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Hörsaalgetuschel – Ausgabe 142.

Das Klischee klopft an

Auch wenn die Bibliothek der Uni recht gut ausgestattet war, stieß auch dieses Sortiment einmal an seine Grenzen. Und genau diese Grenzen hatte Flo erreicht, indem er eine Vorlesung belegt hatte, die ein Buch benötigte, was in der Bibliothek nicht verfügbar war. Es blieb nur die Möglichkeit, es zu kaufen, und das glücklicherweise zu einem recht niedrigen Preis. Und um den lokalen Markt etwas zu unterstützen, entschloss er sich, von seiner gewohnten Route abzuweichen und das Buch im Buchhandel an der alten Uni zu besorgen.

Offenbar stand er allerdings vor dem falschen Regal, denn nichts, was er hier sah, war ungefähr das, was er suchte. Ähnliche Titel und andere Ausgaben des Buches, ungünstigerweise auch noch zum wenigstens fünffachen Preis. Das war es ihm beim besten Willen nicht wert. Aus dem Augenwinkel sah er einen unscheinbaren Stapel, der genau nach dem aussah, was er eventuell suchen könnte. Doch dann betrat das Klischee den Laden und er hielt sich lieber mit offenen Ohren im Hintergrund.

Die alte Uni war die Bastion der Paragrafenritter und Rechtsverdreher, der Hauptsitz der Juristen. Regelmäßig fand man einzelne Exemplare von ihnen auch auf dem Campus und an der Zentralbibliothek, die Meisten aber blieben hier versammelt, in ihrem ganz eigenen Mikrokosmos. Vielleicht würde dieses Exemplar hier sogar in der Masse untergehen, in Flos Wahrnehmung aber stach er wie ein bunter Hund heraus. Segelschuhe, Stoffhosen mit Bügelfalte, Poloshirt mit aufgestelltem Kragen, der perfekte Rahmen für die blonde Mähne. Und als er den Mund aufmachte, klangen seine Worte derart gestelzt, dass Flo sich tatsächlich zusammennehmen musste.

„Guten Abend. Ich würde gerne meine letzten Nachlieferungen bezahlen.“

Soviel hatte Flo bereits mitbekommen. Spätestens alle halbe Jahre gab es eine neue Ausgabe der Gesetzestexte und damit einhergehend eine Nachlieferung über die veränderten Passagen zum selbst auswechseln. Über ein praktisches Abomodell konnte man so automatisch die Nachlieferungen beziehen und immer die aktuellen Gesetze zur Hand haben. Er hätte allerdings nicht erwartet, dass man nachträglich in den Buchhandel gehen konnte, um vor Ort zu bezahlen. Doch hier stand der feine Herr und wollte die Rechnung begleichen. Nur, dass er keine dabei hatte. War das nicht im Register irgendwo vermerkt?

Natürlich war alles im Register vermerkt. Es brauchte nur einen Namen, um daran zu kommen. Und dieser Name passte so gut zum Auftreten und dem Studiengang, dass sich vermutlich das Klischee höchstselbst schämte.

„Von Schönwald, Maximilian.“

Natürlich reichte ein einfacher Max nicht aus, es musste die lange Version sein. Ob er sich auch mit diesem Namen von seinen Freunden ansprechen ließ? Flo konnte es sich fast vorstellen. Und dann dazu auch noch dieser erschrockene Ausruf, als er erfuhr, dass er noch ganze vier Nachlieferungen offen hatte. Der Preis dazu war für das bisschen Altpapier geradezu unverschämt, doch Maximilian von Schönwald zückte die Karte, mit der er das schon immer erledigt hatte, ohne sich von seinem entspannten Lächeln abbringen zu lassen. Wenn Flo es sich recht überlegte, dann konnte man dieses entspannte Lächeln auch als überheblich interpretieren. Dafür bräuchte es vielleicht etwas Fantasie, aber es würde noch besser ins Klischee passen. Ein solcher Overkill wäre allerdings einfach zu viel des Guten.

Der Stapel, den er noch aus dem Augenwinkel gesehen hatte, beinhaltete genau das Buch, nach dem er gesucht hatte. Und das auch noch in allen erdenklichen Abwandlungen und Ausgaben. Jetzt, wo der beste Teil der Sondervorstellung des werten Herrn von Schönwald aufgeführt worden war, brauchte er sich auch nicht mehr zurückzuhalten. Er griff das Objekt seiner Begierde und löste Maximilian von Schönwald an der Kasse ab.

Mit einem verhaltenen Grinsen im Gesicht bezahlte Flo das Buch, wegen dem er gekommen war, als das Kontrastprogramm den Laden betrat. Ein verschlafenes Mädchen in zerknittertem Jogginganzug und dicken Gesetzestexten unterm Arm schlurfte herein. Weswegen genau sie kam, hörte Flo schon nicht mehr. Er war bereits wieder auf dem Heimweg. So überspitzt und karikierend Klischees auch immer waren, sie hatten immer auch einen wahren Kern irgendwo, ähnlich wie Fabeln. Allerdings war er selten auf ein Exemplar gestoßen, wo es dermaßen ausgeprägt war. Das Erlebnis faszinierte ihn zutiefst.

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