Archiv für den Monat Oktober 2017

Hörsaalgetuschel – Ausgabe 152.

Marlene

„Vielleicht war das wirklich ein wenig leichtsinnig. Aber halt einfach auch viel zu verlockend. Ich meine, du hast sie ja selbst gesehen, das ist niemand, wo man freiwillig nein sagen würde.“

Erik saß neben Flo an der Bar und starrte abwesend über sein inzwischen eins-zu-vielte Bier hinweg. Seine sonst immer so akkurate Frisur war reichlich in Unordnung geraten und die Jacke war zerknittert. Mit einem schweren Seufzen kippte er den Rest des Bieres hinunter und bestellte das inzwischen viel-zu-vielte Bier. Flo grübelte inzwischen, ob ihm irgendeine hilfreiche Antwort einfallen wollte, aber seine Kreativität wollte trotz Bier zu dieser späten Stunde nicht mehr aus dem Bett kommen. Und dabei hatte es alles so vielversprechend angefangen.

Marlene war offensiv auf Erik zugegangen, hatte sich bei ihm gemeldet und Kontakt nicht nur einfach aufgebaut, sondern auch gehalten. Das Herz auf der Zunge und keine versteckten Karten in der Hinterhand, jedenfalls keine offensichtlichen. Das hatte ausgereicht um Erik zunächst einmal völlig zu verunsichern. Aber eine Falle finden konnte er auch nicht und so hatte er doch begonnen, sich ihr zu öffnen. Ein Date im Park, ein gemeinsamer Spaziergang am Fluss, ein Abend im Kino oder ein Nachmittag mit Eis. Flo war überzeugt, die beiden waren ein Paar und trauten sich nur noch nicht, es zuzugeben. Sie hatten sich definitiv gemeinsam die Zeit verschönert.

Und doch saßen sie nun hier, wieder in der alten heruntergekommenen Bar, und starrten trübselig in ihre Biere. Flo verstand die Welt nicht mehr.

„Erklär es mir noch einmal. Du sagst, es war soweit alles perfekt. Sie hat offenbar Gefühle für dich, ist in jeder Hinsicht perfekt, sieht toll aus, ist hoch intelligent, hat ähnliche Interessen wie du und ist eigentlich alles, was du dir wünschen könntest. Du hast ebenfalls Gefühle für sie und sie rennt nicht gleich vor dir weg, obwohl sie inzwischen ziemlich gut wüsste, worauf sie sich einlässt. Wieso blockierst du dann?“

„In fast jeder Hinsicht perfekt. Sonst gäbe es ja kein Problem. Sie hatte noch nie einen Freund. Außer ab und zu knutschen ist bei ihr noch nie etwas gelaufen, sie ist völlig unerfahren.“

„Im ernst? Das ist dein Problem? Dann lernt ihr es halt gemeinsam! Wie sonst soll sie denn an die Erfahrungen kommen? Aus dem Internet runterladen vielleicht?“

„Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich der Richtige dafür bin.“

„Wieso nicht? Sie scheint keine Zweifel daran zu haben.“

„Wieso will sie mich dann verkuppeln?“

Das war jetzt neu und ein absolut legitimer Punkt. Flo starrte Erik eine Weile nur an. Marlene hatte es sich zur Aufgabe gemacht den Mann unter die Haube zu bringen, den sie offensichtlich liebte? Wäre es ihre eigene gewesen, hätte es mehr als nur Verständnis dafür gehabt, aber so … ?

„Wir waren letztens in der Stadt unterwegs und es war ein ziemlich toller Nachmittag. Am Markt sind wir dann Mia begegnet und haben uns kurz unterhalten. Aber wirklich nur kurz, und das war schon mehr als lang genug. Ihr geht es übrigens soweit ganz gut, aber das weißt du vermutlich selbst schon. Danach meinte Marlene jedenfalls, was denn mit uns wäre, da müsse doch was laufen. Und wenn nicht, dass wir das doch nicht aus den Augen lassen sollten. Immerhin hätten wir so eine gute Chemie. Da wäre einfach etwas zwischen uns, was perfekt passt. Also, zwischen Mia und mir jetzt, nicht zwischen Marlene und mir. Hast du eine Ahnung wie absurd das ist, wenn dein Date versucht dich mit deiner Ex zu verkuppeln? Sag Bescheid, wenn du einen besseren Stimmungskiller gefunden hast.“

Das war der Moment, an dem Flo feststellte, dass er offenbar auch bereits beim zuvielten Bier angekommen war. Wäre er noch halbwegs nüchtern, wäre ihm nun sicherlich eine schlagfertige Antwort eingefallen, und sei es für das Thema von vor zehn Minuten. Jetzt rechnete er nicht mehr vor morgen früh damit. Ein Bild wanderte durch seinen Kopf, wie Kristina versuchte ihm Jenny schmackhaft zu machen und alles in ihm sträubte sich. Vielleicht musste er mit Marlene reden, wobei es wohl besser wäre, wenn Erik das selber tat. Wieso nicht gleich jetzt?

Market Theater

Nur eine kleine Revolution in der Hochschulpolitik

Vielleicht erinnert sich noch jemand an die neue Revolution in der Hochschulpolitik? Damals habe ich noch wild spekuliert und mich ansonsten über die schönen Sonnenblumen gefreut. Inzwischen sind wir einen Schritt weiter, denn auch andere sind inzwischen darauf aufmerksam geworden, so auch die lokale Zeitung, welche hier schön großformatig und mit Foto davon berichtet. Und falls der Link nicht funktionieren sollte, habe ich Euch den Text einmal geklaut:

Cannabis-Pflanzen gedeihen auf Würzburger Uni-Campus

Sie ist eine wertvolle, uralte Kulturpflanze, angebaut schon vor tausenden Jahren. Weil aber weibliche Blüten zu Marihuana und ihr Harz zu Haschisch verarbeitet werden können, hat Hanf – wissenschaftlich Cannabis– hierzulande einen schweren Stand.

Umso erstaunlicher, dass auf dem neuen Würzburger Uni-Campus gar nicht wenige Cannabis-Pflanzen gedeihen. Eine Plantage für den studentischen Eigenverbrauch?

Beim Familienspaziergang Cannabis-Pflanzen entdeckt

Eigentlich will Felix Weinrich mit seiner Frau und den zwei kleinen Kindern nur einen gemütlichen Spaziergang durch das Gelände des neuen Campus Nord machen – die ehemaligen Leighton Barracks. Dort ist mächtig was los: Die Landesgartenschau wird angelegt, neue Wohnhäuser schießen aus dem Boden, und auch auf dem Unigelände wird ordentlich umgebaut.

Gymnasiallehrer Weinrich möchte seinen Kindern die vielen Bagger, Radlader und sonstigen Baufahrzeuge zeigen. Was die Familie aber dann entdeckt, ist eine Sache für Erwachsene: zierliche Cannabis-Pflanzen, direkt neben der Straße, auf dem freien Feld hinter der neuen Mensateria.

Hanf zwischen anderen Blühpflanzen

Die Gewächse sind eingestreut zwischen Sonnenblumen und anderen Blühpflanzen. Auf jeden Fall optisch eine feine Sache. Aber vielleicht noch mehr?

Beim Spaziergang dabei: Weinrichs Schwester und deren Mann, beides studierte Landschaftsökologen. Sie können den Cannabis sofort identifizieren. „Was uns wirklich erstaunte“, berichtet Deutsch- und Erdkundelehrer Weinrich, „war das Ausmaß der Verbreitung dort.“ Aus dem Rottenbauerer Grund kenne man eine wilde Bepflanzung, wo in selten Fällen auch Hanf wachse. „Aber nicht in dieser Menge!“

Strenge Auflagen für den Anbau von Hanf

Möglicherweise ein illegaler Drogenanbau mitten auf dem Uni-Campus? Recherchen der Redaktion führen zunächst zu Fachleuten aus Botanik und Pharmazie. Dr. Gerd Vogg, wissenschaftlicher Custos am Botanischen Garten, weiß um die Sensibilität des Themas: „Wenn wir für die Analytik in der Pharmazie einige Hanfpflanzen anbauen wollen, brauchen wir eigens eine Genehmigung der Bundesopiumstelle in Bonn.“

Dabei gibt es bei den Cannabisarten große Unterschiede: Um Haschisch und Marihuana erzeugen zu können, brauchen die Hanfpflanzen einen hohen Gehalt des Wirkstoffes Tetrahydrocannabinol (THC). Dieser beträgt beim kommerziell verwerteten Nutzhanf weniger als 0,2 Prozent.

Hanf als Nutzpflanze, für die Medizin – und für Drogen

Textilien, Öle, Dämmstoffe, Seile, Papier – die Palette legaler Hanfprodukte ist groß. Vor allem Sorten der Hanfart Cannabis sativa werden dafür eingesetzt, während der Indische Hanf (Cannabis indica) die entscheidende Rolle als Drogen- und Medizinpflanze spielt. Rein äußerlich, erklärt Vogg, seien die beiden Arten kaum zu unterscheiden.

Und was wächst am Hubland-Campus? Der Botaniker hätte – mit Blick auf die vielen Sonnenblumen auf dem Feld – eine plausible Erklärung: „Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelt es sich um eine Saatgutmischung, die dort ausgestreut wurde. Auch in Mischungen von Vogelfutter finden Sie einzelne Hanfsamen.“ Also keine gezielte Cannabiszucht, sondern nur Begleiterscheinungen?

Studenten hatten „WEED“-Transparent aufgestellt

Einigen Studenten jedenfalls waren die hübschen Hanfgewächse aufgefallen. Zu ihrem Amüsement hatten sie vor wenigen Wochen an dem Feld ein Transparent aufgestellt mit der Aufschrift „WEED ’s to Entertain you“ (frei übersetzt: „Gras macht Spaß“). Ob auch „geerntet“ wurde, ist nicht bekannt.

Als der technische Betrieb der Uni das Banner bemerkte, holte man es ein und wies die Pressestelle der Hochschule auf das Cannabisfeld hin. Entsprechend ging man auch dort interessiert der Hanfherkunft nach.

Verbindung zur nahen Landesgartenschau 2018

So kann Pressesprecher Gunnar Bartsch mittlerweile aufklären: In direkter Nachbarschaft zur Landesgartenschau 2018 steht die Pflanzaktion mit ihr in Zusammenhang. Das Gelände, so Bartsch, solle möglichst ansprechend aussehen. Also überlegte man sich beim zuständigen Staatlichen Bauamt, wie die Brachfläche hinter der Mensateria ökologisch aufzuwerten ist.

Beraten ließ man sich von der Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) in Veitshöchheim, mit der die Staatsbauer auch sonst eng kooperieren. Und die LWG-Experten empfahlen eine spezielle Wildpflanzenmischung, die sich auf dem Boden und in der Lage am Campus Nord angeblich gut entfaltet. Das Ergebnis gibt den Öko-Fachleuten Recht.

Wildpflanzenmischung der Veitshöchheimer Landesanstalt

Seit 2008 entwickelt die LWG zusammen mit Projektpartnern aus ganz Deutschland artenreiche mehrjährige Wildpflanzenmischungen mit 15 bis 25 Pflanzenarten für die Biogasproduktion. Energiepflanzen, die gleichzeitig Lebensräume für Wildtiere schaffen.

Die „starkwüchsige Veitshöchheimer Hanfmischung“ zaubert einen wahren Blütenreigen auf den Unicampus: Sonnenblumen, Schmuckkörbchen, Stockrose, Fenchel, Wegwarte, Herzgespann – und Faserhanf. Mangels THC-Gehalt ist allerdings bestenfalls der Anblick der Blütenpracht berauschend.

Quelle: http://www.mainpost.de/regional/wuerzburg/Hanf-Landesgartenschau-2018-Marihuana-Pharmazie;art735,9780244
© Main-Post 2017

Es ist also nur eine kleine Revolution in der Hochschulpolitik. Statt der Haushaltskasse sollen nur die Optik und die Ökologie des Campus renoviert werden, und das sogar noch höchst offiziell und abgesegnet. Auch wenn mir das so weit bekannt war, oder wenigstens aber extrem naheliegend und leicht zu erschließen, irgendwie ist es dann doch fast ernüchternd. Mir hat meine Idee eigentlich ganz gut gefallen, auch wenn sie nach wie vor nicht legal wäre.

Was die Ernte angeht, sind wir übrigens einen Schritt weiter als die Zeitung. Ja, man weiß von kleinen Mengen, die geerntet wurden. Allerdings nicht zum Rauchen, sondern als Raumlufterfrischer und Duftspender. Und als optisches Zierelement. Wie der Artikel auch beschreibt, Faserhanf zu rauchen wäre auch reichlich unbefriedigend. In diesem Sinne …

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Ist inzwischen übrigens verblüht und sehr viel kahler

Karawane

Nebelfeine und hauchdünne Schleier aus rötlich gelbem Sand wirbeln im heißen Wind, unerbittlich brennt die Sonne senkrecht auf die tanzenden Körnchen und den glatten grauen Stein darunter hinab. Behäbig schwankend trampelt die Karawane darüber hinweg, ohne auf das feine Glitzern der Körnchen zu achten. Zu alltäglich ist dieses Schauspiel, als dass man Schönheit darin finden würde. Es ist lediglich die See, durch welche die Wesen wie schaukelnde Schiffe wandern, und die Wirbel sind ihre Wellen. Statt des Plätscherns von Wellen am Bug ist lediglich das Knirschen der Körner unter Sohlen und Hufen zu hören, begleitet vom niemals wirklich schweigenden Gesang des Windes. Manches Mal trifft er genau im richtigen Moment auf die hoch aufgetürmten Dünen, um das leise Singen zu einer regelrechten Symphonie anschwellen zu lassen. Den Kamelen der Karawane ist das harmonische Dröhnen einerlei und ihre Last wirkt dadurch nicht leichter. Dennoch tragen sie sie mit stoischer Gelassenheit und Gleichgültigkeit der nächsten Oase und dem nächsten Stopp entgegen. Immer der Route und den Wegen folgend, die ihre Ahnen bereits vor Jahrtausenden gewandelt sind, immer in der Hoffnung, das Wasser der Oasen möge nie versiegen.

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Pflanzexperiment: Milpa, „Update“ 4. – Fazit

Es ist zwar sonnig aber kalt, die Herbststürme sind da und mit ihnen endet dann auch mein kleines Experiment mit der Milpa. Bohnen, Kürbisse, Tomaten und Mais sind geerntet und die Pflanzenreste sehen bereits reichlich traurig aus. Der Mais hat die letzten Stürme nicht so gut überstanden und sich schon einmal schlafen gelegt, aber außer ein paar der Tomaten hat er dabei niemanden belästigt.

Das erklärte Ziel war es, so viele Samen herauszubekommen, dass ich nächstes Jahr problemlos weiter züchten kann. Nun, das Ziel ist erreicht. Der limitierende Faktor sind dabei die Bohnen, von denen ich ja immerhin auch die Hälfte frühzeitig geerntet und gegessen habe. Dennoch reichte ihre Ernte für noch drei Nachzuchten dieser Größe (>48 Bohnen). Mais und Kürbisse kommen da beide mit Leichtigkeit drüber.

Die Bohnen, in kleinere Stücke gebrochen und einfach in Salzwasser gekocht, waren übrigens sehr lecker. Das waren die Momente, wo ich mich gefragt habe, wieso ich eigentlich so selten Bohnen koche. Ich hoffe bereits auf eine gute Ernte nächstes Jahr.

Bei dem Kürbis hatte ich etwas Sorgen. Nicht nur, dass er sich sehr zurückgehalten hat (aus den 6 Pflanzen sind 4 Kürbisse gewachsen), ich hatte im Vorfeld auch bei Lieschen Müller gelesen, dass er sehr geschmacklos sein soll. Vielleicht lag es daran, dass die Pflanzen nicht so viele Früchte zur Verfügung hatten, um sich aufzuteilen, aber sie haben dem Namen „Sweet Dumpling“ alle Ehre gemacht und waren definitiv nicht sparsam im Geschmack.

Und süß weiter geht es gleich beim Zuckermais. Frisch geerntet und direkt vom Kolben genagt kann man ihn schon fast als Süßigkeit zählen. Lecker und irgendwie auch erfrischend. Wenn er dann etwas reifer wird, schmeckt er deutlich weniger süß, sondern eher nach Stärke. Dann funktioniert Kochen und er wird wieder weicher und schmackhafter, aber dennoch kein Vergleich zu Frischem. Nur leider waren einige der Kolben nicht so voll, wie man es sich wünschen würde, sondern nur eher vereinzelt bestückt. An der Befruchtung muss also noch gearbeitet werden.

Die Tomaten waren zwar nicht geplant, aber es war definitiv eine gute Entscheidung, sie doch stehen zu lassen. Auch wenn sie einen regelrechten Wald gebildet haben und möglicherweise Kürbis oder Bohnen ihren Platz etwas streitig gemacht haben, ihr Ertrag ist bis zuletzt noch solide, auch wenn sie vielleicht nicht die größte Geschmackssensation sind. Lecker sind sie trotzdem.

Alles in allem ziehe ich also ein recht positives Fazit. Wenn ich das Beet für nächstes Jahr mit frischem Kompost und eventuell auch etwas Dünger weiter aufbauen kann, dann steigt vielleicht auch der Ertrag der Kürbisse. Außerdem muss ich mir mit dem Mehltau etwas einfallen lassen. Der hat garantiert seinen Teil dazu beigetragen. Aber wenn das die einzigen Hürden sind, dann steht einer zweiten Generation nichts mehr im Wege. Einer meiner Saatgutsätze wurde übrigens gleich reserviert und soll sich im Sommer 2018 auf der UrbanGardening Fläche der Landesgartenschau hier präsentieren. Ich bin wirklich gespannt, was noch alles passiert. Bis dahin frohes Gärtnern allerseits!

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Ein Teil meiner bescheidenen Ernte. Der Teil um genau zu sein, den ich noch nicht verputzt habe, und der Rest hier wird sicherlich auch nicht schlecht werden.

Beltane – Teil 10. – Ende

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Die Sonne war untergegangen, die Bäuche gefüllt und die großen Reden gehalten. Vitali Korovof war vor Stolz über seine Kolonie auf der Bühne beinahe geplatzt, konnte sich dann aber gerade rechtzeitig beherrschen, ehe es peinlich wurde. Entgegen aller Erwartungen, platze ihm nicht einmal das Hemd auf, dafür aber der Hosenbund.

Das Orchester spielte eine glanzvolle Aufführung, nur nicht in der mit Korovof vereinbarten Variante und Reihenfolge, was diesen dann doch noch beinahe platzen ließ. Allerdings auch hier wieder nur beinahe.

Die Bürgermeister, Bürgervertreter, Organisations- und Gruppenvertreter hielten nach und nach ihre Reden. Es gab Rückblicke auf die Leistungen des letzten Jahres und Vorstellungen der neuen Errungenschaften. Am Buffet wurden die ersten Trauben vom Boden Beltanes verteilt, nächstes Jahr sollten sie den ersten Wein dieser Welt hervor bringen. Während die Brauerei mit Verstimmung auf die Konkurrenz reagierte, äußerten die Rumbrenner ihre Freude über die Unterstützung der Verköstigung.

Als eine der letzten, betrat Mara Naravova die Bühne.

„Wir erinnern uns noch daran, dass mit dem ersten Kontakt durch das Portal die Anfrage eines Journalisten kam, der einen Bericht über unsere kleine Gemeinde erstellen wollte. Wir haben daraufhin unsere Daten gesammelt und nicht wenige von Ihnen standen für mich und die Kolonie vor der Kamera, und haben ihre Erfahrungen und Geschichten geteilt. Sie sehen nun das Ergebnis, wie es in diesem Moment auch auf der Erde erstmalig gezeigt wird, und es ist für uns alle der erste Blick darauf. Sogar für mich. Ich möchte mich bei Ihnen allen für die fleißige Hilfe bedanken. Es war mir eine große persönliche Freude.“

Damit trat sie zurück und für zwanzig Minuten waren nur noch die Stimmen aus den Lautsprechern zu hören. Alle Augen der Kolonie verfolgten den Beitrag, der die so vertrauten Straßen und Gesichter mit fremden Augen zeigte. Eine Welt, die vorgestellt wurde als eine Gesellschaft mit größenwahnsinnigen Vorstellungen und Zielen. Gigantomanie aus dem Nichts, eine Handvoll unzureichend ausgebildeter und geistig einfacher Menschen, die sich der Illusion hingeben wollten, das Zentrum der Galaxis zu werden, bestenfalls aber eine Randerscheinung sein konnten. Die Zuschauer waren sprachlos.

Die Bilder sprachen eine andere Sprache. Sie konnten nicht leugnen, dass hier aus dem Nichts eine Stadt entstanden war, die auf nichts verzichten musste. Anspruchsvolle und ästhetische Architektur und bedachte Planung mit Raum für große Entwicklungen. Produktive Fabriken mit fähigen wie fleißigen Angestellten und Maschinen, die zwar selbst gebaut, aber denen der Kernwelten in nichts nach standen. Man merkte den Spagat zu deutlich, den Urban versucht hatte. Einerseits die Siedler kleinreden und ihre Leistungen schmälern, andererseits die Errungenschaften loben und mit den Idealen der Allianz abzugleichen.

Maras Vermutungen bestätigten sich. Sie war nicht die Einzige, der dieser Beitrag wie eine Karikatur erschien. Immerhin hatte er es geschafft, die Gemüter zu erhitzen und so ziemlich jede anwesende Seele zu kränken. Urban hatte ihnen bewiesen, dass er nicht verstanden hatte, wieso sie hier waren und diese Arbeit auf sich nahmen. Er konnte nicht verstehen, wieso sie für eine Generation arbeiteten, die sie nicht mehr kennenlernen würden. Mara wollte die Stimmung beruhigen. Dieser Ärger war kein würdiger Abschluss für die Beltanefeier. Sie entschuldigte sich für Urbans Werk und startete ihre eigene kleine Überraschung.

Die ersten Bilder von Beltane, noch als toter Fels auf den Kameras der Sonden und Samenkapseln. Später, mit dem ersten grünen Flaum schon aus den Fenstern der Beltane, dem Kolonieschiff. Die ersten Landungen, Pioniere mit Atemmasken und Sonnenbrillen, welche die Landestellen für das Schiff vorbereiteten. Die ersten Schritte der Siedler auf der neuen Welt, die ersten Hütten und Gebäude. Vor dem Knistern der Schweißgeräte formulierten die Menschen ihre Wünsche und Hoffnungen über die neue Welt, dumpf durch die Filter der Atemmasken. Die Atmosphäre würde noch eine Weile benötigen, bis sie ihre Sättigung an Sauerstoff erreicht hatte.

Die ersten Tiere wurden ausgewildert und die ersten Gärten blühten um ihre stolzen Besitzer. So eifrig sie auch waren, müde wirkten die Vorfahren selten. Sie sprühten viel mehr vor Begeisterung und Tatendrang. Viele waren ungeduldig, die schroffen Felsen unter Wäldern verschwinden und die weiten Täler mit Weiden bedeckt zu sehen.

Der Betonrumpf der Fähre rutschte unter dem Jubel der Anwesenden ins Wasser, damals noch in einem blauen, fast unsichtbarem Schimmer. Der alte Fährmeister war noch jung und stand bis zur Brust im Wasser, einen kleinen Vogel auf den Schultern. Die natürliche Pyramide von Belenos erhob sich stumm und kahl in die Wolken über dem See. Eine Expedition kletterte bis auf ihre Spitze und posierte vor einem improvisierten Banner. Die Familie Gruber mit Mira als kleinem Mädchen präsentierte stolz das erste geförderte Erz, später den ersten Hochofen von Belenos. Die Gewächshäuser wurden teilweise geöffnet, sodass das Getreide unter freiem Himmel wachsen konnte. Das erste Obst aus heimischer Erde wurde geerntet und noch vor Ort von den Kindern vernascht.

Mara hatte befürchtet, ihre Chronik könnte zu lang geworden sein. Mitternacht war längst verstrichen aber ihr Publikum war noch da und hellwach. Es war nicht mehr ruhig und still, die Leute hatten ihre Sprache wieder gefunden. Ahs und Ohs kamen auf, wenn jemand sich oder seine Lieben von früher wieder erkannte. Die Erinnerung an inzwischen verstorbene trieb Tränen in das ein oder andere Auge, und die Mode vergangener Jahre rief Kopfschütteln und Gelächter hervor. Jeder erkannte sich selbst, seine Vorfahren oder seine Arbeit und Werke irgendwo wieder. Geschichten wurden im Flüsterton getuschelt oder einfach nur stumme Blicke gewechselt.

„Seht doch, da bin ich. Ja, wir hatten ja damals noch nicht so viel wie heute.“

Bilder von früheren Beltanefeiern und Errungenschaften. Die U-Bahn, Flugzeuge, Roboter im Haushalt, den Werkstätten oder auf Baustellen. Das Nachrichtennetz, die ersten Frachter von den Kernkolonien oder die Uraufführung des ersten hier gedrehten Films.

„Daran erinnere ich mich! Das erste Mal, dass wir das hier hatten. Meine Großeltern haben mir davon immer Geschichten erzählt aber es dann wirklich selbst zu erleben …“

Den Abschluss bildete ein Zusammenschnitt der Interviews und Stadtaufnahmen, die Mara in den letzten Wochen erstellt hatte. Eine Kolonie von gerade einmal dreißig Jahren wirkte plötzlich, als würden ihre Wurzeln in die dunkelsten Tiefen der Geschichte zurückreichen. Ungebremste Aufbruchstimmung und Begeisterung klangen heraus. Niemand hier war einfach nur da, jeder hatte seinen Sinn und Zweck. Jeder war gebraucht und prägte auf seine Weise das Leben und das Gesicht dieser ganzen Welt. Die vielen kleinen Geschichten mochten jede für sich gelten können aber zusammengenommen bildeten sie etwas Großes. Das war das Erbe dieser Welt. Vor Beltane lag ein langer, fruchtbarer Sommer.

Tosender Applaus vieler Tausend Hände und lauter Jubel dröhnte durch die Nacht, sobald der Abspann das letzte Bild ablöste. Die Hoffnungen, Träume und Gedanken der Generationen, festgehalten vor der Welt ihrer Zeit. Erinnerungen und Geschichten, manche schon eher Legenden. Die Bänke waren noch immer voll besetzt, als die Morgensonne über die Dächer strich. Mara Naravova bekam das nicht mehr mit. Die Erleichterung, dass ihr Werk gefiel, hatte ihr alle Steine vom Herzen genommen, und sie ihre Erschöpfung spüren lassen. Den Weg nach Hause hatte sie noch bewältigen können aber nun träumte sie von ihrem ganz persönlichen Beltane, ihrem Sommeranfang.

Das war meine kleine Reise, die abenteuerlichen ersten Schritte auf neuen Welten zu begleiten. Ich bedanke mich herzlich bei allen, die mich begleitet haben, und hoffe, Ihr hattet viel Spaß dabei. Vielleicht hat es ja den ein oder anderen Gedanken anregen können. Ich hatte jedenfalls viel Freude dabei, mir die einzelnen Schritte auszumalen und die Herausforderungen in Worte zu bannen. Ich hoffe, ein wenig von der Aufbruchstimmung eingefangen zu haben. Auch weiterhin gilt natürlich, Kommentare und Kritik sind jederzeit gerne gesehen und willkommen.

Bis zum nächsten Mal

Euer Graf

Hörsaalgetuschel – Ausgabe 151.

„Durch“

„Guck dir das an, der Verlag heißt Friedrich Pustet. Was pustet er denn? Hat er sich verbrannt? Oder hat er eine Pusteblume gefunden?“

Flos hysterisches Lachen schien seine tiefen und dunklen Augenringe fressen zu wollen und endete dabei eher in einem seltsamen Paarungstanz mit ihnen. Der Name seiner Quelle allein hatte ausgereicht, ihn völlig aus der Fassung zu bringen. Von Erik erntete er dafür nur einen irritierten Blick über den Rand der Lesebrille, die er seit Neuestem hatte. Aber Erik hatte gut reden. Sein Weg zur Bibliothek war sehr viel kürzer und außerdem war er heute wie auch die letzten Tage erst über eine Stunde später als Flo gekommen und zusätzlich noch früher wieder gegangen. Es half dennoch nichts, die Hausarbeit musste fertig werden.

Erik nahm seine Brille ab, massierte sich intensiv die Augen und platzierte das Gestell mit einer theatralischen Geste wieder auf der Nase. Eine schrecklich übertriebene Aktion, wie Flo fand. Insgeheim war er sowieso der Meinung, dass Erik die Brille nur hatte, um damit besser auszusehen und Leute vorwurfsvoll über den Rand hinweg ansehen zu können. Ebenso insgeheim musste Flo zugeben, dass ihm beides erschreckend gut gelang. Würde er die interessierten Blicke bemerken, die ihm immer wieder zugeworfen wurden, er würde vermutlich noch eingebildeter wirken, als sowieso aktuell. Seine sture, allgemeine Lustlosigkeit und Gleichgültigkeit, gepaart mit der trotzigen Haltung und kurz angebundenen Sprache ließen ihn ohnehin bereits sehr von sich eingenommen wirken. Dabei war es eher der Kampf mit sich selbst, nicht in ein tiefes emotionales Loch zu fallen. Es fehlte ihm einfach etwas.

Flo fehlte auch etwas, aber im Gegensatz zu Erik konnte er genau sagen, was das war. Schlaf, Zeit, Ruhe und etwas Vernünftiges zu essen. Seit inzwischen zwei Wochen saß er an der Hausarbeit, die inzwischen schon seit einer Woche fertig sein sollte. Eigentlich sogar schon viel länger, aber es war ihm so vieles dazwischen gekommen und die Arbeit, welche er mit Erik gemeinsam als Teamarbeit schrieb, war immer weiter nach hinten gerutscht und in Verzug geraten. Jetzt war der Zeitpunkt erreicht, wo nicht mehr geschoben werden konnte. Seit Tagen saßen sie in der Bibliothek, Stunde um Stunde, über Büchern, Artikeln und die Tastaturen gebeugt. Und wenn er dann einmal zuhause war, verbrachte er noch immer einige Stunden am Rechner, während Kristina schon in aller Seelenruhe schlief. Er beneidete sie um ihren Tag und ganz besonders um ihren Feierabend.

Langsam aber sicher forderte dieses Verhalten seinen Tribut. Zu wenig Schlaf, unregelmäßige Mahlzeiten, Stress und keine Möglichkeit, ihn für eine Weile beiseitezuschieben. So etwas nannte sich Semesterferien, auch wenn diese streng genommen inzwischen seit einer Woche vorbei waren. Die Klausurwoche zu Semesterbeginn lief inzwischen und entsprechend voll war es in den Lernräumen. Von den drei Klausuren, die er eigentlich hatte schreiben wollen, hatte er zwei bereits vor Wochen aus dem Lernplan streichen müssen. Alle erzählten ihm immer, wie schön doch das Studium sei, besonders die Alten, und dass er es ja genießen sollte. Die Handwerker auf der Straße sahen ihm missbilligend nach, wenn er um halb zehn aus dem Zug ausstieg und er beneidete sie im Stillen um ihren Feierabend, den sie hatten, wenn er sich eine Mittagspause erlaubte.

Jetzt löste sich das Problem von ganz alleine, indem sein Gehirn das Spiel nicht mehr mitspielen wollte. Wegen alberner Kleinigkeiten hysterisch kichernd saß er vor seinem Rechner, unfähig noch einen sinnvollen Satz zuwege zu bringen. Auch wenn er selbst den Großteil der Arbeit bisher geschrieben hatte, würde Erik ihm dennoch Vorhaltungen machen, wenn er ihn jetzt alleine ließ. Die Genugtuung konnte er ihm unmöglich gönnen. Er sammelte seine Kraftreserven, raffte Konzentration zusammen und bemerkte, dass Erik mit allem Möglichen beschäftigt war, nur nicht mit der Hausarbeit. Von der Hoffnung auf eine gute Note hatte er sich schon vor einer Weile verabschiedet. Nun aber zersplitterte seine Zuversicht gänzlich. Hauptsache irgendetwas abgeben, um sich wenigstens selbst einreden zu können, man habe es ja versucht.

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Der Blödsinn der Woche 7.

Es ist mal wieder Zeit für die Fragen, die die Welt bewegen, und heute begeben wir uns einmal in die Naturwissenschaften. Denn am Ende des Tages ist doch auch der Mensch nur eine besonders komplexe Maschine, möchte ich behaupten. Und so kam dann irgendwann die folgende Frage auf, zu der bisher noch keine Antwort gefunden wurde.

Zwillinge haben im Mutterbauch jeder seine eigene Nabelschnur aber sind sie in Parallel- oder Reihenschaltung?

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Beltane – Teil 9.

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Mit müden Armen und der immer schwerer werdenden Kamera schlenderte Mara durch die Straßen. Inzwischen musste sie jeden sehenswerten Punkt aus allen Perspektiven mindestens drei Mal aufgenommen haben. Mit jedem neuen Bild nahm sie ihre Heimat selbst mit anderen Augen wahr. Zu jeder Türe, jedem Fenster schossen ihr unzählige mögliche Geschichten und Hintergründe durch den Kopf. Plötzlich wirkten die meist so ruhigen Straßen viel lebendiger.

Sie hatte die letzten Tage damit verbracht, die zahllosen Interviews, die sie geführt hatte, zu sichten, zu sortieren und zu katalogisieren. Ihr Kopf summte wie ein Bienenstock und ihre Arme wurden so müde wie ihre Beine, die sie ungewohnt viel durch die Gegend tragen mussten. An einem völlig beliebig gewählten Punkt beschloss sie dann, genug Material für den arroganten Reporter beisammenzuhaben. Die Liste mit seinen Fragen war so weit abgearbeitet, bis auf wenige Ausnahmen, die sie bewusst ausgelassen hatte. Dafür hatte sie etliche Eigene mit eingearbeitet.

In wenigen Stunden würde die Übertragung durch das Portal einen Schwall von vielen Stunden Filmmaterial zur Erde bringen und dort unter anderem im Postfach von Felix Urban landen. Sie hatte dafür gesorgt, dass er nicht den exklusiven Zugriff darauf bekommen würde, auch wenn sein Bericht der Erste sein würde. Mara Naravova hingegen würde den Abend im Archiv verbringen. Sie hatte beschlossen, ihren eigenen Bericht über die Chronik von Beltane zu erstellen. Es galt der jüngsten Welt der Menschheit eine Geschichte zu geben, eine offizielle Chronik.

Die jungen Bäume standen in saftigem Grün und trugen bunte Blüten. Geschäftiges Treiben bestimmte das Bild von Mensch und Tier, der Sommeranfang stand ins Haus. Der Erdkalender hatte sich für die Kolonien als ungeeignet herausgestellt und so hatte jede Welt ihren eigenen Kalender erstellt. Man ging im Allgemeinen davon aus, dass, selbst wenn es einen allgemeinen Kalender für die gesamte Allianz geben würde, die lokalen trotzdem weiter beibehalten werden würden.

Für die jüngste Kolonie war der Sommeranfang ein besonderes Ereignis. Beltane wurde jedes Jahr mit einem großen Fest gefeiert, der Sommeranfang als vorzeitlicher Patron der frisch keimenden Welt. Vor der Kulisse des alten Kolonieschiffs, der strahlend weißen Nadel in der Mitte der Hauptstadt, waren eine Bühne und lange Tischreihen mit Bänken aufgebaut worden. Es würde ein großes Festessen geben, für das bereits Wochen im Voraus gekocht und gebacken wurde. Viel Musik, Tanz und einige große Reden der wichtigen Leute mit viel Selbstbeweihräucherung standen auf dem Plan.

Mara hatte sich schon immer in die Planung der jährlichen Feier eingebracht aber dieses Jahr hatte sie eine kleine Überraschung geplant. Kurz vorher würde Felix Urban ihr die fertige Dokumentation schicken, wie er sie zusammengestellt hatte und wie sie im Nachrichtennetz der Erde und der jungen Allianz ausgestrahlt werden würde. Sie wäre zuversichtlicher gewesen, wenn sie ihm vertraut hätte, aber das konnte sie nicht. Der Eindruck, den seine erste Anfrage erweckt hatte, saß tief und bitter. Es wirkte zu sehr danach, dass er Gründe suchte, eine primitive Bauernkolonie schlecht zu machen, statt über eine sich entwickelnde, junge Welt zu berichten.

Ein Ausweichplan wäre nicht verkehrt, auch wenn sie der Überzeugung war, die Leute sollten sehen, was der Rest der Menschheit über sie alle erfahren würde. Mara hatte ihre Freizeit der letzten Wochen im Archiv verbracht, wo Tausende Bilder, Videos und Dokumente aus allen Phasen der Besiedlung gespeichert waren. Sie war mit ihrer Zusammenstellung fertig geworden und das Ergebnis gefiel ihr. Sie war deswegen um so nervöser, wie ihre Mitbürger es aufnehmen würden, wenn sie es sahen.

So war dann das Festgelände fertig aufgebaut, geschmückt und die Straßen voller Leben. Die Siedler begingen ihren höchsten Feiertag unter einem strahlend blauen Himmel und bei angenehm warmen Temperaturen. Überall duftete es nach den Köstlichkeiten, die das Buffet zieren sollten. Das Orchester probte unter freiem Himmel seinen Auftritt und Mara sah sich den Bericht an, der zeitgleich mit ihrer Gründungsfeier auf der Erde ausgestrahlt werden sollte. Er war mit der letzten Öffnung des Portals gekommen, gemeinsam mit einem flüchtigen Dankesschreiben, in dem Felix Urban ihr für das Zusenden des Rohmaterials dankte. Das war alles gewesen.

Hörsaalgetuschel – Ausgabe 150.

Des Pudels Wurzel

Es war noch früh am Abend, doch die herbstliche Nacht war bereits hereingebrochen. Der Mond lies die Schatten der letzten Balkonpflanzen an der Wohnzimmerwand tanzen, unbemerkt von Flo oder Kristina, die einen Oxytocin-geladenen Abend auf der Couch verbrachten. Im silbernen Schimmer von Mond und Fernseher lag Flo in Kristinas Schoß gekuschelt, selig vor sich hin dösend und die Streicheleinheiten genießend. Es war für beide eine lange Woche gewesen und für den heutigen Freitagabend hatten sie nichts Besseres mehr vor. Es war noch nicht sehr lange her, dass Flo erschrocken festgestellt hatte, dass er seine früheren Partyexzesse nicht im geringsten vermisste.

Gerade, als ihnen beiden, selig aneinander gekuschelt, die Augen zufallen wollten, klingelte es an der Tür. Das weiche Licht des Mondes und der harte Widerschein des Fernsehers ließen auf der Uhr an der Wand die Zeiger glitzern. Nicht einmal halb 9 war es, also keine unmögliche Uhrzeit. Dennoch war Flo zerknirscht, als er sich vom Sofa rollen ließ. Um diese Zeit war Besuch, besonders unangekündigter, sehr ungewöhnlich. Aus Kristinas Freundeskreis gab es immer wieder spontane Besuche, aber aus der Uni tat kaum jemand die kurze Reise mit der Bahn, wenn es nicht geplant war.

Vor der Türe stand ein großer, aufwendig dekorierter Kuchen, gut verstaut in einem Tortenbutler in den Händen Mias. Mit einem schüchternen Lächeln winkte sie ihm zu.

Ich wollte mich nur mal für den ganzen Kuchen revanchieren, den du mir im Bachelor immer gebacken hast. Und außerdem musste ich das hier mal üben.“ Sie hielt ihm den Tortenbutler hin. „Bin demnächst auf einer Hochzeit eingeladen und habe leichtsinnigerweise versprochen, einen Kuchen mitzubringen. Ich habe ihn noch nicht probiert, aber so oder so, wollte ich dann die Meinung eines Experten haben. Da kommst ja nur du infrage. Und ich hatte irgendwie den Eindruck, es wäre ein guter Zeitpunkt für einen Überraschungsbesuch.

Noch immer überrascht bat Flo sie hinein. Seit sie mit Erik Schluss gemacht hatte, war Funkstille zwischen ihnen gewesen. Sie hatte sich nicht mehr gemeldet und auch auf seine Nachrichten nur noch eher sporadisch reagiert. Dennoch, er sah sie weiterhin als eine alte Freundin und natürlich war sie auch willkommen. Sein Angebot einer Tasse Tee konterte sie mit einer Flasche Wein im Rucksack.

Kurz darauf saßen sie zu dritt um den Küchentisch und kauten genüsslich auf dem Kuchen. Sie hatte es etwas gut mit dem Backpulver gemeint, aber ansonsten war er tatsächlich sehr gut geworden. Doch auch wenn sie ehrlich dankbar für Flos Verbesserungsvorschläge war, und sich um ein ungezwungenes Gespräch bemühte, sowohl Flo als auch Kristina spürten deutlich, dass sie nicht nur für Rezepte und Small Talk gekommen war. Bis zur Antwort auf dieses Rätsel sollte es beinahe die ganze Flasche Wein dauern.

„Hast du eigentlich noch einmal etwas von Erik gehört?“

Die Frage kam zögerlich, zaghaft, mit einem deutlich zärtlichen Unterton, und selbst wenn sie sich nach Kräften bemühte, ihre Augen konnten nicht lügen. Mia vermisste Erik, ehrlich und aus vollem Herzen. Dennoch, dahinter steckte doch mehr. Flo wurde misstrauisch.

„Natürlich. Letzte Woche waren wir noch abends weg, aber diese Woche habe ich ihn nicht mehr gesehen. Wieso fragst du?

Ach, nur so. Ich wollte nur sichergehen, dass es ihm gut geht. Ich höre ja überhaupt nichts mehr von ihm. Er hat auch einiges in der Wohnung gelassen, was eigentlich ihm gehört. Ich dachte, er meldet sich vielleicht noch deswegen.“

Erik hatte seine Sachen zu einem Zeitpunkt aus der Wohnung geholt, von dem er wusste, dass Mia nicht da war. Das wusste sie auch, und dennoch erwartete sie, dass er sich meldete? Irgendwo passte das sogar ins Bild. Und dennoch glitzerte die Sehnsucht in ihren Augen. Natürlich waren auch an ihr die zwei Jahre nicht spurlos vorbei gegangen. Für sie war Erik immer noch jemand ganz Besonderes, und es verletzte sie, dass er sie so einfach vergessen zu haben schien. Nur zugeben würde sie das natürlich niemals, dafür war ihr Stolz viel zu starrsinnig. Beinahe jedenfalls.

„Er hätte mir ja wenigstens seine neue Adresse sagen können.“

„Wieso hätte er das tun sollen? Du hast nicht nur einfach mit ihm Schluss gemacht, du hast ihn gleich ersetzt. War es nicht absehbar, dass er nicht der Typ für eine solche dreier Konstellation ist? Mich wundert ehrlich gesagt, wie lange er das durchgehalten hat. Im Augenblick würde ich ihm etwas Ruhe und Abstand lassen. Später kannst du dich immer noch bei ihm melden, aber es ist die Frage, ob er auch antworten will.“

„Wir waren doch eigentlich das perfekte Paar und jetzt will er nicht mehr mit mir reden. Ich habe es wirklich ziemlich verbockt, oder?“

Mia starrte mit leerem Blick aus dem Fenster und hing einer Erinnerung nach, von der Flo nicht sagen konnte, wie sie überhaupt darauf gekommen war. Das perfekte Paar war in seinen Augen dann doch etwas anders gewesen. Alle paar Monate hatte einer der beiden bei ihm gesessen und Rat benötigt. Und woher kamen jetzt diese Gedanken?

„Läuft es gerade mit Tina nicht so gut?“ schaltete sich Kristina in das Gespräch mit ein, und erntete dafür einen irritierten aber vielsagenden Blick von Mia.

„Doch, natürlich ist da alles super. Sie ist eine absolut tolle Frau! Ich kann nicht nachvollziehen, wie Erik sie jemals hat abweisen können. So süß, liebevoll, zärtlich und intelligent. Okay, gelegentlich ein kleiner Dickkopf, aber das bin ich ja auch. Nein, sie ist schon echt fantastisch.“

„… aber?“

„Wieso aber? Es gibt kein aber. Mit ihr ist es wirklich sehr schön. Sie bringt so viel Wärme mit in die Wohnung. Es ist schon echt kein Vergleich zu einem Mann.“

Für einen winzigen Augenblick umspielte ein spitzbübisches Lächeln Kristinas Mund, zu dezent, um in der weinseligen Stimmung weiter aufzufallen.

„Achso, dann ist das des Pudels Wurzel? Der Mann fehlt! Du hast Glück, wir haben noch Möhren im Kübel draußen. Wenn du möchtest, kannst du eine Dicke davon haben.“

Und während Erik prustend vom Stuhl fallend die weiße Wand mit einem feinen roten Weinschleier überzog, Mia sie mit entsetztem Blick und weit aufgerissenem Mund anstarrte, steckte sich das unschuldigste und engelsgleichste Mädchen der Welt eine Gabel voll Torte in den Mund und kaute genüsslich, als habe sie keine Ahnung, was sie gerade gesagt hatte.

Fremont Rakete

Momente XII

Kamele

Kreisförmig wandern die Kiefer, kauen auf einem unbekannten Stück Irgendwas herum, während die Augenlider gleichgültig und müde auf Halbmast hängen. Teilnahmslos wandern die Köpfe von links nach rechts, betrachten die Umgebung und scheinen doch nichts davon wahrzunehmen. Nichts scheint die kleine Karawane aus der Ruhe bringen zu können, die mit schwerer Last beladen auf ihre Abfertigung wartet. Es scheint nur das hypnotische, gleichmäßige kreisen der Kiefer. Gelegentlich zeigen sich die verfärbten und schief stehenden Kamelzähne und machen das genaue Gegenteil von in der Sonne glitzern. Vermutlich haben sie das nie getan.

Die Schlange rückt einen Schritt weiter auf und die Kamele folgen ihr mit langsamem Blinzeln und schaukelndem Gang, immer noch träge kauend. Ihr Blick bleibt an einem Päckchen Kaugummi hängen und hinter den halb geschlossenen Augen rattern metaphorische Zahnräder. Sie kommen zu keinem klaren Ergebnis aber inzwischen ist die Schlange weit genug aufgerückt, dass auch sie ihre Einkäufe auf das Kassenband legen können und sie tun es mit der gleichen fast schon ignoranten Gleichgültigkeit, mit der sie schon die ganze Zeit auf ihren Kaugummis kauen.

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