Hörsaalgetuschel – Ausgabe 99

Staubig

Ein lauer Wind wehte durch das weit geöffnete Fenster von Flos Wohnung herein und ließ die Staubkörner in den Sonnenstrahlen des Nachmittags tanzen. Flo stand gerade in der Küche, die Hände tief in der Teigschüssel, als Mia klingelte. Er hatte sich an einem neuen Kuchenrezept mit Pflaumen versucht, die er an der Streuobstwiese am Fluss gesammelt hatte, nun folgte ein zweites Experiment, während das Blech noch auskühlte. Er überlegte kurz, ob er die Türklinke und den Türöffner mit Teig voll schmieren sollte, wusch sich dann aber die Hände, weil er viel zu faul wäre, diese Sauerei wieder zu beseitigen, ehe er am Wochenende zu Kristina fahren würde.

„Komm ich gerade ungelegen? Musstest du erst die Liebhaberin loswerden?“

Mia stapfte herein, nahm sich eine Tasse aus dem Schrank und Kaffee aus Flos Thermoskanne und ließ sich damit auf einen freien Stuhl sinken.

„Schoko-Kirsche. Wäre es für dein Mädchen, würde ich sagen, du musst echt einen großen Fehltritt wieder wett machen. Aber bis dahin ist der doch trocken. Heraus damit, wen willst du verführen?“

Flo hatte wieder die Hände im Teig. Vorsichtig bemüht, eine klebrige Sahne-Vanille-Creme unterzuheben, in der die Kirschen schon schwammen.

„Verführen ist hoffentlich nicht der richtige Ausdruck. Tina hat morgen Geburtstag und wollte unten am Fluss feiern. Hat Erik dir das nicht erzählt? Sie hat schließlich ausdrücklich euch beide eingeladen.“

„Hat er nicht. Na warte, der kann was erleben. Als würde ich zu dieser Ziege auf den Geburtstag gehen, aber trotzdem. Ich mein, vielleicht hat er es sogar erwähnt.“ Sie machte eine kurze Pause und fuhr etwas kleinlaut fort. „Okay, er hat es erwähnt. Ist schon eine Weile her und ich habe gesagt, wir gehen nicht hin. Er war ziemlich geknickt. Habe den Eindruck, eigentlich würde er gerne hingehen, so wie es klang kommen eh alle. Aber ich tu mir das auf keinen Fall an. Die blöde Kuh hat versucht mir meinen Freund auszuspannen!“

„Und er hat dir absolut bewiesen, dass du dich auf ihn verlassen kannst. Schade, dass du nicht kommen willst. Vielleicht sehe ich Erik morgen ja trotzdem da.“

Eine solche Formulierung hatte er einmal in einem Ratgeber zu Diplomatie gelesen. Diese Tatsache überraschte ihn zwar, aber nicht so sehr wie den Fakt, dass er sich noch daran erinnerte. Mia überging den Kommentar, sah sich nur stumm in der Küche um.

„Du sag mal, ich weiß ja, dass die Küche beim Kochen oder Backen mal dreckig werden kann, aber ist das da nicht etwas älter?“

Sie zeigte auf eine Wollmaus unter dem Fenster. Flo hob nicht einmal den Blick, blieb konzentriert bei seinem Teig, den er gerade in die Form füllte.

„Ja, ich weiß, es ist im Moment ein wenig dreckig. Mein Staubsauger ist leider kaputt gegangen und ich hatte noch keine Zeit, mir einen neuen zu besorgen.“ Er schob die Form in den Ofen.

„Soll ich ihn mir mal ansehen? Vielleicht bekomme ich ihn ja an.“

„Danke für das Angebot aber lieber nicht. Der Punkt ist, er läuft ja, aber etwas darin ist locker und schleift. Jedenfalls riecht er ziemlich streng nach Rauch, wenn er läuft und ich kann sehr gut darauf verzichten, hier die Bude ab zu brennen. Und sei es nur, um die Kaution wieder zu bekommen. Magst du mir mal den Messbecher aus dem Kühlschrank holen?“

„Gut, das sehe ich ein. Ist das Rotweincreme? Was hast du für einen Kuchen vor?“

„Die ist nicht für den Kuchen, das wäre zu viel des Guten. Die ist für gleich, wenn Erik vom Sport kommt. Für den Kuchen ist die Schokocreme, die noch im Kühlschrank steht.“

„Was sagt Kristina eigentlich dazu, dass du dir solch eine Mühe mit den Kuchen für andere Frauen gibst?“

„Sie würde gerne mitkommen, hat aber keine Zeit. Keine Sorge! Erstens bekommt sie selbst die besten Kuchen und zweitens ist sie nicht so eifersüchtig wie du. Sonst dürftest du ja nicht einmal hier in die Wohnung und würdest meinen Staub nicht sehen.“

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