leuchtkörper bündeln. Könnte das vielleicht für Ausgleich sorgen?“

„Wir müssten sehr aufpassen, dass die Pflanzen nicht verbrennen aber wenn die Frequenzen noch in Ansätzen vorhanden sind, dann müsste sich der Effekt doch summieren.“ Marissa schöpfte neuen Mut. Ein solches Vorgehen würde allerdings nur mit Genehmigung der Brücke möglich sein und sie riss sich nicht gerade um die Vorstellung, beim Kommando vorstellig zu werden.

Die Kabinentür schloss sich hinter ihr. Marissa zog sich das Zopfgummi aus den Haaren und ließ sich vorn über auf ihr kurzes Sofa fallen. Die helle Lockenpracht entfaltete sich und fiel schlaff um ihren Kopf. Bevor sie die Werkstatt verlassen hatte, hatte sie noch neben allen Anwesenden Technikern den Antrag an die Brücke unterschrieben. Trotz des Dringlichkeitsstempels erwartete sie eine Antwort aus dem Elfenbeinturm nicht vor nächster Woche. Dafür war die Verwaltung viel zu abgeschottet vom Rest des Schiffs.

Für etliche Minuten blieb sie einfach nur liegen. Seit sie heute morgen aufgestanden war hatte sie das Gefühl, um zehn Jahre gealtert zu sein. Sie fühlte sich alt, schlapp, hungrig und ausgelaugt. Wenigstens gegen den Hunger könnte sie was tun. Sie raffte sich auf und griff sich mürrisch etwas zu Essen. Nudeln mit Algen und Sojasoße, die Version zum ‚mal eben auf brühen‘. Sie fühlte sich wieder an den Geschmack der Notrationen heute Mittag erinnert. Nur, dass die Portion Nudeln bei weitem nicht so staubig war. Ohne weitere Umwege fiel sie in ihr Bett und war eingeschlafen, noch bevor sie sich hätte ausziehen können.

Der nächste Morgen startete wie der vorherige, wie jeder Morgen. Abwechslung fand Marissa erst auf ihrem Schreibtisch in der Farm. Ihr Antrag von gestern war mitsamt einer Antwort von der Brücke zurück gekommen. Sie war ehrlich überrascht. Skeptisch überflog sie die Nachricht und ihre Augen spiegelten bei jedem weiteren Wort immer weniger Skepsis, dafür aber blanke Fassungslosigkeit wider.

„Wir haben über mehrere Kanäle von Problemen bei der Nahrungsversorgung erfahren. Eine fortlaufende Versorgung der Besatzung mit hochwertigen Lebensmitteln ist für die Moral an Bord unabdingbar. Wir erwarten, dass Sie diese Versorgung mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln gewährleisten. Das Schiff, seine Crew oder Teile von beidem dürfen nicht beeinträchtigt werden. Viel Erfolg. G. Marten. Erster Offizier.“

Im Klartext hieß das, es durften keine Lampen demontiert werden. Das konnte nur ein Scherz sein. Der erste Offizier, die zweitmächtigste Position an Bord des gesamten Schiffs hatte ihren Antrag, das Schiff vor einer Hungersnot zu bewahren abgelehnt! Er musste doch begriffen haben, was los war! Oder? Niemand auf der Brücke durfte es sich leisten, ignorant zu sein. Vielleicht hatte der erste Offizier einfach übersehen, dass es keine Ersatzteile mehr gab. Sie verfasste ihm eine Antwort, in der sie ihn darauf hin wies, dass sie die Birnen aus den Quartieren zwingend benötigten, da das die letzten verbliebenen Ersatzteile waren. Danach verfasste sie zwei Rationierungspläne. Einen, der davon aus ging, dass die Brücke ihrer Bitte nach gab und die modifizierten Lampen wie erhofft funktionieren würden. Einen weiteren, der davon aus ging, dass die aktuelle Situation bis zur Landung bestehen bleiben würde. Selbst unter Berücksichtigung der Notrationen kam sie auf kein erfolgreiches Ergebnis. Sie würden es nicht alle schaffen. Für wenigstens zwanzig Prozent der Kolonisten würde der Nahrungsmangel wahrscheinlich tödlich enden.

Entsetzt ertappte sie sich selbst dabei, Statistiken in ihrem Kopf laufen zu lassen. Statistiken, die die Menschen an Bord in harten Zahlen wider gaben und nicht als Lebewesen. Am größten aber war ihr Schreck darüber, wie nüchtern und kalt sie die Situation betrachtete. Sie ging sogar soweit, bestimmten Bevölkerungsgruppen bewusst geringere Rationen zu zu teilen, um die Überlebenschancen anderer zu steigern. Als sie das realisierte, löschte sie den Entwurf, legte die Folie beiseite und begab sich zu den Pflanzen.

Marissas Pad machte sie am Ende der Mittagspause darauf aufmerksam, dass sie ein Memo erhalten hatte. Es war wieder eine Nachricht von der Brücke, diesmal allerdings allgemein gehalten, ohne Namen. Die Botschaft selbst war diesmal noch eindeutiger. Da die Inventarlisten noch Ersatzbirnen auflisteten, musste es auch welche geben. Die Plünderung der Quartiere käme auf keinen Fall in Frage. Es würde die Besatzung nur unnötig beunruhigen. Im Allgemeinen war das Thema der Nahrungsknappheit und allem damit in Zusammenhang stehenden mit äußerster Diskretion zu behandeln. Die Bevölkerung durfte nicht beunruhigt werden.

So etwas konnten auch nur Leute schreiben, die keine Ahnung von der Situation an Bord hatten. Es wusste doch sowieso bereits Jeder, dass etwas nicht stimmte. Sie hatte die nervösen Blicke am Morgen natürlich bemerkt, wie sie ihr nach schielten in der Hoffnung auf irgendeine Information. Es wurde getuschelt, wie immer, nur dass sie diesmal selbst Gegenstand des Getuschel war. Es wäre wohl das Beste, die Leute auf zu klären und die Situation dar zu legen. Da war nur dieser Befehl von der Brücke, der das verbot.

In ihre mürrische Grübelei hinein platzte Besuch. Einer der Techniker stand in der Tür, mit einem Pad in der Hand. Er sah sie mit einer Mischung aus Wut und Verwirrung an.

„Wir haben die Brücke doch extra darauf hin gewiesen, dass es keine Ersatzteile mehr gibt. Auf was beziehen die sich da oben denn? Gibt es noch ein Lager, von dem wir nichts wissen? Die werden doch nicht einfach unseren Bericht ignorieren.“

Fortsetzung folgt…

Planeten

Hörsaalgetuschel – Ausgabe 95

Abend am See

Ein merkwürdiges Gefühl in der Magengegend brachte Flo dazu, von seinem Bildschirm aufzusehen und nach der Uhr zu gucken. Etwas verdutzt kratzte er sich am Bart. Er war so vertieft in seine Arbeit gewesen, dass er nicht mitbekommen hatte, dass es bereits Nachmittag geworden war. Kristina hatte längst da sein wollen, aber die Klingel war stumm geblieben. Sie verspätete sich, was ungewöhnlich aber nicht unmöglich war. Das seltsame Gefühl im Bauch aber blieb.

Zehn Minuten später fiel im dann doch noch ein, woher es kam. Sein Frühstück hatte aus zwei Brötchen bestanden und war inzwischen acht Stunden her. Das war die einzige Erklärung, die ihm einfiel. Er musste Hunger haben und gegen Hunger half Essen. Also speicherte er seine Arbeit und ging in die Küche, auf der Suche nach einem Snack. Wenn Kristina ihren Zug verpasst hatte, dann würde er sich eh noch wenigstens eine halbe Stunde gedulden müssen. Er schmierte sich ein Brot, biss hinein und wunderte sich, wer denn sonst noch vorbei kommen wollte, als die Klingel doch Lärm machte.

Zu seiner Überraschung sank ihm keine Minute später seine Freundin in die Arme und wirkte reichlich angespannt. Es dauerte zwei Kaffee, bis er verstanden hatte, wieso sie sich über verstopfte Straßen beklagte. Was die Tour zum Meer anging, musste er ihr Recht geben. Dieses Wochenende wäre das eine schlechte Idee, so verlockend es auch war. Der Schlossweiher hinter dem Wald im Norden war sehr viel näher, und auch recht hübsch. Für den Abend mochte das eine gute Alternative sein. Immerhin war der Verkehr dorthin auch sehr viel ruhiger.

Der Vorschlag brachte ihm verhaltene Dankbarkeit ein und während Kristina ihren dritten Kaffee trank, packt er einen Picknickbeutel. Nicht opulent oder ausgedehnt sondern eher improvisiert, bestehend aus dem, was er halt noch da hatte. Es würde eine spannende Mischung werden, vielleicht sogar mit Einigem, was zusammenpassen würde. Brote mit Nussnugatcreme, Kaffee, Tomaten und saure Gurken, zum Nachtisch Gummibärchen.

Die Abendsonne stand bereits tief über dem See. Golden angeleuchtete Baumwipfel und die Spitzen der Schlosstürme warfen lange Schatten über eine spiegelglatt daliegende Wasseroberfläche. Flo und Kristina lagen auf einer Picknickdecke und fingen die letzten Sonnenstrahlen ein. Alles, was zu hören war, war das Zwitschern der Vögel, ansonsten herrschte völlige Stille. Es gab gerade einfach nichts zu sagen oder zu tun, außer hier gemeinsam zu liegen und den Abend zu genießen. Es raschelte im Gras. Ein Igel verließ das Gebüsch und tapste zum Trinken ans Ufer. Er schenkte den beiden keinerlei Aufmerksamkeit. Wenig später stand die Sonne so tief, dass er im Schatten verschwunden war. Die Geräusche der hereinbrechenden Nacht machten sich im Wald bemerkbar, vorsichtiges Licht drang aus den Fenstern des Schlösschens. Von Kristinas Anspannung und mieser Laune war nichts mehr übrig.

Hunger – Teil 3.

Antriebslos trieb die Biene im Raum während sich das Schiff langsam unter ihr weiter schob. Ein schriller Annäherungsalarm riss Marissa aus ihrer depressiven Lähmung. Sie trieb direkt auf einen verbogenen Träger zu. Ein heißer Stich jagte von ihrem Herzen aus den Rücken entlang. Der Schatten, der sich da vor ihr abzeichnete, konnte ein intakter Container sein. Eilig richtete sie die Biene neu aus und beleuchtete ihn. Wahrhaftig! Ein Rationscontainer, weitgehend unversehrt und versiegelt. Lediglich ein wenig verbeult. Wenn sie nur noch einen weiteren fand, dann hätten sie sicher eine Woche zusätzlich bekommen. Sie konnte es kaum fassen. Fragiler als eine Perlenkette hing eine Serie von Containern an einem Draht.

Sie suchte alles ab, was sie erreichen konnte. Am Ende musste sie etwa ein Viertel der Container als verloren in die Inventarliste eintragen. Ein Verlust, der ihr bitterer als Galle im Mund lag und ihr Herz rasen ließ. Sie betete, dass die Rationen in den verbliebenen Containern intakt waren. Sie würden jede einzelne davon benötigen, oder es würde nicht reichen. Sie konnte den Hunger schon in sich nagen fühlen. Am Ende trennte sie den letzten Container von der Kette ab und nahm ihn ins Schlepptau. In diesem Zustand traute sie sich schlicht nicht, mehr als einzelne Container zu transportieren. Wie ein rohes Ei schleppte sie ihn in den Hangar, traute sich kaum ihn ab zu setzen. Ihr Herz schlug so stark, dass sie den Eindruck hatte, es müsse ihr die Adern sprengen.

Unter den neugierigen Augen der Hangarcrew brach sie das Siegel des Containers. Die Gerüchteküche hatte die Nachricht des Nahrungsproblems bereits im Schiff verbreitet. Als hinter den Containertüren nun die dicht gepackten Notrationen zum Vorschein kamen, spürte sie hinter sich einerseits ein erleichtertes Aufatmen, andererseits kalte Beklommenheit. Bis zu diesem Moment hatte sich niemand im Hangar ernsthaft getraut, an die Knappheit zu glauben. Marissa selbst traute sich noch nicht, auf zu atmen. Zögerlich zog sie eine Ration aus dem Container, wog die flache Tüte in der Hand und riss sie dann vorsichtig auf. Bedacht darauf, keinen Krümel zu vergeuden, zog sie den Inhalt hinaus und untersuchte ihn gewissenhaft.

Vom Aussehen her war alles gut, der Geruch dagegen etwas muffig aber nicht direkt ungenießbar. Sie traute sich kaum es zu probieren. Als sie dann am Ende doch hinein biss fühlte es sich an, als fülle sich ihr Mund mit Asche. Mit verkniffenem Gesicht kaute sie die fast geschmacklose Substanz. Es knirschte staubig und gab ihr ein eher unbehagliches Gefühl. Das Lebensmittellabor würde wieder etwas zu tun haben denn für sie war nicht deutlich, dass die Ration essbar und auch nahrhaft war.

Die Laborergebnisse der Nährlösung in der Hand kam Marissa wieder in der Farm an. Ihr Blick war nach innen gerichtet und die Stirn in Falten gelegt. Abwesend wanderte sie durch die Reihen und strich über die Pflanzen. Sie kamen ihr schrecklich kümmerlich vor und das, obwohl sie fast wie immer schienen. Sie fühlte sich alt, müde und hungrig, trotz des Frühstücks. So sehr es aber auch in ihr nagte, sie traute sich einfach nicht, etwas zu essen. Jeder Bissen erschien ihr auf einmal wie das höchste Gut. Erschöpft lehnte sie sich an die Wand, schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken. So stand sie einige Minuten und genoss die Kontinuität des ewig Gleichen. Fast genau so war es immer gewesen, mit Ausnahme des leichten Flackerns. Nervös öffnete sie die Augen wieder und blickte direkt in die hellen Gewächshauslampen. Jetzt fiel es ihr wieder ein. Eine der Lampen leuchtete unregelmäßig, das war ihr aufgefallen. Es erschien ihr allerdings eher so, als hätte sie es letzte Woche bemerkt und nicht am selben Vormittag.

Marissa schnalzte ungehalten mit der Zunge. Auf diesem Schiff lief schon zu viel schief, als dass sie eine weitere Fehlfunktion dulden würde. Die Techniker würden kommen müssen und die Lampe reparieren. Umgehend rief sie in der Verwaltung an, mehr um etwas zu tun, als dass es zwingend nötig gewesen wäre. Langsam erreichte sie einen Punkt, an dem sie ihre eigene Hilflosigkeit nicht länger ertragen konnte.

Offensichtlich genoss die Farm dank der Gerüchte eine besondere Behandlung denn kaum zehn Minuten später standen drei Techniker in der Tür und schnauften atemlos. Obwohl Marissa jeden von ihnen schon mehrfach hier unten gesehen hatte wirkten sie allesamt wie fremd und verkrampft. Gerade so, als wären sie uneingeladen in eine private Party geplatzt und hätten die Gastgeberin mit dem Mann ihrer besten Freundin in verfänglicher Pose erwischt. Verschämt versuchten sie krampfhaft, die Pflanzen zu ignorieren und versagten bei dieser Bemühung sagenhaft. Die Neugier war einfach zu groß und wurde durch bloßes hinsehen nicht im geringsten befriedigt. Mit unverhohlener Enttäuschung begaben sie sich zu der mittlerweile ebenso unverhohlen flackernden Lampe.

Marissa hätte erwartet, dass sie die Birne austauschen und das Thema damit erledigt wäre. Die Techniker aber hatten ihre eigenen Pläne. Nervös demontierten sie die komplette Lampe und verschwanden damit in Richtung ihrer Werkstatt, ohne für Ersatz zu sorgen. Zurück blieb eine verdutzte Farmerin und ein schattiger Abschnitt in der hydroponischen Anlage. Eine Erklärung waren sie ebenfalls schuldig geblieben. Sie schickte ihnen ein Memo hinterher und beschloss, den Vorfall zu vergessen.

Wenigstens was das Vergessen betraf waren die Techniker anderer Meinung. Schon eine halbe Stunde später meldeten sie sich bei ihr und baten sie, in einem für ihren Geschmack viel zu befehlenden Ton, in die Werkstatt. Da es auf der Farm gerade nichts mehr für sie zu tun gab, ließ sie die Herrschaften nur zehn Minuten warten und begab sich schmollend zu ihnen. Dort fand sie ihre Theorie der besonderen Behandlung teilweise bestätigt. Ihre Lampe lag nicht, wie sie erwartet hatte, auf einer der überladenen Werkbänke sondern in einem offensichtlich eilig eigens dafür zusammengeschusterten Gestell. Und sie leuchtete einwandfrei, völlig ohne zu flackern. Marissa blickte die Lampe an, zog die linke Augenbraue hoch und wandte sich dann wortlos den Technikern zu.

„Wie Sie sehen können, wir haben die Lampe repariert. Das Flackern war nur ein einfacher Wackelkontakt. Die Anschlüsse sind, wahrscheinlich aufgrund des feuchten Klimas der Farm, korrodiert und waren im Begriff, ab zu fallen. Wir haben Kabel und Anschlüsse ersetzt, um einen Kabelbrand auch zukünftig zu vermeiden. Wenn es nicht zu viel verlangt ist, würden wir auch gerne die anderen Lampen der Farm warten. Ich muss ihnen ja die Gefahr, die von einem solchen Feuer ausgeht nicht erläutern.“

Sie nickte nur zustimmend. Das Schiff machte sein Alter in den letzten Monaten immer öfter deutlich. Spröder Lack platzte von den Wänden, Rohrleitungen wurden undicht und auch die Dichtungen ließen langsam nach. Marissa hatte das bemerkt und sich maßlos darüber geärgert. Andere Schiffe der Flotte taten bereits seit über sechzig Jahren ihren Dienst und waren in besserem Zustand. Bei einem Kolonieschiff legte man anscheinend nicht so viel Wert auf die Qualität wie bei den Kreuzern. Menschen gab es schließlich genug. Der Techniker jedenfalls war noch nicht fertig mit seinem Vortrag. Kaum, dass sie genickt hatte, kaute er kurz auf seinem Zeigefinger, guckte nachdenklich und hob dann neu an.

„Wir haben die Gelegenheit jedenfalls genutzt, die Lampe etwas genauer zu untersuchen. Auch wir haben nicht so oft die Gelegenheit, eine der alten Tageslichtlampen zu testen. Temperaturentwicklung, Stromverbrauch, Leuchtkraft, Leuchtkörperchemie. Alles, was uns eingefallen ist und was wir testen konnten. Es ist alles so, wie wir es erwartet hatten. Es scheint keine Abweichungen zu geben, aber dann haben wir noch eine Spektralanalyse gemacht. Das Ergebnis hat uns alle sehr überrascht und ist durchaus interessant.“ Er rief die Auswertungen des Tests auf. Eine gezackte Linie lag über einem Regenbogen. „Wie wir sehen können, ist nicht der volle Frequenzbereich abgedeckt. Hier, im grünen Bereich sowie hier und hier, in den roten und blauen Randbereichen, bricht die Kurve stark ein. Besonders der UV-Bereich ist fast vollständig verschwunden. Die blauen Anteile sind so gesehen gar nicht mehr vorhanden. Um so erstaunlicher ist, dass das Licht trotzdem so weiß erscheint. Ich kann nur mutmaßen, dass das hier unser Problem mit dem Pflanzenwachstum verursacht. Nur dagegen sind wir tatsächlich machtlos.“

Er zuckte resigniert mit den Schultern und ließ die Arme schlaff herab fallen. Marissa sah ihn konsterniert an. Sie wünschte sich, sie könne behaupten, nicht verstanden zu haben wovon er da geredet hatte. Leider verstand sie es nur all zu gut. Sie griff nach Stohhalmen.

„Und woher genau kommt das? Ich mein, ihr Jungs bekommt doch sonst alles repariert. Könnt ihr da nicht hier auch was machen? Etwas Technikmagie, neue Glühfäden, Ersatzbirnen? Irgendwas muss doch gehen!“

Der mutlose Ausdruck auf den Gesichtern ihr gegenüber verbesserte die Situation nicht um ein Bisschen. Einer der Techniker trat leise vor einen Schrank und öffnete ihn mit betretener Miene.

Fortsetzung folgt…

Planeten

Hörsaalgetuschel – Ausgabe 94

Stau

Willst du den Charakter eines Menschen kennen lernen, gib ihm Macht! Wahlweise auch ein Auto mit viel PS.

In Kristinas Fall war es das Auto geworden. Es war ein Angebot gewesen, was sie nicht hatte ablehnen können. Nun war ihr Konto ein gutes Stück leerer, sie aber dafür um ihr Traumauto reicher. Sie hatte schon lange mit dem Gedanken geliebäugelt, aber sich selbst dann nie wirklich von der Notwendigkeit eines eigenen Autos überzeugen können. Für ihre Arbeit brauchte sie keines. Hin kam sie mit dem Bus, und falls sie dort eines brauchte, bekam sie einen Firmenwagen. Ihre Wohnung lag sehr zentral, sodass sie alles Wichtige zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem Bus erledigen konnte.

Und wenn sie Flo besuchen wollte, dann fuhr der Zug alle halbe Stunde auf ziemlich direktem Wege. Sie musste sich um keine Benzinpreise oder Parkplätze kümmern und erreichte alles. Die Pragmatikerin in ihr hatte daher die Oberhand behalten, bis jetzt. Ein Auto war schließlich schon sehr praktisch. Besonders, wenn man Ziele erreichen wollte, wo keine Bahn direkt hin fuhr, oder um diese Uhrzeit nichtmehr. Man war unabhängiger und flexibler, und wenn sie ein wenig sparsam fuhr, dann wahrscheinlich nicht einmal viel teurer.

Sie hatte sich eine Überraschung für Flo ausgedacht. Sie hatte ihre neue Errungenschaft konsequent vor ihm verheimlicht, hatte ihm nur gesagt, dass sie dieses Wochenende zu ihm kommen würde. Ihr Plan war, ihn nur abzuholen und dann mit ihm ans Meer zu fahren. Sie hatte es sich schön überlegt aber aktuell war sie reichlich ernüchtert. Der Routenplaner hatte ihr erzählt, dass sie eine halbe Stunde schneller sein sollte, als wenn sie die Öffentlichen nehmen würde. Inzwischen stand sie aber nun schon eine Dreiviertel Stunde mehr oder weniger auf der Autobahn still.

Blaulicht, Sirenen, Polizei, Notarzt, Feuerwehr und der Rettungshubschrauber. Es war viel los auf der Gegenfahrbahn, auf der ansonsten kein einziges Fahrzeug unterwegs war. Die Verkehrsnachrichten im Radio berichteten von einer Vollsperrung… der Gegenfahrbahn. Auf ihrer Strecke sollte eigentlich alles fahren können, doch das tat es nur im Schritttempo. Wenn sie nach vorne blickte, konnte sie die Unfallstelle schon sehen. Ein wütend dreinblickender Polizeibeamter stand zwischen den Leitplanken hinter einer Kamera, welche auf ihre Fahrbahn gerichtet war und versuchte, mit genervtem Winken die Autofahrer zum Durchfahren zu bewegen. Er schien wenig Erfolg zu haben, denn sie sah Bremslichter und Arme, die Smartphones und Kameras aus den Autos in Richtung Unfallstelle streckten. Die Fahrbahn davor bot nichts, was man als Grund zum Abbremsen hätte gebrauchen können.

Der Umstand, dass sie am Ende mit ihrem Auto für diese kurze Strecke eine halbe Stunde länger brauchen würde, als mit der Bahn, weil einige Leute ihren Voyeurismus nicht kontrollieren konnten, ärgerte sie ausgesprochen. Was hatten diese Leute davon, zwei Feuerwehrleute, die einen Sichtschutz hochhielten, zu filmen? Wer würde sich ein solches Video jemals wieder ansehen? Und selbst wenn dieser Sichtschutz nicht da wäre, war es doch mehr als geschmacklos, die persönliche Katastrophe anderer Menschen im Vorbeifahren mit zu filmen, um am Ende vielleicht sogar noch ins Internet zu stellen.

Die Lust aufs Meer war ihr jedenfalls gründlich vergangen. Vielleicht reichte ja auch ein Badesee oder ein schöner Wald in der Nähe. Noch einmal fünf Stunden Autobahn wollte sie heute auf keinen Fall sehen. Flo würde von ihren ursprünglichen Plänen auch eh nur erfahren, wenn sie sich verplappern sollte. Sie nahm sich vor, dass das nicht passieren würde, winkte dem Polizisten mit der Kamera freundlich zu und beschleunigte aus dem Stau heraus auf die gerade vor ihr frei werdende Autobahn. Wenigstens war sie nun für die nächsten Kilometer fast allein auf der Strecke.

Seattle Locks Bridge

Hunger – Teil 2.

Und irgend etwas war tatsächlich anders. Sie fühlte es ganz genau, konnte es nur nicht bestimmen. Die Schatten beunruhigten sie und sie suchte alles ab, um zu ergründen, was anders war. Eine permanente Bewegung um Augenwinkel. Sehr schwach, und kaum versuchte sie Sie zu finden, war sie fort. Es war, wie wenn einem ein Wort auf der Zunge liegt, man es aber nicht aussprechen kann. Eine Idee hatte sie trotzdem noch. Im Bemühen, auch das Unmögliche aus zu schließen, kniff sie die Augen zusammen und starrte auf die Umrisse der Schatten auf der glatten Wand. Der Sekundenzeiger lief laut tickend seine Runden.

Ein eintretender Chemiker fand sie, wie sie verwirrt und völlig in Gedanken versunken Richtung Decke starrte.

„Ist alles in Ordnung bei Ihnen?“ fragte er vorsichtig.

„Haben Sie jemals einen Gedanken an unsere Beleuchtung verschwendet?“ entgegnete sie.

Er wirkte verwirrt. „Nein, wieso hätte ich das tun sollen?“

Er hatte keine Ahnung worauf sie hinaus wollte, und sie war sich nicht sicher, ob sie es selbst überhaupt wusste.

„Fünfundzwanzig Jahre, sogar noch länger, und ich kann mich nicht ein einziges Mal daran erinnern, dass eine Lampe von alleine kaputt gegangen wäre. Es hat mich Stunden gekostet, darauf zu kommen.“ Sie zerrieb abwesend ein Blatt zwischen ihren Fingern und roch an ihnen. Thymian. Langsam drang die Tatsache zu ihr durch, dass sie Besuch hatte. Sie richtete sich auf. „Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Ich komme aus dem Lebensmittellabor. Es geht um eine Paprikaprobe, die wir untersucht haben. Ihr Brennwert und die Nährstoffwerte sind weit unter Normal. Tut mir leid aber wir müssen die Nährlösung untersuchen.“

Sie rieb sich die Stirn und nickte. Das Problem war weitreichender und fortgeschrittener, als sie es zunächst vermutet hatte. Gut möglich, dass es nicht nur an der Nährlösung lag, die hatte sie bereits ohne Ergebnis untersucht.

„Der Geschmack scheint normal zu sein.“ sagte sie halblaut in den Raum hinein. „Aber wenn sie nicht nur kleiner werden, sondern zusätzlich zu bunten Wasserbeuteln verkümmern, dann haben wir ein Problem. Würden Sie mir kurz zur Hand gehen? Ich war gerade dabei, einige Proben vor zu bereiten. Sie können sie dann gleich mit hinauf nehmen.“

Und noch während sie die Proben der Nährlösung abfüllten, war ihre Ahnung von vor dem Gespräch von einem wohligem Rauschen und dem Gedanke an die Container am Frachtausleger verdrängt worden.

Nachdem der Chemiker die Farm mitsamt der Proben verlassen hatte, verschwand Marissa in Richtung des Hangars. Sie wollte eine Biene starten, jene kleinen, gelb lackierten Wartungskabinen, mit denen man die Außenseite des Schiffs in Augenschein nehmen konnte. Sie waren die einzige Möglichkeit, um an die Container am Ausleger zu kommen. Wahrscheinlich waren sie mit Gütern und Baumaterial bestückt, die für den Aufbau der Kolonie nach der Landung vorgesehen waren. Dementsprechend mussten sie auch nicht aus dem Inneren heraus erreichbar sein. Marissa hatte eine Liste gefunden, auf der grob die Fracht und Position verzeichnet waren.

Den Umgang mit den Bienen lernte Jeder an Bord. Er war fester Bestandteil der Rettungsprogramme und Notfallreparaturen wurden gemeinsam mit Brandbekämpfung, Umgang mit chemischen Unfällen und medizinischen Notfällen geprobt. Ein Training, was schon in früher Kindheit begann.

Die Hangartüren glitten zurück in ihre Verankerungen, kaum dass sie das Schiff verlassen hatte. Unter ihr glitten die dreieckigen Gitterträger vorbei, an denen die einzelnen Elemente des Schiffs verschraubt waren. Einfach auf zu lösen und beliebig erweiterbar, Modul für Modul. Nach der Landung sollten sie nach und nach aus der Struktur gelöst und zu einem Stadtzentrum angeordnet werden. So jedenfalls war es von den Planern vorgesehen. Andere, frühere Kolonien hatten ihr Schiff schlicht als Stadtzentrum behalten und nur bei Bedarf außerhalb einen Neubau errichtet. Dieser bestand zunächst oft aus alten Containern, die vergleichsweise einfach um zu bauen waren.

Eben solche Container näherten sich nun Marissas Biene. Sie waren kaum beleuchtet und hoben sich vor dem schwarzen Raum zwischen den Sternen nur als schwacher Schatten ab. Hier draußen gab es kein Sonnenlicht, dafür waren sie noch viel zu weit von ihrem Ziel entfernt. Sie schaltete die Wartungsscheinwerfer zu und die grauen Klötze mit dem stilisierten Emblem der Allianz bekamen Umrisse und Struktur. Sie waren also tatsächlich da. Ihr Puls beschleunigte sich und sie betete, die richtigen wären auch auffindbar.

Laut des Inventars, müssten sie sich ganz hinten befinden, hinter dem Antriebsschild. Laut des Inventars hatten sie aber auch sechs statt nur drei Bienen an Bord und außerdem zwei Forstroboter im Schiffsinneren, die sie selbst noch nie zu Gesicht bekommen hatte. Sie glitt über die Frachtausleger hinweg. Die Tanks und Container erinnerten sie an Ameiseneier, die sorgfältig an einen Zweig geklebt waren. Hier hinten waren die Scheinwerfer der Biene die einzige Lichtquelle. Der Antrieb war bereits vor etlichen Jahren herunter gefahren worden. Nächsten Monat sollte das Schiff gedreht werden und der Antrieb für das Bremsmanöver vorgewärmt werden. Vorher würde sich niemand für dieses Ende des Schiffs interessieren.

Niemand außer ihr.

Im Labor steckten die Chemiker besorgt ihre Köpfe zusammen. Schweigend starrten sie auf den Bildschirm des Lebensmittellabor und beobachteten, wie langsam die Ergebnisse der gerade laufenden Tests über den Bildschirm tropften. Das kalte Licht, die surrenden Lüfter und Laborgeräte und das gespannte Schweigen sorgten für eine ausgesprochen beklommene, sterile Atmosphäre. Auf den Gesichtern der Anwesenden zeigte sich nur eine gefasste Resignation angesichts der Ergebnisse. Nur in den Augen selbst spiegelte sich die blanke Panik, angesichts dessen, was die Werte aussagten. Und das war… garnichts.

Es war alles in bester Ordnung! Gut, die Lösung war dezent überdüngt aber nicht so sehr, dass sie giftig war, also trotzdem noch fruchtbar genug. Die daraus entwachsenen Früchte wären immerhin ausreichend. Nur wären sie es gewesen, dann stünden sie jetzt nicht hier und die Zeit würde ihnen nicht durch die Finger rinnen. Entweder sie fanden das Problem, oder sie würden es nicht mal ins System schaffen. Sie hatten doch nichts übersehen, oder? Keine gravierenden Fehler gemacht, oder? Das konnte eigentlich nicht sein.

Ein schmaler Lichtkegel schob sich über die Container. Stück für Stück wurden sie abgesucht, immer weiter Richtung Heck. Die meisten waren versiegelt und unversehrt, nur einige wenige wiesen kleinere Schäden durch Meteoriten auf. Nur den Inhalt konnte sie nicht überprüfen. Sie hatte nur die Inventarliste zur Verfügung, auf der die Container samt Ladung verzeichnet waren. Der Lichtkegel wanderte weiter und ihr Herz setzte vor Entsetzen aus. Gerade dort, wo die Proviantcontainer befestigt sein sollten, ragten nur die Trümmer zerschmetterten Blechs und verbogener Träger ins All.

Das hier war schlimmer als leere oder nicht verladene Container. Trümmer, in denen teilweise noch die Reste der geplatzten Rationen klebten. Was sie hier vorfand, würde vielleicht reichen um eine Person bis zur Landung durch zu bringen. Das Schiff war aber Heimat von Tausenden! Panik, Verzweiflung und Resignation lieferten sich eine erbitterte Schlacht in ihrer Brust und sie bemühte sich nach Kräften, nicht einfach nur noch in Tränen aus zu brechen. Sie bebte so kräftig, dass sie die Steuerung los lassen musste um keinen Unfall zu provozieren. Sie hatte das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen, presste sich mit aller verbleibenden Kraft in den Sitz und zwang sich durch zu atmen.

Fortsetzung folgt…

Planeten