„Deutschland ist eine Innovationsnation! Wir haben kaum noch natürlich Rohstoffe, die wir fördern können, also ist unser Rohstoff Know-how und Innovationskraft. Darum ist es wichtig, dass ihr euch Mühe gebt, einen guten Abschluss erlangt und etwas Sinnvolles studiert. Deutschland braucht Ingenieure!“
So oder so ähnlich habe ich es damals nicht nur einmal in der Schule zu hören bekommen. Ich erinnere mich nur an eine Realschullehrerin, die von dieser Linie abgewichen ist und die Klasse mahnend erinnert hat: „Handwerk hat goldenen Boden.“ Daran erinnere ich mich inzwischen fast jeden Morgen, wenn ich im Badezimmer stehe und mich das Radio mit der einsetzenden Werbung daran erinnert, dass ich mal wieder zu sehr getrödelt habe. Der Werbeblock besteht hier zu einem guten Teil inzwischen nicht mehr aus „Kauf unseren Scheiß!“-Geblöke, sondern aus „Bitte arbeite für uns!“-Aufrufen.
Maschinenbauer, Tischler, Stahl- und Industriebaufirmen, Supermarktketten und Pflegeeinrichtungen wetteifern mal mehr oder weniger lautstark und kreativ um Personal. Man möchte meinen, wir hätten die Vollbeschäftigung längst hinter uns gelassen. Und vor diesem Hintergrund bekommen im Internet immer noch Leute Gehör, die im Fieberwahn predigen, „die Ausländer“ würden uns die Arbeit wegnehmen und alle nur kriminell sein? Da muss so einiges schiefgelaufen sein, aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte.
Das Werben um Arbeitskräfte beschränkt sich auch nicht aufs Radio. Genau so finden sich die Anzeigen in der Zeitung, sei es nun das Gratis-Käseblatt, was hier jeden Mittwoch im Hausflur liegt oder die Lokalzeitung. Einmal im Jahr bricht hier dann auch noch der Kleinkrieg aus und die Krankenhäuser und Pflegeheime der Region werben mit Plakatwänden und an Bushaltestellen mit dem besseren Arbeitsklima, dem höheren Gehalt oder den besseren Zusatzleistungen. Nur eines ist mir dabei aufgefallen: Niemand wirbt um Akademiker.
Erst sollten wir alle an die Uni und nun haben wir doch alle aufs falsche Pferd gesetzt?
Vielleicht, ich weiß es noch nicht. Ich weiß nur, dass man als gelernter Dachdecker, Klempner oder Einzelhandelskaufmann/-frau/-mensch (ich gebe es zu, ich kann nicht gendern. Tut mir leid!) auf der Party weniger anerkennende „Whoa“-s bekommt, als beispielsweise Mediziner oder Ingenieure. Pflegekräfte bekommen da schon eher mal mit „In dem Job würde ich ja sofort kaputt gehen“ so etwas Ähnliches wie versteckte Bewunderung. Arbeit in der Knochenmühle wird wertgeschätzt, aber machen will es trotzdem niemand.
„Klar brauchen wir Ingenieure, aber wer soll denn das alles bauen, was sich die schlauen Köpfe da alles ausdenken?“
Ich bin Teil des Problems. Meine Arbeitskraft wandert ebenso an einen Schreibtisch und nicht in die Produktion wie bei den anderen Absolventen. Ich habe mich als Handwerker versucht und beschlossen, dass ich dafür nur mäßig geeignet bin. Vielleicht war ich auch einfach viel zu optimistisch, was die Innovationsbereitschaft in Europa generell betrifft. Nicht erst seit gestern wird schließlich der große Durchbruch der Roboter prognostiziert. Durchgeführt wird er sehr viel zögerlicher als nötig.
ICE-Trassen und die darauf fahrenden Züge sind mit der nötigen Signaltechnik ausgestattet, um sie mit nur geringem Aufwand autonom fahren zu lassen. Die Sensortechnik ist inzwischen ausgereift genug, um selbst konventionellen Bahnbetrieb robotisch abzuwickeln, nur die Fahrzeuge müsste es geben. Und die rechtliche Grundlage. Wo, wenn nicht auf der Schiene, könnte man mit einem solchen System beginnen? Nirgendwo sonst sind die Anforderungen an autonomes Fahren so überschaubar wie dort. Stattdessen beklagen die Bahnbetriebe fehlende Lockführer und planen fest mit Sechstagewochen. Stattdessen erzählen mir die Lockführer selbst, wenn ich sie danach frage, dass autonomer Schienenverkehr nicht kommen wird, solange sie noch die Hakenkreuze von den Triebwagen abkratzen müssen, um auf deutschen Schienen fahren zu können. Stattdessen werden immer mehr Fahrassistenten für Autos entwickelt, welche mehr und mehr Autonomie erlauben. Kommen wird es trotzdem nicht so schnell, denn die Rechtslage ist hierbei immer noch ungeklärt.
Als ich mich damals gegen das Handwerk und für den Hörsaal entschieden habe, wusste ich davon allerdings noch nicht viel. Die Technik existierte auch einfach noch nicht. Was aber bereits existierte, waren CNC-Fräsen und Industrieroboter in unterschiedlichsten Ausprägungen. Wie schwer kann es da sein, die beiden Technologien zu kombinieren? Da braucht es noch nicht einmal die später aufgekommenen 3D-Drucker, um gesamte Produktionen automatisieren zu können. In einem handwerklichen Praktikum habe ich zu Schulzeiten noch Tage in der Werkstatt verbracht und von Hand an einem Werkstück gesägt und gefeilt, was zwar am Ende durchaus passabel war, mich aber in einer Überzeugung absolut bestätigt hat: Die Maschine kann das deutlich schneller und präziser als der Mensch.
Wir haben Technologien zur Verfügung, von denen unsere Vorfahren nicht einmal zu träumen gewagt haben. Wir haben offenbar auch den Bedarf dafür, denn ansonsten können viele Arbeiten einfach nicht ausgeführt werden. Dennoch kommt es nicht, oder nur sehr viel langsamer, als man vielleicht erwarten würde. Mich überrascht das immer wieder.
Ich vergesse immer wieder zu gerne, dass Deutschland ein digitales Entwicklungsland ist, dass „Vorsprung durch Technik“ zwar der Werbeslogan einer bekannten großen Marke hier ist, aber eben nicht viel mehr. Das Vertrauen in die Technik ist nicht da und was ich als logische Weiterentwicklung sehe, erscheint vielen eher als Dystopie. Exoskelette, welche in japanischen Krankenhäusern die Pflege schwerer Patienten erleichtern sollen, oder Roboter als Rezeptionist im Hotel werden als gruselige Kuriosität aus einem fernen und fremden Land präsentiert. Roboter im Gesundheitssystem gibt es zwar auch bei uns, aber nur im OP und nicht in der Pflege.
Die Anzeigen und Werbeclips, in denen „junge und dynamische Teams“ nach neuen Kollegen suchen, werden mich also noch eine Weile begleiten, bis der Druck irgendwann vielleicht doch so groß ist, dass auch unsere Systeme auf den Stand der Technik gebracht werden. Aber was das alles an Entwicklungen mit sich bringen wird, steht auf einem ganz anderen Blatt. So oder so stehen wir vor großen Herausforderungen.