Archiv für den Monat September 2016

Hunger – Teil 9. – Ende

In den unmittelbar folgenden Wochen hatte sich auf der Farm eine leichte Verbesserung der Situation eingestellt. Die Pflanzen erholten sich ein wenig, wurden wieder grüner, kräftiger und fruchtbarer. Das geerntete Gemüse reichte zwar noch immer bei weitem nicht, bestand aber immerhin aus mehr als Wasser und Ballaststoffen. Die Rationierung dagegen rief ungeahnt heftige Reaktionen hervor. Die Leute sahen nicht ein, wieso das Mittagessen eingestellt und das Frühstück nur noch in abgespeckter Form ausgegeben wurde. Das das Abendessen wie gehabt beibehalten wurde war kein Trost.

Zunächst war da nur der Hunger. Immer und überall gab es nichts als knurrende Mägen. Die Leute wurden zunehmend gereizter und die Laune verschlechterte sich. Am Ende musste die Sicherheit sogar eine Ausgangssperre verhängen. In der Allee patrouillierten verstärkt mies gelaunte Sicherheitsleute die jeden an fuhren, der ihnen in die Quere kam. Die Tage zogen sich zäh dahin, Wochen erschienen den Kolonisten wie Monate. Sie hatten noch einen langen Weg vor sich und das Bremsmanöver war noch nicht einmal gestartet worden. Trotzdem gingen die meisten tapfer weiter ihrer Arbeit nach. So gut sie eben noch dazu in der Lage waren. Die Zahl der Unfälle stieg merklich an.

Auf der Krankenstation wurde noch ein zweiter Aspekt deutlich mit dem in der Überflussgesellschaft niemand gerechnet hatte und an den niemand gedacht hatte. Mangelerscheinungen. Frau Doktor Verdun fand zwar in der medizinischen Bibliothek eine alte Anleitung, wie man Ersatzpräparate anfertigte doch dazu war es bereits zu spät. Die ersten Siedler verloren bereits ihre Zähne durch Skorbut. Die Ärztin dokumentierte alles peinlich genau und mit der Faszination des Abartigen. Fassungslos starrte sie auf die Bilder von den Geschwüren, die sich so schwer taten zu verheilen. Und immer fehlte es an irgend etwas. Nachfolgende Kolonieschiffe mussten unbedingt besser ausgestattet sein. Das vermerkte sie an jeder nur möglichen Stelle in ihrer Dokumentation.

Nach monatelangem Dröhnen war heute der große Tag. Das große Triebwerk war zum schweigen gekommen und nach einigen wohl berechneten Schüben fand sich das riesige Kolonieschiff im Orbit um seine neue Heimat wieder. Trotz der blauen, staubigen Kugel vor den Fenstern war die Stimmung an Bord eher angespannt. In den letzten Monaten standen die Siedler extrem unter Spannung. Sie waren gereizt, griesgrämig, streitlustig und vor allen dingen hungrig. Es gab Tage, an denen kam Marissa selbst kaum aus dem Bett. Aus dem Spiegel starrte ihr eine alt wirkende und doch junge Frau entgegen. Ihr eingefallenes Gesicht und die leeren Augen machten ihr Angst. Sie wollte sich selbst auf keinen Fall im Traum begegnen.

Marissa hatte ihr Bestes gegeben. Sie hatte die Lampen ausgetauscht, ersetzt, ergänzt und auf jede ihr mögliche Weise verändert. Die Pflanzen hatten es ihr nur dürftig gedankt aber immerhin ein wenig. Die Brücke hatte recht ungehalten auf die strenge Rationierung reagiert. Es war den Offizieren nicht zu verdeutlichen, dass man eine hydroponische Kultur nicht so einfach reparieren konnte wie einen Kühlschrank oder einen Reaktor. Für die Farmer war die Zeit besonders frustrierend. Egal was sie versuchten und wie viel sie arbeiteten, es wurde ihnen mit Verachtung gedankt. Mehr als einmal war der Mob drauf und dran, sie, oder wahlweise auch sich gegenseitig zu zerfleischen.

Die Ironie dabei war, das synthetische Fleisch wollte niemand anfassen. Es hatte Marissa und Doktorin Verdun einige Fehlschläge gekostet aber am Ende hatten sie doch noch diesen Rettungsanker aufbauen können. Fleisch aus dem Reagenzglas um die Hungersnot an Bord zu bekämpfen. Es war fast geschmacklos und von glibberiger Konsistenz, dafür aber ausreichend nahrhaft. An den Gedanken etwas zu essen, was von einem Tier oder Mensch hätte stammen können, konnte sich nur offensichtlich niemand gewöhnen. Sonst so kostbare Nahrung ließ man vergammeln. Dann sollten sie doch vor Hunger verrecken, dachte Marissa mehr als einmal in ihrer Verbitterung.

Die Verweigerung gegenüber dem Fleisch sorgte für eine erhöhte Nachfrage nach Notrationen. Vor zwei Wochen war der letzte Container davon an Bord geholt worden. Bisher waren sie um Todesopfer herum gekommen aber wenn dieser Container aufgebraucht war, dann konnte Marissa nicht sagen, woher sie noch Nahrung holen konnte. Wenigstens konnte der Mob ihnen bald nicht mehr gefährlich werden. Der Hunger verbrannte alle Kraftreserven, so dass die Besatzung bald eher wie wandelnde Leichen wirkte.

Mit Ellenbogen und mürrischen Gesichtern hatten die Siedler das Schiff zur Landung vorbereitet. In der allgemeinen Depression hatte niemand mehr ein besseres Leben auf dieser neuen Welt erwartet. Trotz allem arbeiteten sie gewissenhaft und präzise, nur eben etwas langsamer. Das vermeintliche Problem mit dem Triebwerksreaktor hatte sich als reine Vorsichtsmaßnahme entpuppt. Der Reaktor war in makellosem Zustand und bescherte dem Schiff eine glatte und problemlose Landung in einem weiten Tal. Die Gegend bot alles, was man sich Wünschen konnte. Fließendes Wasser, Bodenschätze und fruchtbare Erde. Sogar eine dünne Sauerstoffsättigung und ein hoher CO2 Anteil war vorhanden, genau wie die Sonden angekündigt hatten. Am Anfang würde den Meisten etwas schwindelig sein, aber sie würden sich gut daran gewöhnen können. Das Schiff war auf einem weitläufigen Hügel gelandet. Nah am See aber weit genug darüber, um auch bei einem starken Hochwasser trocken zu bleiben.

Eine der ersten Aktionen nach der Landung war es gewesen, die Farm zu öffnen und einige der Regale an die frische Luft zu holen. Es hatte einige Wochen gedauert aber trotz der fremden Bedingungen hatten sich die Pflanzen wieder erholt. Nach einem halben Jahr hatte Marissa ihre Farm komplett aus dem Schiff ausgelagert. Die Erträge genügten ihren Ansprüchen und sie war zuversichtlich, dass sie das nächste Jahr überstehen würden. Das mussten sie auch, denn mit der Landung hatten sie auch das letzte Paket der Notrationen vertilgt. Sie hoffte nur, es würden nicht zu viele Kinder geboren werden.

Marc und Jeb hatten ihren Handel mit den Tabakblättern nicht bereut. Am ersten Abend nach der Landung saßen sie selig wie die Kinder auf einem nahen Hügel und rauchten glücklich ihre selbst gedrehten Zigarren. Die einzigen, die es in der ganzen Kolonie geben sollte. Für die beiden war die Reise damit erfolgreich beendet.

Fortsetzung folgt nicht mehr. Das wars. Ich hoffe mein kleiner Ausflug zu den Sternen hat dir gefallen und du hattest viel Spaß beim Lesen. Falls du es noch nicht getan hast, lass mir doch gerne einen Kommentar mit deiner Meinung da. Ich freue mich über Reaktionen und Rückmeldungen. Bis zur nächsten Geschichte!

Planeten

Vertrösterchen

Leider habe ich im Augenblick nicht die Zeit und die Nerven, meinem Hirnpudding eine schöne Geschichte zu entlocken. Eigentlich wäre jetzt Hörsaalgetuschel – Ausgabe 100 dran und irgendwie habe ich das Gefühl, es wäre falsch, das an eine nur mittelmäßige Füllerepisode zu verschenken. Im Moment ist nur leider wirklich zu viel los, um das zu bewerkstelligen.

Darum gibt es jetzt hier und heute nur den Pausenclown. Hoffentlich geht es nächste Woche wieder regulär weiter. Das „zweijährige“ Jubiläum der Serie soll sich ja nicht übermäßig verschieben.

Das ‚-scheit‘ in gescheit ist ein Relikt des Scheiterns, welches dem Gescheit vorweg geht.

Wobei es sich hierbei um einen reinen Hirnfurz handelt, der in keiner Form belegt werden kann, wahrscheinlich dafür umso leichter zu widerlegen ist.

Wissen ist immer nur Irrtum auf dem aktuellsten Stand.

Vermutlich ist das auch der Grund, wieso man für Studienarbeiten immer aktuelle Quellen benutzen soll. Die Halbwertszeit von Hochschulwissen beträgt im Schnitt etwa fünf Jahre. Was tut man nicht alles…

dsc03000-1

Hunger – Teil 8.

Drei kleine Menschen standen vor einem großen Tiefraum-Container in Mitten eines großen, dunklen Hangars. Ein alter Mann mit Glatze studierte sorgfältig eine Ladeliste, ein kleiner Mann mit wirrem, grauweißen Haaren stand im Container und zerrte Kiste um Kiste hinaus und eine müde wirkende, schlanke, hoch gewachsene Frau nahm sie von außen entgegen und öffnete jede einzelne. Was sie vorfand, sorgte bei ihr nicht für überschwängliche Begeisterung.

Baumaterialien, Kleidung, kleine Maschinen, mit Öl zu betreibende Notstromaggregate und einige Brennstoffzellen. Solarpanele, und nur dann und wann mal eine Kiste voller Pappschachteln die mit ‚Gewächshausbeläuchtung Klasse 1 – EN 195421-42c‘ beschriftet waren. Das mussten sie sein, aber es waren so wenige. Sie schätzte die Menge ab, es würde vielleicht für die Hälfte der Farm reichen. Wenn in einem der weiteren Container noch einmal so viele drin waren, dann würden sie die große Farm wenigstens versorgen können.

Marissa hoffte inständig, es würde auch etwas bringen. Sie hatte keine Möglichkeit zu bestimmen, wie lange die Pflanzen nun schon unterversorgt waren. Vor einigen Wochen war der Fehler das erste mal aufgefallen, als die Routineuntersuchung des Quartals fällig war. Zunächst wurde dem Befund nicht einmal große Aufmerksamkeit beigemessen. Man hatte es für einen Messfehler gehalten und den Test wiederholt. Erst, als der fünfte Test das gleiche Ergebnis gab wurde das Labor nervös und weihte die Farm ein. Marissa hatte zu dem Zeitpunkt schon den Verdacht, dass die Pflanzen erkrankt waren. Sie konnte die Produktivität beobachten und hatte die verkümmerten Früchte bemerkt. Es passte ins Bild, schon seit Monaten warf die Farm nicht mehr genug ab, um Überschüsse in die Kühlkammern im Innern des Schiffs ein zu lagern.

Wenn es also so lange gedauert hatte den Negativtrend zu identifizieren, wie lange würde es in die andere Richtung dauern? Selbst wenn sie alle Leuchten austauschen konnten, wie würden die hydroponischen Kulturen die Veränderung aufgreifen? Inzwischen saß sie schon wieder in der Biene um den nächsten Container ein zu holen. Sie nahm sich die Zeit, die Inventarliste zu aktualisieren und die verlorenen Container zu verzeichnen. Nur von der Biene aus konnte man den Schaden kaum abschätzen. Erst auf der Karte wurde deutlich, dass fast ein Drittel der Fracht an der Außenhülle verloren war. Die ersten Jahre in der neuen Kolonie würden sehr hart werden. Sie konnte nicht sagen, ob es ohne zusätzliche Hilfe überhaupt möglich war.

Emsiges Treiben erfüllte die Farm. Fast eine ganze Woche brauchten sie um die neue Beleuchtung ein zu bauen. Die Container hatten sowohl Erleichterung als auch Ernüchterung gebracht. Zunächst sah es so aus, als könnte nur jede vierte Lampe neu bestückt werden aber bald stellte sich heraus, dass sie fast auf der gesamten Fläche jede zweite Leuchte ersetzen konnten. Für Marissa war das eine immense Erleichterung und das, obwohl die Pflanzen unter den Höhensonnen der Krankenstation bislang kaum eine Veränderung gezeigt hatten. Es kam Marissa zwar so vor, als würde ihr Grün wieder etwas satter werden aber das konnte genau so gut am anderen Licht liegen. Außerdem hatte sie Angst davor, die zarten Blätter mit dem starken Licht zu verbrennen. Wenigstens diese Befürchtung sollte unbegründet bleiben.

Trotzdem beschloss Sie am Ende der Woche der Krankenstation einen Besuch ab zu statten. Die neue Beleuchtung zeigte zwar noch keinen durchschlagenden Erfolg aber darauf wollte Marissa nicht länger spekulieren. Frau Doktor Verdun schien nur auf sie gewartet zu haben. Als Marissa die Station betrat sprang sie gleich aufgeregt von ihrem Stuhl auf und winkte sie hektisch ins medizinische Labor. Der Tisch, der die Mitte des Raums dominierte war mit einer Isolierdecke abgedeckt unter die verschiedene Leitungen führten.

„Ich nehme an, Sie haben die Ersatzlampen wie gehofft gefunden?“ begrüßte sie Marissa. Als der Antwort ein Zögern vorweg ging war sie schon nicht mehr daran interessiert und sprudelte einfach drauf los.

„Wie dem auch sei. So oder so sind wir nicht völlig aufgeschmissen. Sie erinnern sich an die Theorie, Fleisch künstlich und in einer Nährlösung zu züchten? Der Gedanke, damit gegen die Nahrungsknappheit an Bord helfen zu können hat mich so sehr fasziniert, dass ich schon einmal angefangen habe die Thematik zu untersuchen. Ich habe Versuche mit unterschiedlichen Lösungen und Nährstoffpräparaten gemacht. Das beste Ergebnis hat dabei bislang eine wässrige Lösung erzielt, die zusätzlich elektrisch geladen und stimuliert wird.“

Triumphierend zog sie die Decke vom Tisch und gab den Blick auf einige Behälter aus klarem Plastik frei. In ihnen schwammen unterschiedlich große, unappetitlich aussehende, weiße Klumpen einer glibberigen Substanz. Marissa fand, sie sahen eher aus als würden sie sich zersetzen statt wachsen. Sie hatten auf der Farm einmal ein Problem mit Schimmelklumpen in den Nährlösungstanks gehabt. Das hatte damals gar nicht so anders ausgesehen, mit dem Unterschied, dass dies hier gewollt war und zum Essen gezüchtet wurde. Ein eiskalter Schauer lief ihr den Rücken hinab und kitzelte ihren Würgereiz. Mühsam nahm sich sich zusammen. Wenn das hier tatsächlich essbar sein würde, wieso dann nicht? Und im Grunde genommen war es auch nicht unappetitlicher, als die Nahrungsergänzungskulturen aus der Wasseraufbereitung. Für einen Moment war Marissa besonders dankbar, dass das Geheimnis aus der Lebenserhaltung des Schiffs so gut gewahrt wurde.

Frau Doktor Verdun schob gerade vorsichtig einen etwas kleineren Behälter auf den Tisch, der hinter ihnen im Regal gestanden haben musste. Die Kultur in diesem war so weit gereift, dass sie das gesamte Gefäß ausfüllte und eine blass-rosa Farbe angenommen hatte. Es sah deutlich fester und nicht mehr so schwammig aus und verströmte einen Geruch, den Marissa nicht hätte benennen können. Das war also Fleisch. Fertig gewachsen aber noch roh. Soviel wusste Marissa, Fleisch konnte man essen aber vorher musste man es braten oder grillen. Sie selbst konnte sich nicht erinnern, jemals vorher schon einmal Fleisch auf einem Teller gesehen zu haben. In den großen Kolonien lebten Menschen, die tierische Nahrung aßen aber auch das nur sehr selten. Nutzvieh war sehr selten und nach seinem Tod nicht immer als Nahrung zu gebrauchen. Einige Kolonieschiffe der Flotte hatten wohl ein paar Tiere dabei, ihr eigenes Schiff aber nicht.

„Sagen Sie, Frau Doktor, woher haben sie denn die Spenderfaser? Sie meinten beim letzten Mal, es bräuchte eine Spenderfaser um den Vorgang zu initiieren.“

Frau Doktor Verdun sah betreten zu Boden und rieb sich ihren Arm. Auf einmal wollte Marissa die Antwort auf ihre Frage gar nicht mehr hören. Sie wünschte sogar, sie hätte sie sich nie gestellt. Wieder etwas, was es vor der Mannschaft zwingend geheim zu halten gab. Irgendwie erschien ihr das Ganz so falsch aber in ihrem Inneren wusste sie, sie würden darauf angewiesen sein.

Die Kapazität der Farmen war so angelegt, dass sie immer ein Zehntel Überschuss produzieren konnten. Im Augenblick erreichten sie gerade einmal die Hälfte dieses Werts. Selbst wenn sich die Pflanzen wieder erholen würden, es würde nicht genug sein, um die ganze Besatzung vollständig zu ernähren. Auf die Notrationen konnten sie sich eben so wenig verlassen und so blieb ihnen nur die Möglichkeit, den Ekel zu überwinden und ihr vegetarisches Dasein auf zu geben. Wenigstens würde wohl niemand verhungern.

„Ich muss zugeben, das hier sind immer noch nur Versuche. Es wird noch einige Zeit und einige Versuche in Anspruch nehmen. Sie haben einige Erfahrung im Umgang mit solcherlei Lösungen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir dabei zur Hand gehen könnten.“

Sie zauderte kurz, gab dann aber der Bitte der Doktorin nach und nickte. Mit Hilfe der Doktorin schätze Marissa ihre Möglichkeiten ab. Sie hatte inzwischen einen recht genauen Überblick über alle Vorräte und Rücklagen. In ihrem persönlichen Kalender hatte sie bereits für den nächsten Tag den Beginn der Rationierung vermerkt. Die Farm würde ganz bewusst ab dann weniger als benötigt ausliefern. Es würde Klagen und Beschwerden geben aber im Laufe der Zeit, da war sie sich sicher, würden die Leute sich ihrem Schicksal ergeben.

Fortsetzung folgt…

Planeten

Hörsaalgetuschel – Ausgabe 99

Staubig

Ein lauer Wind wehte durch das weit geöffnete Fenster von Flos Wohnung herein und ließ die Staubkörner in den Sonnenstrahlen des Nachmittags tanzen. Flo stand gerade in der Küche, die Hände tief in der Teigschüssel, als Mia klingelte. Er hatte sich an einem neuen Kuchenrezept mit Pflaumen versucht, die er an der Streuobstwiese am Fluss gesammelt hatte, nun folgte ein zweites Experiment, während das Blech noch auskühlte. Er überlegte kurz, ob er die Türklinke und den Türöffner mit Teig voll schmieren sollte, wusch sich dann aber die Hände, weil er viel zu faul wäre, diese Sauerei wieder zu beseitigen, ehe er am Wochenende zu Kristina fahren würde.

„Komm ich gerade ungelegen? Musstest du erst die Liebhaberin loswerden?“

Mia stapfte herein, nahm sich eine Tasse aus dem Schrank und Kaffee aus Flos Thermoskanne und ließ sich damit auf einen freien Stuhl sinken.

„Schoko-Kirsche. Wäre es für dein Mädchen, würde ich sagen, du musst echt einen großen Fehltritt wieder wett machen. Aber bis dahin ist der doch trocken. Heraus damit, wen willst du verführen?“

Flo hatte wieder die Hände im Teig. Vorsichtig bemüht, eine klebrige Sahne-Vanille-Creme unterzuheben, in der die Kirschen schon schwammen.

„Verführen ist hoffentlich nicht der richtige Ausdruck. Tina hat morgen Geburtstag und wollte unten am Fluss feiern. Hat Erik dir das nicht erzählt? Sie hat schließlich ausdrücklich euch beide eingeladen.“

„Hat er nicht. Na warte, der kann was erleben. Als würde ich zu dieser Ziege auf den Geburtstag gehen, aber trotzdem. Ich mein, vielleicht hat er es sogar erwähnt.“ Sie machte eine kurze Pause und fuhr etwas kleinlaut fort. „Okay, er hat es erwähnt. Ist schon eine Weile her und ich habe gesagt, wir gehen nicht hin. Er war ziemlich geknickt. Habe den Eindruck, eigentlich würde er gerne hingehen, so wie es klang kommen eh alle. Aber ich tu mir das auf keinen Fall an. Die blöde Kuh hat versucht mir meinen Freund auszuspannen!“

„Und er hat dir absolut bewiesen, dass du dich auf ihn verlassen kannst. Schade, dass du nicht kommen willst. Vielleicht sehe ich Erik morgen ja trotzdem da.“

Eine solche Formulierung hatte er einmal in einem Ratgeber zu Diplomatie gelesen. Diese Tatsache überraschte ihn zwar, aber nicht so sehr wie den Fakt, dass er sich noch daran erinnerte. Mia überging den Kommentar, sah sich nur stumm in der Küche um.

„Du sag mal, ich weiß ja, dass die Küche beim Kochen oder Backen mal dreckig werden kann, aber ist das da nicht etwas älter?“

Sie zeigte auf eine Wollmaus unter dem Fenster. Flo hob nicht einmal den Blick, blieb konzentriert bei seinem Teig, den er gerade in die Form füllte.

„Ja, ich weiß, es ist im Moment ein wenig dreckig. Mein Staubsauger ist leider kaputt gegangen und ich hatte noch keine Zeit, mir einen neuen zu besorgen.“ Er schob die Form in den Ofen.

„Soll ich ihn mir mal ansehen? Vielleicht bekomme ich ihn ja an.“

„Danke für das Angebot aber lieber nicht. Der Punkt ist, er läuft ja, aber etwas darin ist locker und schleift. Jedenfalls riecht er ziemlich streng nach Rauch, wenn er läuft und ich kann sehr gut darauf verzichten, hier die Bude ab zu brennen. Und sei es nur, um die Kaution wieder zu bekommen. Magst du mir mal den Messbecher aus dem Kühlschrank holen?“

„Gut, das sehe ich ein. Ist das Rotweincreme? Was hast du für einen Kuchen vor?“

„Die ist nicht für den Kuchen, das wäre zu viel des Guten. Die ist für gleich, wenn Erik vom Sport kommt. Für den Kuchen ist die Schokocreme, die noch im Kühlschrank steht.“

„Was sagt Kristina eigentlich dazu, dass du dir solch eine Mühe mit den Kuchen für andere Frauen gibst?“

„Sie würde gerne mitkommen, hat aber keine Zeit. Keine Sorge! Erstens bekommt sie selbst die besten Kuchen und zweitens ist sie nicht so eifersüchtig wie du. Sonst dürftest du ja nicht einmal hier in die Wohnung und würdest meinen Staub nicht sehen.“

Hunger – Teil 7.

„Marc, mein Freund, wie oft habe ich dich schon um einen Gefallen gebeten?“

„Noch nie Liebes, noch nie. Aber das hier ist etwas anderes. Ich kann doch nicht einfach einen direkten Befehl ignorieren.“

„Du würdest ihn ja nicht ignorieren! Du würdest lediglich einem höheren Befehl den Vorrang geben. Es ist doch gar nicht so kompliziert.“

„Nicht so kompliziert sagt sie. Nicht so Kompliziert! Kind, hast du eine Ahnung … ? Natürlich hast du das nicht, du warst damals kaum geboren. Aber früher, bei der Flotte, hätten wir uns eine solche Interpretation von Befehlen nie erlaubt.“

„Ein Glück aber auch, dass wir hier nicht bei der Flotte sind. Ich bin sicher der Käptn würde uns in Stücke reißen, ehe wir husten könnten.“

„Du hast ja keine Ahnung, was der Käptn getan hätte. Ach, hols der Teufel! Aber wie soll ich armer, alter Mann im Alleingang den Hangar in betrieb nehmen und zeitgleich deinen Flug überwachen? Hast du dir darüber mal Gedanken gemacht?“

„Du könntest einen vertrauenswürdigen Kollegen um Hilfe bitten.“ Sie sah ihn mit großen, unschuldigen Augen an und klimperte wie zufällig mit den Wimpern. Er war drauf und dran, sich die Hände vor die Augen zu schlagen, drehte sich stattdessen nur zwei mal um sich selbst und knirschte hörbar mit den Zähnen. Am Ende riss er sich an den Haaren, holte tief Luft und sah sie so streng an, wie er konnte.

„Und es ist wirklich zwingend notwendig, diese Container rein zu holen? Du hast doch gestern schon einen hinein geholt.“

„Du kannst natürlich auch hoffen, dass die staubigen Rationen reichen aber ich für meinen Teil beiße lieber in was Frisches. Nur genau dafür brauche ich zwingend diese Lampen in diesen Containern.“

Marc überlegte angestrengt und rupfte sich wieder an den grauen Haaren. Man konnte sein Gehirn bald rasseln hören, so angestrengt schien er nach zu denken.

„Also gut. Aber im Gegenzug verlange ich auch einen kleinen Gefallen. Zwei eigentlich, einen für mich selbst und einen für den guten Jeb, der die Flugüberwachung übernehmen muss.“ Sie hob die Brauen, sah ihn misstrauisch an, nickte aber trotzdem langsam. „Ich weiß, dass ihr in der Industriefarm gewisse Pflanzen anbaut. Darunter eine spezielle, aus der die Seidenproteine gewonnen werden.“

Marissa konnte es nicht fassen. Dieser alte Zwerg war doch einfach unverbesserlich. Sie kämpfte nach Kräften um die Gewährleistung der Nahrungsversorgung, bemühte sich, dass niemand an Bord zum Hungertod verdammt war und dieser Witzbold fragte nach Tabak. Sie stöhnte auf und drehte sich weg.

„Ach komm schon!“ rief er ihr nach. „Ich bitte dich nicht gleich um die ganze Pflanze. Zwei reife Blätter reichen völlig. Eins für mich, eins für Jeb. Aber die guten, nicht die Spinnenmutation. Nikotin muss drin sein und Teer, damit es sich auch lohnt.“

„Irgendwann bringen dich deine Spielchen noch einmal ins Grab, Marc.“

„Das ist ein Ja? Ach was frag ich, natürlich ist das ein Ja. Komm in zehn Minuten zur Startrampe.“

„Ich warne dich! Sei dann auch pünktlich. Und keine faulen Tricks sonst wirst du nie erfahren, womit du dir deine Zigarre gerollt hast.“

„Neun Minuten. Husch husch! Ab mit dir, geh dich vorbereiten.“ Mit einer eindeutigen Geste jagte er sie davon und flitzte selber mit einem breiten Grinsen durch die Korridore. Ein Schiff, auf dem alles Brennbare verboten war, Kerzen eingeschlossen, und er hatte Tabak organisieren können. Er war stolz auf sich.

Die Biene verließ einen gespenstisch stillen Hangar. Drinnen war es kaum heller gewesen als außerhalb des Schiffs, so musste Marissa voll auf die Instrumente vertrauen. Sie konnte nicht von sich behaupten, die Instrumente besonders zu mögen. Wenn sie fliegen konnte, dann am liebsten auf Sicht. Damit musste sie sich nun etwas gedulden, denn sie wollte gerne den Frachtausleger ohne Licht erreichen. Das Risiko, durch eines der Fenster zufällig beobachtet zu werden erschien ihr zu groß. Die nervöse Stimmung an Bord würde garantiert dafür sorgen, dass der ein oder andere die Sterne beobachten wollte und immerhin herrschte offiziell Flugverbot. Marissa fühlte sich, als müsse sie schleichen und den Atem an halten um keinen Lärm zu verursachen.

Über dem Armaturenbrett klemmte die Inventarliste, auf der die betreffenden Container markiert waren. Sie nahm sich vor, den zerstörten Bereich dort ein zu tragen, würde aber wahrscheinlich am Ende eh nicht mehr daran denken. Die Schemen der Container kamen in Sicht und sie passte ihre Flugrichtung vorsichtig an. Irgendwo da vorne ragten die Splitter des Auslegers hinaus. Sie konnte sie noch nicht erkennen, schaltete den Scheinwerfer ein und erschrak. Direkt vor der Biene lag ein Träger quer im Raum. Um ein Haar wäre sie genau hinein geflogen und hätte nicht einmal gewusst, was sie getroffen hatte. Sie hatte das Trümmerfeld also schon erreicht. Mit viel Glück wäre sie hindurch, ehe die Karte ihr die Container meldete.

Als die Karte sich schließlich meldete und verkündete, der erste Container befinde sich direkt unter ihr, wäre sie am liebsten wieder umgedreht. Anstelle der Fracht war dort nur der verbogene Träger. Marissa seufzte laut und schloss die Augen. Zum Aufgeben war es aber zu früh, das hatten die Notrationen ihr schon gezeigt. Sie strich den verlorenen Container aus der Liste und flog den nächsten an. Dort zeigte sich das gleiche Bild, sie strich weiter Container aus. Am Ende hatte sie nur noch drei Positionen auf der Liste aber dafür ein Lichtblick vor sich. Nach gefühlt endloser Suche hatte sie einen intakten Container vor sich. Glücklich markierte sie ihn auf der Liste und sah sich nach den letzten beiden um.

Sie fand beide Container am angegebenen Ort, lediglich leicht verbeult. Sie markierte wieder beide, entschied sich dann aber dazu, den letzten gleich mit zu nehmen. Mit etwas Glück würde die Technik gleich damit beginnen können, die Leuchten aus zu wechseln. Mit etwas mehr Glück würde auch der eine Rationscontainer ausreichen, der bereits im Hanger stand. Sie würde nur sehr ungern die restlichen Container hinein holen denn jeder Container, der bis zur Landung durch hielt erhöhte die Chancen, Probleme mit dem Anbau vor Ort zu überstehen. Dafür waren sie schließlich ursprünglich verladen worden. Mit Problemen schon während der Reise hatte niemand gerechnet. Sie sollte daran denken, eine Nachricht ab zu setzen und andere Kolonieschiffe zu warnen. Die Werften sollten ebenfalls informiert werden denn bisher hatte sie von einem solchen Fall nicht gehört.

Fortsetzung folgt…

Planeten

Hörsaalgetuschel – Ausgabe 98

Nachtschicht

Es war keine Eigenschaft, die Flo besonders an sich zu schätzen wusste. Genau genommen war sie sogar eine der Eigenschaften, für die er sich selbst nicht leiden konnte und am liebsten gemieden hätte. Blöderweise konnte auch er nicht aus seiner Haut und so musste er mit sich und seinen unerwünschten Talenten leben. Dieses spezielle hieß, dass er sich zu bestimmten Stunden ganz besonders gut konzentrieren konnte.

Mitternacht war lange vorbei und Flo wurde mit jedem Blick auf die Uhr etwas nervöser. Es lief gerade gut mit seiner Arbeit. Er hatte den Eindruck, gut voranzukommen, und war konzentriert. Er war außerdem irgendwo zwischen hellwach und bereits in der Trance des Tiefschlafs. Noch um elf Uhr war er müde gewesen, aber mit jeder Minute war er weiter wach geworden, bis er diesen Zustand eifriger Geschäftigkeit erreicht hatte. Wieso tat er sich das eigentlich an?

Noch vor sechs Wochen hätte er nun hinaus gehen und einen herrlichen Sonnenaufgang beobachten können. Inzwischen war er froh, dass die Sonne ihm noch etwas Ruhe ließ. Er wollte am liebsten immer noch vor dem Sonnenaufgang im Bett liegen und schlafen. So viel Gewohnheit wünschte er sich einfach, obwohl dies doch seine produktivsten Stunden waren. Wieso konnte er nicht tagsüber so arbeiten? Was hinderte ihn daran? Was lenkte ihn ab? Er wusste es nicht.

Eigentlich würde er nichts lieber tun, als ins Bett zu gehen. Er wusste nur aus bester Erfahrung, dass es nicht viel bringen würde. Er wäre trotzdem hellwach und würde nicht schlafen können. Es war sein Gewissen, welches Amok lief. Dabei sehnte er sich nach kaum etwas so sehr, wie nach Müdigkeit und der Ruhe, auch wirklich schlafen zu können. Sein Verstand rannte unterdessen vor dem Gewissen davon auf eine andere Route zu. Welche genau war nicht wichtig, nur, dass sie weit weg von allem führte. Er konnte förmlich spüren, wie alles in ihm wirr und unstrukturiert wurde.

Er überflog den Absatz, den er gerade geschrieben hatte. Ein dumpfes Gefühl sagte ihm, dass er an dieser Stelle eigentlich falsch war und weiter vorne stehen müsste. Das Thema hatte er schließlich bereits abgehakt. Oder hatte er es noch nicht angefangen und nur im Kopf schon einmal durchgeplant? Er wusste es nicht mehr genau und nahm sich vor, das Ganze morgen noch einmal durchzulesen. Der Gedanke kam ihm eigentlich albern vor, war aber ein gutes Indiz dafür, dass er wirklich müde war. Wenn er wirklich ehrlich mit sich war, dann wusste er ganz genau, dass er morgen auch nicht motivierter sein würde und alles Mögliche lieber gucken würde, als über seine geistigen und sonstigen Ergüsse von letzter Nacht.

Als Nächstes blickte er auf den Bildschirm und sah nicht viel außer seitenweise Kauderwelsch. Sein Gesicht tat weh, sein Rücken ebenfalls und irgendwie fühlte er sich verklebt. Auf der anderen Seite der Gardine brüllte die Sonne aus einem blauen Himmel herab. Er war auf der Tastatur eingeschlafen. Die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen. Jetzt daran weiter zu machen ergab weniger Sinn als ein Flugleitsystem in der U-Bahn, wahlweise auch dieser Vergleich. Ohne irgendetwas weiter zu ändern, speicherte und schloss er die Arbeit.

Das Haus erwachte zum Leben. Die Nachbarn polterten in die Küche, Kaffeetassen klapperten, Wasser rauschte durch die Leitungen zu irgendwelchen Duschen, Toilettenspülungen plätscherten die Fallrohre hinab, irgendwo weinte ein kleines Kind. Hupen vor dem Fenster, das laute scheppern von Garagentoren und Autotüren, die zu feste zugeschlagen wurden. Es war wirklich an der Zeit, ins Bett zu kommen.

2016-08-06 23.30.57