Exitus XI

Ein leises Zischen veranlasste mich dazu, dennoch die Augen zu öffnen. Ich hatte bereits bemerkt, dass der Boden angefangen hatte zu vibrieren, und das Brummen der Feldmaschine lauter geworden war. Wir waren etwa in ihrer Fahrtrichtung losgegangen, mit etwas Glück würde sie also so an uns vorbei kommen, dass wir uns Jay und Tom anschließen, und in ihrem Schutz zum Feldrand gelangen konnten.

Das leise Zischen stammte von Tom, der hektisch aber unauffällig versuchte, unsere Aufmerksamkeit zu erlangen. Ich sah ziemlich schnell, was der Grund für seine Aufregung war. Der Feldroboter fuhr nicht in der Richtung, die ich in Erinnerung hatte, sondern direkt auf uns zu. Ich versuchte Mimir zu erspähen und fand ihn mit offenen Augen aber ruhig in seine Ackerfurche gepresst daliegen. Jay sah kurz von einem kleinen Terminal auf, welches er am Roboter gefunden hatte, spähte zwischen den Ketten hindurch, bedeutete uns, ruhig und flach liegen zu bleiben und zog dann auch Tom auf den Boden.

Rote Laserstrahlen der Messraster schossen über das Feld hinweg. Wir waren bemerkt worden. Ob als bestätigtes Signal oder nur als Messinterferenz, das konnte ich nicht sagen. Wieder und wieder krochen die Messungen über das Feld, verharrten mal hier, mal dort länger. Und währenddessen kam der Feldroboter immer näher und näher. Wären wir aufgestanden, wären wir entdeckt worden. Blieben wir liegen, rollte die Maschine über uns hinweg und tat mit uns, was sie nun einmal mit dem Acker tat. Ich wusste es nicht und wollte es auch eigentlich überhaupt nicht herausfinden.

Zwischen das Rumpeln der Ketten und den Geräuschen aus dem Inneren der Maschine mischte sich ein dumpfes, rhythmisches Schlagen. Meine Fantasie malte Bilder von Dolchen und Säbeln, welche die Erde zerschlugen und umwühlten. Mit jedem Schlag wollte ich weniger wissen, was da auf uns zukam, es erschien mir so oder so wie der sichere Tod. Um es heraus zu bekommen, hätte ich den Kopf heben müssen, bis auf die Ebene, wo ich in das Messraster hinein geragt hätte.

Das Sirren einer Drohne zog über uns hinweg, ein aufgeschreckter Hase schoss quer an uns vorbei, ehe er genau wie wir in einer Ackerfurche Deckung suchte. Ich sah ihm mit wachsender Verzweiflung nach und fragte mich, wie um alles in der Welt wir mit einem so kleinen Tier verwechselt werden sollten. Das wäre sicherlich unsere Rettung gewesen, aber wohl so wahrscheinlich wie ein Sonnenaufgang zu Mitternacht. Das Letzte, was ich von Jay sah, war sein beruhigendes Nicken und eine Geste, die unmissverständlich deutlich machte, wir mögen schön flach liegen bleiben. Dann verschwand er im Sichtschatten der Maschine.

Thump, thump, thump…

Das Hämmern der Maschine war inzwischen bei mir angelangt. Es kostete mich allen Mut, die Augen zu öffnen, und mich danach umzusehen. Das Messraster der Polizei konnte den Kettenschutz der Maschine zum Glück nicht durchdringen, sodass wir halbwegs sicher waren.

Thumprr, thumprr, thumprr…

Da war es. Blitzende, spitze Metalllanzen, welche aus dem Bauch der Maschine geschossen kamen, sich tief in den Boden bohrten und dann wieder zurückzogen.

Thumprrrz, thumprrrz, thumprrrz…

An den Spitzen der Lanzen waren kleine Öffnungen zu sehen. Die Art, wie sich der Boden hier bewegte, legte nahe, dass sie irgendetwas in den Boden injizierten. Aber was viel wichtiger war, war für mich, wo sie es taten.

Thumprrrz, thumprrrz, thumprrrz…

Zuverlässig trafen die Lanzen immer den Kamm der aufgeschütteten Erde. Links und rechts von meinen Füßen schlugen sie ein, brachten den Untergrund zum Beben, wanderten dann einen halben Meter weiter hinauf.

Thumprrrz, thumprrrz, thumprrrz…

In der Furche nebenan konnte ich sehen, wie Mimir sich auf den Bauch gedreht hatte. Sein Rücken schien nur noch aus Erde zu bestehen und ragte nur so gerade eben nicht hervor. Aber er brachte mich damit auf eine Idee. Ich suchte die Unterseite der Maschine ab und fand, wonach ich suchte. Ein Träger spannte sich der Breite nach unter dem Roboter entlang. Ich streckte die Hand danach aus und griff zu. Auch wenn ich mich etwas strecken musste, ich erreichte ihn. Das scharfe Metall schnitt sich in meine aufgeweichten Handflächen, kleine Steinchen scheuerten rau, als sich die Spannung aufbaute.

Thumprrrz, thumprrrz, thumprrrz…

Langsam aber stetig zog mich die Feldmaschine nun mit sich mit. Mit der freien Hand hatte ich Lena am Kragen gegriffen und so wurden wir von der Maschine in Richtung Feldrand gezogen. Mimir in der Furche nebenan robbte ebenfalls langsam mit der Maschine mit. Endlos lange Minuten ging das so, während draußen immer noch das Sirren der Drohnen zu hören war und das Flackern ihre Messungen leuchtete.

Thumprrrz, thumprrrz, thumprrrz…

Ich konnte nicht sagen, wie die Anderen es geschafft hatten, dem Suchraster zu entgehen, aber offenbar hatten sie genau das geschafft. Die Dämmerung war bereits in eine nur vom Mond erhellte Dunkelheit übergegangen. Wir ließen uns wieder in die Furchen zurücksinken, als die Maschine sich dem Ende ihrer Bahn genähert hatte. Es war noch kein Grund zur Entwarnung, immerhin hatten wir noch keine Reifengeräusche hören können. Andererseits, die Feldmaschine war reichlich laut, es war gut möglich, dass wir es einfach überhört hatten. Dennoch konnte es sich lohnen, auf Nummer sicher zu gehen.

Es hatte aufgehört zu regnen. Als der Roboter zum Wenden angesetzt hatte, waren Tom und Jay ebenfalls in Mulden verschwunden. Hier lagen wir nun, und niemand traute sich, auch nur zu laut zu atmen. Helle Sterne und ein Halbmond lächelten auf uns herab und ihr kaltes Licht schien uns regelrecht zu verhöhnen. Die schwärzeste Finsternis wäre uns lieber gewesen, als dieser silberne Schimmer. Es hätte uns zwar nichts geholfen, denn Infrarotaugen und Restlichtverstärker funktionierten so oder so noch, aber wir hätten uns wenigstens sicherer fühlen können.

Irgendwo in der Ferne rief eine Eule, kleine Tiere raschelten in den Hecken nur wenige Meter von uns entfernt. Irgendwo dort mussten sich auch die anderen verstecken, zu sehen war aber niemand. War das nun gut oder schlecht? Ich versuchte mir einzureden, dass es gut sei. Der Feldroboter war inzwischen wieder weit weg, Stille hatte sich über uns gelegt. Außer dem entfernten Rumpeln der Maschine war kein künstliches Geräusch zu vernehmen.

Wir lagen schon so lange hier, dass meine Schlammkruste inzwischen getrocknet und rissig war. Das änderte nur nichts daran, dass immer mehr Kälte in meine Knochen kroch und die Gelenke steif machte. Würde ich noch lange liegen bleiben, könnte ich mich nicht mehr bewegen. Ich beschloss also, das Risiko einzugehen und als Erster in Richtung der Hecken zu kriechen. Nichts deutete noch darauf hin, dass wir beobachtet wurden.

Sehr langsam und sehr vorsichtig robbte ich mich die Furche entlang bis zur Hecke. Die Bewegung war ein regelrechter Segen, aber dennoch wollte ich nichts riskieren. Erst als ich die Hecke erreicht hatte, sah ich mich etwas unschlüssig um. Sollte ich hineinkriechen, und Lärm riskieren, oder doch einfach liegen bleiben?

Tom nahm mir die Entscheidung ab. Er hatte mich beobachtet, so gut er es im dünnen Mondlicht konnte, und die Lage für sicher befunden. Auch er war sichtlich steif gefroren, als er sich aus seinem Versteck erhob, um Lena stützend unter die Arme zu greifen. Strauchelnd und mit unsicheren Schritten kamen sie auf meine Position zu. Ich stand auf, um ihnen zu helfen, doch kaum stand ich, bereute ich meinen Entschluss.

Als hätte jemand glühende Nägel in meine Augen geschlagen, brannte sich schmerzhaft grelles, weißes Licht auf die Netzhaut. Das ganze Feld war eine einzige weiße Fläche, ohne Konturen, ohne Ende und Anfang. Lena und Tom waren lediglich noch als weniger helle Schemen vor dieser weißen Wand zu sehen. Für mein Gehirn war das alles zu viel. Es gab die Kontrolle über meinen entkräfteten Körper auf und alles, was ich noch spürte, war, wie ich fiel, und vor dem Aufschlag gefangen wurde.

Exitus.jpg

4 Gedanken zu „Exitus XI

      1. Stella, oh, Stella

        Ich finde das ja gekonnt, wie du das machst. Der Leser soll doch denken, „Neiiiiiin, doch nicht jetzt abbrechen!“

        Ich erwarte auch nicht wirklich, dass du mir was enthüllst, das würde ja die ganze herrliche Spannung nehmen.

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