Hörsaalgetuschel – Ausgabe 155.

Klimaschutz

Es war kaum auszuhalten gewesen, wie stolz die Uni im Sommer noch auf ihren Klimaschutzplan war. Jeder Busch, der auf dem Campus gepflanzt wurde, bekam von der Pressestelle seinen eigenen Zeitungsartikel, jeder gepflanzte Baum war eine Sensation und das zur Hälfte begrünte Dach des neuen Hörsaalgebäudes sowieso ein Star. Für ein gutes Lernklima auch morgen noch hallte das Motto von Bannern an Hauptgebäude und Bibliothek und es war Flo ein Rätsel gewesen, von welchem guten Lernklima man in den Waschbetonbunkern denn sprechen wollte.

Aber jetzt war der Herbst hereingebrochen und die Notwendigkeit von Klimaschutzzielen war nur noch schwer zu vermitteln. Ein eiskalter Wind zauberte weiße Ränder an die Blätter und ließ sie im ersten, viel zu spät erscheinenden Morgenlicht glitzern. Spätestens in einer halben Stunde würde der Nebel verschwunden sein, die Bäume ihre Aura verloren haben und der Raureif getaut sein. Dann würde der goldene Herbst seinen magischen Schein schon wieder verloren haben und das Leben unerbittlich weiterhin seinen Gang gehen.

Von morgendlicher Idylle konnte hier ohnehin kaum die Rede sein. Lärmende Autos, klappernde LKW und Busse, übermüdete Studierende und Dozenten, die sich in die Unigebäude schleiften während ihnen Arbeiter mit schlenderndem Gang aber stumpfen und toten Augen entgegen kamen. Baumaschinen dröhnten zwischen den Fassaden umher, irgendwo ratterte ein Presslufthammer, eine Kettensäge hielt dagegen. Und vor dem Fenster konnte man die Stadt bei ihrem ganz eigenen Klimaschutzprogramm beobachten.

Mit geübten Bewegungen tanzten Kettensägen um die Straßenbegrünung herum, eine kleine Kettenraupe vergrub ihren Schild im Erdreich. Astabschnitte endeten direkt vor Ort noch im Häcksler und landeten als Mulch in den Löchern, die noch vor Minuten ihr eigener Standort gewesen waren. Der regelmäßig gemähte Grünstreifen mit den so sorgsam gepflanzten und gepflegten Bäumen bekam gleich ein völlig neues Aussehen. Die Begrenzung der Straße, optisch, akustisch wie emotional, sie war Geschichte. Jetzt existierte nur noch das freie Feld, das Band aus flickenhaftem Asphalt und bröseligen Randsteinen. Die hellen Mulchhügel auf den Grünstreifen links und rechts davon zeigten noch die Standorte der Bäume, doch sie würden im nächsten Sommer keinen Schatten mehr spenden können, keinen Wind mehr fangen können und auch keine Früchte mehr tragen können.

Es war absurd. Flo hatte nie wirklich über diese Bäume nachgedacht, und trotzdem störte ihn die neue Ansicht. Für die Autofahrer mochte es übersichtlicher sein und aufgeräumter aussehen, aber es erschien ihm einfach falsch. Schon allein deswegen, weil die Stadt die Bebauung in diesem Stadtteil im Laufe der nächsten Jahre verdichten wollte, und dann würde es jeden einzelnen Baum dringend brauchen, um den Sommer hier erträglicher zu machen. Die Sonne würde gnadenlos alles verbrennen, was sich nicht im Schatten verstecken konnte, und die Bäume waren die besten Sonnenschirme gewesen. Vielleicht war das der neue Generationenkonflikt. Es ging nicht mehr um Traditionen und haltlose Respektsforderungen, sondern um das Umweltbewusstsein beziehungsweise das fehlende Verständnis dafür. Was sollte nur aus dieser Welt einmal werden? Vielleicht war es aber auch nur ein Bestandteil eines geheimen Masterplans zur ökologischen Aufwertung des Stadtteils.

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3 Gedanken zu „Hörsaalgetuschel – Ausgabe 155.

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