Archiv für den Monat August 2017

Beltane – Teil 3.

Beltane Titelbild

Mara Naravova fand den Rektor im Rosengarten, seinem persönlichen Ziehkind. Er verbrachte einen Großteil seiner Zeit hier und kümmerte sich liebevoll um die Blumen. Fast alle hatte er selbst gepflanzt, als die Universität gegründet wurde. Der alte Mann begrüßte sie herzlich und bot ihr an, sich auf eine Tasse Tee zu ihm zu setzen. Sie nahmen auf einer Bank aus wackeligem, dünnen Stahlblech platz.

„Ein Interview also. In der ganzen Zeit haben noch nicht viele Leute ein Interview mit mir haben wollen. Mich hat das immer etwas erstaunt, da die Wissenschaft doch auf der Fahne der Kolonie steht. Wir haben bislang nur diese Hochschule, auch wenn sich die Handwerker gerne abgrenzen wollen. Sie überlegen zurzeit ein Schulgebäude mit Werkstätten drüben in Belenos zu bauen. Für die Universität wäre das in meinen Augen ein großer Verlust, aber wenn der Entschluss einmal steht, werde ich sie nicht aufhalten können oder wollen. Vermutlich gehört so etwas zur Entwicklung einer Kolonie dazu.“

„Sie haben ihren einundzwanzigsten Geburtstag nur wenige Tage nach Gründung der Kolonie feiern können. Seit dem hat sich sehr viel verändert. Was ist Ihnen persönlich am stärksten aufgefallen?“

„Die Universistät natürlich. Wir haben sie direkt in den ersten Wochen nach der Landung gegründet, auch wenn sie damals anders ausgesehen hat. Wissen Sie, die Brücke hatte es damals ziemlich eilig, das Schiff direkt zu zerlegen und die Siedlung zu gründen. Wir haben zwei leere Container bekommen und haben sie einfach auf den Hang gestellt. Sie standen natürlich schief, der Projektor hat ein verzogenes Bild geworfen und die Stühle sind durch den Raum gerutscht. Das waren die Anfänge. Ein Raum mit lediglich Strom für Licht und den Projektor, die beiden Professoren Xim und Raabe, gelegentliche Gastvorträge von Jedem in der Kolonie, der etwas weiter geben wollte und wir, die hundert Studenten. Zunächst war die Verwaltung nicht mal besonders froh über den Lehrbetrieb. Die Kolonie war noch im Aufbau und es gab viel zu tun. Wir haben uns darauf geeinigt die Vorlesungen auf den Vormittag zu beschränken und ab der Mittagspause beim Aufbau zu helfen. Robert konnte den Kran bedienen und ich habe bei der Kanalisation und dem Bodenaufbau in den Gewächshäuern geholfen.

Später haben wir weitere Container akquirieren können und sind einmal über die Straße umgezogen. Diesmal haben wir für ein Fundament und Anschlüsse an das Daten- und Versorgungsnetz gesorgt. Endlich Heizung, Toiletten und fließendes Wasser. Der Anschluss an das Archiv und die Zentralrechner war ein unglaublicher Fortschritt. Für einige Jahre hat alles gut funktioniert aber Sie wissen ja wie das ist in so einer Kolonie. Die Leute freuen sich so sehr, endlich angekommen zu sein, dass sie ganz viele Kinder zeugen. Sie gehören ja selbst zu dieser Generation. Irgendwann war klar, dass die Kapazitäten nicht mehr reichen würden. Also begannen wir, das Gebäude wie Sie es heute sehen können zu bauen. Dafür mussten wir leider die Labors und Werkstätten ausgliedern. Der letzte freie Platz dafür war hinter dem Sportplatz denn die Stadt war ja auch gewachsen. Zu dem Zeitpunkt war Beltane noch die einzige Stadt. Belenos konnte sich kaum Dorf nennen. Eine Ansammlung von Hütten rund um die Minen und Fabriken. Die meisten Leute sind damals noch täglich von Beltane aus hinüber gependelt.

Der Hof hier wäre zwar noch frei gewesen aber der Rosengarten wuchs hier schon und die kleine Freifläche wurde allgemein als zu wichtig empfunden. Die Zeit hat uns wohl Recht gegeben, es ist eine richtige kleine Oase geworden, ein Ort der Ruhe. Auf dem Dach wären wir nicht so gut abgeschirmt gewesen.“

Er sah sich um, ein Gesicht voller Erinnerungen mit Augen, die durch die Jahre zurück blicken konnten.

„Waren die ersten Jahre viel Arbeit? Was war das Schwierigste in dieser Zeit und was gibt es an schönen Erinnerung?“

„Das Schwierigste? Überleben natürlich! Wir haben fast jeden Tag sechzehn Stunden gearbeitet, immer mit Atemmaske. Die Saatkapseln hatten sich zwar gut verteilt und eine Basisflora hatte sich bilden können aber die Luft war noch viel zu dünn und drückend schwül. Der Sauerstoffgehalt lag bei unter zehn Prozent und das Kohlendioxid hat es noch wärmer gemacht. Selbst im Winter wollte es nicht wirklich kalt werden. Schnee kennen wir hier erst seit fünf Jahren. Für die Pflanzen war es teilweise ein Traum aber wir Menschen haben wirklich kämpfen müssen. Im ersten Jahr sind uns drei Leute erstickt, zwei davon weil ihre Schlafkabine undicht war. Wirklich tragische Unfälle. sie haben uns damals deutlich vor Augen gehalten, dass wir hier eigentlich nicht hin gehören. Diese Welt ist anders als die Erde. Auf der Erde ist die Menschheit entstanden, wir sind für ihre Umwelt geschaffen. Beltane ist ganz anders! Vor den Saatkapseln war es ein toter Fels mit erstaunlich viel flüssigem Wasser aber keine Umwelt, in der Menschen existieren können. Kein freier Sauerstoff, kein organisches Material, schroffe Böden. Die Atmosphäre passt sich langsam unseren Bedürfnissen an aber wir passen uns ebenso an. Beltanes Atmosphäre beinhaltet immer noch nur neunzehn Prozent Sauerstoff und trotzdem sind die Atemmasken für die Meisten Geschichte.“

„Sie meinen, jemand von der Erde würde hier ersticken?“

„Nein, das nicht. Es würde ihm vielleicht schwindlig werden und er könnte sich nicht so gut konzentrieren. Wir haben hier einfach gelernt damit um zu gehen aber gesund ist es auch für uns nicht. Dennoch, wir sind stärker und sehen Sie sich nur an, wie es meinen Rosen geht. Es ist ein Traum, dabei zusehen zu können.“

„Der Kampf ums Überleben ist also noch nicht ausgestanden, wenn ich Sie jetzt richtig verstehe. Wie ist es denn um Beltanes Ökosystem bestellt? Künstliche Systeme sind doch immer instabiler als natürliche. Und wieso gab es hier kein Leben?“

„Das… Wenn ich Sie unterbrechen darf, das stimmt nicht so ganz. Künstliche Systeme sind nur dann instabil, wenn sie zu einseitig sind. Natürliche Ökosysteme beziehen ihre Stabilität aus der Vielfalt. Die Saatkapseln, die für Beltane verwendet wurden waren längst nicht mehr nur mit Sporen für Moos und Farne sowie Samen für Gräser, Birken und Fichten bestückt. Das hat bereits bei früheren Kolonien zu Schwierigkeiten geführt. Unser Ökosystem ist von Beginn an auf eine große Artenvielfalt ausgelegt und mit den notwendigen Startern versehen, welche die hohen CO2 werte vertragen können. Einige der Arten hier sind damals nur für Beltane entwickelt worden. Außerdem sind etliche sehr anpassungsfähige Arten ausgesät worden um die evolutionären Entwicklungen nachvollziehen zu können. Für die Medizin wurde eine breite Auswahl an Heilkräutern und für die Pharmazie wichtigen Pflanzen beigefügt. Selbst einige Insekteneier waren in den Kapseln. Ein einmaliges Experiment, sie direkt dort beizufügen. Die meisten Arten sind aber erst mit dem Schiff selbst gekommen, gemeinsam mit den Vögeln.“

„Die Vögel sind ein gutes Thema. Angeblich gibt es auf jeder menschlichen Kolonie welche, selbst auf denen, ohne freien Himmel. Wenigstens Hühner sind noch auf den Ateroidengürteln vertreten. Wir haben frei fliegende Vögel aber man sieht sie so gut wie nie. Wovor verstecken sie sich? Auf Beltane haben sie keine Fressfeinde.“

„Das stimmt und sie verstecken sich auch nicht. Genau genommen sind sie da, man muss nur wissen wo man drauf achten soll. Die Vogelpopulation entwickelt sich tatsächlich sehr viel langsamer, als es erwartet wurde. Die Obstbäume tragen zwar sehr reichhaltig aber wir vermuten, dass der Sauerstoffmangel den Tieren eher zusetzt als uns. Zusätzlich ist die Atmosphäre dünner als auf der Erde. Dadurch steigt der zum Fliegen benötigte Energieaufwand weiter. Demnach haben die Vögel einfach nicht die Kraft um weite Strecken zu fliegen. Wenn die Wälder weiter wachsen wird sich das Problem hoffentlich erledigen. Hier im Rosengarten habe ich aber tatsächlich schon selbst Vögel gesehen.“

„Die Universität entwickelt sich, das Ökosystem entwickelt sich, die Kolonie wächst. Es scheint, dass die Menschheit ihre Stagnation überwunden hat. Aber wir haben einen sehr großen Schritt gewagt mit der Expansion und der Gründung der Allianz. Wie, würden sie sagen, geht es nun weiter?“

„Ich sehe zwei Möglichkeiten. Einmal hat sich die Menschheit auf einen Schlag gewaltig ausgedehnt. So etwas passiert bei jeder Zellteilung in der Biologie mit der Interphase. Auf diese Phase der Ausdehnung folgt dort immer eine Ruhephase in der die Zelle wächst und sich sortiert bevor sie sich erneut teilt. Die Anlagen der alten Systemmacht sind aber nach wie vor vorhanden. Wir könnten also diese Phase auch überspringen und weitere Kolonien gründen, wenn sich genügend Kolonisten finden. Das hängt von der Erde ab aber ich glaube, sie werden diesen Schritt nicht wagen. Es wäre unvernünftig übereilt zu handeln. Was aber wohl auf jeden Fall passieren wird ist, dass die zweiundvierzig Kolonien eines Tages groß genug sind, um jeder selbst Expeditionen zu neuen Welten zu starten. Ob unter der Fahne der Allianz oder einer anderen, die Menschheit wird weiter zu den Sternen streben.“

Hörsaalgetuschel – Ausgabe 146.

Der innere Schweinehund

„Erik, ich weiß, dass du nicht viel brauchst, aber du kannst nicht wochenlang im Bett liegen bleiben. Selbst deine Pflanze nimmt dir das schon übel und du musst wirklich einmal gründlich lüften.“

Flo stand gegen das spartanisch eingeräumte Regal gelehnt in einer kleinen Wohnung, die absolut typisch für Erik sein konnte. Wo nichts herumstand, konnte auch nichts einstauben. Aber hier hatte er es vielleicht ein wenig auf die Spitze getrieben. Erik hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, die meisten Kisten oder Koffer auszupacken. Er hatte sie ungeöffnet im Keller verschwinden lassen und hatte nur das Nötigste mit hinauf in die kleine Einzimmerwohnung genommen. Das Bett war ein durchgelegenes Schlafsofa, welches er vom Vormieter übernommen hatte, genau so wie die meisten Möbel.

Die wenigen Habseligkeiten, die er ausgepackt hatte, wirkten merkwürdig deplatziert und verstreut im Raum. Die einsame Pflanze auf dem Fensterbrett hatte das Stadium des Blätter Abwerfens übersprungen und war gleich so kross knusprig getrocknet. Als könne er jeden Moment wieder blühen, stand der mumifizierte Rest dort. Und wenn Flo Erik so ansah, war der Unterschied nicht zu groß.

Die ganze Woche schon hatten Flo und Kristina Vorwände gesucht, Erik aus dem Haus zu locken und zu Unternehmungen einzuladen. Vergeblich. Wenn überhaupt, dann war es zu bewerkstelligen, ihn aus dem Bett zu bekommen, um die Türe zu öffnen. Die Ernährung bestand aus Fertiggerichten, Nudeln oder Reis mit Ketchup oder irgendetwas, was sich gerade auftreiben ließ. Nichts war übrig geblieben, von den kulinarischen Glanzlichtern, die er so gerne gekocht hatte. Denn das war schließlich für andere gewesen und nicht nur für ihn selbst. Bisher war es nicht so deutlich aufgefallen, aber jetzt konnte er es nicht mehr verstecken. Was er tat, das tat er für andere. Sich selbst stellte er immer hinten an. Nur jetzt war da niemand mehr, für den er wirklich etwas tun konnte. Flo sah das anders und war verhältnismäßig beleidigt.

„Bring dich jetzt mal in Ordnung und dann gehen wir raus. Mit diesem Theater ist wenigstens für heute mal Schluss!“

Vielleicht konnte er mit etwas gut gemeinter Strenge und deutlichen Worten mehr Effekt erzielen. Auch wenn gut gemeint oft das Gegenteil von gut war, er musste es jetzt einfach versuchen. Ein schlaffer Erik wühlte sich unkoordiniert aus den Laken, ließ sich wie ein Walross von der Bettkante fallen, bis er schließlich doch danebenstand. Flo hatte immer daran geglaubt, dass Sprichwörter irgendwo auch einen Bezug zur Realität hatten und sich nur im Laufe der Zeit etwas verselbstständigt hatten. Hier aber stand die Personifikation des Sprichwortes vom nassen Sack. Schwarz unterlaufene Augen sahen ihn müde und verquollen an.

„Sie hat mich verlassen, wollte es noch mir in die Schuhe schieben und fängt gleichzeitig mit der Frau etwas an, die sich eigentlich an mich ran gemacht hat und die ich ihr zuliebe abgewiesen habe. Hast du eine Ahnung, wie verarscht man sich dabei fühlt?“

„Nein, das habe ich nicht. Aber es ist auch keine Lösung, sich hier einzugraben und zu verschimmeln. Wir gehen raus und mal sehen, mit etwas Glück läuft uns ja sogar jemand tolles für dich über den Weg.“

„Du hast es ja sehr eilig. Jemanden wie Mia finde ich ohnehin nicht noch einmal.“

„Genau das ist der Plan. Diesmal soll es jemand sein, die dich auch will und nicht nur der Bequemlichkeit halber behält. Seit Monaten sehe ich dich laufend zweifeln und jetzt hat sie den Schritt gemacht, den du dich nicht getraut hast.“

„Am Ende soll ich ihr auch noch dankbar dafür sein? Flo, du bist verrückt.“

„Damit hast du absolut recht. Was meinst du, wieso Kristina noch bei mir ist? Ernsthaft, ich habe doch ansonsten nichts anzubieten. Und jetzt genug davon. Ich hab Durst und seit über einer Woche kein Bier mehr getrunken. Kristina versucht im Moment etwas zu reduzieren.“

Erik musste einsehen, dass Widerspruch zwecklos war, und er hasste es. Er zwang sich unter die Dusche und in die Klamotten, die am wenigsten schmutzig und unansehnlich waren. Wenig später saßen sie bei den Klängen keltischer Volksmusik in der Bar, jeder ein Bier vor sich, und so sehr Erik sich auch dagegen sträubte, es ging ihm mit jedem Schluck und jeder Minute besser. Er genoss sogar die Anwesenheit anderer Menschen, auch wenn ihn das Paar leuchtend grüner Augen am Tisch des Junggesellinnenabschieds, welches ihn unverhohlen anfunkelte, etwas irritierte.

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Die neue Revolution in der Hochschulpolitik?

Jedes Semester zur Prüfungsphase sind vermehrt Beschwerden, über zu hohen Stress im Leben der Studierenden zu vernehmen. Bereits leicht vernachlässigte Zeitplanung sorgt für kritische Kumulation des Workload in kritischen Zeitphasen, was mit schweren psychischen Problemen einhergehen kann. Entstehende Prüfungsangst und Depressionen sind hier nur der Anfang.

Und jedes Mal werden die Rufe nach einer Reformation des Bildungssystems laut. In der fortschreitenden Internationalisierung des Arbeitsmarktes und damit dem wachsenden Konkurrenzdruck ist ein dankbarer Sündenbock leicht gefunden. Lösungsansätze bietet das jedoch nicht.

Ebenso drückt der Wegfall der Studiengebühren auf das Budget der Bildungseinrichtungen und verhindert eine Verbesserung von Lehre und, auch psychologischer, Betreuung der Studierenden. Möglicherweise bietet ein Experiment einer großen fränkischen Universität eine Möglichkeit, gleich mehrere dieser Probleme in einem Rutsch effektiv zu bekämpfen.

In einem Versuch, der zunächst nur auf drei Jahre ausgerichtet ist, wird hier eine Brachfläche für ein ökologisches Experiment genutzt, welches in Teilen gleichzeitig durch lukrative Verkäufe für frisches Kapital sorgen kann. Gleichzeitig kann durch den kontrollierten Anbau gewährleistet werden, dass den Studierenden nur hochwertige, saubere und wirksame Entspannungshilfen verkauft werden. Die ersten Ergebnisse der Studie stehen noch aus, zumal auch nicht alle politischen Hürden ausgeräumt werden konnten. Hier wird hoffnungsvoll auf die anstehende Bundestagswahl verwiesen.

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Meine sehr verehrten Damen und Herren. Treten Sie näher und genießen Sie das Suchbild!

Beltane – Teil 2.

Beltane Titelbild

So war es dann gekommen, dass auf Beltane Kameras ausgepackt wurden mit dem Ziel, die Schönheit der Landschaft und die Eigenheiten der Kolonie fest zu halten. Mara Naravova war zur Pressevertreterin der Kolonie ernannt worden. Ein Reporter namens Felix Urban hatte eine Videonachricht in einem völlig veralteten Format geschickt. Er hatte die Autorisierung der Allianz eine Dokumentation über die Besiedlung von Beltane zu drehen. Ohne selbst dort zu sein. Um trotzdem etwas über die Kolonie zu erfahren und Interviews führen zu können hatte er ein weiteres Video gesendet. Wieder im gleichen veralteten Format und voll gestopft mit Fragen rund um die Reise, die ersten Schritte auf der neuen Welt und das alltägliche Leben so weit draußen. Aus seinen Worten sprach dabei wenig Anerkennung.

Mara Naravova überlegte, wie sie mit den Interviews umgehen sollte und beschloss, aus jeder Gruppe einen Vertreter vor die Kamera zu setzen. Sie war sich nicht sicher, in welchem Ton sie die Antworten formulieren sollten. Die vorlaute, herablassende Wortwahl des Reporters störte sie sehr. Sie beschloss, das aktuell in der Allianz übliche Format zu verwenden. Damit würde sie die Bandbreite der Übertragung zwar wahrscheinlich vollständig ausnutzen aber sie hatte das Gefühl, die Ehre der Kolonie verteidigen zu müssen. Sie waren noch einfach, aber nicht rückständig.

Sie war sich bewusst, dass Beltane das jüngste der zweiundvierzig von Menschen bewohnten Systeme war aber das machte sie nicht zu der primitivsten. Sie waren keine Bauernkolonie wie Solaris oder Shire. Die Siedler dort versuchten tote Planeten mit endlosen Wäldern zu bepflanzen. Auf Beltane wollten sie eine Perle der Menschheit schaffen. Kunstvolle Städte sollten entstehen, zierliche Parks, unkomplizierte Farmen, leistungsstarke Fertigungsstätten, perfekt ausgerüstete Schulen und Universitäten. In jeder Stadt sollte es eine Bibliothek geben, zusätzlich zu dem immer erreichbaren Zentralarchiv. Jede Stadt sollte ein Theater haben, ein Orchester und Museen. Die Tunnelbohrmaschinen gruben bereits die ersten Tunnel zwischen den beiden Städten und den Orten, wo weitere entstehen sollten. Die U-Bahn würde den ganzen Globus umspannen, jede Stadt mit jeder verbinden. Selbst jene, die noch lange nicht gegründet waren. Nein, für Beltane musste man sich wahrlich nicht schämen. Sie waren nicht rückständig und würden es auch nie sein.

Mara Naravova griff sich eine Kamera und verließ ihr Büro. Sie wollte sich umsehen, Orte suchen, die für die Interviews eine geeignete Kulisse abgeben würden. Sie hatte sich überlegt, die verschiedenen Vertreter jeweils vor der Stätte ihres Wirkens zu interviewen. So konnte sie ihnen die Möglichkeit geben, direkt auf ihre Arbeit Bezug zu nehmen und sie zu Präsentieren. Die Farmen, die Fabriken, die Bildungs- und Kulturanstalten, die Minen und Städte. Nur wo sollte sie anfangen?

Im Foyer der Koloniezentrale befand sich ein Hologramm der Kolonie. Die Hauptstadt, Beltane, namens gebend für die ganze Kolonie, lag auf einem Hügel genau zwischen zwei klaren Seen. Genau in ihrer Mitte ragte der Verwaltungsturm der Koloniezentrale wie eine glitzernde Nadel in den Himmel. Von dort aus führten Alleen in alle Richtungen. Hinunter zu den Häfen, zu den Plätzen und Parks der Stadt. Mara Naravova mochte die Parks, besonders die waldigen. Sie waren mit viel Bedacht angelegt worden und immer gepflegt und aufgeräumt. Wenn man Glück hatte, dann konnte man sogar einen der seltenen Vögel dort zwitschern hören. Tiere gab es noch immer recht wenige auf Beltane. Es gab zwar sogar bereits einen kleinen Zoo aber der war drüben, in Belenos. Die Parks bildeten immer kleine Freiflächen und Kontraste in den dichten Strukturen der Stadt. Die Siedler waren beisammen gehalten worden. Selbst die Farmen mit ihren weitläufigen Gewächshäusern lagen unmittelbar an der Stadtgrenze. Es gab kaum lange Strecken, alles ließ sich zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichen.

Und dann fand Mara Naravova den Ort für ihr erstes Interview. Der Garten der Universität! Zunächst ein recht unscheinbarer Ort. Mit seinen Kletterpflanzen und rauen Mauern wirkte er irgendwie urig, als wäre er schon sehr viel älter als die Kolonie. Das niedrige Universitätsgebäude störte dieses Bild nicht. Die großen Fenster waren mit vielen kleinen Kacheln aus Buntglas besetzt und erinnerten an die Bilder von Kathedralen und mittelalterlichen Schlössern aus den Geschichtsbüchern der Erde. Die Container des Kolonieschiffs, aus denen das Gebäude ursprünglich zusammen gesetzt war, konnte man nicht mehr als solche identifizieren. Viele der Gebäude in Beltane waren zumindest teilweise früher einmal ein Element des Schiffs gewesen. Jetzt waren sie auf Fundamente gesetzt worden und bewohnt. Putz und Farbe hatten aus alten Containern wohnliche Häuser gemacht, schweißgeräte und fähige Tischler aus klobigen Schotts einladende Türen.

Hörsaalgetuschel – Ausgabe 145.

Mia und Tina

„Was ist denn hier passiert?“

Mia war regelrecht schockiert, als sie sich in ihrer Wohnung umsah. Es war nicht sehr offensichtlich, eher ein Gefühl, dass etwas anders war, als sie zur Tür hinein gekommen war, aber etwas war los. Das Wohnzimmer und das Schlafzimmer wirkten beide deutlich aufgeräumter, als sie es vom Morgen in Erinnerung hatte. Es war heller, offener und fühlte sich leichter an. Die Räume und der Flur wirkten größer und weitläufiger. Das konnte nur eines bedeuten: es war aufgeräumt worden. Und das wiederum konnte auch nur eines bedeuten: Erik war wieder da!

Freudig lächelnd drehte Mia sich um und hüpfte in die Küche. Wenn Erik da war, dann war es nicht nur aufgeräumter, es gab auch immer etwas Leckeres zu essen. Bis zum Abendessen konnte es also nicht mehr lange hin sein. Wie wäre es zum Beispiel mit Rotkohl, Bratwürstchen und Kartoffeln? Das war sogar eines der wenigen Gerichte, die sie selbst kochen konnte. Es war ihr nur meistens zu viel Arbeit und zum Spülen war sie so oder so zu faul. Der Duft von würzigem Kohl und den herzhaften Würstchen hing ihr bereits in der Nase. Es fehlte nicht mehr viel, und sie hätte die Töpfe und Pfannen klappern hören können.

Umso ernüchternder war es, dass sie weder dampfendes Abendessen noch Erik in der Küche vorfand. Stattdessen traf sie hier die Erkenntnis, wieso die Wohnung so aufgeräumt und lichtdurchflutet wirkte. Die Pfannen konnten nicht klappern, denn sie waren nicht da. Und das war bei Weitem nicht das Einzige. Geschirr, Besteck, Gewürze, Vorräte, die Mikrowelle, Wasserkocher und noch etliches mehr waren nicht mehr da. Weg. Verschwunden! Was war hier los?

Das Klappern der Wohnungstür unterbrach ihren Gedanken. Tina kam in die Küche, die Stirn in Grübelfalten gelegt, verträumt auf einen Punkt, irgendwo im Nichts blickend. Mia holte sie zurück, indem sie ihr einen Kuss auf die Lippen drückte und dann verdutzt auf den Schlüssel in Tinas Hand sah. Den Schlüsselanhänger hatte Mia vor einem Jahr aus einem Stück Holz geschnitzt, welches sie am Fluss gefunden hatte. Erik hatte es damals als abstrakte Kunst bezeichnet und an seinen Schlüsselbund gehängt. Er war jemand, der gewisse Dinge lieber heimlich liebte, statt überschwänglich zu loben.

„Ich habe heute Flo getroffen,“ eröffnete Tina das Gespräch. „Wir waren gemeinsam in der Mensa und da hat er mir Eriks Schlüssel gegeben. Erik hat ihm wohl gesagt, ich würde ihn besser brauchen können als er, also soll ich ihn jetzt haben.“

Mia hatte in den ruhigen Minuten der letzten Tage und Wochen immer wieder ein schlechtes Gewissen gehabt. Erik hatte ein paar Male das Gespräch mit ihr gesucht, aber immer sehr schlechte Zeitpunkte abgepasst. Sie hatte ihn jedes Mal vertröstet und versprochen, drauf zurückzukommen und sich gemeldet, aber dann die Zeit nicht mehr gefunden. Gut, wenn sie ehrlich war, dann hatte sie es auch ab und an einfach vergessen, oder es erschien ihr unpassend, ihn anzurufen, während sie gerade mit Tina im Arm auf dem Sofa saß oder im Bett lag. Jetzt war ihre Wohnung leer geräumt und Tina hatte seinen Schlüssel. War Erik wirklich so weit gegangen, aus ihrer gemeinsamen Wohnung auszuziehen, ohne ihr vorher etwas davon zu sagen? Tina suchte ihren Blick mit einem sehr seltsamen Ausdruck in den Augen. Ihre Worte waren unsicher, als würde sie sich absolut unwohl in ihrer eigenen Haut fühlen und am liebsten ganz weit weg laufen.

„Mia, bin ich hier an seiner Stelle eingezogen? Ist eure Beziehung jetzt wegen mir kaputt gegangen?“

„Natürlich bist du nicht an seiner Stelle eingezogen. Du bist viel zu toll, um einfach nur der Ersatz für jemanden zu sein! Und du kannst auch nichts dafür, dass er jetzt ausgezogen ist. Da war bereits vorher ganz anderes im Argen. Wir haben schon immer Phasen gehabt, wo es mal nicht so glatt lief. Also mach du dir da keine Sorgen.“

Aber natürlich machte Tina sich wohl sorgen und sie sich selbst auch. Wie konnte er sie einfach so verlassen? Ohne Vorwarnung, ohne ein weiteres Wort? Wieso hatte er mit ihr Schluss gemacht? Überhaupt realisierte sie bei diesem Gedanken zum ersten Mal, dass sie offenbar getrennt waren. Mia und Erik, das war Geschichte. Jetzt gab es nur noch Erik oder nur noch Mia. Das konnte doch unmöglich sein! Das hier war immer noch ihre gemeinsame Wohnung, in der sie ihre gemeinsame kleine Familie hatten gründen wollen, mit Katze und später einmal Kindern.

„Nur wieso hat er einfach Schluss gemacht?“ Sie murmelte die Worte nur in ihren nicht vorhandenen Bart, und aus dem dünnen Klang ihrer Stimme sprachen Unverständnis und Verwirrung. Sie hatte es einfach nur in den Raum hinein gesprochen, ohne mit einer Antwort zu rechnen. Umso unerwarteter war es, als tatsächlich eine kam.

„Also Flo meinte, dass Erik wohl nicht einmal Schluss gemacht hat. Erik sieht es wohl so, dass er noch versucht hat, mit dir zu reden, und es irgendwie zu retten, aber du hättest ihn verlassen und wohl nur vergessen, es ihm auch zu sagen.“

Das Schlimmste an Tinas Worten war vermutlich, dass ihr absolut nichts einfallen wollte, womit sie diese Aussage widerlegen konnte. Es war weder Tina noch Erik gewesen, es war nur sie selbst gewesen. Sie war so überzeugt gewesen, dass er wieder zurückkommen würde. Jetzt stand sie in einer halb leer geräumten Wohnung, sah in die leuchtenden Augen dieser kleinen zähen Frau vor ihr, und wusste, dass sie wenigstens nicht alleine war.

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Beltane – Teil 1.

Vorwort

Es wird mal wieder Zeit für eine Geschichte. Mit Beltane lade ich Euch auf eine Reise zu den Sternen ein. Es ist eine Geschichte, die ich bereits vor einer Weile geschrieben habe, um einer anderen Geschichte etwas mehr Hintergrund und Leben zu bieten, die Welt mit Geschichte, Gesichtern, Namen und Schicksalen zu füllen.

Damit steht sie auch nicht ganz alleine da. Hunger und Warteschleife spielen ebenfalls in diesem Universum. Man kann Beltane auch als eine Art „Fortsetzung“ zu Hunger sehen, auch wenn das Schiff ein anderes ist. Es ist im Grunde der nächste Schritt. Die eine Etappe der Reise ist abgeschlossen, und nun folgt die nächste.

Wie schon bei Hunger habe ich dabei rein aus dem Kopf geschrieben, ohne die bitter notwendigen Recherchen. Ich hoffe, man merkt es nicht zu sehr anhand von Fehlern und Logiklöchern (Wie immer bin ich dankbar um jeden Hinweis auf ebendiese). Kleinere Schnitzer versuche ich immer wieder unterwegs zu beseitigen. Wie üblich ist sie in mundgerechte Häppchen zerteilt, um sich besser in die Bloggerwelt am Bildschirm einzufügen.

Und es ist wieder eine kleine Premiere, denn vor Euch hat noch niemand diese Geschichte gelesen. Jetzt wünsche ich euch ganz viel Spaß beim Lesen und wie immer sind Kommentare und Kritik herzlich willkommen.

Beltane Titelbild

Beltane – Teil 1.

Wie führt man ein Interview über vierzig Lichtjahre, über eine Leitung, die sich nur einmal am Tag für eine halbe Stunde öffnet?

Felix Urban saß an seinem spartanisch eingerichteten Arbeitsplatz und riss sich die dünnen Haare aus. Er hatte vom Sender den Auftrag bekommen, eine Dokumentation zu drehen. Eine Dokumentation über etwas, was auf einem anderen Planeten, in einem anderen Sternsystem, vierzig Lichtjahre entfernt statt fand. Eine Dokumentation mit Interviews und möglichst beeindruckenden Filmausschnitten. Immerhin würden sie sich mit der semi-3D Version zufrieden geben. Es würden also keine vollständig dreidimensionalen Aufzeichnungen für die Holokammern sondern nur die üblichen, einfachen, flachen Versionen benötigt. Diese waren immer noch gut genug, um auf den Televisoren in den Wohnzimmern der Allianz ein beeindruckendes Erlebnis zu erzeugen.

Noch etwas, an das er sich noch gewöhnen musste. Die „Allianz der Terranischen Kolonien.“ Zweiundvierzig waren es inzwischen, wenn man nur die Systeme zählte. Früher war noch die Rede von der Systemmacht Sol, den dichten- und den tiefraum- Kolonien gewesen. Seit der großen Konferenz war das nun Geschichte. All das hieß jetzt nur noch die Allianz. Das schlimmste daran war, der Sitz dieser Allianz war nicht einmal auf der Erde sondern auf einer der dichten Kolonien. Soweit war es schon gekommen. Die Erde, die Welt auf der alles begonnen hatte, war nicht einmal in die Auswahl zum Sitz der Verwaltung gekommen. Eine Kolonie sollte diese Aufgabe übernehmen. Eine Ersatzerde!

Für Felix Urban war das allein ein himmelschreiender Skandal. Und über eine solche Ersatzerde sollte er jetzt eine Dokumentation drehen. Der Sender hatte die jüngste, am weitesten entfernte, primitivste Welt ausgesucht. Wenn sie gekonnt hätten, sie hätten ihn wahrscheinlich noch selbst hin geschickt. Zu seinem Glück war die Reisezeit für die schnelle Medienwelt in geradezu geologischen Maßstäben. Das Kolonieschiff, die Beltane, hatte achtzig Jahre für die Reise gebraucht. Trotz der Dämpfer hatten sie nicht bis direkt unter Lichtgeschwindigkeit beschleunigen können. Sie hatten sich mit etwas mehr als der Hälfte zufrieden geben müssen, um die Raumzeit nicht gänzlich zu verzerren.

Seit dreißig Jahren war die Beltane Kolonie nun also der entfernteste Stützpunkt der Menschheit. Kein Mensch hatte überhaupt eine weitere Reise angetreten und das, obwohl sich die Triebwerkstechnologie und die Dämpfer verbessert hatten. Die neuen Schiffe konnten Lichtgeschwindigkeit fast erreichen, ohne dabei von außen relativ langsamer unterwegs zu sein. Ein Pilot hätte darin für fünf Monate unterwegs sein können und bei seiner Rückkehr wären tatsächlich nur diese fünf Monate vergangen. Das hätte er, wenn die Dämpferfelder für Organisches Leben nicht absolut tödlich gewesen wären. Trotzdem war die vergangene Systemmacht Sol vollends davon überzeugt gewesen und gab unbemannte Frachtdrohnen in Auftrag, die zwischen den Kolonien verkehren sollten. Die Ersten davon waren bereits auf der Heimreise.

Vor etwa einem halben Jahr war eine dieser Drohnen auf Beltane eingetroffen. Sie transportierte das allerneuste Stück Technologie aus den Geheimlabors der ehemaligen Systemmacht. Ein Objekt, von dem Felix Urban keine Ahnung hatte, wie es genau funktionieren sollte und was daran funktionieren könnte oder auch nicht. Technik interessierte ihn nur so weit, wie er es in einen hastig zusammen geschusterten Bericht packen konnte, den ihm irgendjemand für schnelles Geld abkaufte.

In diesem Fall war immer die Rede von Tunnelrelais, über die man Daten zwischen den Welten, über Lichtjahre der Entfernung ohne Zeitversatz transferieren konnte. Sie sollten im Grunde funktionieren wie ein Wurmloch, nur eben genau andersherum. So hatte ihm jedenfalls der Ingenieur entnervt erklärt, als er es nach der zigsten viel zu wissenschaftlichen Erklärung noch immer nicht verstehen wollte. Felix Urban musste sich allerdings eingestehen, dass er es auch nicht wirklich versucht hatte zu verstehen. Er konnte Wissenschaftler und Ingenieure nicht leiden. Wie sie umher stolzierten, mit ihren weißen Kitteln und tollen Helmen. Wie sie immer alles wissen mussten und jeden kennen. Als würde die Welt sich ohne sie nicht mehr weiter drehen können.

Gut, er musste zugeben, ungebremster Informationsfluss über Lichtjahre, das war in der Tat ein sehr kostbares Gut. Vielleicht sogar die wichtigste Erfindung seit … ihm fiel auf die Schnelle kein geeignetes Beispiel ein und er notierte sich schnell die Fragestellung. Vielleicht konnte man mit einem wohlwollenden Bericht darüber bei der Allianz einige Sonderrechte gewinnen. Trotzdem war er Realist genug, die alten Relaisstationen noch nicht aufzugeben. Sie konnten zwar keine Nachricht schneller als das Licht transferieren aber dafür von und zu jedem beliebigen Punkt. Und sie waren ausgesprochen zuverlässig, selbst wenn sie mit einem menschlichen Wärter besetzt waren. Der größte Teil der weniger dringlichen Nachrichten und Ergebnissen aus der Wissenschaft würde weiterhin über dieses verlässliche und (noch) billigere System laufen. Für seine Dokumentation aber brauchte er etwas schnelleres.

Felix Urban ärgerte sich, dass er der Kolonie nicht einmal eine brauchbare Kamera zukommen lassen konnte. Die Tunnelrelais konnten bislang keine Materie übertragen und mussten unbedingt im Weltall stationiert sein. Frei von Gravitation und Atmosphäre. Würde er dieses frei von Gravitation in einem wissenschaftlichen Beitrag senden lassen würde er sicher für viel Aufregung und Beschwerden sorgen aber für ihn reichte diese Erklärung so. Die Tunnel waren für Funkübertragungen geeignet, ansonsten wertlos. genauer wollte er es nicht wissen. Jedenfalls war er auf die Kameras angewiesen, die auf der Kolonie bereits vorhanden waren. Das konnte unmöglich gut gehen. Die Kameras dort mussten alle schon zwanzig Generationen veraltet sein und wahrscheinlich auch noch miserabel gewartet. Was für eine Verwendung hatten Kolonisten auch für Kameras? Das waren Wilde, Bauern, Barbaren! Freaks, deren Eltern es schon auf den alten Welten zu nichts gebracht hatten. Wieso sollte es auf den Neuen besser laufen? Felix Urban knirschte mit den Zähnen und schmiedete weiter an seinem Plan.

Hörsaalgetuschel – Ausgabe 144.

Neue Bleibe

„Ich schäme mich ja etwas, danach zu fragen, aber Kristina, kannst du mir etwas Zeit und dein Auto leihen?“

Flo hatte sich schon gefragt, was an diesem Tag besonders war. Es musste offensichtlich etwas los sein, denn Erik hatte sich mit dem Abendessen nicht nur besondere Mühe gegeben, er hatte ein regelrechtes Festmahl geschaffen. Ein herrlich duftender Auflauf mit buntem Salat und zum Nachtisch Pudding. Zu aufwendig und viel zu gut, um es einfach so zu machen. Kristina sah Erik nur fragend an. Der Art nach zu urteilen, wie er gefragt hatte, musste er geplant haben das Auto auf einen kleinen Urlaub zu entführen. Sie nickte unbestimmt und sah zu, wie sich Eriks Haltung entspannte. Nach kurzem Zögern lieferte er die Erklärung ab.

„Es sollte nicht zu lange dauern. Ich habe eine neue Bleibe gefunden. Eine kleine ein Zimmer Wohnung zwischen Uni und Altstadt. Es wäre schön, wenn ich das Auto leihen könnte, um meine Sachen dort hinzubringen. Ich möchte nicht öfter als nötig durch Mias Wohnung laufen. Mit dem Auto wäre das eine Fahrt, mit dem Bus ein paar mehr.“

„Mias Wohnung? Bist du nun also wirklich ausgezogen? Wollte sie sich nicht noch melden?“

„Ja, sie wollte sich vor zwei Wochen gemeldet haben, aber ich schätze, andere Dinge waren wichtiger. Wenn von ihr nichts kommt, dann kann ich auch nichts machen. Eines steht jedenfalls fest, ich blockiere euer Sofa schon viel zu lange. Morgen schaffe ich mir eine Luftmatratze und einen Schlafsack hinüber. Dann kann wenigstens bei euch endlich wieder etwas Normalität einziehen. Es ist höchste Zeit dafür.“

Flo und Kristina sahen einander stumm an. Sie hatten sich darüber unterhalten und waren zu dem Schluss gekommen, dass die Situation zwar merkwürdig aber keine Belastung war. Sie wollten Erik gerne helfen. Dass er jetzt selbst Schritte gegangen war, kam in dieser Form aber überraschend. Und auch wenn Flo es sich nicht eingestehen wollte, hätte er vielleicht sogar bereits seit einer ganzen Weile ahnen können, dass sein Traumpaar vor einigen dicken Problemen gestanden hatte. Tina war noch das Kleinere davon gewesen.

Wie sich die Zeit doch gewandelt hatte. Erst waren sie das perfekte Paar gewesen, vielleicht nicht immer ganz unkompliziert aber sie hatten es auch nie ohneeinander ausgehalten. Und als Tina versucht hatte, einen Keil zwischen sie zu treiben um mit Erik durchzubrennen, waren sie dennoch ein Herz und eine Seele gewesen. Und auf einmal war es nicht mehr Tina, die mit Erik durchgebrannt wäre, sondern Mia, die mit Tina das Bett teilte. Sie hatte sich von Erik getrennt und war so beschäftigt gewesen, dass sie es ihm nicht einmal mehr gesagt hatte. So etwas musste doch einfach wehtun.

Was allerdings niemand der Anwesenden wissen konnte, war, dass Mia zwar glaubte, alles im Griff zu haben, aber ihr Herz mit dieser Entscheidung in dieser Form nicht einverstanden war. Es wusste, was es wollte, und war keinen Kompromiss gewohnt.

Market Theater

Schokohelden

Es ist etwa eine Woche her, da fand sich in meinem Postfach eine Mail vom Organisator unseres Gartens, dem Referat Ökologie, die sich nicht auf den Garten bezogen hat. Anstatt selbst etwas anzupflanzen, solle ich doch anderen helfen, etwas anzubauen und Schokoheld werden. Was hat es denn damit auf sich?

Ich esse Süßigkeiten bevorzugt in unvernünftigen Mengen und natürlich schließt das auch Schokolade mit ein. Logisch also, dass ich den beiden Links folge und mir das einmal ansehen möchte. Der erste Eindruck? Jemand will mein Geld! Soweit nichts Besonderes und ich bin bereits auf dem besten Weg, das Interesse zu verlieren aber unsere Ökos müssen sich ja etwas dabei gedacht haben, also ist ein zweiter Blick vielleicht sinnvoll.

Worum geht es?

Link: perupuro.de – Worum geht es?

Ganz grob zusammengefasst: Es geht um ein StartUp, denen Bio nicht Bio genug und Fair Trade nicht Fair Trade genug ist. Also wollen sie die Welt verbessern, indem sie direkt zum Erzeuger gehen und dort die Wahre zu extra fairen Konditionen einkaufen. Und weil es ja auch extra Bio sein muss, kommt es gleichzeitig aus einer nachhaltigen Mischkultur (Agroforst). Aus den Bohnen werden dann eine Reihe von Produkten hergestellt… nur keine Schokolade. Und genau da setzt dann der zweite Link an, der mein Geld will.

Link: Startnext Kampagne von Perupuro – Schokoheld

„Wir haben eine Tonne Chuncho Edelkakao und wollen daraus unsere eigene Schokolade herstellen.“

Das ist das Vorhaben, von hier aus soll das Geschäft ausgebaut werden und dafür wird Geld benötigt, welches über Crowdfunding zusammenkommen soll. Einen Monat läuft die Kampagne noch, aber das Basisziel ist bereits erreicht.

Warum erzähle ich dennoch davon?

Weil das Konzept sowohl sozial als auch ökologisch nachhaltig ist und tatsächlich funktionieren könnte. Der ökologische Impakt soll im schlechtesten Falle Null sein, die Umwelt also nicht belasten, sondern ein gesundes Ökosystem fördern. Auch die Weiterverarbeitung soll durch nachhaltige und natürliche Ressourcen vonstatten gehen, um eine langfristige Produktion zu sichern.

Die Bauern sollen fair bezahlt werden und auf Kinderarbeit verzichten. Sie sollen von ihrem Lohn vernünftig leben können, denn wer arbeitet schon gerne nur fürs reine Überleben? Wir sind ja nicht bei Nestlé.

Das Ganze kostet natürlich deutlich mehr, als die Tafel vom Discounter für unter 5€/Kg. Aber beim Fleisch ist es doch auch gerade modern, auf bewussten Konsum zu achten und die Herkunft zu berücksichtigen. Vielleicht sichere ich damit nicht das Überleben des Landwirts im Nachbardorf, aber macht das wirklich so einen Unterschied? Die Welt ist klein genug, als dass uns das trotzdem etwas angeht. Es kann also nicht schaden, es sich wenigstens einmal anzusehen und darüber nachzudenken. Auch wenn es nur ein kleiner Schritt ist, aber ganz viele davon sind genug um eine ordentliche Strecke zu laufen. Und irgendwo müssen wir schließlich anfangen. Das beste Konzept ist wertlos, wenn es niemanden gibt, der es unterstützt.

Perlen

Die Welt ist rund, dreht sich im Kreis, immer um ihre eigene Achse. Es wird voll auf dieser kleinen blauen Perle im Nichts. Dicht gedrängt in goldenen Käfigen aus Stahl und Beton kriecht und krabbelt es. Ein Ameisenhaufen aus Blech und dazwischen die Menschen. Sie müssen miteinander leben, einander aushalten. Für alles andere ist kein Platz mehr. Kleine Häufchen von Menschen bilden sich, einzelne Gruppen, verbunden durch irgendetwas, was sie vereint. Ideen, Träume, Ideologien, und was vereint, das kann genau so trennen.

Zwischen den Clustern und Gruppen schwimmen einzelne lose Elemente. Sie passen nicht ins Bild, nicht so wirklich zum Rest, und gehören dennoch zweifelsfrei dazu, dann aber auch wieder genau nicht. Niemand kann sie ganz zuordnen, etwas mit ihnen anfangen. Es sind Fremdkörper im System, obwohl sie Teil eben dessen sind. Nicht so sehr wie ein Sandkorn im Getriebe der Maschine. Eher wie ein paralleler Prozess, verbunden aber gleichzeitig doch auch abgeschieden.

Die Gesellschaft ist nicht begeistert von diesen Elementen. Sie versteht sie nicht, kann sie nicht durchschauen und will sich nicht wirklich mit ihnen befassen. Sie sind ausgegrenzt, weil sie ausgegrenzt werden und auch, weil sie sich selbst ausgrenzen, sich von der Menge abheben und isolieren.

Von beiden Seiten aus wird eine Mauer gebaut, Stein um Stein, Lage um Lage, Schicht um Schicht. Unterschiedliche Ideen, Ideologien und Vorstellungen, die unvereinbar aufeinanderprallen. Fremdkörper, wie Sandkörner in einer Muschel. Bunt schillerndes Perlmutt wird aufgetragen, um die Kanten zu runden, um den Fremdkörper nicht mehr sehen zu müssen. Mit jeder Lage wird das einstige Sandkorn größer, stärker, und runder. Mit jeder Lage wird dir Schicht dicker, die Abgrenzung deutlicher und unüberwindbarer. Eventuell verkleben zwei Perlen miteinander und werden zu einer, aber es ist selten, dass diese Mauer wieder angenagt wird, um das eigentlich schon vergessene Sandkorn darin zu suchen.

Wenn es doch einmal passiert, dann müssen dicke Lagen einer soliden Wand abgetragen werden, Löcher hinein gepickt werden, aber verschwinden wird sie nie wieder ganz. Das ist der Schutzpanzer, in den sich der Fremdkörper des Systems zurückzieht, denn wenn er eines gelernt hat, dann ist es, dass er anders ist. Er braucht die Anderen nicht. Er war schon immer auf sich gestellt und wird es auch weiterhin sein können. Das Perlmutt schimmert in allen Farben des Regenbogens und wenn man ganz genau hinsieht, vielleicht sogar etwas mehr. Man muss sich vielleicht etwas drehen, um es zu sehen. Im Kreis und um die eigene Achse. Wie die kleine blaue Perle im Nichts.

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