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Hörsaalgetuschel – Ausgabe 165.

Ein Witz

„Okay, das meint er nicht besonders ernst, oder? Das ist ein Witz.“

Flo wusste nichts mit der Nachricht anzufangen, die Steffi ihm gerade geschickt hatte. Wer sollte was nicht besonders ernst meinen und wieso ging es überhaupt worum? Sie erwischte ihn gerade dabei, wie er sich vor seiner Arbeit drückte und teilnahmslos an seinem Schreibtisch hing. Und ganz abgesehen davon war es eine Weile her, dass sie sich bei ihm gemeldet hatte. Es musste also etwas Wichtiges sein. Etwas, was eine Nachfrage durchaus wert war. Ihre Antwort war im ersten Moment etwas ernüchternd.

„Check deine Mails“

Sein Mailprogramm lief permanent im Hintergrund. Allerdings überwachte es nur seinen Hauptaccount und vernachlässigte einen ganzen Blumenstrauß von Nebenadressen. Die liefen über seinen Laptop, der neben ihm schlummerte und dem er sich nun zu wandte.

„Was zur Hölle…?“

Er verstand sofort, woher ihr Unglauben kam, als er die ersten Zeilen der Mail überflog.

„Hallo Frau Stephans und Herr Naseweis,

hätten Sie gegebenenfalls Interesse daran, im kommenden Semester ein Tutorium zu leiten? Ich bin auf der Suche nach Interessenten für das neu entstehende Tutorium zum Bachelor Kurs …“

Flo wusste, dass man einen Job an der Uni angeboten bekommen konnte, wenn man durch besondere Leistungen aufgefallen war. Aber er war immer im Glauben gewesen, dass man dafür auch wirklich außerordentlich gut sein musste. Die Arbeit, die er aber vor einem halben Jahr mit Steffi gemeinsam bei diesem Dozenten abgegeben hatte, war wahrlich keine Glanzleistung gewesen. Sie hatten viele Fehler gemacht und diese nicht mehr korrigieren können. Natürlich war das ein oder andere auch im Bericht aufgeführt worden, aber ansonsten hatten sie die gute Note nie nachvollziehen können. Das Fach hatte bei ihnen beiden zu den schwächeren gehört und auch der Bachelorkurs damals war nicht gut gelaufen. In seinem Kopf kreiste die gleiche Frage, die Steffi impliziert hatte.

Wie um alles in der Welt waren sie in die engere Auswahl gekommen?

Was sie zu diesem Zeitpunkt beide noch nicht wussten, war, dass sie nicht nur in der engeren Auswahl waren. Sie gehörten zu den Ersten, die überhaupt angefragt wurden, und es war ganz sicher kein Witz. Manches Mal brauchte es vielleicht einen kleinen Stoß, aber sie waren sich beide einig. Es könnte eine interessante Herausforderung sein. Viel mehr noch, es könnte eine wertvolle Übung sein. Definitiv war es sinnvoll, die genaueren Konditionen zu erfragen. Morgen würden sie beide in der Uni sein. Die perfekte Gelegenheit, einmal beim Dozenten anzuklopfen.

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Hörsaalgetuschel – Ausgabe 153.

Arbeitskreise

In einem nicht weiter genutzten aber geräumigen Büro am Campus trafen sich mit einer gewissen Regelmäßigkeit eine Gruppe von Studierenden, um den Tag ausklingen zu lassen und über einen bunten Blumenstrauß an Themen zu diskutieren oder gemeinsam einen Film auf dem im Raum verbliebenen Beamer anzusehen. Ein besonderes Hobby des kleinen Filmclubs war es, Filme zunächst ohne Ton anzusehen und zu versuchen zu erraten, worum es überhaupt ging. Alternativ gab es Filme in Sprachen, die keiner der Anwesenden beherrschte.

Einer dieser Studenten war Flo. Nadja hatte ihn irgendwann mit hierhin gebracht und seitdem gehörte er irgendwie dazu, ohne dass es jemand explizit erwähnt hätte. Mal war er dabei, mal hatte er keine Zeit, mal brachte er den Tee mit, die Kekse, die Schokolade, oder jemand anders war dran. Die Interessengemeinschaft mochte nicht organisiert sein, aber sie funktionierte irgendwie.

Da ein Großteil der Gruppe ebenfalls Mitglied im Referat für Ökologie und Nachhaltigkeit der Universität war, fielen viele Filme, Diskussionsthemen und Aktionen in diesen Bereich. Flo sah keinen Grund, wieso er sich nicht daran beteiligen sollte. Er war zwar kein Mitglied im Referat, aber wenn er schon einmal da war, dürfte es doch niemanden stören. Er war halt da, und das war okay so, also konnte er sich auch nützlich machen. Und da er nicht einmal Mitglied war, gab es auch keinerlei Verpflichtungen für ihn. So jedenfalls sah er das.

Doch es sollte der Tag kommen, an dem die Diskussion über die Pflege der Streuobstbäume an der Uni eine Richtung einschlug, der er nicht mehr ganz folgen konnte.

„Wir hatten das ja bereits abgesprochen. Nächste Woche bekommen wir vom technischen Betrieb die Hebebühne, dann können wir die Reste von den Bäumen noch abernten, bevor sie Frostschäden bekommen. Es haben sich nur kaum Freiwillige auf die Mail hin gemeldet. Wenn ihr also vielleicht noch ein paar Leute finden könntet, dann wäre das super.“

Nadja sah erwartungsvoll aber eindringlich in die Runde, stieß auf vielfaches Nicken, aber von Flo kam nur ein verständnisloser Blick.

„Wann wurde das denn besprochen? Ich habe davon bisher nichts mitbekommen. Dienstag und Mittwoch kann ich natürlich helfen, da hat Kristina sowieso Spätschicht, aber welche Mail meintest du?“

„Doch, natürlich weißt du darüber Bescheid. Ich habe doch extra dafür eine Mail herumgeschickt. Hast du die nicht bekommen?“

„In welchem Verteiler hast du die denn verschickt? Referat Öko oder Filmclub?“

„Na Ref Öko.“

„Dann ist es klar, da bin ich doch überhaupt nicht drin!“

„Wieso bist du da nicht drin? Ich trag dich da gleich mal mit ein. Aber wieso bist du da nicht drin? Ich dachte, die Liste wäre vollständig.“

„Das kann ja sein, aber ich bin doch überhaupt nicht im Ref Öko. Ich bin doch immer nur als Gast dabei.“

„So ein Quatsch, natürlich bist du im Ref Öko. Du bist doch immer da und machst mit, mehr als die meisten anderen Mitglieder. Und schließlich sind wir alle davon ausgegangen, dass du eh längst in der Liste stehst. Du bist jetzt also dabei und gut ist.“

Und so war es gekommen, dass Flo ein gutes Jahr lang in einem studentischen Arbeitskreis involviert war, ohne davon etwas zu wissen. Es war faszinierend, wie planlos und unkoordiniert er durch sein Leben ging. Gelegentlich fragte er sich, wie er es überhaupt durch sein Studium schaffte. Aber irgendwie ging es immer gut, selbst wenn jetzt etwas mehr Arbeit auf ihn zukommen konnte.

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Hörsaalgetuschel – Ausgabe 151.

„Durch“

„Guck dir das an, der Verlag heißt Friedrich Pustet. Was pustet er denn? Hat er sich verbrannt? Oder hat er eine Pusteblume gefunden?“

Flos hysterisches Lachen schien seine tiefen und dunklen Augenringe fressen zu wollen und endete dabei eher in einem seltsamen Paarungstanz mit ihnen. Der Name seiner Quelle allein hatte ausgereicht, ihn völlig aus der Fassung zu bringen. Von Erik erntete er dafür nur einen irritierten Blick über den Rand der Lesebrille, die er seit Neuestem hatte. Aber Erik hatte gut reden. Sein Weg zur Bibliothek war sehr viel kürzer und außerdem war er heute wie auch die letzten Tage erst über eine Stunde später als Flo gekommen und zusätzlich noch früher wieder gegangen. Es half dennoch nichts, die Hausarbeit musste fertig werden.

Erik nahm seine Brille ab, massierte sich intensiv die Augen und platzierte das Gestell mit einer theatralischen Geste wieder auf der Nase. Eine schrecklich übertriebene Aktion, wie Flo fand. Insgeheim war er sowieso der Meinung, dass Erik die Brille nur hatte, um damit besser auszusehen und Leute vorwurfsvoll über den Rand hinweg ansehen zu können. Ebenso insgeheim musste Flo zugeben, dass ihm beides erschreckend gut gelang. Würde er die interessierten Blicke bemerken, die ihm immer wieder zugeworfen wurden, er würde vermutlich noch eingebildeter wirken, als sowieso aktuell. Seine sture, allgemeine Lustlosigkeit und Gleichgültigkeit, gepaart mit der trotzigen Haltung und kurz angebundenen Sprache ließen ihn ohnehin bereits sehr von sich eingenommen wirken. Dabei war es eher der Kampf mit sich selbst, nicht in ein tiefes emotionales Loch zu fallen. Es fehlte ihm einfach etwas.

Flo fehlte auch etwas, aber im Gegensatz zu Erik konnte er genau sagen, was das war. Schlaf, Zeit, Ruhe und etwas Vernünftiges zu essen. Seit inzwischen zwei Wochen saß er an der Hausarbeit, die inzwischen schon seit einer Woche fertig sein sollte. Eigentlich sogar schon viel länger, aber es war ihm so vieles dazwischen gekommen und die Arbeit, welche er mit Erik gemeinsam als Teamarbeit schrieb, war immer weiter nach hinten gerutscht und in Verzug geraten. Jetzt war der Zeitpunkt erreicht, wo nicht mehr geschoben werden konnte. Seit Tagen saßen sie in der Bibliothek, Stunde um Stunde, über Büchern, Artikeln und die Tastaturen gebeugt. Und wenn er dann einmal zuhause war, verbrachte er noch immer einige Stunden am Rechner, während Kristina schon in aller Seelenruhe schlief. Er beneidete sie um ihren Tag und ganz besonders um ihren Feierabend.

Langsam aber sicher forderte dieses Verhalten seinen Tribut. Zu wenig Schlaf, unregelmäßige Mahlzeiten, Stress und keine Möglichkeit, ihn für eine Weile beiseitezuschieben. So etwas nannte sich Semesterferien, auch wenn diese streng genommen inzwischen seit einer Woche vorbei waren. Die Klausurwoche zu Semesterbeginn lief inzwischen und entsprechend voll war es in den Lernräumen. Von den drei Klausuren, die er eigentlich hatte schreiben wollen, hatte er zwei bereits vor Wochen aus dem Lernplan streichen müssen. Alle erzählten ihm immer, wie schön doch das Studium sei, besonders die Alten, und dass er es ja genießen sollte. Die Handwerker auf der Straße sahen ihm missbilligend nach, wenn er um halb zehn aus dem Zug ausstieg und er beneidete sie im Stillen um ihren Feierabend, den sie hatten, wenn er sich eine Mittagspause erlaubte.

Jetzt löste sich das Problem von ganz alleine, indem sein Gehirn das Spiel nicht mehr mitspielen wollte. Wegen alberner Kleinigkeiten hysterisch kichernd saß er vor seinem Rechner, unfähig noch einen sinnvollen Satz zuwege zu bringen. Auch wenn er selbst den Großteil der Arbeit bisher geschrieben hatte, würde Erik ihm dennoch Vorhaltungen machen, wenn er ihn jetzt alleine ließ. Die Genugtuung konnte er ihm unmöglich gönnen. Er sammelte seine Kraftreserven, raffte Konzentration zusammen und bemerkte, dass Erik mit allem Möglichen beschäftigt war, nur nicht mit der Hausarbeit. Von der Hoffnung auf eine gute Note hatte er sich schon vor einer Weile verabschiedet. Nun aber zersplitterte seine Zuversicht gänzlich. Hauptsache irgendetwas abgeben, um sich wenigstens selbst einreden zu können, man habe es ja versucht.

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