Archiv für den Monat Dezember 2016

Schreiblaunen

„Wenn mich die Muse küsst“ sagt das Sprichwort, dann kann man besonders gut schaffend aktiv sein. Sei es nun mit Hammer und Meißel, mit Pinseln und Farbe, Instrument und Notenblatt oder mit Feder und Tinte, wahlweise auch Tastatur und Bildschirm. Nur, wer ist diese Muse, welche so eifrig alle Leute küsst, und sich doch so gerne diskret gibt? So diskret jedenfalls, dass mit persönlich kein Gesicht dazu einfallen möchte, welches mich geküsst haben will.

Anstelle einer schönen Person ist es in den meisten Fällen wohl einfach eine Laune. Bei mir als Schreiberling wäre es dann wohl die Schreiblaune, die mich zwar nicht küsst, aber immerhin doch schon einmal überkommt. Ihr zuvor kommt meistens ihre Schwester, die Idee, sie sind Zwillinge, aber trotzdem sollte ihr besser eine eigene Geschichte gehören. Die Schreiblaune jedenfalls macht aus der Idee eine Geschichte, welche greifbar, schreibbar und lesbar wird.

Zum Beispiel wenn man tiefenentspannt in der Sonne sitzt mit einem kühlen Getränk vor sich und dem Blick am Horizont. Wenn man die Zeit und die Ruhe hat, den Geist schweifen und die Gedanken fliegen zu lassen. Oder, wenn man einen Teil eines Vorgangs beobachtet hat, und das Gehirn einfach weiter rennt und die Ereignisse fortführt. Auch fort von dem Handlungsstrang der Realität. Was wäre, wenn…?

Was wäre, wenn die Frau, die dort eben auf der Treppe zum Bahnsteig gestolpert ist, nicht auf ihre Knie, sondern dem entgegen kommenden Mann in den Schoß gefallen wäre? Was, wenn sie sich daraufhin kennen und lieben gelernt hätten? Oder was wäre, wenn das Flugzeug über der Stadt spontan Feuer fangen würde und im nächsten Fluss notwassern würde, um den Brand gleich wieder zu löschen? Schließlich fliegt es doch sowieso verdächtig tief und in einer seltsam engen Kurve.

Stress ist hingegen ein optimaler Inspirationskiller bei mir. Ich habe zwar etwas Freizeit, aber ich sollte sie nutzen um irgendwas Wichtiges zu erledigen? Oder ich habe Freizeit, die sogar als Freizeit gedacht ist, aber am Horizont warten große Aufgaben? Selbst wenn ich will, kann ich vielleicht über Schreibblockaden schreiben aber schöne oder gute Einfälle, darauf wartet man vergeblich. Blöderweise drückt es gleichzeitig auf die Motivation und blockiert bestehende Gedanken und Konzepte. Ich kann also nicht einmal weiter schreiben, was ich schon begonnen habe.

Und wenn ich dann trotzdem unbedingt etwas schreiben will? Tja, dann müsst Ihr so etwas hier lesen. Was sind denn so die Gegebenheiten für Eure Schreiblaunen? Wie und wann könnt ihr am besten schreiben und wie funktioniert es überhaupt nicht? Lasst es mich doch mal wissen.

Hörsalgetuschel – Ausgabe 111.-2.

Familienfeste

Flo saß auf dem Sofa, die Beine angezogen und das Kinn auf die Knie gestützt, und fühlte sich seltsam. In all den vielen Jahren seines Studiums hatte er nie Weihnachtsdekoration in irgendeiner Form gehabt. Sein Zimmerchen war zu klein dafür gewesen und ihm hatte nie der Sinn danach gestanden. Andere Mitbewohner hatten sich ganze Weihnachtsbäume in ihre neun Quadratmeter gequetscht und die Brandmelder sorgsam abgeklebt, um gefahrlos ihre Adventskränze und Räuchermännchen brennen lassen zu können. Ihm selbst erschloss sich das nie wirklich. Der Weihnachtsbaum bei seinen Eltern reichte ihm persönlich.

Und nun saß er hier, blickte auf einen geschmückten Baum, glitzernde Lichterketten und den sanften Schein von Kerzen, welche die Wohnküche erhellten, und es war nicht bei seinen Eltern, sondern in seiner eigenen Wohnung. Kristina hatte die Wohnung in ein winterliches Paradies verwandelt, und wie bei allem, was sie anfasste, hatte sie auch hier wieder extrem viel Stil bewiesen. Sie schaffte es so beiläufig, dass er sich einfach wohlfühlen musste, dabei war Weihnachten so überhaupt nicht sein Fest.

Alles, was er damit verband, war Familie in all ihren Facetten. Dieses erzwungene Zusammensein von Leuten, die sich einfach nicht vertragen wollten und konnten. Der andauernde Stress, der in jeder Stimme lag, die sich nicht einmal die Mühe machen konnte, die Künstlichkeit in der aufgesetzten Fröhlichkeit zu verhehlen. Und dann die zwangsläufigen Zickereien und die vor Wut geknallten Türen.

Eine frustrierte Mutter, der die Tränen übers Gesicht liefen, weil Opa sich über das Weihnachtsessen beschwerte. Ein verschlossener und mürrischer Vater, der nicht damit zurechtkam, sich plötzlich mit seiner Familie befassen zu müssen und nicht ins Büro flüchten konnte. Geschwister, die sich vor Neid und Langeweile gegenseitig die Haare ausrissen und die Gesichter blutig kratzten, bis das ganze Haus von hysterischem Heulen und Schreien erfüllt war. Kristina sah ihn immer nur ungläubig an, wenn er so etwas erzählte und er konnte genau sehen, sie glaubte ihm nicht. Und das, obwohl sie Teile seiner Familie sogar schon kannte. Keine Familie konnte in ihren Augen derart zerrissen sein. Besonders nicht an Weihnachten.

Und nun saß er hier auf dem Sofa, während seine Traumfrau die ganze Wohnung mit Vorfreude auf dieses Fest überflutete, und wusste absolut nicht, was er empfinden sollte. Anspannung, aus Sorge vor diesen Tagen? Seine Familie würde nicht kommen und er würde nicht zu ihnen Fahren. Sie würden anrufen, weil sie das wohl mussten, aber ansonsten in den eigenen vier Wänden bleiben und am ersten Weihnachtstag, morgen, dann zu Kristinas Eltern fahren. Am zweiten waren sie dann bei ihren Großeltern eingeladen, gemeinsam mit der ganzen Großfamilie. Angst sollte er da wohl keine haben, aber er traute sich auch nicht, sich zu freuen. Ungeschickt mauerte er sich gegen die Vorfreude seiner Freundin ab. Was sollte er von Weihnachten erwarten? Was erwartete Kristina von ihm?

Erwartete sie, dass er sich mit ihr gemeinsam freute? Dass er von sich aus Plätzchen backen wollte? Erwartete sie ein besonders tolles Weihnachtsgeschenk? Er hatte sich große Mühe gegeben, stundenlang in der Küche geübt und heimlich eine rote Rose aus heißem Zucker erschaffen. Filigran und zerbrechlich und dennoch in seinen Augen plump und unförmig. Er hatte sie in einem Strauß echter Rosen versteckt und, so gut er halt konnte, eine Karte dazu gemalt. „Ich bin an Deiner Seite, bis die letzte Rose verwelkt ist.“ Ein Spruch, den er im Internet gesehen hatte. Wahrscheinlich würde sie sich sehr viel mehr über die Kette freuen, die er gekauft hatte. Sie passte recht gut zu ihrem Lieblingsoutfit. Jedenfalls hoffte er das sehr.

Und im Gegenzug, wenn er wirklich ganz ehrlich mit sich war, erhoffte er sich das erste wirklich friedliche Weihnachten seines Lebens. Plätzchen ohne bitteren Beigeschmack und Küsse aus ehrlicher, echter Liebe. Er wollte sie vor Glück strahlen sehen und fühlte sich abgestoßen von der Erkenntnis, dermaßen emotional geworden zu sein. Er hoffte darauf, sie herzlich lachen zu hören und hatte Bauchschmerzen vor Sorge, sie in irgendeiner Form zu enttäuschen. Was erwartete sie von ihm? Und wollte er diese Frage wirklich beantwortet haben? Jetzt war es eh zu spät. Seine Augen folgten dem Sekundenzeiger der Uhr. Gleich würde er aufstehen müssen, um den Auflauf aus dem Ofen zu holen. Für das Weihnachtsessen hatte er eines seiner Lieblingsrezepte abgewandelt.

Der Duft nach Zimt, Nelken und Anis strömte aus dem Ofen und verteilte sich in der ganzen Wohnung. Es reichte aus, um Kristina hervor zu locken. Sie war im Schlafzimmer gewesen und hatte sich umgezogen. Jeans und Pulli waren einer feinen Bluse und einem figurbetonenden, eleganten Kleid gewichen. Flo blieb bei ihrem Anblick die Luft weg und beinahe hätte er sogar vergessen, dass er aufstehen musste, um das Essen zu retten. Plötzlich schienen die Kerzen deutlich schwächer zu werden. Sie schien alles Licht im Raum regelrecht anzuziehen und strahlte dermaßen von innen heraus. Irgendwann musste er sich doch einmal daran gewöhnt haben, an das Herzklopfen, das flaue Gefühl im Bauch, die zittrigen Finger und den trockenen Mund, jedes mal, wenn er sie sah. Aber heute war offenbar nicht dieser Tag. Vielleicht war das ja ihr Weihnachtsgeschenk an ihn. Eine glückliche Zeit.

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Hörsaalgetuschel – Ausgabe 111.-1.

Sonderausgabe einfach weil wegen. Ich möchte Euch allen ein frohes Wintersonnenwend- / Weihnachtsfest wünschen. Genießt die Zeit mit Euren Lieben um euch und hoffentlich reichlich gutem Essen. Und freut euch, endlich werden die Tage wieder länger, der Sommer kann kommen.

Weihnachtsstress

Mia verbreitete bereits die ganze Woche schlechte Stimmung. Erik wusste ja, dass Weihnachten mit ihr eine besondere Note hatte, aber dieses Jahr war es völlig eskaliert. Regelrecht panisch war sie durch die Wohnung gewuselt, hatte den Weihnachtsbaum gerichtet, dekoriert, hatte Kochbücher und Internetseiten durchforstet und die Supermärkte geplündert. Jedes Mal, wenn Erik die Wohnung betrat, stand sie bereit um ihn anzufauchen, dass er sich auch ja die Schuhe auszog, um nicht die frisch geputzte Wohnung wieder dreckig zu machen.

Inzwischen war auch Erik reichlich geladen. Er hatte sich daran gewöhnt, dass Mia ab und an ihre etwas schlampigen Phasen hatte, wo sie Sachen herumliegen ließ und er ihr hinterher putzen musste. Dass sie nun den Spieß umdrehte, und hinter ihm her jagte, wo er nichts dreckig gemacht hatte, passte ihm nicht. Besonders die Küche war immer eher sein Domizil gewesen. Mia kochte nicht gerne und nicht gut aber meistens half sie ihm immerhin. Er hatte sich seine Ordnung und sein System geschaffen.

Nur plötzlich war von alledem nicht mehr viel übrig. Eine übellaunige Mia war in seinen Tempel eingedrungen, hatte begonnen mit jeder menge Gerichten zu experimentieren, die er am Ende retten musste. Sie räumte Geschirr und Besteck an Stellen, wo sie nicht hingehörten und fauchte ihn an, wenn er sich ein Brot schmierte, weil er alles vollkrümeln würde. Eisfach und Kühlschrank waren voll mit vorgeschälten Kartoffeln, Rotkohl, Rouladen und verschiedensten Desserts von Kuchen über Plätzchen bis Pudding. Und alles nur, weil sie beschlossen hatte, dass dieses Jahr Weihnachten mit der ganzen Familie in ihrer gemeinsamen Wohnung stattfinden würde.

Direkt zu heilig Abend würden sowohl Eriks als auch Mias Eltern mitsamt den Geschwistern und Anhang aufschlagen. Zu zehnt würden sie in der kleinen Wohnung um den Esstisch sitzen müssen und Mia hatte sich in den Kopf gesetzt, dass es das gemütlichste und perfekteste Weihnachten überhaupt werden würde. Ihm selbst würde es schon reichen, einfach halbwegs stressfrei alle unter ein Dach zu bekommen und zu sehen. Als er sich darauf eingelassen hatte, war ihm noch nicht bewusst gewesen, dass Mia das Ereignis zu ihrem persönlichen Prestigeprojekt machen würde.

Und nun war der Vierundzwanzigste und sie war den Tränen nahe. Nicht, dass es einen Grund dazu gegeben hätte. Die ganze Wohnung blitzte und blinkte, alles war dekoriert, es roch nach Plätzchen, Zimt und Orangen, nur der Weihnachtsbaum war eigentlich zu groß, aber mit weniger hatte sie sich nicht zufriedengeben wollen. Bald würde die Familie aufschlagen und es würde Kuchen geben. Nach Mias akribischem Plan müsste es in spätestens fünf Minuten so weit sein. Dann hatten sie noch etwa 1,5 Stunden für Kuchen und Gemütlichkeit, Gespräche auf dem Sofa und Wohnung präsentieren, solange das noch möglich war. Zum weihnachtlichen Duft gesellte sich Kaffee.

Denn dann würden sich auch alle schon wieder ihre Jacken anziehen dürfen, um eine gemeinsame Runde durch den Park zu spazieren. Mias Familie würde sich im Anschluss absetzen um den Weihnachtsgottesdienst in der örtlichen Kirche heimzusuchen während Eriks Familie, atheistisch wie sie waren, darauf keinen Wert legte und entweder weiter spazieren, oder aber in die Wohnung zurück kehren würden, um dort weiter die aufwendige Dekoration zu bewundern, bis wieder alle vereint waren. Mia würde dem Gottesdienst ebenfalls nicht beiwohnen, denn sie würde die eifrige Hausfrau mimen und sich in die Küche stellen. Obwohl die Vorstellung allein, dass sie sich in eine solche Rolle begeben würde, dermaßen absurd war, dass alle Anwesenden beschämt darüber würden lachen müssen.

Und obwohl der Kuchen dann noch keine drei Stunden zurücklag, war dennoch am Anschluss der Messe ein opulentes Abendessen angesetzt. Erik war die Aufgabe zugeteilt worden, den Tisch zu decken und ansonsten für den Seelenfrieden der Gäste zu sorgen. Der Gedanke daran ließ ihn bereits verzweifeln, sie hatten definitiv die falsche Verteilung gewählt. Wobei, er hatte ja nicht einmal die Wahl bekommen. Mia hatte das Regiment übernommen und duldete keine Einmischung. So gesehen war alles wie immer.

Erik sah sich ein letztes Mal in der noch leeren Wohnung um. Die Weinflaschen standen im Regal, der Kuchen bereits auf dem Tisch und Mia im Türrahmen. Sie hatte sich gerade umgezogen und zwang sich jetzt ein Lächeln ins Gesicht, um ihre Sorgen und Anspannung zu verbergen.

„Klammer dich nicht immer so sehr an feste Pläne. Versuche auch mal etwas mehr wie Seide zu sein. Nimm die Situation wie sie ist, und schmieg dich daran dann an, und alles wird gut.“

Mit diesen Worten legte er ihr einen Seidenschal um den Hals, der farblich perfekt zu ihrem Kleid passte, und nahm sie fest in den Arm. Er konnte spüren, wie sie zitterte und das erfüllte ihn mit tiefer Traurigkeit. Es sollte doch einfach nur ein schöner gemeinsamer Tag werden, mit Familie, einer tollen Zeit und leckerem Essen. Die ganze Dekoration, der straffe Zeitplan, das hatte er doch alles überhaupt nicht gewollt und er war sich sicher, Mia auch nicht.

In seinem Kopf schickte er Mia nach dem Kaffee mit den Familien los, während er da blieb und sich in Ruhe um das Abendessen kümmern würde. Irgendwie würde er es noch schaffen, dass auch Mia an diesem Tag ein bisschen Luft holen konnte. Wenn sie schon unbedingt weinen wollte, dann doch wenigstens vor Glück, dass alle einen schönen Abend genießen konnten und sich niemand stritt. Und morgen würden sie dann einfach lange im Bett bleiben und erst gegen Abend zum Abendessen bei Mias Verwandtschaft sein, wo es ebenfalls ruhig aber fröhlich ablaufen würde.

Als es an der Türe klingelte, überlegte er noch, ob sie nächstes Jahr nicht einfach wegfahren sollten und Weihnachten ausfallen ließen. Aber das würde er niemals bei ihr durchsetzen können. Und irgendwo brauchte sie auch etwas Stress und Anspannung, einfach um glücklich zu sein. Mia zog los, um den Besuch hereinzulassen und Erik bekam von seinem Telefon mitgeteilt, dass er eine Mail bekommen hatte.

Lieber Erik,

ich wünsche Dir und allen Deinen Lieben ein fröhliches und besinnliches Weihnachtsfest. Hoffentlich bekommst du die Ruhe und alle Liebe, die du dir wünschst. Genieß die schöne Zeit und denk nicht zu viel an die Uni. Ich esse ein Plätzchen für dich mit.

Liebe Grüße und fühl dich gedrückt

Tina

Natürlich hatte sie an ihn gedacht. Was hätte sie denn auch sonst tun sollen? Wahrscheinlich saß sie gerade im Hotel ihrer Eltern an der Rezeption, während ihr Vater für die Gäste die Bar betrieb und ihre Mutter in der Küche für Ordnung sorgte. Für sie wäre allein schon ein Weihnachten, an dem nicht gearbeitet werden musste, das reinste Glück. Der Gedanke daran schnürte ihm die Kehle zu, aber dafür war jetzt nicht mehr die Zeit. Er würde ihr später antworten, wenn die anderen draußen waren. Bis dahin würde er ihr ganz viel Kraft und gute Laune wünschen, während er mit seiner Freundin im Arm der Familie das frisch sanierte Bad präsentierte.

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Exitus II

Den ersten Teil von Offenschreibens Schreib mit mir findest du hier.

Ich wurde in einem kleinen Kellerraum wach. Es gab keine Fenster aber ein kleines und doch gemütliches Bett, eine Schreibnische und einen Stuhl. Auf dem Stuhl lag, zusammengefaltet, ein Anzug für mich bereit. Er passte erstaunlich gut und beim Blick in den Spiegel an der Türe musste ich zugeben, dass er mir ausgesprochen gut stand. Ich musste mich nur erst wieder etwas in Form bringen. Tom hatte mir noch vor dem Schlafengehen das Bad gezeigt, wo ich mich frisch machen konnte.

„Du bist also endlich wieder wach.“

Beim Frühstück hatte ich noch in Erfahrung bringen können, dass die alte Frau, welche mich auch jetzt wieder kichernd begrüßte, als ich das Wohnzimmer betrat, Lena hieß. Sie saß in einem Sessel, der Platz für drei von ihrer Sorte geboten hätte und strickte. Jedenfalls glaube ich, dass es stricken war. Sie war der erste Mensch, den ich jemals wirklich handfest hatte stricken sehen, aber ich kannte die Abbildungen aus alten Kinderbüchern. Ich hatte sie selbst als Kind gelesen, später von meinen Eltern übernommen und meinen eigenen Kindern und Enkeln vorgelesen. Das Papier war alt und abgegriffen und vieles darin kannte ich selbst nur noch vom Hörensagen. Ausgestorbene Wörter und Tätigkeiten, es war wie ein Ausflug in eine fremde Welt, dabei war es nur eine andere Zeit gewesen. Eine Zeit, aus der Lena vielleicht sogar noch selbst kam.

„Komm, ich möchte mir etwas die Beine vertreten. Inzwischen sollte es etwas abgekühlt sein draußen, du hast immerhin den ganzen Tag verschlafen. Etwas Bewegung wird dir auch gut tun und immerhin musst du dich im neuen Viertel zurechtfinden lernen.“

Sie führte mich durch die Straßen, zeigte mir, wo ich welche Geschäfte finden konnte, erzählte mir, welches Lokal schon seit wann an welche Familie vergeben war, wo der Park war und was das Zentrum des gesellschaftlichen Lebens des Zentrums war. Ich kannte die Gegend sogar, erkannte einige Sachen wieder. Früher war ich ab und an mal hindurch gefahren, aber hatte nie einen Bezug dazu gehabt.

Wir schlenderten die Hauptstraße eines Viertels entlang, von dem ich niemals gedacht hätte, dass es einmal meine Heimat werden könnte. Vor allem nicht auf diese Weise. Gesichter kamen uns entgegen, gingen an uns vorbei, ohne uns zu bemerken. Die Masse bot Schutz, denn niemand interessierte sich für Individuen. Was ist eine einzelne Welle für den Ozean? Nur wir beobachteten die Gesichter und dachten uns Geschichten dazu aus. Der Spaß alter Leute, welche die Ruhe und die Zeit haben, sich ihre Umwelt anzusehen. Müde Augen von Menschen, die nach einem langen Arbeitstag auf dem Heimweg waren. Konzentrierte Gesichter auf der Suche nach Dingen, die sie noch zu besorgen hatten. Fröhliche Münder, in denen sich die Vorfreude auf das Treffen mit einem lieben Menschen widerspiegelte.

Und dann kam der nächste Schreck auf mich zu, diesmal in der Gestalt von Marten. Er war erst vor zwei Tagen auf meinem Abschied gewesen, wir hatten gemeinsam Kuchen gegessen und uns an ein halbes Jahrhundert guter Freundschaft erinnert. Jetzt war sein Blick nach innen gerichtet und er wirkte besorgt. Liebend gerne hätte ich ihn angesprochen und gefragt, was los sei, doch ich konnte mich nicht rühren. Steif vor Schock stand ich da, unfähig auch nur den Arm zu heben. Er kam direkt auf mich zu, ich hätte wetten können, dass er mich direkt angesehen hat, aber er ging vorbei. Erst an der nächsten Ecke hielt er inne und drehte sich mit erstauntem und zweifelndem Blick um. Doch da waren wir bereits um die nächste Ecke verschwunden und versteckt. Zu gerne hätte ich seine Gedanken erfahren.

Im Anschluss an dieses Ereignis erklärte Lena unseren Ausflug für beendet. Ich bräuchte Ruhe, sagte sie, und müsse mich erst noch an die neue Situation gewöhnen. Vielleicht hatte sie recht, vielleicht auch nicht. Ich vertraute ihr in dieser Sache aber einfach mal, denn sie hatte wesentlich mehr Erfahrung mit Leuten, die gestorben waren und doch weiter lebten, als ich.

Diesmal betraten wir das Restaurant über dem Unterschlupf nicht durch die Verladeluke, sondern durch den Haupteingang. Lena wurde offenbar schon erwartet, denn der Eigentümer hatte einige Tüten mit warmen Dosen und Schachteln bepackt, die er uns gleich in die Hand drückte. Lena bezahlte das Abendessen und verabschiedete sich freundlich. Ich hatte noch nicht herausgefunden, wie genau sich unsere Gruppe eigentlich finanzierte. Niemand von uns hatte eine offizielle Arbeitsgenehmigung oder konnte Rente beziehen. All dies erlosch mit dem Tod.

Die nächsten zwei Tage verbrachte ich hauptsächlich damit den Unterschlupf zu erkunden, aufzuräumen, im Haushalt zu helfen und zu lesen. Ich gewöhnte mich an den Gedanken, wohl noch eine Weile zu leben und lernte meine Mitbewohner kennen. Lena war tatsächlich die Älteste hier, mit inzwischen über zweihundert Jahren. Sie erinnerte sich sogar noch an die Zeit vor dem Orakel. An die Zeit, als das Sterbedatum noch rein genetisch ermittelt worden war. Damals war es noch möglich gewesen, dass sich das Datum irrte und man durch Unfälle oder Krankheiten früher starb. Nur Lena war einfach nie gestorben.

Die meisten der Untoten hier waren nie gestorben. Es kam nur selten vor, dass doch noch jemand später verstarb. Für solche Fälle waren einige Kontakte in die Behörden geknüpft worden, zu Stellen, wo Leute saßen, denen es möglich war, unauffällig nicht mehr registrierte Körper verschwinden zu lassen. Ein solcher Fall aber war ausgesprochen selten. Waren wir insgeheim unsterblich und wussten selbst nichts davon? Lena war alt, aber zeigte keine Anzeichen von Schwäche. Hattie hätte bereits vor dreißig Jahren sterben sollen, und hatte sich seitdem kaum mehr verändert. Lukas war gerade vierzig, als seine Zeit ablief. Jetzt war er knapp über hundert und niemand würde ihn älter als sechzig schätzen. In dieser Runde fühlte ich mich regelrecht jugendlich.

Und dann kam der Tag, an dem ich herausfand, was an mir anders war. Es war Donnerstag und wie jeden Donnerstag hatte Selime den Tag mit ihrer Tochter verbracht und sie dann zum Bahnhof gebracht. Sie sehnte sich danach, sie einmal in ihrer Stadt besuchen zu können aber der Zug war dafür Tabu. Ohne ihren Ausweis konnte sie keine Bahn betreten und weg fahren. Das war eine Grenze unserer Freiheit.

Aber was ihr aufgefallen war, war ein Polizist, der am Bahnhof Leute befragte. Der Roboter zog scheinbar ziellos durch die Menge der Reisenden und fragte hier und da nach, ob jemand diese Person gesehen habe. Dabei hielt er ihnen eine kleine Abbildung von mir vor. Ich sei vermisst gemeldet, hieß es, und man hoffe, auf diese Weise einen Hinweis auf meinen Aufenthaltsort zu bekommen. Kein Wort darüber, dass ich verstorben war.

Die Information, dass nach mir gesucht wurde, sorgte für einiges an Verwirrung und Wirbel. Eine solche Situation war irgendwie noch ungewöhnlicher, als jemand, der nicht an seinem Todesdatum starb. Selbst meine Gastgeber waren mit solchen Ereignissen überfordert.

Um der Frage auf den Grund zu gehen, unternahmen wir einen kleinen Ausflug in die Bibliothek. Die Terminals dort sind öffentlich und frei zugänglich, was es ein wenig einfacher macht, anonym zu bleiben. Zwar war das nicht die ideale Situation für uns, aber das Beste, was wir bekommen konnten. Die Suchen nach meiner Person ergaben sämtlich das erwartete Ergebnis: Ich war tot, nicht länger aktiv. Es war nicht, wie bei der mythischen Unperson, welche gänzlich aus der Geschichte getilgt worden war. Ich hatte existiert, wurde von Arbeitgebern und meinen Vereinen lobend erwähnt, es gab Veröffentlichungen von mir und Nachrufe auf mich. Ganz genau so, wie es zu erwarten gewesen war. Auch auf den Portalen der Behörden gab es keine Hinweise, keinen Eintrag bei Vermisstenanzeigen oder Gesuchen.

Und doch war es keine Einbildung gewesen, dass die Polizeidrohnen nach mir gesucht hatten. Selbst ein Kontakt bei den Behörden hatte inzwischen die Verbindung zu uns aufgenommen und uns darüber informiert, dass eine Order von ziemlich weit oben an die Polizeiroboter ausgegeben worden war. Er selbst konnte keinen Einblick darin erhalten, aber es schien einen Zusammenhang zwischen dieser Order und der Suche nach einer vermissten Person zu geben, welche nicht im Register aufgeführt wurde.

Lena sorgte dafür, dass er nur das Nötigste erfuhr und nichts auf meine Existenz und einen Zusammenhang zur Gruppe der Überlebenden hinwies. Es war mir nicht deutlich, woher sie so viel Übung in solcherlei Dingen hatte. Sie versprach aber, dass sie und die ganze Gruppe die Augen offen halten wollten. Ihr lag ein enger Kontakt zu ihren Informanten sehr am Herzen, wollte immer wissen, was wann und wo geschah und die Anderen unterstützten sie dabei. Es war wohl meiner besonderen Situation geschuldet, dass mir bei dem Gedanken aktuell etwas mulmig war.

Ich entschied mich, fürs Erste ein Versteckspiel zu wagen. Ich hatte nie Beziehungen zu Personen in höheren Verwaltungsebenen gehabt, konnte mir also auch nicht vorstellen, dass es dort jemanden gab, der mir gegenüber einen Grund hatte, wohlwollend zu sein. Ich nahm eine Arbeit in der Küche des Restaurants oben an, bewegte mich nur mit Bedacht in der Öffentlichkeit und verbrachte ansonsten viel Zeit im Unterschlupf. Mein Leben im Untergrund begann und würde so lange anhalten, wie es eben brauchte, um an weitere Informationen zu kommen. Auch wenn ich meine Familie vermisste, es ging mir gut und ich konnte gut leben. Ich hatte keinen Grund, daran etwas zu ändern.

Dieses „Ende“ kam auch für mich hier halbwegs überraschend. Es ist mir eigentlich zu offen, aber ich bin nicht ganz sicher, 1. ob es überhaupt spannend ist und Spaß macht, zu lesen und 2. wie es denn weiter gehen soll. Verschwinde ich aus der Stadt? Gehe ich doch zur Polizei? Versuche ich mich im Untergrund durch zu schlagen? Suche ich mir einen Arzt meines Vertrauens, der mich untersuchen soll? Stoße ich in der Bücherei auf vergessene Hinweise darauf, was uns Überlebende erschaffen hat? Und wie bekomme ich wieder etwas Schwung in meine Erzählung?

Wenn du eine Idee hast, dann bist du, wie immer, herzlich dazu eingeladen, mir einen Kommentar zu hinterlassen. Ich freue mich über Kommentare und Anregungen.

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Hörsalgetuschel – Ausgabe 110.

Die Badezimmerchroniken Teil 4

Das Telefon tutete und nach ein paar Sekunden meldete sich auch gleich der Vermieter. Erik schilderte ihm die Situation mit dem verstopften Abfluss, der weder mit Pumpen noch mit viel Rohrreiniger freizubekommen war. Er erkundigte sich, ob der Klempner sich bereits mit ihm in Verbindung gesetzt hatte, und was das weitere Vorgehen nun war. Sollte er einfach abwarten, bis der Klempner wieder kam, und gleich beide Verstopfungen lösen konnte, oder sollte er dafür gesondert anrufen? Die Antwort kam allerdings nicht ganz wie erwartet. Ja, der Klempner war eben da gewesen. Sie hatten sich ausgiebig über die Situation beraten und waren zu einem Entschluss gekommen.

„Passen Sie auf, wir machen das ganz anders. Das Rohr ist verstopft, das müssen wir austauschen. Die Trennwand zwischen Bad und Klo ist so dünn, wenn wir die auf reißen, um das Rohr zu wechseln, dann fällt uns da alles zusammen. Wir machen das so, wir reißen einfach alles raus und nehmen die Zwischenwand weg. Dann machen wir ein komplett neues Bad mit Dusche, Heizung und die Anschlüsse für die Waschmaschine bin ich Ihnen ja auch immer noch schuldig. Das ist mir zwar nicht besonders lieb, weil die Warmwassertherme und die Badewanne ja im Grunde genommen noch neu sind, aber ehe wir da jetzt nur herum schustern und einen Flickenteppich veranstalten. Die Leitungen sind ja alle schon alt, da ist in fünf Jahren das nächste Rohr dicht. Wenn wir es jetzt einmal anpacken, dann ist es dafür dann einmal alles neu und gut und wir können bei der Gelegenheit auch die Gasöfen gegen eine vernünftige Etagenheizung austauschen.“

Erik war völlig überrumpelt. Er hatte doch nur kein Wasser gehabt und jetzt plötzlich sollte die ganze Wohnung eine Baustelle sein? In seinem Schock realisierte er nicht einmal, dass er nur nickte, statt eine Antwort auszusprechen.

„Ist bei Ihnen denn nächsten Mittwoch jemand zu Hause? Dann würde ich nämlich gerne mit dem Klempner und der Hausverwaltung einmal vormittags rein kommen, damit wir das planen können. Auch wegen der Dauer. Wenn es klappt, kommt auch der Fliesenleger gleich mit, dann haben wir alle da.“

„Ja, das werden wir wohl einrichten können. So gegen zehn bis zwölf Uhr sollte kein Problem sein.“

„Alles klar, dann wünsche ich Ihnen noch ein schönes Wochenende, wir sehen uns dann am Mittwoch. Und für die Dauer der Bauarbeiten mindere ich Ihnen selbstverständlich die Miete. Keine Sorge also, das wird alles wieder werden.“

Erik saß auf seinem Schreibtischstuhl und fühlte sich ein Bisschen so, als wäre er gerade von einem Güterzug überrollt worden. Einem Großen, wie die, mit den dicken Rollen Stahlblech, die immer zu den Panzer- und Autofabriken im Süden rumpelten. Wenn er sich für eines nicht begeistern konnte, dann waren das Baustellen. Völlig egal wo, wann und für was, Baustellen hießen immer Dreck und Unordnung. Man musste Umwege fahren, wenn an Straßen gebaut wurde, die Schuhe wurden dreckig, wenn Lastwagen voller Erde durch die Straßen klapperten und dabei ihre halbe Ladung verteilten und Sanierungsbaustellen verteilten ihren Staub und viel Lärm in der ganzen Umgebung.

Er hatte gehofft, man könnte irgendwie mit einem Draht oder flexiblen Bohrer die Leitung entlang bohren, und die Verstopfungen auf diese Weise lösen, eventuell auch mit irgendwelchen chemischen Mitteln der Lage Herr werden. Und jetzt sollten dieser Dreck und diese Unordnung in seine Wohnung kommen. In diesem Moment war die Aussicht auf ein neues Badezimmer ein äußerst schwacher Trost für ihn. Er hatte sich zügig an das Bisherige gewöhnen können und mit seinen Macken leben gelernt.

In der Küche klapperten die Schränke, als Mia die Einkäufe verstaute. Erik holte tief Luft und versuchte sich wieder in seiner Realität zurechtzufinden. Mia war inzwischen fertig und zu ihm herüber gekommen. Als sie ihm einen Kuss gab, versuchte sie nicht daran zu denken, was Tina vor noch überhaupt nicht so langer Zeit mit ihm versucht hatte. Sie schaffte es nicht, doch was auch immer es gewesen sein mochte, die Tatsache, dass Tina eine Abfuhr kassiert hatte, währen er sich nun dankbar an sie anschmiegte, entlockte ihr ein triumphierendes Lächeln.

„Ich habe den Vermieter erreicht. Du wirst nicht glauben, was er jetzt wegen der Verstopfung vor hat.“

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Winter Book Tag

Winterabende eignen sich doch hervorragend, um sich mit einer Kuscheldecke und einem guten Buch vor den Kamin zu setzen. Leider habe ich weder Kuscheldecke noch Kamin, dafür aber von der guten Michaela einen „Winter Book Tag“ bekommen. Das war mir zwar bisher absolut überhaupt kein Begriff aber gut, es sieht wohl so aus, als gibt es einige Fragen, die ich beantworten darf. Winterliche Fragen zu Büchern. Wenn das so ist, auf sie mit Gebrüll!

Snow: It is beautiful when it first falls, but then it starts to melt. A book/book series that you loved at the beginning, but then, at the middle of it, you realized you don’t like it any longer.

Ehrlich eine schwierige Frage. Eine Serie, die mir am Anfang noch gefallen hat und später nicht mehr? Die erste Idee, die mir hier gekommen ist, wird auf viel Unverständnis stoßen: Harry Potter. Die ersten Teile habe ich mit viel Freude gelesen, dann kam Teil Vier und mit ihm der große Hype. Und ich bin in ein Alter gekommen, in dem sich einiges entwickelt. Mein Interesse ist einfach eher in Richtung Science Fiction gewandert und für den letzten Band von Harry Potter war einfach nicht mehr die Zeit übrig. Vielleicht spielt auch dazu, dass der vorletzte Teil keinen all zu bleibenden Eindruck mehr hinterlassen hat. Aber „don‘t like it any longer“ wäre irgendwie der falsche Eindruck. Genau so würde ich auch nicht sagen, dass ich die Metro Reihe nicht mehr mag. Es ist nur einfach etwas der Schwung raus.

Snowflake: Something beautiful and always different. Choose a book that stands out, that is different from all the other books you’ve read.

Bei dieser Frage möchte ich auf meine erste Buchkritik verweisen, die ich jemals geschrieben habe und welche auch einer der allerersten Einträge auf diesem Blog darstellt. Die Letzten ihrer Art, ein Buch zum Thema Artenschutz. Und obwohl die Thematik reichlich schwer ist, habe ich beim Lesen regelmäßig albern durch den Bus gekichert.
Und weil ich mich nie für etwas entscheiden kann gibt es hier den Bonus: Die Edda. Eines der Bücher, die tatsächlich einen merklichen Einfluss auf mich hatten.

Snowman: It is always fun to make one with your family. Choose a book that your whole family could read.

Das Familienbuch. Spontan würde ich sagen, das ist unmöglich und es existiert nicht. Möglicherweise… könnte Per Anhalter durch die Galaxis einen Kompromiss darstellen.

Christmas: Choose a book that is full of happiness, that made you warm inside after reading it.

Erster Gedanke: Ronja Räubertochter. Aber vielleicht sind die Kinder aus Bullerbü ja doch zutreffender. Ansonsten bin ich nicht so überragend belesen in Gutelaunebüchern.

Santa Claus: He brings wonderful presents. Choose a book that you’d like to get for Christmas.

Es gibt so einige Größen, besonders aus dem SciFi, die ich noch gerne lesen möchte. Ein wirklich wundervolles Geschenk wäre es aber wohl, wenn es mein eigenes Buch wäre, welches ich in die Hände bekomme. Jetzt muss ich es wohl nur noch schreiben…

Snow bowling: It can be painful to be hit by a snowball. Choose a book that hurt, that made you feel some strong emotion, like sadness, or anger.

Urgs. Schullektüren haben in der Regel extreme Langeweile und Desinteresse verursacht. Ansonsten kann ich auf zwei Fragen weiter unten verweisen, „Mit meinen Augen“, was eine massive Enttäuschung war, und natürlich auf das schon vielfach aufgeführte „Die Letzten ihrer Art“, was mir mit seinem Humor und Herzblut absolut ans Herz gewachsen ist.

Sledding: We all loved it when we were younger. Choose a book that you loved when you were a child.

Astrid Lindgren Bücher. Ronja Räubertochter, Michel, Bullerbü, Ferien auf Saltkrokan… Ich hoffe, ihr kennt die Liste.

Frostbite: Choose a book that you were really disappointed in.

Ich glaube es hieß „Mit meinen Augen“ oder so. Für 50 Cent auf einem Bücherflohmarkt gefunden und völlig frei von Erwartungen in irgend einer Form, hat es mich dennoch enttäuscht. Die 50 Cent waren es einfach nicht wert und das ist schon echt bitter. Besonders noch, weil ich wirklich keinerlei Erwartungen an das Buch gestellt habe.

Reindeer: Something that is dear to us. Choose a book that is of great sentimental value to you.

Es wird langweilig und ich wiederhole mich. Die letzten ihrer Art. Das Herzensprojekt von Douglas Adams. Punkt. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

Das war der Fragenkatalog mit seinen acht winterlichen Fragen. Ich vermisse den Sommer trotzdem. Wie es bei Tagging Aktionen üblich ist, soll ich jetzt weitere Blogger taggen, die ebenfalls auf diese Fragen antworten dürfen. Und da ich mich doch nie für jemanden entscheiden kann, bleibe ich bei der langweiligen Variante und tagge einfach alle, die gerne mitmachen möchten. Viel Spaß schon einmal 🙂

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Exitus I.

In dieser Woche geht es gleich weiter mit dem nächsten Experiment und der nächsten Premiere. Am 12. Dezember hat Offenschreiben ein neues Schreib mit mir veröffentlicht. Ich habe schon beim ein oder anderen „Schreib mit mir“ Ideen gehabt, diese aber nie wirklich festhalten können oder in eine Form bringen können, dass sie vorzeigbar geworden wären. Diesmal habe ich mich einfach hingesetzt und geschrieben. Auch wenn ich mich nicht ganz genau an die Vorgaben gehalten habe und das Gefühl habe, am Ende etwas in eine Sackgasse gerannt zu sein, gibt es hier und jetzt für Euch den ersten Teil von…

Exitus

Am achtzehnten Juni bin ich gestorben. Mein Ausweis ist abgelaufen, meine Konten wurden geleert und auf die zugewiesenen Erben verteilt, Mietvertrag und alles damit zusammenhängende wurden beendet. Einen Tag später kamen die Entsorger, um meine Überreste zu beseitigen und die Möbelpacker, um meine verbliebenen Besitztümer zu beseitigen, meistens nur noch das Bett. Der Nachmieter stand schon seit über einem Jahr fest und wartete nur darauf, endlich einziehen zu können. Das ist die übliche Vorgehensweise und geschieht auf diese Wiese jeden Tag mehrmals in meiner Stadt. Es gibt nur ein Problem.
Der achtzehnte Juni ist zwei Tage her und ich atme immer noch, genau so, wie mein Herz immer noch schlägt. Die Entsorger standen vor einem leeren Bett und mussten unverrichteter Dinge weiter ziehen. Es ist gegen die Norm, seinen letzten Tag nicht in der eigenen Wohnung zu verbringen. Meistens wird dieser Tag mit engen Freunden und der Familie verlebt, man nimmt abschied voneinander und alle guten Taten im Leben des Sterbenden werden noch einmal aufgezählt und gewürdigt.
Dieser Tag ist etwas ganz Besonderes für uns, wie der Tag der Geburt. An diesem Tag steht auch bereits fest, wie lange unser Leben denn anhalten wird. Ein Blick in die DNA und das Wort des Orakels, dann steht das Todesdatum fest und wird uns auf den Arm tätowiert. Auf diese Weise sollen wir jeden Tag besonders würdigen und versuchen, bis dahin möglichst viel Wertvolles zu hinterlassen. Jeder Mensch weiß, bis wann er seine Projekte abgeschlossen haben muss und bis wann er eventuelle Nachfolger instruiert haben sollte. Und dieses Datum trifft zu. Immer!
Zugegeben, die Stunde kann variieren. So war es dann auch nicht verwunderlich, dass sich meine Freunde und Familie abends verabschiedeten, um in ihre eigenen Wohnungen zurückzukehren. Mir könnte höchstens noch eine Stunde bleiben und sie haben mir wahrlich einen würdigen Abschied beschert. Ich könnte für Nichts dankbarer sein, als für einen solchen Abschluss eines erfüllten Lebens. Doch Mitternacht verstrich und ich atmete immer noch. Nun nicht mehr ruhig und entspannt sondern hektisch, ja panisch. Ich hielt es nicht mehr aus und lief fort. Etwas stimmte nicht.
In diesen Sommernächten wird es nie wirklich dunkel. Ich versuchte mich trotzdem abseits der Straßenlaternen zu halten, wieso, kann ich nicht sagen. Irgendwann hockte ich zitternd gegen eine Wand gelehnt, irgendwo in einer Seitenstraße. Ich hatte keine Ahnung mehr, wo ich war, aber der Horizont begann bereits zu glühen und noch immer stimmte etwas nicht. Ich sollte seit mindestens vier oder fünf Stunden tot sein. Wieso atmete ich noch? Für das System war ich tot, daran bestand kein Zweifel. Es gab keinen Grund, wieso ich es nicht sein sollte. Der Tod war planbarer als die Geburt.
Grenzenlose Verwirrung riss mir jeden Gedankenfaden aus der Hand und wirbelte ihn wie ein Sturm umher. Die wenigen Menschen, denen ich begegnete, beachteten mich nicht. Ein weiterer Spinner, dem die Nerven durchgegangen waren. Die Polizei würde sich schon um das Problem kümmern und die Straßen sauber und sicher halten. Für verwirrte Geister und Ausreißer gab es besondere Einrichtungen, wo ihnen geholfen werden konnte. Niemand achtete auf das Tattoo. Die Jahreszahl alleine reichte aus. Alles andere wäre ein unhöfliches Eindringen in die Privatsphäre gewesen.

Ich spürte die neugierigen Augen eher, als dass ich sie finden konnte. Sie waren in der dunkelsten Ecke der Gasse versteckt und gehörten zu einem Mann, der noch nicht einmal besonders alt aussah. Als ich mich irritiert nach dem merkwürdigen Gefühl im Nacken umsah, kam er hervor und hielt mir stumm etwas Brot hin. Misstrauisch griff ich danach und prüfte es zunächst. Es schien in Ordnung zu sein, wenn nicht sogar ziemlich gut.
„Hab dich beobachtet, du hast schon gestern nichts gegessen. Ist auf Dauer ungesund, nichts zu essen. Bin übrigens Tom.“
Ich wusste nicht, ob ich auf meine Alarmglocken lauschen und weglaufen sollte, oder gerade einen Freund gefunden hatte, wenigstens aber jemanden, der eine Richtung zeigen konnte. Ich bedankte mich und stellte mich knapp vor, während ich auf dem Brot kaute. Es schmeckte köstlich wie lange nichts mehr. Ich hatte in meinem Schock nicht einmal bemerkt, dass ich Hunger und Durst bekommen hatte. Als hätte er es gerochen, reichte Tom mir eine Flasche mit Wasser. Und ein Armband. Als ich ihn fragend ansah, nickte er nur und guckte auf seinen eigenen Arm. Sein Todesdatum war zur Hälfte unter einem vergleichbaren Armband versteckt.
Ich verstand es als Aufforderung und streifte das Armband über. Es schmiegte sich weich an meine Haut an und saß passgenau, als wäre es für mich gemacht. Tom nickte zufrieden.
„Damit die Leute nicht unruhig werden.“
Als er sein Armband kurz hochschob, verschluckte ich mich am Wasser. Das war doch unmöglich. Nach seinem Datum hätte er nicht nur vor einem Monat gestorben sein müssen, sondern vor einem Monat und zwei Jahren! Ich saß hier mit einem Gespenst. Noch viel unfassbarer wäre es wohl gewesen, wenn ich nicht selbst erst vor zwei Tagen gestorben wäre, und doch weiter lebte. Tom, wenn auch kein großer Redner, beobachtete scharf und bemerkte meinen Schrecken mit Leichtigkeit.
„Ruhig Blut. Sind nicht so allein, wie es scheint. Gibt‘n Paar solche. Bring dich wo hin, wo du bleiben kannst. Hier jedenfalls nicht.“
Damit erhob er sich aus der Hocke und wandte sich dem dunklen Ausgang der Gasse zu, mich erwartungsvoll ansehend. Ein Paar solche? Ein Paar was für welche? Nicht Gestorbene? Was für einen Ort? Und was hieß eigentlich wie es scheint? Gab es sie jetzt oder nicht? Ich feuerte eine ganze Serie von Fragen auf Tom ab, aber er blieb stumm und deutete nur mit dem Kopf an, ihm zu folgen. Die Hände hatte er tief in den Taschen eines weiten Mantels vergraben. Die frühe Morgensonne war kaum über den Horizont und es war immer noch recht frisch. Die Kühle war mir in die Knochen gekrochen und es knirschte bei jedem Schritt.
Es ist erstaunlich, wie sehr man sich an den Anblick einer Stadt gewöhnt, und mit welchen Augen man sie plötzlich wahrnimmt, wenn man in eine außergewöhnliche Situation rutscht. Wir zogen durch Straßen und Wege, die ich schon unzählige Male gegangen war und dennoch nie wirklich bewusst gesehen hatte. Ein Fremder in meiner eigenen Stadt, die ich mitgeholfen hatte aufzubauen, in der ich beinahe mein gesamtes Leben verbracht hatte. Da waren Wege, Türen, Geschäfte, ja ganze Häuser, die mir noch nie aufgefallen waren. Als wollten sie versteckt bleiben.
Dann verschwand Tom im Lieferanteneingang eines Restaurants. Als ich ihm in die Garage folgte, war sie leer. Eine Hand griff nach meiner Schulter und zog mich durch eine Türe direkt hinter dem Tor, die ich völlig übersehen hatte. Wir standen in einem schummrigen Treppenabgang, der wenigstens zwei Etagen in die Tiefe führte. Die rohen Backsteinwände waren feucht und alt, aber von unten kam warme Luft herauf.
Der gemütliche Schein am Ende der Treppe entpuppte sich als eine Art Bar. Der Wirt wischte gerade den Boden, in der Ecke saß in einer Nische ein letzter Gast und schlief friedlich, das letzte Bier noch halb voll. Als wir den Raum betraten, nickte uns der Wirt freundlich zu. Er war ein Hüne und, seinen Tattoos nach zu urteilen, ein alter Seemann. Auch er trug ein solches Armband, wenngleich sein Datum unter den restlichen Tattoos sowieso unsichtbar gewesen wäre. Auch seine Sprache war die, eines Seefahrers.
„Moin moin, ein Neuling? Des hattn wa auch schon länger nich mehr. Willkomm bei uns. Fühl dich wie zuhause un wenn du was brauchs, sach einfach Bescheid.“
Damit winkte er uns durch, auf einen Vorhang hinter der Bar zu. Wir erreichten einen kleinen Flur und an dessen Ende ein Wohnzimmer mit Kamin. Der Raum war holzgetäfelt und mit klassisch designten Polstersesseln ausgestattet. Am Tisch im hinteren Bereich saßen einige Leute gerade beim Frühstück.
„Sieh an, sieh an. Tom der Streuner ist zurück, und hat einen Gast dabei, oder einen Neuzugang?“
Diese Worte kamen von einer winzigen Frau, die mit dem Rücken zu uns saß und keine Sekunde von Kaffee und Brötchen aufgesehen hatte. Das heitere Tischgespräch lies sich von ihrem Einwurf jedoch nicht unterbrechen. Man wies uns einfach die beiden freien Stühle und noch sauberen Gedecke zu. Es war, als würde ich bereits erwartet werden. Das erste Mal kam mir der Gedanke, dass ich vielleicht wirklich gestorben war und dies jetzt das Leben nach dem Tod war. Ich hatte niemals in meinem Leben an solcherlei Geschichten geglaubt, doch jetzt erschien es mir nicht mehr ganz so unmöglich. Von vorne betrachtet fiel auf, dass die winzige Frau nicht nur dünne weiße Haare hatte, sondern auch blind und offenbar uralt war. Tiefe Falten zogen sich durch dunkle, ledrige Haut und rahmten weiße aber wache Augen ein. Es war, als würde sie mich direkt ansehen.
„Du hast viele Fragen, das haben alle, die hier herkommen. Für den Anfang nur erst einmal so viel. Das Orakel ist nicht so unfehlbar, wie man uns glauben lassen will. In vielleicht einem von zehntausend Fällen irrt es sich, und die Person stirbt nicht. Wir glauben, es liegt an einer Mutation in unserem Erbgut, rein zufällig. Jedenfalls haben wir noch keine externe Quelle dafür ausmachen können. Für die Meisten ist das ein großer Schreck aber wir finden sie eigentlich immer, und dann bringen wir sie hierher. Hier können wir leben und arbeiten und haben alles, was wir brauchen. Außerdem ist die Gegend belebt genug, als dass wir nicht weiter auffallen, wenn wir hinausgehen. Tom wird dir nachher dein Zimmer zeigen und dir etwas zum Anziehen geben. Jetzt aber, genieß erst einmal dein Frühstück. Und willkommen im Leben nach dem Tod.“
Sie zwinkerte mir zu und kicherte leise. Das Leben nach dem Tod. Streng genommen hatte sie damit sogar recht. Für alle Ämter und öffentliche Einrichtungen waren wir verstorben. Selbst unsere Todesurkunden waren bereits im Vorfeld ausgefüllt. Der einzige Unterschied war nur, dass wir alle noch atmeten und schlagende Herzen hatten. Und ihre Freunde und Familie wussten in vielen Fällen nicht einmal etwas davon.
Also war dies eine Chance für einen Neuanfang. Etwas, wonach ich mich nie gesehnt habe, im Gegensatz zu so vielen Anderen, die ich kenne. Aber hier wurde ich nun ins kalte Wasser geschmissen und muss neu anfangen, ob ich nun möchte, oder nicht. Was also sollte ich mit dieser Chance anfangen? Erst einmal machte sich Erschöpfung breit. Die Anspannung der letzten Stunden ebbte etwas ab und der Bauch war wieder voll.

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Hörsalgetuschel – Ausgabe 109.

Die Badezimmerchroniken Teil 3

„Nein, nein, nein! Das darf doch jetzt nicht wahr sein.“

Mias Frustration hallte vokal verstärkt durch die halbe Etage. Erik schaltete den Staubsauger ab und sah sie verwundert fragend an.

„Da kommt ja schon kaum Wasser im Bad und jetzt? Jetzt fließt das nicht einmal mehr ab! Kann denn nicht auch mal etwas gut laufen?“

Es war schwer zu übersehen, worüber Mia sich beklagte. Eine unappetitliche Brühe schwamm im Waschbecken und zeigte keinerlei Ambitionen, durch den Ablauf zu verschwinden. Die idealen Voraussetzungen für den Gummipömpel, der schon immer unbeachtet hinter dem Klo gestanden hatte. Erik holte ihn hervor, setzte ihn an, dichtete den Überlauf ab und ließ etwas frisches Wasser nachlaufen, einfach nur, weil er es konnte. Sein eifriges Pumpen wurde von dunklem Grollen in den Untiefen der Zwischenwand begleitet. Und von Plätschern aus der Toilette. Mia lehnte sich durch die Türe hinüber, sah kurz hinein und rief „Stopp!“, ehe sie los lief, um einen Eimer zu finden.

Erik lies den Pömpel stehen und sah selbst hinüber. Die braune Brühe hatte sich in das Waschbecken hier verlagert. Sein engagiertes Gepumpe hatte zur Folge gehabt, dass hier nun alles munter spritzte. Zudem hing das Waschbecken im Klo etwas tiefer als im Bad, sodass schon die Physik das Wasser hier heraustrieb. Das Waschbecken war voll, der Boden überflutet und die Wand dreckig. Die Verstopfung aber saß fest und unnachgiebig an einer Stelle, hinter dem Zusammenfluss der beiden Abflüsse.

Mit reichlich Klopapier und Handtüchern versuchten sie, irgendwie alles abzudichten, was sie abdichten konnten. Irgendwie musste es möglich sein, ein geschlossenes System zu erzeugen, in dem ein Druck aufgebaut werden konnte. Mia drückte im Klo das Waschbecken zu und Erik versuchte es erneut mit dem Pömpel. Er brauchte keinen Hinweis, es plätscherte laut genug, um unüberhörbar zu sein.

„Das kommt aus den Anschlüssen vom Abwasserrohr selbst. Das Wasser kommt nicht einmal mehr bis ins Waschbecken, es sprudelt schon darunter raus. Lass es uns lieber mit dem Rohrreiniger versuchen, ehe wir hier noch zu viel kaputt machen.“

Die Dosierung schrieb vor, etwa 200 ml Rohrreiniger in das verstopfte Rohr zu geben und bei hartnäckigen Verstopfungen eine halbe Stunde Zeit zu lassen. Sie entschieden sich für die sichere Seite mit 300 ml, und nachdem sich eine halbe Stunde später immer noch nichts rührte, für weitere 300 ml. Wenigstens musste die korrosive Flüssigkeit ihren Weg bis zur Verstopfung finden, denn sie quoll ebenso im Klo wieder aus dem Waschbecken. Erik ließ die Brühe eine Stunde wirken und versuchte es noch einmal vorsichtig mit dem Pömpel. Das Ergebnis war sehr überschaubar.

Am Ende war ein voller Liter Rohrfrei in den Abfluss gewandert und brodelte dort unheilvoll vor sich hin. Die giftig lila farbige Flüssigkeit stank scharf, aber nicht so sehr nach Chlor. Mia konnte nicht sagen, was es war. So oder so bereitete es ihr Übelkeit und sie musste sich beherrschen, den Cocktail in der Keramik nicht mit Salzsäure zu ergänzen.

„Wir machen die Türen wohl besser mal zu. So blass, wie du gerade bist, legst du dich am besten mal etwas auf das Sofa und ich versuche in einer Stunde noch einmal, ob ich es doch noch frei bekomme.“

Erik hatte sein besorgtes Gesicht aufgesetzt und teilte seine Kommandos aus. Er kümmerte sich liebevoll um seine Freundin und sie ließ ihn dankbar gewähren. Was er gut zu verbergen wusste, war, wie sehr er das genoss. Er liebte sie und er liebte es, sich um sie zu kümmern. Wenn er ihr helfen konnte, dann wollte er das auch tun, und wenn er dafür die Hausarbeit ein klein wenig aufschieben konnte, dann kam ihm das regelrecht willkommen. Nur sollte sie das nie erfahren. Wer konnte ahnen, was sie ihm sonst noch vorhalten würde? Ihm fiel zwar nichts ein, aber er wollte es nicht riskieren. Der Pfropfen im Rohr wollte ebenfalls nichts riskieren und blieb, wo er war.

„Jetzt ist es schon spät, aber ich glaube, ich rufe morgen einmal den Vermieter an. Der Klempner wollte sich doch bei ihm melden, dann soll er den Abfluss bitte gleich mit freimachen. Wenigstens lohnt es sich dann so richtig.“

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Rezeptidee – Bratapfelkuchen

Heute gibt es mal etwas Ungewöhnlicheres denn ich glaube, ich habe noch nie ein Rezept auf diesem Blog gepostet. Ein Experiment, was die Küche als Spielplatz hatte, das schon, aber kein wirkliches Backrezept. Also, willkommen bei einer kleinen Premiere und die hat eine Vorgeschichte.

Es begab sich vor vielen Jahren, meine kleine Schwester besuchte noch die Grundschule und war, wie alle damals, Fan einer kleinen Maus. Die Diddel Maus hatte sich zum großen Marketingphänomen entwickelt und jeder machte mit. Natürlich die obligatorischen Notizblätter mit den Motiven, Federmäppchen, Plüschtiere, Briefpapier und sogar eine eigene Zeitschrift. Das „Käseblatt“ versorgte alle Fans der Springmaus mit allen brandheißen Informationen zum Maskottchen, Bastelanleitungen, einem eigenen kleinen Comic und vielem mehr. Eines Tages lag ein solches „Käseblatt“ aufgeschlagen bei uns auf dem Wohnzimmertisch und präsentierte „Galuppis Brataffelkuchen“. Ja, das muss wirklich so geschrieben werden denn natürlich ist im Diddel Daddel Käsekuchenland alles ein wenig anders (dieser seltsame Zwang, immer alles irgendwie ins Absurde abzuwandeln, nur um eine besser zu vermarktende Welt zu haben…). So gibt es dort halt die Lieblingsfrüchte des genreeigenen Ponys Galuppi. Affelfrüchte. Diese sind für das Rezept dringend notwendig, nur gibt es sie nicht außerhalb des Käsekuchenlandes. Wie praktisch nur, dass sie fast genau so wie handelsübliche Äpfel aussehen, riechen, schmecken und für das Rezept geeignet sind.

Dieses Rezept erschien beim ersten Durchlesen durchaus solide und so gaben wir ihm eine Chance. Es stellt sich raus, dass dieses Rezept tatsächlich einiges an Variationsmöglichkeiten bietet. Und, dass von der wirklich leckere Creme etwas mehr hätte angesetzt werden dürfen. Wenn man aber nach zwei oder drei Versuchen die für einen persönlich perfekte Zusammenstellung gefunden hat, dann kann dieser feine aber echt mächtige Kuchen durchaus zum Dauerbrenner werden.

Hier jetzt das Rezept, wie ich es einst aus der Zeitschrift abgeschrieben habe:

 

Für eine Springform:

250 g Mehl

250 g Zucker

750 g Sahne

150 g Butter

½ Päckchen Backpulver

1 Ei

1 Päckchen Vanillezucker

1 Tüte Vanillepudding

6 Äpfel

etwas Zimt und Zucker

 

Gebt das Mehl, die Hälfte des Zuckers, das Ei, die Butter und das Backpulver in eine Schüssel, verknetet die Masse zu einem Teig und stellt ihn für etwa 30 Minuten in den Kühlschrank.

Nun den Boden und den Rand der Springform einfetten und den Backofen auf etwa 170 Grad vorheizen. Nach Ablauf der 30 Minuten den Boden und den Rand der Springform gleichmäßig mit Teig bedecken und festdrücken.

Die Äpfel schälen und mit einem Apfelausstecher das Kerngehäuse entfernen, so dass die Äpfel ganz bleiben. Jetzt die Äpfel auf den Boden der Springform legen. Nach Geschmack können die Äpfel auch mit Marzipan, Mandelsplittern oder Ähnlichem gefüllt werden. (und bei einer großen Form kann man die Äpfel auch in der Höhe halbieren, dann sind sie besser mit Pudding bedeckt.)

Die Sahne mit dem Puddingpulver, dem restlichen Zucker und dem Vanillezucker anrühren, zum Kochen bringen und über die Äpfel gießen.

 

Den Kuchen bei 175 °C auf der untersten Schiene etwa 70 Minuten lang backen. Wer mag, kann nun den Kuchen mit etwas Zimt und Zucker bestreuen. Danach den Kuchen für etwa 24 Stunden kalt stellen.

Bratapfelkuchen

 

Hörsalgetuschel – Ausgabe 108.

Die Badezimmerchroniken Teil 2

„Machen sie es ruhig dringend“, hatte der Vermieter gesagt und der Klempner war drauf angesprungen. Erik hatte sich nur sporadisch mit einem Schwamm und einer Waschschüssel gewaschen und fühlte sich entsetzlich schmutzig und unwohl in seiner Haut. Er hatte keine Ahnung, ob und wenn ja wie der Klempner etwas gegen ein verstopftes Wasserrohr unter Druck machen konnte aber er hoffte es sehr. Allerdings wollte ihm keine Methode einfallen, die hierfür Erfolg versprechend hätte sein können. Es würde wohl kein Weg darum herumführen, ins Schwimmbad zu gehen. Wo hatte eigentlich der Hochschulsport seine Hallen? Müsste es da nicht auch Duschen geben? Es klingelte an der Tür.

„Sie haben ein Problem mit ihrem Wasser? Na dann sehen wir mal. Wäre doch gelacht, wenn wir das nicht wieder hin bekommen. Das Ventil ist aber schon offen, oder?“

Auch wenn der gute Mann nicht auf sich hatte warten lassen, offenbar hielt er Erik für ebenso dumm wie inkompetent. Natürlich waren die Ventile offen, und selbst wenn er das am Waschbecken geschlossen hatte, dann würde doch immer noch Wasser aus der Dusche kommen. Wasser war auch auf der Leitung, denn die Toilette, auf der anderen Seite der Trennwand, funktionierte ja noch. Zu diesen Schlüssen war der Handwerker aber auch selbst imstande. Mit tiefen künstlichen Sorgenfalten erklärte er Erik all das, was er eh bereits wusste. Nämlich, aus welcher Leitung Wasser kam, aus welcher nicht und wo demnach die Verstopfung liegen müsse.

„Nun ja, das Haus wurde in den 50ern gebaut und seitdem sind die Leitungen hier auch nicht mehr erneuert worden. Es war klar, dass die irgendwann zu sind. Ist jetzt halt nur blöd, dass es sie erwischt hat.“

Ja, das war wirklich absehbar gewesen. Besonders bei dem harten Wasser, was hier aus der Leitung kam. Wo Kaffeemaschinen im Schnitt eine Halbwertszeit von zwei Semestern hatten, da waren über sechzig Jahre für eine Wasserleitung schon eine stolze Hausnummer. Hatte der Vermieter nicht damals gesagt, das Bad wäre frisch überarbeitet worden? Er hatte sich wohl nur auf die Badewanne bezogen, die neu eingebaut aber einfach nur vor die alten Fliesen gesetzt worden war. Dennoch blieb das Problem: Es kam kein Wasser!

„Tja, für die Verstopfung muss ich die Wand aufmachen aber dafür habe ich jetzt nichts dabei. Da muss ich eh vorher noch einmal mit ihrem Vermieter drüber sprechen, ob ich den Auftrag dafür habe. Passen Sie auf, ich sehe den am Wochenende eh. Ein bisschen Wasser kommt ja durch, da kommen Sie hoffentlich so lange aus. Aber Ihrem Vermieter gegenüber machen wir das so, wir machen es dringend und sagen, Sie haben hier überhaupt kein Wasser mehr.“

Wenn er sich doch bloß erinnern konnte, wo er einen solchen Satz schon einmal gehört hatte und von wem. Es konnte doch unmöglich der Vermieter gewesen sein, der ihm nur einen Tag vorher versichert hätte, dass der Auftrag für diese Wasserleitung selbstverständlich klar gehen würde. Der Klempner aber war von seinem Plan solide überzeugt. Er würde mit dem Vermieter reden, das alles klären und dann spätestens nächste Woche hier das Rohrstück ersetzen. Dann sollte das alles kein Problem mehr sein. Nur im Keller wollte er sich noch einmal umsehen, die Anschlüsse für die Wohnung begutachten.

Erik gab sich alle Mühe, optimistisch zu sein. Alles würde gut werden. Der Vermieter würde den Auftrag geben und dann würde das Wasser wieder sprudeln.

Walle! walle

Manche Strecke,

Daß, zum Zwecke,

Wasser fließe,

Und mit reichem, vollem Schwalle

Zu dem Bade sich ergieße.

Doch es half nichts. Er hatte einfach ein mulmiges Gefühl bei der ganzen Sache. Für eine einfache Verstopfung zierte sich der Klempner zu sehr und wirkte generell einfach mit anderem beschäftigt. Eine Woche sollte er also ohne Dusche auskommen. Und was wollte Mia ihm sagen, wenn er ihr dieses Ergebnis eröffnete? Begeistert wäre sie auf jeden Fall nicht.

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