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It‘s the end of the world as we know it

It‘s the end of the world as we know it

 

Es ist so weit, die Apokalypse ist offiziell angekündigt. Das System ist zusammengebrochen und hat sich abgemeldet. Okay, nur das duale System. Jahre der Umwelterziehung fallen einer Krise zum Opfer, die sich den meisten Menschen in erster Linie durch Massenhysterie um ausverkauftes Klopapier bemerkbar macht. Die lokalen Stadtreiniger kürzen alles zusammen und leeren ab sofort nur noch den Restmüll. Wer keinen eigenen Kompost auf dem Balkon hat, möge ihn bitte im Restmüll entsorgen, auch die Papiertonnen werden auf unbestimmte Zeit nicht mehr abgefahren, Wertstoff- und Recyclinghöfe bleiben ebenso geschlossen.

Die Krise hat Deutschland fest im Griff. Schulen und Kindergärten sind genau so geschlossen wie die Konsumtempel. Bei bestem Frühlingswetter sollen die Menschen motiviert sein, sich in ihre vier Wände zurückzuziehen, nur die nötigsten Ausflüge zum Supermarkt oder Arzt zu unternehmen, nach Möglichkeit von zuhause aus zu arbeiten, um keine Kollegen zu infizieren und grundlegende Hygieneregeln wie Händewaschen zu beachten. Treffen mit Freunden? Lieber nicht, und wenn nötig, bitte nur in kleinen Gruppen und mit ausreichend Abstand.

Flatten the curve! Streckt die Neuinfektionen über eine möglichst lange Zeit, damit das Gesundheitssystem es auch auffangen und bearbeiten kann. Und über allem schwebt, bzw. fällt inzwischen das Damoklesschwert der Ausgangssperre als letztes Mittel der Politik, der Situation noch, wenn schon nicht Herr, dann wenigstens aber doch Lehrling zu werden.

Die Leute lassen sich davon kaum abhalten. Solange die Cafés geöffnet sind, sitzen sie auch voll. Nur langsam nimmt der Abstand zwischen den Passanten zu und nur langsam nimmt die Zahl derer ab, die sich dazu entschließen, das Wetter mit Freunden, Verwandten und Bekannten im Park zu verbringen. Immerhin ist doch fast perfektes Wetter zum Grillen. Was fällt Mutter Natur auch ein, da einen Strich durch die Rechnung machen zu wollen? Es wirkt beinahe trotzig, wie etliche Leute sich nun in Gruppen in der Sonne sammeln.

Einige halten sich trotzdem an die Aufforderung, zuhause zu bleiben. Wenigstens haben sie ihre eigene Interpretation dessen, was gefordert wird. Mit Hamsterkäufen und allem was dazu gehört. Auf dem Heimweg von der Arbeit kann man die Ströme von Menschen beobachten, die Massen an Lebensmitteln aus den Supermärkten schleppen. Bei den meisten ist der Blick eher nach innen gekehrt. Nur die, die noch eine Packung Klopapier ergattert haben, gucken irgendwie eher beschämt.

Aus der Fußgängerzone schallt das Rattern der Skateboards. Eine Gruppe Jugendlicher nutzt die Schulsperrung, um dieses Hobby noch einmal aufleben zu lassen. Noch ist die Ausgangssperre schließlich nicht in Kraft getreten. Viele Passanten machen dennoch lieber einen Bogen um die kleine Gruppe, die sich um Bluetooth Box und Palette Energydrinks in Dosen versammelt hat. Ein altes Ehepaar schüttelt verständnislos die Köpfe darüber, bevor sie sich zu ihren Freunden ins Café setzen. Zwei Radfahrer rauschen vorbei. Sie sind offensichtlich nicht auf dem Heimweg von der Arbeit oder zum Einkaufen, sondern nur auf Spazierfahrt unterwegs.

Eine Querstraße weiter staut sich der Verkehr hinter einem Lastwagen, der gerade seine Baustelle beliefert. Die Arbeiter können auf Mindestabstände hier keine Rücksicht nehmen und auch der Innenausbau ist im Homeoffice kaum zu realisieren. Spaß an der Arbeit sieht bei den meisten anders aus. Einzig der König der Baustelle in seinem Kran und der LKW Fahrer gucken, als würden sie das Wetter genießen können. Wobei der Kranfahrer sich auch über sein Pausenbrot freuen könnte, welches er gerade mit einem Bier hinunter spült. Natürlich alkoholfrei! Nicht, dass ich das von hier unten erkennen könnte, aber ich unterstelle es ihm. Denn Arbeitssicherheit gilt immer noch, da wird im Kran bitte nicht gesoffen.

Von dort oben kann er sicherlich auch in den Innenhof im übernächsten Block gucken. Die Abendsonne scheint jedenfalls eifrig hinein, spiegelt sich in einigen Fenstern und wird von den zahlreichen offenen Balkontüren geschluckt. Die ersten Blumenkästen sind bunt geschmückt, Balkonmöbel werden raus gestellt und irgendwo tönt R.E.M. aus einer Wohnung. It‘s the end of the world as we know it hallt durch den offenen Hof auf die Straße, auf einzelnen Balkonen wird getanzt. Es hat etwas von Urlaubsstimmung. In der oberen Etage wirft jemand eine Bierflasche über die Ecke auf den benachbarten Balkon. Sein Freund versucht sie mit einem Kissenbezug zu fangen. Man hört das Reißen des Stoffs, bevor die Flasche dumpf auf dem Balkon zerschellt. Ich höre nur noch das Fluchen, als ich um die Ecke verschwinde.

It‘s the end of the world as we know it and I feel fine begleitet mich auf den Metern bis zum letzten Supermarkt vor der eigenen Haustüre, und irgendwie scheint es das passende Motto der Krise zu sein. Eines ist hier sofort deutlich: Es gibt noch Toilettenpapier! Wein in Tetrapacks, Konservendosen und Klopapier, das dominiert hier das Bild der Einkaufstüten. Die Prioritäten sind klar gesetzt.

Die Kassiererin sitzt hinter einem improvisierten Spritzschutz aus Bilderrahmen und Folien, an der Türe begrüßt mich der Hinweis, bitte mindestens 1,5 m Abstand zu anderen Kunden zu halten und mit Karte zu zahlen. Alles, was mir noch fehlt, sind Kartoffeln und Paprika. Dafür sollte es doch heute noch reichen. Selbst in der Ausgangssperre darf man sich schließlich mit frischen Lebensmitteln versorgen. Vielen scheint das nicht so ganz bewusst zu sein.

Was mich am Ende am meisten beunruhigt, ist, dass ich meine Umgebung nicht verstehen kann. Da sind einerseits die völlig Sorglosen, denen alles egal zu sein scheint, die sich über die Grippewelle vermutlich sogar etwas freuen.Und auf der anderen Seite die Hamsterkäufer und Hysteriker, die sich mit Vorräten für Jahre eindecken, um zwei bis drei Wochen in ihrer Wohnung verschwinden zu können. Wo ist das gesunde Mittelmaß geblieben? Achtsamkeit und Rücksicht auf seine Mitmenschen, Einhaltung der Basishygiene, Gelassenheit und ruhiges Abwarten.

Tut es wirklich so weh, einmal nicht mit den Kollegen im Büro zu kuscheln, auf die dritte Party in dieser Woche zu gehen und sich mit fremden Menschen in viel zu kleine Straßencafés zu quetschen um teuren Kaffee zu schlürfen? Ist es wirklich unzumutbar, darauf hinzuweisen, medizinische Notfallausrüstung auch für medizinische Notfälle verfügbar zu halten und nicht literweise Desinfektionsmittel zu horten? Offenbar ist das zu viel verlangt! Und wenigstens fürs Erste haben R.E.M. recht und es ist wirklich das Ende der Welt, wie wir sie kennen. Aber das war noch nie etwas Neues. Es ändert sich immer wieder alles und ein neues „Normal“ stellt sich ein. Wenigstens bis im Sommer die nächste Hitzewelle kommt und den nächsten Ausnahmefall mit bringt. Und gegen Hitze hilft Klopapier genau so gut, wie gegen Grippe. Wenigstens ist Hitze nichts ansteckendes, ihre Opfer dafür umso abstrakter.

Bleibt gesund!!

Geoengineering – Moin Senf

Nachdem es hier in letzter Zeit eigentlich nur noch um den Garten ging wird es allerhöchste Zeit für eine kleine Abwechselung. Mir begegnen in letzter Zeit vermehrt wieder Artikel zum Thema Geoengineering, und ich frage mich wieso? Warum ich bei diesen Berichten immer etwas skeptisch bin möchte ich euch in einem kleinen Beitrag gerne erläutern.

Habt ihr euch schon einmal mit dem Thema befasst? Wie ist eure Meinung dazu? Diskutiert gerne mit und vielleicht kann mich ja sogar jemand umstimmen.

Riesige Spiegelflächen im Orbit, die einfallendes Sonnenlicht in den Weltraum reflektieren, künstlich angelegte Wälder in den Wüsten dieser Welt, in der oberen Atmosphäre verstreute Aerosole, welche künstlich Wolken und damit Regen entstehen lassen sollen oder Ozeane voller Algenplantagen, in denen CO2 gebunden werden sollen. Alle diese Maßnahmen zählen zum Themenkomplex des Geoengineerings. Darunter versteht man die Beeinflussung des Weltklimas durch groß angelegte technische Maßnahmen. Der Mensch hat den Klimawandel maßgeblich verursacht, also soll er ihn auch wieder beseitigen, ist dabei die Devise. Die meisten Entwürfe setzen dabei beim Entfernen großer Mengen CO2 aus der Atmosphäre an.

Der Gedanke ist naheliegend. Immerhin ist es auch aus Sicht des Weltklimarates (IPCC) nicht mehr möglich, das 2-Grad-Ziel nur durch Klimaschutzmaßnahmen einzuhalten. Emissionen einsparen allein reicht also nicht mehr aus, um unser Wohlfühlklima zu retten. Aktiv werden müssen wir so oder so, es stellt sich nur die Frage, wie wirkungsvoll wir sein können.

Aber genau wie das vor einigen Jahren sehr emotional diskutierte Verfahren des Abscheidens und Untertageverbringen von CO2 bergen diese Methoden nicht kalkulierbare Risiken. Auch wenn die Klimaforschung weiterhin große Fortschritte erzielt, verstehen wir immer noch viel zu wenig über die Prozesse unseres Klimasystems, um die Folgen solcher Eingriffe zuverlässig abschätzen zu können.

Ganz abgesehen davon ist die wirtschaftliche Komponente nicht zu verachten, denn ob es nun um die Bewässerung und Düngung von Bäumen in der Wüste, die Bewirtschaftung von schwimmenden Farmen im Ozean, die Installation von Spiegeln im Weltall, CO2-Abscheidern oder das Ausbringen von Aerosolen in der Stratosphäre geht, in jedem Fall kostet es Geld. Wer will das bezahlen? Wer KANN das bezahlen? Die Kosten für solche Eingriffe liegen wenigstens im Milliardenbereich.

Und selbst wenn die Finanzierung stimmt, geht es um eingriffe, die das Klima und unsere gesamte Umwelt auf Generationen hin bestimmen werden. Wie stellt man sicher, dass man nicht langfristig einen größeren Schaden als einen Nutzen erzeugt?

Das Verbrennen fossiler Brennstoffe wie Kohle, Öl und Gas war auch einmal nicht nur das „kleinere Übel“, sondern der große Wurf, der alles besser machen sollte. Auch wenn es bereits Veröffentlichungen aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg gibt, die eine Klimawirksamkeit der Verbrennung von Kohle auf globalem Maßstab festgestellt haben, dauerte es seine Zeit, bis die Erkenntnis allgemein etabliert war. Wobei es selbst heute noch Menschen gibt, in deren Augen die Naturgesetze offenbar keine Gültigkeit besitzen.

Kritiker befürchten, dass eine Einführung von Geoengineeringmaßnahmen zur Folge haben wird, dass dies von der Industrie als Freifahrtschein gesehen werden könnte, Emissionen ungehindert in die Atmosphäre einzubringen. Schließlich könnten sie ja jederzeit wieder herausgefiltert und anderweitig entsorgt werden können.

Ein weiteres Argument gegen beispielsweise die Verpressung von CO2 in geologische Speicher ist der „überragende Erfolg“ von vermeintlich sicheren Atommüllendlagern. Bislang konnte auf der Erde keine einzige geologisch zuverlässig stabile Situation ausgemacht werden, die als Endlager brauchbar wäre. Für das flüchtige CO2 werden noch größere Probleme erwartet. Eine Verkippung von mühsam produziertem Holz oder sonstiger Biomasse untertage ist schon allein aus wirtschaftlichen Gründen nicht vorstellbar.

Dabei wäre genau das notwendig, denn die Rechnung ist eigentlich einfach. Material wurde aus einem stabilen fossilen Zustand in den atmosphärischen Kreislauf eingetragen und ist hier nun aktiv. Um den Effekt dauerhaft zu bekämpfen muss dieses Material wieder aus dem Stoffkreislauf entfernt und gebunden werden. Die Alternative ist ein verändertes System mit einem neuen Gleichgewicht, und auch wenn die Erde selbst damit kein Problem haben wird, es zeichnet sich doch ab, dass wenigstens der Übergang in dieses neue Gleichgewicht für uns Menschen nicht angenehm wird.

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Regelt das schon: Die Natur. Hier bei der Arbeit in einem alten Steinbruch und schwer beschäftigt, sich um sich selbst zu kümmern. Macht ja schließlich sonst keiner.

StadtGartenSchau – Teil 8. – Eröffnung

Eine Woche liegt die Eröffnung jetzt bereits zurück und so langsam bügeln sich die ersten Kinderkrankheiten aus. Wir haben nicht an alles denken können, manches war auch nicht perfekt organisiert, und die ersten geplanten Aktionen liegen auch bereits hinter uns. Die Fläche wächst und entwickelt sich Stück für Stück. Und das wichtigste, es gibt Feedback und Reaktionen. Aber nun erst einmal zurück auf Anfang.

Letzte Woche Donnerstag war der große Tag, an dem sich erstmalig die Pforten für die Besucher öffnen sollten. Bis spät in die Nacht hinein wurde noch an den zahlreichen Baustellen gearbeitet, am Donnerstag selbst noch bis 9 Uhr morgens asphaltiert. An allen Ecken und Enden der Protest, man habe ja so lange nicht arbeiten können, weil alles noch gefroren war und der späte Frost einem die Arbeit erschwert habe. Das mag stimmen, denn wir waren für eine lange Zeit im Winter tatsächlich die Einzigen, die unerbittlich weiter gemacht haben. Mit Spitzhacke und Spaten sind wir los gezogen, weil der Sand zu dicht gefroren war, um mit der Schaufel allein etwas zu erreichen. Aber wir haben es geschafft. Was wir schaffen konnten und wollten haben wir erreicht.

Am großen Tag war dann dafür erwartungsgemäß sehr viel los. Neben einer Armee aus Pressevertretern schob sich eine wenigstens genau so große Armee aus Uniformen umher. Immerhin hat sich der, ganz in der Tradition seiner Vorgänger, durch die Demokratie leicht behinderte Prinzregent der Provinz im Südosten des Reiches angekündigt. Schließlich hat die königliche Schatzkammer das Unterfangen durchaus großzügig unterstützt. Beinahe schon im Hintergrund verschwindet da die anwesende lokale Politprominenz und andere geladene hohe Tiere.

Der Vorteil an Metaphern ist, dass sie nicht wörtlich zu nehmen sind. So ragen hohe Tiere nicht, wie etwa eine Giraffe oder ein Elefant, über die Masse hinaus, sondern können sich gut getarnt und unerkannt darin bewegen, wenn sie es denn wollen und jemand anwesend ist, der die größere Aufmerksamkeit auf sich lenken kann. Zur festlichen Eröffnung aber versammelt sich natürlich alles am gleichen medialen Wasserloch, sprich der Hauptbühne.

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Wirklich zuhören möchte niemand, aber es gehört halt dazu. Und eigentlich ist es ja auch egal, wer da vorne nun eigentlich steht, solange man am Ende brav applaudieren kann und sich über ein paar nette Worte freut. Dafür entschädigt ein wirklich fantastisches Wetter für eventuell entstandene Unannehmlichkeiten.

Und wie bei alle Eröffnungszeremonien wird natürlich auch bei einer Landesgartenschau keine Ausnahme gemacht. Viele große Worte des Lobes und der Dankbarkeit an beteiligte, einige mal mehr und mal weniger nette Anekdoten aus gut 100 Jahren Geschichte des Geländes. Ab und an gibt es Musik und natürlich muss auch der Prinzregent seine Bewunderung für die Arbeit ausdrücken, von deren Qualität er sich auf einem intensiven Rundgang in den 5 Minuten seit seiner Ankunft natürlich restlos überzeugen konnte sowie seine innige Verbundenheit zur Region und der hiesigen Faschingstradition. Es ist ein Zirkus der niemals still steht.

Eine Randerscheinung, die in den großen Reden beinahe untergegangen wäre, war die Vorstellung des Geländes. Die großen Themenbereiche wurden jeweils kurz vorgestellt im Sinne von wo sie zu finden sind, und was sie ausstellen. Die Gärten von morgen zeigen, wie wir in Zukunft leben können. Der Wiesenpark läd zum verweilen und die Sonne genießen ein. Der alte Park ist ein Relikt aus den Zeiten, als hier noch eine amerikanische Kaserne stand. Und völlig unscheinbar, mitten darin versteckt aber dennoch deutlich ausführlicher, der Hinweis auf ein einzelnes Projekt. Eine UrbanGardening Fläche, wo junge Leute aus der Uni und der Stadt gemeinsam auf achtzehnhundert Quadratmetern eine Vielzahl an Inspirationen und Anregungen geschaffen haben. Im allgemeinen abschweifenden Geplauder geht der Hinweis beinahe unter, löst aber dennoch Verwunderung aus. Beispielsweise bei mir, der nicht damit gerechnet hätte, so hervorgehoben zu werden.

Und schon tummeln sich einige tausend Menschen auf der ganzen Ausstellung und können das Ende der Zeremonie nicht einmal abwarten. Schnell zeigt sich, in welchen Bereichen sich die Menge eher verteilt und wo es die Leute hin zieht. Und auch, was die Leute sehen wollen. Es ist egal, dass vor nicht einmal zwei Wochen noch Schnee gelegen hat, denn heute scheint die Sonne und die Leute wollen Blumen sehen. Dabei ist nicht von Bedeutung, ob sie aus dem Gewächshaus kommen, durch Magie gezeugt wurden oder schon im Schnee blühen würden. Die vereinzelt am Rande blühenden Tulpen werden geringschätzig begutachtet und auch das zarte Grün frisch gekeimter Pflänzchen ist nicht, was erhofft wurde. Da hilft alles nichts, es gibt offene Enttäuschung.

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Noch sind viele Flächen wenig grün und dafür um so kahler, aber das ändert sich bereits kräftig. Die Natur nutzt die Wärme und die Sonne mit aller Macht.

Aber natürlich gibt es auch Leute, die verstehen, wie die Natur funktioniert und die ausreichend Fantasie mitbringen, um aus dem zarten Grün der jungen Keimlinge einige Wochen in die Zukunft zu projizieren. Es gibt jene, die gerade Linien und scharfe Kanten bevorzugen und solche, für die es kaum etwas tolleres gibt als organische Formen und vielfältig lebendiges Stück Grünanlage. Denn auch wenn wir noch keinen Wald aus Grünpflanzen vorweisen können, die Tiere lassen sich davon nicht bremsen.

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Ein paar bunte Blumen können wir dann doch noch anbieten und diese werden auch wohlwollend wahr- oder angenommen. Aber das gilt eigentlich für alles.

Überall summt und schwirrt es. Die meisten Besucher bekommen es kaum mit, so eilig sind die Bienen unterwegs. Auch die Vögel zeigen bereits Interesse an unserer Ausstellung. Gestern Abend waren wir noch alle überrascht und begeistert, dass sich eine Meise bereits einen der Nistkästen näher angesehen hat, heute morgen findet sich bereits das erste Material zum Nestbau im Eingangsloch und jetzt steht bereits der erste Besucher da, nimmt voller Neugier den Kasten von der Wand und öffnet ihn. Vor lauter Fassungslosigkeit hat niemand schnell genug reagieren können um ihn davon abzuhalten.

Auch die Insektenhotels werden teilweise etwas zu neugierig begutachtet. Es ist ja immerhin eine GartenSCHAU, da will man wohl auch etwas ansehen können. Und wir haben nicht damit gerechnet, dass die Ausstellung ja auch so interpretiert werden könnte. Es braucht also dringend einige zusätzliche Schilder. Gleiches gilt für die Getreidefelder und Bienenweiden, die einfach noch nicht so weit gekeimt sind. Überall finden sich bereits die ersten Fußabdrücke abseits der Wege. Dabei sind wir davon ausgegangen, wahrlich genug davon angelegt zu haben.

Während in der Hütte noch nichts zu sehen ist, sie aber trotzdem viel Aufmerksamkeit anzieht, entwickelt sich unser Samenspender zu einem regelrechten Star. Vielfach fotografiert und bestaunt sorgt er für viele Lacher. Und das obwohl (oder gerade weil?) er mit einem kleinen Schild als „Defekt“ ausgewiesen ist. Er würde ja eigentlich funktionieren, wenn denn nur die Schachteln hinein passen würden. Aber da Kondompackungen wohl kleiner sind als Zigarettenschachteln und wir nur dieses Format zur Verfügung haben, wird es noch etwas dauern, bis auch hier der normale Betrieb einsetzen kann. Aber wir bleiben zuversichtlich.

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Ein Gruß aus der Welt der sozialen Medien. Unser Automat war eines der wenigen Motive, die es an diesem Tag bis dorthin geschafft haben. Auch irgendwo eine Leistung…

Schon allein deswegen, weil jeder bei uns irgendetwas findet, was ihm oder ihr gefällt. Während der allgemein unfertige Zustand der Landesgartenschau bemängelt wird, ernten wir viel Lob für die kreative Arbeit und sogar Verständnis dafür, dass nicht bereits alles blüht oder gepflanzt wurde. Bei Salat und Bohnen sind die Leute offenbar nachsichtiger als bei Tulpen und Rosen. Natürlich gibt es auch jene, die gerne anmerken wollen, was ihnen missfällt, aber der Gesamteindruck bleibt positiv und viele Besucher versprechen, ihre Dauerkarten darauf zu verwenden, uns regelmäßig heimzusuchen und die Veränderungen zu beobachten.

Es wird definitiv ein spannendes halbes Jahr …

StadtGartenSchau – Teil 6. – Immobilien

Das Urban Gardening Projekt „StadtGartenSchau“ besteht aus drei Kooperationspartnern. CampusGarten und Stadtgärtner e.V. kümmern sich um den gärtnerischen Aspekt. Die Volkshochschule Würzburg wollte den interkulturellen Beitrag leisten, indem sie mit Flüchtlingen und aus recyceltem Material eine Hütte für Vorträge und Workshops bauen. Aber Recyclingmaterial und ohne festen Bauplan, da hätte der TÜV niemals eine Freigabe für erteilt, also musste am Ende doch ein fertiger Bausatz dafür herhalten. Und auch der Plan, während des laufenden Betriebs gemeinsam mit Geflüchteten zu arbeiten ist nicht so ganz aufgegangen.

Nach einigem Chaos steht nun aber dennoch eine Hütte, die vielen Studies den Neid in die Augen treibt, denn sie ist groß genug, als dass man eine komplette Wohnung darin einrichten könnte. Eine einfache Gartenlaube ist jedenfalls einige Qualitätsstufen darunter. Inzwischen liegt die erfolgreiche Eröffnung der Landesgartenschau hinter uns und es sind nicht mehr nur die Beteiligten, die Interesse daran zeigen. Verwirrung kommt nur dadurch zustande, dass an anderer Stelle auch viel beworben Tiny Houses ausgestellt werden. Es kommt regelmäßig vor, dass jemand bei uns steht und fragt, ob dies hier die besagten Minihäuser sind. Auch sind bereits erste Kaufanfragen gekommen.

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Richtfest! Der Rohbau war hier fertig, es fehlten noch Dach, Boden und Fenster / Türen. Außerdem ist noch ein Schutzanstrich hinzugekommen aber ansonsten hat sich wenig verändert.

Die Hütte ist aktuell jedenfalls ein größerer Blickfang als unser Werkzeugschuppen, und das völlig zu Recht. Aber das kann sich noch ändern, denn letzterer soll noch einige kleine Updates erfahren. Hier soll noch eine Dach- und Fassadenbegrünung entstehen. Der Rohbau dafür sieht zugegebenermaßen noch sehr rudimentär und nicht so ansehnlich aus. Die Aufhängungen und Abdichtung ist bereits vorhanden, der Aufbau fehlt noch.

Aber im Gegensatz zur VHS-Hütte ist dieser Schuppen tatsächlich ein vollständiger Eigenbau. Ein Stahlgerüst im soliden Fundament ist die Basis, auf die eine Holzverkleidung gebaut wurde. Sie ist nur leider zu klein für die Massen an Werkzeug und Baumaterial, die wir darin lagern, aber eigentlich sollte das ja eh bereits verarbeitet sein. In den nächsten Wochen gibt es hier sicherlich große Fortschritte.

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Hier zwei Wochen vor der Eröffnung und auch heute noch nicht ganz fertig. Man kann aber die Aufhängungen für die Vertikalbeete bereits erkennen und das Schutzvlies. Ein Bild von der fertigen Hütte liefer ich gerne nach, wenn es gewünscht ist.

Die mit Abstand am meisten fotografierte „Immobilie“ auf dem Gelände wird aber wohl die „einfachste“ sein. Unser Garten-Fräulein *link* wollte die Möglichkeiten eines einfachen Balkons in der Stadt aufzeigen. Da wir aber nur eine große Ebene hatten und keinen Balkon, haben wir eine kleine Terrasse gebaut, die einem Balkon wohl am nächsten kommen kann. Hier hat sie sich gründlich austoben können und mit viel Improvisation liebevolle Dekorationen erstellt.

Auch die Sitzmöbel auf dem Balkon werden mit viel Begeisterung angenommen. Irgendjemand sitzt dort immer und genießt eine kurze Pause von dem ganzen Trubel und dem vielen Laufen. Auch wenn der Platz noch so klein ist, man hat eine gute Aussicht auf die ganze Fläche von dort aus. Bis zum Sommer ist es hoffentlich noch etwas weiter zugewachsen, so dass es noch mehr den Charakter einer grünen Oase der Ruhe annehmen kann.

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Ein altes Bild, noch ohne bunte Blumen. Inzwischen ist der Balkon nämlich permanent belagert und immer steht irgendwer im Bild. Der Andrang überrascht mich. Auf dem Stuhl sieht man einen Bilderrahmen stehen. Darin wachsen verschiedene Sukkulenten hinter Hasendraht, also auch eine Form von vertikaler Begrünung.

Auf der Rückwand des Balkons ist übrigens auch unser Kondomautomat angebracht. Inzwischen mit dem Namen „Samenspender“ versehen zieht er viel Aufmerksamkeit an, aber leider auch etwas Spott, denn es zeigt sich, er wurde nicht ganz so geliefert wie bestellt. Eigentlich sollte er mit Döschen bis Zigarettenschachtelgröße beladen werden können, aber es zeigt sich, dass diese Kisten zu groß wären. Sie rutschen nicht nach, also müssen wir leider ohne ihn starten und erst kleinere Schachteln bestellen. Aber dann kann auch diese Aktion in Betrieb gehen.

Und zum Abschluss ist mir jetzt auch noch eingefallen, dass ich euch unser Gewächshaus völlig unterschlagen habe. Aber davon erzähle ich euch vielleicht ein anderes mal…

StadtGartenSchau – Teil 5. – Mobile Gärten

UrbanGardening ist häufig nur eine Zwischennutzung von Brachflächen für einen bestimmten Zeitraum, manches mal auch einen unbestimmten Zeitraum. Da man also nie weiß, wann man eine Fläche räumen muss, empfiehlt es sich, den Garten mobil zu halten. Aber auch nicht zu mobil, denn sonst findet man sein Kartoffelbeet eines schönen Morgens nicht mehr auf dem Parkplatz des Wohnblocks sondern drei Bushaltestellen weiter im Straßengraben. Das wäre doch schade darum.

Also gilt es einen Mittelweg zu finden, um im Zweifel mobil aber dennoch sicher zu sein. Der Klassiker sind Hochbeete. Ein paar Paletten, Winkel, Schrauben, gegebenenfalls etwas Hühnerdraht, und schon ist es fertig. Geeignet für jeden Untergrund vom frisch gepflügten Acker bis hin zu Asphalt. Der Besondere Clou hier: Auch Menschen mit Rücken-, Hüft- oder Knieleiden können hier problemlos gärtnern, denn der Boden ist angenehm auf Hüfthöhe. Da wir ein Prozessgarten sind, der von der Interaktion mit und der Beteiligung der Besucher lebt, bietet es sich an, gemeinsam mit ihnen Hochbeete zu bauen. Das haben wir auf dem Baustellenfest im Herbst auch gemacht. Zur Eröffnung wollten wir aber die Beete bereits stehen haben, da es ansonsten sehr leer darin aussehen würde. Immerhin wollen die Pflanzen ihre Zeit zum wachsen haben.

Bei der Befüllung ist zu beachten, dass nicht alles mit Erde aufgefüllt wird. Der untere Bereich wird mit grobem Holzschnitt und Ästen gefüllt, um eine Drainage zu schaffen. Nach oben hin wird das Material immer feiner bis eine Lage Kompost und eine Lage Erde kommen.

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Frisch befüllt und gesät. Einen Monat später zeigen sich bereits die ersten zarten Blättchen darin. Es verspricht toll zu werden!

Wem ein paar Paletten zu klein sind, für den haben wir die Luxusvariante: Einen Container. Das Prinzip bleibt aber genau das gleiche. Drainage und nach oben hin feiner werdende Erde. Allerdings wird es hier schon mühsamer für den Rücken, wenn man in die Mitte kommen möchte. Da muss man schon hinein klettern und da muss man sich ja doch wieder bücken.

Als eine der besonderen Attraktionen unserer Ausstellung hat sich aber die Geschichte eines Mannes entpuppt, der zwar einen Garten haben wollte, aber zu seiner Innenstadtwohnung nur einen Parkplatz bekam. Er hatte nicht bedacht, dass er den Parkplatz mit der Wohnung gemeinsam mieten musste, obwohl er selbst überhaupt kein Auto hatte. Zu allem Überfluss bekam er auch keine Genehmigung, etwas anderes als ein Auto dort abzustellen. Was ihm also blieb, war ein Auto dort abzustellen und das Beste daraus zu machen.

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Farbe taugt als Blickfang! Besser riechen tut es so auch, nur wirklich weit bringt es einen so natürlich nicht mehr. Wer würde ihm das aber übel nehmen?

Inzwischen steht dieser Hybrid zwischen Auto und Garten bei uns und ich habe mich schon mehr als einmal gefragt, wieso wir uns überhaupt so viel Mühe mit dem Garten machen. Es stehen eh alle nur um dieses Teil herum. Alle Lieferanten, alle Bauarbeiter und Pressevertreter. Vielleicht ändert sich das ja im Sommer, wenn unsere Pflanzen gut gewachsen sind. Auch wenn ich gestehen muss, dass der Anblick wirklich etwas hat. Und wer wäre ich denn, wenn ich mich nicht für eine kreative Idee begeistern könnte? Auch wenn es eben nicht so klang, ich bin froh darum, dass es da ist. Es ist bunt und unkonventionell und führt, genau wie unser Samenspender, einen Alltagsgegenstand einer neuen Bestimmung zu.

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Alles auf einem Blick. Container, Auto und im Hintergrund sogar ein Hochbeet. Hier übrigens schon voll bepflanzt, denn das Foto ist vom Eröffnungstag. Und ja, das da links hinter dem Container ist ein blauer Einkaufswagen, der auch mit Erde befüllt ist und auf muntere Pflänzchen wartet. Hier kann man sich die Drainage dann natürlich sparen.

Hinterm Horizont – Teil 5.

Wenn ich nun durch die Gänge ging, meinte ich zunächst, eine Veränderung bei den Leuten zu bemerken. Es dauerte etwas bis ich begriff, dass die Änderung bei mir stattgefunden hatte. Das teilnahmslose Herumstreifen, die leeren ausdruckslosen Augen, das lethargische Ausharren vor den Bullaugen. All das hatte ich bis vor kurzem genauso beherrscht. Die Filmvorführungen, das Essen, die Sporteinheiten. All das hatte auch bei mir kaum einen Effekt gegen die Depression und Antriebslosigkeit bezwecken können und bei den Anderen sah es nicht viel anders aus. Wie Mastvieh hingen sie herum, wartend auf ihr Ende.

Doch inzwischen hatte ich eine Aufgabe, wenn auch keine bedeutsame. Ich war bei leichten Beschädigungen die zweite Anlaufstelle für die Roboter geworden, wenn die automatische Reparatureinheit belegt war. Und ich begann zu begreifen, wie das Schiff funktionierte. Unter den mehr als tausend Kolonisten fand sich kaum mehr als ein Dutzend, welche, wie ich selbst, einer geregelten Tätigkeit nachgingen. Sie waren leicht zu erkennen, wenn man nur einmal hinsah. Ihr Gang war zielgerichtet, die Augen wacher und meistens waren sie sogar gewaschen und frisiert. Außerdem hatten wir inzwischen, einem ungeschriebenen Gesetz folgend, unseren eigenen Tisch in der Kantine. Es war der einzige Tisch, an dem sich tatsächlich unterhalten und ausgetauscht wurde. Immerhin waren wir auch die einzige Gruppierung, bei der tatsächlich etwas von Bedeutung passierte, bei der generell etwas passierte.

Eine Erkenntnis dieser Gespräche war, dass das Schiff inzwischen komplett von Robotern betrieben und kontrolliert wurde. Wir waren Angestellte der Maschinen und aus irgend einem Grund entsetzte oder überraschte uns diese Information nicht im Geringsten. Von den Menschen war niemand übrig, der wirklich Befehlsgewalt gehabt hätte und wenn doch, über wen hätte er verfügen sollen? Und über was? Im Grunde genommen war das Schiff ein sich selbst erhaltender mechanischer Organismus, genau daraufhin war es konstruiert und gebaut worden. Selbst die Planer des Schiffs, die obskuren „privaten Initiatoren“, mussten schon Androidennetzwerke gewesen sein. Wir Menschen waren nur an Bord, um den Bedingungen der Regierung gerecht zu werden. Für die Mission und die Kolonie waren wir obsolet, wenn nicht sogar direkt unerwünscht.

Es sei denn, wir suchten uns eine Aufgabe und machten uns nützlich. Vielleicht war das der einzige Grund, wieso wir nicht geschlossen aus der Luftschleuse geworfen worden waren, als die ersten Fälle von Depression und ausfallenden Verhaltens bemerkt worden waren. Aber das konnte eigentlich nicht sein. Möglicherweise waren die Maschinen einfach sehr viel toleranter als wir Menschen, oder aber sie sorgten sich um ihre Artgenossen auf der Erde, und was mit ihnen geschehe würde, wenn die ersten Kolonisationsbemühungen einer gemischten Besatzung plötzlich in einem Bürgerkrieg gescheitert wären. Das Echo könnte verheerend sein.

Dass uns Arbeitern auch von den Maschinen eine Sonderbehandlung zugeteilt wurde, fiel mir erst auf, als ich wegen einer Verletzung ins Hospital ging. Ich hatte die Spannung auf einer Feder unterschätzt und ihr loses Ende hatte mir tief in den Arm geschnitten, als ich ein gebrochenes Skelettteil austauschen wollte. Vor mir wurde eine untersetzte Frau behandelt, die sich bei einer Prügelei den Handrücken aufgeschnitten hatte. Der Pflegebot behandelte sie karg, indem er ihr eine Liege zuwies, sie sedierte und die Wunde abband. Mit dieser Art der Behandlung würde ich auf meinem Posten für mehrere Tage ausfallen. Das war keine Option für mich. Zu meiner Überraschung kam die Maschine meinem Einwand zuvor.

„Keine Sorge, heute sollten Sie ihre Schicht noch aussetzen aber morgen sind Sie wieder einsatzfähig. Der Einschnitt hat Muskelfasern beeinträchtigt. Ich werde dagegen ein Heilgel auftragen und einen Stimulator ansetzen. Der Prozess wird etwa eine Stunde dauern, danach steht es Ihnen frei, zu gehen. Bitte kommen Sie nur morgen vor Antritt ihrer Schicht zur Kontrolle noch einmal vorbei, um sicherzugehen, dass es zu keinen Komplikationen gekommen ist. Bestehen Sie auf einer kompletten Betäubung für den Eingriff?“

Das tat ich ganz sicher nicht. Ich wollte wissen, was passierte und wie es passierte. Dafür benötigte ich mein Gehirn unvernebelt. Mir kam die komplette Situation recht merkwürdig und absurd vor. Das Handbuch schrieb vor, dass die Roboter den Menschen dienbar zur Hand gehen sollten. Die Programmierung sah dabei höfliche Zurückhaltung vor. Halt so, wie mit mir umgegangen wurde. Aber andererseits scheuten die Maschinen inzwischen nicht mehr, mit roher Gewalt gegen die gelangweilte und psychotische Besatzung vorzugehen. Sie bemühten sich überhaupt nicht mehr um eine Behebung des Problems oder Behandlung der Störungen. Und das war ein ziemlicher Widerspruch zur Programmierung. Ein Verstoß gegen das Protokoll, an dem sich niemand zu stören schien. Es schien sogar notwendig zu sein, um das Getriebe in Bewegung zu halten.

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Hinterm Horizont – Teil 4.

Es gab kaum Arbeit, von der man sich hätte erholen müssen. Stattdessen saßen wir stundenlang vor den Fenstern und starrten in die Leere, die Glieder bis zur völligen Bewegungsunfähigkeit verkrampft vor Panik, angesichts der Leere rundherum. Wir hätten andere Orte aufsuchen können, aber dann hätten wir nicht den Stern finden können, der langsam größer wurde. Uns war bewusst, dass es noch Monate dauern würde, und doch suchten wir verzweifelt einen kleinen Punkt, der einmal unsere Heimat werden sollte. Ein rettendes Stück Treibgut, auf dem endlich wieder oben oben war und unten unten. Eine Insel, die von diesem hauchfeinem Schleier umgeben war, wie jenem, der auf der Erde alles Leben ermöglichte. Die Telemetrie hatte uns versprochen, dass es eine Atmosphäre dort geben müsse. Nur der Stern dazu blieb für uns unsichtbar, der Planet sowieso.

Und mit jedem weiteren Tag wurde die Stimmung angespannter und gereizter. Viele der Reisenden waren schlecht gelaunt und aggressiv. Die anhaltende Unsicherheit machte ihnen zu schaffen. Die Küche versuchte, dem mit besonders feinen und reichlichen Portionen entgegen zu wirken. In der Konsequenz mussten die Sporteinheiten aufgestockt werden. Ich war schon auf der Erde nie ein großer Freund von körperlicher Ertüchtigung gewesen. Den Teil, der notwendig war, um zum Kolonieprogramm zugelassen zu werden, brachte ich zwar hinter mich, aber mehr als nur sehr ungern. Auf die zusätzlichen Sporteinheiten reagierte ich entsprechend damit, dass ich nicht mehr aß. Ein solches Verhalten jedoch lässt der Körper nicht zu. Er sträubt sich und reagiert mit wahnwitzigen Vorstellungen und Bedürfnissen.

Die kommenden Tage konnte ich dabei beobachtet werden, wie ich den Rundkurs in der Sportanlage entlang sprintete wie ein besessener. Ich habe keine Erinnerung mehr daran, wieso ich auf diese Idee gekommen bin, aber plötzlich erschien mir sogar der Wunsch nach Arbeit logisch. Während meiner Überwachungsschicht fiel ein Roboter mit einem Defekt aus. Durch eine Fehlfunktion war ihm ein Frachtcontainer entglitten und hatte seinen Arm halb abgerissen. Andere Maschinen hatten seine Aufgaben mit übernommen und ich hatte, weil die automatische Reparatureinheit ausgelastet war und mir langweilig war, den Roboter untersucht.

Stück für Stück begann ich zu verstehen, wie die Maschine aufgebaut war und funktionierte. Es war ein einfacher aber robuster und zuverlässiger Entwurf. Was meine eigenen Sinne nicht erfassen konnten, das zeigten mir dann die Baupläne. Zu meinem Entsetzen war es eine befriedigende und einnehmende Beschäftigung. Sie lies die Zeit schneller verstreichen und kleine Erfolgserlebnisse, wenn man einen Vorgang verstand, lösten einen euphorischen Schub aus. Wie konnte das sein? Der Bordarzt konnte mir keine zufriedenstellende Antwort darauf geben aber fand, wenn es mir gefiel, könnte es keinen Schaden anrichten. Ich sollte nur darauf achten, nichts zu beschädigen.

So lernte ich während der nächsten Schichten in den folgenden Tagen und Wochen immer mehr über den Aufbau der Androiden an Bord. Ich fand die Fehler bei defekten Einheiten und konnte sie reparieren, falls die Reparatureinheit ausgelastet war. Anfangs stieß mein Interesse bei den Androiden noch auf großes Misstrauen. Interesse eines Menschen an ihrer Physiologie, ein solcher Fetisch war ihnen nicht geheuer. Sie mussten im Laufe der Zeit eine Art Selbsterhaltungstrieb entwickelt haben und der Mensch zählte darin nicht als Verbündeter. Seit kurzer Zeit griffen sie auch nicht mehr in die vermehrt zwischen den Kolonisten auftretenden Schlägereien ein. Das war eine der Hauptursachen dafür gewesen, dass die Maschinen die automatische Reparatureinheit aufgesucht hatten. Stattdessen ließen sie sie einfach gewähren und die Pflegebots waren nicht zurückhaltend, Verletzte am Ende einzusammeln und einfach zu sedieren.

Wenn ich nun durch die Gänge ging, meinte ich zunächst, eine Veränderung bei den Leuten zu bemerken. Es dauerte etwas bis ich begriff, dass die Änderung bei mir stattgefunden hatte. Das teilnahmslose Herumstreifen, die leeren ausdruckslosen Augen, das lethargische Ausharren vor den Bullaugen. All das hatte ich bis vor kurzem genauso beherrscht. Die Filmvorführungen, das Essen, die Sporteinheiten. All das hatte auch bei mir kaum einen Effekt gegen die Depression und Antriebslosigkeit bezwecken können und bei den Anderen sah es nicht viel anders aus. Wie Mastvieh hingen sie herum, wartend auf ihr Ende.

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Hinterm Horizont – Teil 2.

Feuer, das Rad, der Buchdruck, Eisenbahnen, Flugzeuge, Computer, das Internet, Raketenantrieb und viele andere „große“ Erfindungen lagen weit in der Vergangenheit. Unsere Urgroßeltern stammten noch aus einer Generation, in der man sich an vergangene, große Taten erinnerte. Sie erinnerten sich auch noch an ihren Spitznamen. „Generation Taugenichts“ waren sie gerufen worden und es hatte einen schrecklichen Beigeschmack gehabt. Ihre Kinder hatten damit angefangen, das Schimpfwort als einen Titel zu tragen. Das war ihr Protest gegen die alten Strukturen und er war von Erfolg gekrönt, wie so oft, wenn eine Gruppe ihre Beschimpfung in einen Anzug steckt und stolz auf die Bühne stellt.

Was folgte, war die große Stagnation. Wirtschaftlich, gesellschaftlich und intellektuell. Der Zeitpunkt, als wir satt, zufrieden und träge geworden waren. Allen ging es gut, mehr oder weniger. Jedenfalls so gut, wie noch nie zuvor in der Geschichte. Und dann, mitten in diese große Zufriedenheit hinein, brach die Revolution los. Plötzlich forderten Androiden ihre Rechte ein und Menschen wollten wieder arbeiten gehen und „ihrem Leben einen Sinn geben.“ Was für ein esoterischer Unfug. Dennoch sind auch wir aus dieser Bewegung hervorgegangen.

Die Erde entpuppte sich als zu klein für uns alle und die logische Konsequenz war, auszuwandern. Der Vorschlag zu diesem Projekt kam von den Androiden. Einige wollten eine eigene Kolonie auf den äußeren Planeten oder deren Monden gründen. Natürlich erhielt so etwas keine Genehmigung. Die Umweltbedingungen wären dort für Menschen kaum tragbar gewesen und was wäre ein Roboter ohne Aufseher? Die Androiden mussten doch einsehen, dass so etwas unmöglich war. Es musste eine andere Lösung her. So suchte und fand man die zweite Erde, den Planeten, zu dem wir aufbrachen.

Gleichzeitig konnte man den Beweis antreten, dass Roboter nicht immer nur logisch motiviert handeln. Die Androiden waren mit dem Kompromiss nicht glücklich und zeigten eindeutig emotionale Reaktionen. Sie bestanden weiterhin auf einer Kolonie im äußeren Sonnensystem. „Notfalls auch ohne Menschen vor Ort.“ Dabei war man ihnen doch bereits in so vielen Punkten so weit entgegen gekommen. Statt dankbar für ihre Möglichkeiten zu sein, forderten einige von ihnen gar ein Recht auf Selbstbestimmung! In der Regierung riefen solche Forderungen Unverständnis und Verstimmungen hervor. Dennoch, das Kolonieprojekt lief an, vorangetrieben allein durch Privatinitiativen. Hinter einigen vorgehaltenen Händen krochen Gerüchte hervor, das Projekt existiere nur aus Angst vor einer Revolte der Maschinen. Aber diese verstummten sehr schnell wieder.

Es wurde ein Schiff gebaut, Fracht und Passagiere zusammengestellt. Wir alle, die ausgewählt wurden, mussten eine lange Reihe von Tests und Vorbereitungen über uns ergehen lassen. Im Gegensatz zu den Androiden konnte man uns nicht einfach in den Ruhemodus schicken und in den Frachtcontainern verstauen. Mir ist es trotzdem ein Rätsel, wie es hilfreich gewesen sein soll, mit einem Drehwurm eine gerade Linie entlang zu gehen. So vieles aus dieser Vorbereitungszeit schien einfach nur dafür da zu sein, uns irgendwie zu beschäftigen oder zu foltern. Die genauen Auswahlkriterien sind auch nach dem Start nicht bekannt, aber ich kam an Bord und startete die vermutlich einzige wahre Reise meines Lebens. Ein Aufbruch in Gefilde, der nicht möglich zu sein schien.

Je länger der Start nun zurück liegt, umso mehr kann ich die Siedler im System verstehen, welche die Erde als solch prächtige Perle sahen. War sie aus der Nähe noch ein schmutziger, gräulicher Ball, mit jedem Tag der Reise wurde sie kleiner und schöner. Aus einiger Entfernung konnte man selbst den blauen Schimmer erkennen, welcher dem „Blauen Planeten“ seinen Namen gegeben haben musste. Ein bläulicher Punkt, mitten im immer heller werdenden Sternenkleid des Kosmos.

Wie hatte die Erde eigentlich geheißen, bevor die ersten Menschen ihre Raumsonden bis in die äußeren Ausläufer des Sonnensystems geschickt hatten? War es zunächst einmal der graue Planet gewesen, oder der grüne? Und wie weit hatte man damals reisen müssen, um das schmutzige Braun der Landoberfläche nicht mehr sehen zu können? Angeblich hatte die Erde damals anders ausgesehen. Das erzählt man uns bereits in der Grundschule, aber ich habe es noch nie glauben können. Bis zu diesen Momenten, als wir in die Richtung sahen, aus der wir kamen, und die Erde nur noch einer der vielen Sterne ist. Selbst unsere Sonne lässt sich nicht mehr davon unterscheiden. Egal, in welche Richtung man seine Blicke wendet, der Himmel sieht immer gleich aus.

Wir hatten das Äquivalent des Punktes überschritten, an dem sich damals die primitiven Seefahrer befunden haben. Der Punkt, wo die letzte Insel und Mastspitze in den Wellen versunken waren und es nur noch eine winzige Nussschale und die unbarmherzige See gab. In den Geschichtsbüchern stand, die Seefahrer hätten sich anhand der Sterne orientiert, mit ihrer Hilfe navigiert und ihren Weg gefunden. Mit jedem weiteren Reisetag sahen die Sterne anders aus und verschwammen für mich zu einem beinahe belanglosen Einerlei. Völlig unbrauchbar zur Navigation.

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Hinterm Horizont – Teil 1.

 

Man erzählt sich, die alten Seefahrer hatten damals, als sie auf ihren Windjammern loszogen, die Welt zu erkunden, ein kleines Problem. Immer dann, wenn das letzte Stückchen Land, die letzte Insel oder auch nur das letzte bisschen Treibgut hinter dem Horizont zurückblieb, überkam die Seeleute eine merkwürdige Stimmung. Wenn es nur noch das Schiff, sie selbst und die schier endlosen Weiten des Ozeans mit seinen bodenlosen Wellen gab, verfielen sie in eine Art der Depression oder Apathie.

Aber solche Dinge gehörten der Vergangenheit an. Inzwischen hatten sich die Welt und die Menschheit stark weiterentwickelt. Vieles, was einst undenkbar erschien, war nun Realität. Damals träumten die Menschen noch davon, ihren eigenen Planeten zu erkunden. Fremde Welten waren keinen Gedanken wert, und wenn es die Bälle des eigenen Systems wären. So vieles hatte sich seitdem verändert. So viel mehr hatte man in der Zwischenzeit gelernt. Zum Beispiel, dass es nicht nur das eigene Sonnensystem gab und auch nicht nur diese eine Erde. Die andere Erde war nur allem Anschein nach völlig tot, aber in direkter Nachbarschaft. Und die Menschheit hatte die Möglichkeit erlernt, genau diese zweite Erde zu erreichen.

Vor nur zehn Jahren war dies noch völlig unmöglich erschienen. Ein Schiff, welches lebende Menschen und ihre Ausrüstung im Verlauf nur eines Menschenlebens über zig Lichtjahre hinweg transportieren konnte. Ein Schiff, welches am Zielort landen konnte, und als Keimzelle für die Biosphäre einer ganzen Welt dienen konnte. Eine Samenkapsel, die eine raue, tote Insel in ein blühendes Paradies verwandeln sollte. Das waren wir.

Nicht nur für uns war es das ganz große Abenteuer. Die halbe Menschheit sah es als ein Jahrhundertprojekt, vielleicht sogar als Jahrtausendprojekt. Nie zuvor hatten Menschen das Sonnensystem verlassen, nie zuvor eine fremde Welt besiedelt, um eine zweite Erde zu erschaffen. Mond, Mars und die Monde der Gasriesen hatten ihre Basen bekommen, teilweise waren sie sogar dauerhaft besiedelt. Doch immer waren es nur kleine Stationen zur Erforschung und Organisation der Bergbauaktivitäten. Wer so weit draußen gewesen war, kam oft zurück und schwärmte von der wärmenden Sonne auf der Erde oder ihrer Schönheit, die sie erst aus der Ferne offenbarte.

Wir Menschen von Erde und Mond konnten das nie nachvollziehen. Die Sonne war einfach da und wir kannten sie nicht anders. Was die Schönheit der Erde betraf, so musste es wohl wirklich an der Perspektive liegen. Oder aber, die Kolonien dort draußen mussten wahrhaft trostlos sein. Dabei kamen doch von dort die Bilder mit den tollsten Aussichten. Ein immenser Jupiter, welcher sich über den Horizont erhob oder die Ringe des Saturn, wie sie den Himmel seiner Monde so beeindruckend dominieren konnten. Die teils roten und gleichzeitig blauen Sonnenuntergänge, wie sie sich auf dem Mars zeigten, dagegen konnte die Erde einfach mit nichts aufwarten.

Trostlose Großstädte, die wie raue Felswüsten ganze Landstriche prägten. Enorme Äcker und Felder, die sich schier endlos wie verkrustete Wunden über Hügel und Täler erstreckten und giftig grüne Ozeane, von Algenblüte und Hydrofarmen bedeckt. Wer es sich leisten konnte, verbrachte seine Zeit in einer der vielen bunten virtuellen Realitäten. Die anderen suchten wenigstens mit augmentierten Realitäten ihren Trost. Künstliche, aufregende Fassaden über einer schmutzigen und grauen Realität. Doch das alles konnte nicht darüber hinweg täuschen, dass es alles nicht wirklich echt war.

Die VR und AR Programme sollten die Leute motiviert halten und wenigstens ihre Grundbedürfnisse befriedigen. Doch sie waren nie gut genug geworden, um wirklich allen Träumen und Hoffnungen gerecht zu werden. Sie mochten das menschliche Grundbedürfnis nach immer mehr Mehr drosseln, aber gänzlich unterdrücken oder gar befriedigen konnten sie es nie. Es war nicht länger der große Wunsch nach noch mehr kleinen Dingen. Was sich in der Gesellschaft mehr und mehr aufstaute, war die Sehnsucht nach dem nächsten ganz großen Wurf.

Feuer, das Rad, der Buchdruck, Eisenbahnen, Flugzeuge, Computer, das Internet, Raketenantrieb und viele andere „große“ Erfindungen lagen weit in der Vergangenheit. Unsere Urgroßeltern stammten noch aus einer Generation, in der man sich an vergangene, große Taten erinnerte. Sie erinnerten sich auch noch an ihren Spitznamen. „Generation Taugenichts“ waren sie gerufen worden und es hatte einen schrecklichen Beigeschmack gehabt. Ihre Kinder hatten damit angefangen, das Schimpfwort als einen Titel zu tragen. Das war ihr Protest gegen die alten Strukturen und er war von Erfolg gekrönt, wie so oft, wenn eine Gruppe ihre Beschimpfung in einen Anzug steckt und stolz auf die Bühne stellt.

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Nur eine kleine Revolution in der Hochschulpolitik

Vielleicht erinnert sich noch jemand an die neue Revolution in der Hochschulpolitik? Damals habe ich noch wild spekuliert und mich ansonsten über die schönen Sonnenblumen gefreut. Inzwischen sind wir einen Schritt weiter, denn auch andere sind inzwischen darauf aufmerksam geworden, so auch die lokale Zeitung, welche hier schön großformatig und mit Foto davon berichtet. Und falls der Link nicht funktionieren sollte, habe ich Euch den Text einmal geklaut:

Cannabis-Pflanzen gedeihen auf Würzburger Uni-Campus

Sie ist eine wertvolle, uralte Kulturpflanze, angebaut schon vor tausenden Jahren. Weil aber weibliche Blüten zu Marihuana und ihr Harz zu Haschisch verarbeitet werden können, hat Hanf – wissenschaftlich Cannabis– hierzulande einen schweren Stand.

Umso erstaunlicher, dass auf dem neuen Würzburger Uni-Campus gar nicht wenige Cannabis-Pflanzen gedeihen. Eine Plantage für den studentischen Eigenverbrauch?

Beim Familienspaziergang Cannabis-Pflanzen entdeckt

Eigentlich will Felix Weinrich mit seiner Frau und den zwei kleinen Kindern nur einen gemütlichen Spaziergang durch das Gelände des neuen Campus Nord machen – die ehemaligen Leighton Barracks. Dort ist mächtig was los: Die Landesgartenschau wird angelegt, neue Wohnhäuser schießen aus dem Boden, und auch auf dem Unigelände wird ordentlich umgebaut.

Gymnasiallehrer Weinrich möchte seinen Kindern die vielen Bagger, Radlader und sonstigen Baufahrzeuge zeigen. Was die Familie aber dann entdeckt, ist eine Sache für Erwachsene: zierliche Cannabis-Pflanzen, direkt neben der Straße, auf dem freien Feld hinter der neuen Mensateria.

Hanf zwischen anderen Blühpflanzen

Die Gewächse sind eingestreut zwischen Sonnenblumen und anderen Blühpflanzen. Auf jeden Fall optisch eine feine Sache. Aber vielleicht noch mehr?

Beim Spaziergang dabei: Weinrichs Schwester und deren Mann, beides studierte Landschaftsökologen. Sie können den Cannabis sofort identifizieren. „Was uns wirklich erstaunte“, berichtet Deutsch- und Erdkundelehrer Weinrich, „war das Ausmaß der Verbreitung dort.“ Aus dem Rottenbauerer Grund kenne man eine wilde Bepflanzung, wo in selten Fällen auch Hanf wachse. „Aber nicht in dieser Menge!“

Strenge Auflagen für den Anbau von Hanf

Möglicherweise ein illegaler Drogenanbau mitten auf dem Uni-Campus? Recherchen der Redaktion führen zunächst zu Fachleuten aus Botanik und Pharmazie. Dr. Gerd Vogg, wissenschaftlicher Custos am Botanischen Garten, weiß um die Sensibilität des Themas: „Wenn wir für die Analytik in der Pharmazie einige Hanfpflanzen anbauen wollen, brauchen wir eigens eine Genehmigung der Bundesopiumstelle in Bonn.“

Dabei gibt es bei den Cannabisarten große Unterschiede: Um Haschisch und Marihuana erzeugen zu können, brauchen die Hanfpflanzen einen hohen Gehalt des Wirkstoffes Tetrahydrocannabinol (THC). Dieser beträgt beim kommerziell verwerteten Nutzhanf weniger als 0,2 Prozent.

Hanf als Nutzpflanze, für die Medizin – und für Drogen

Textilien, Öle, Dämmstoffe, Seile, Papier – die Palette legaler Hanfprodukte ist groß. Vor allem Sorten der Hanfart Cannabis sativa werden dafür eingesetzt, während der Indische Hanf (Cannabis indica) die entscheidende Rolle als Drogen- und Medizinpflanze spielt. Rein äußerlich, erklärt Vogg, seien die beiden Arten kaum zu unterscheiden.

Und was wächst am Hubland-Campus? Der Botaniker hätte – mit Blick auf die vielen Sonnenblumen auf dem Feld – eine plausible Erklärung: „Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelt es sich um eine Saatgutmischung, die dort ausgestreut wurde. Auch in Mischungen von Vogelfutter finden Sie einzelne Hanfsamen.“ Also keine gezielte Cannabiszucht, sondern nur Begleiterscheinungen?

Studenten hatten „WEED“-Transparent aufgestellt

Einigen Studenten jedenfalls waren die hübschen Hanfgewächse aufgefallen. Zu ihrem Amüsement hatten sie vor wenigen Wochen an dem Feld ein Transparent aufgestellt mit der Aufschrift „WEED ’s to Entertain you“ (frei übersetzt: „Gras macht Spaß“). Ob auch „geerntet“ wurde, ist nicht bekannt.

Als der technische Betrieb der Uni das Banner bemerkte, holte man es ein und wies die Pressestelle der Hochschule auf das Cannabisfeld hin. Entsprechend ging man auch dort interessiert der Hanfherkunft nach.

Verbindung zur nahen Landesgartenschau 2018

So kann Pressesprecher Gunnar Bartsch mittlerweile aufklären: In direkter Nachbarschaft zur Landesgartenschau 2018 steht die Pflanzaktion mit ihr in Zusammenhang. Das Gelände, so Bartsch, solle möglichst ansprechend aussehen. Also überlegte man sich beim zuständigen Staatlichen Bauamt, wie die Brachfläche hinter der Mensateria ökologisch aufzuwerten ist.

Beraten ließ man sich von der Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) in Veitshöchheim, mit der die Staatsbauer auch sonst eng kooperieren. Und die LWG-Experten empfahlen eine spezielle Wildpflanzenmischung, die sich auf dem Boden und in der Lage am Campus Nord angeblich gut entfaltet. Das Ergebnis gibt den Öko-Fachleuten Recht.

Wildpflanzenmischung der Veitshöchheimer Landesanstalt

Seit 2008 entwickelt die LWG zusammen mit Projektpartnern aus ganz Deutschland artenreiche mehrjährige Wildpflanzenmischungen mit 15 bis 25 Pflanzenarten für die Biogasproduktion. Energiepflanzen, die gleichzeitig Lebensräume für Wildtiere schaffen.

Die „starkwüchsige Veitshöchheimer Hanfmischung“ zaubert einen wahren Blütenreigen auf den Unicampus: Sonnenblumen, Schmuckkörbchen, Stockrose, Fenchel, Wegwarte, Herzgespann – und Faserhanf. Mangels THC-Gehalt ist allerdings bestenfalls der Anblick der Blütenpracht berauschend.

Quelle: http://www.mainpost.de/regional/wuerzburg/Hanf-Landesgartenschau-2018-Marihuana-Pharmazie;art735,9780244
© Main-Post 2017

Es ist also nur eine kleine Revolution in der Hochschulpolitik. Statt der Haushaltskasse sollen nur die Optik und die Ökologie des Campus renoviert werden, und das sogar noch höchst offiziell und abgesegnet. Auch wenn mir das so weit bekannt war, oder wenigstens aber extrem naheliegend und leicht zu erschließen, irgendwie ist es dann doch fast ernüchternd. Mir hat meine Idee eigentlich ganz gut gefallen, auch wenn sie nach wie vor nicht legal wäre.

Was die Ernte angeht, sind wir übrigens einen Schritt weiter als die Zeitung. Ja, man weiß von kleinen Mengen, die geerntet wurden. Allerdings nicht zum Rauchen, sondern als Raumlufterfrischer und Duftspender. Und als optisches Zierelement. Wie der Artikel auch beschreibt, Faserhanf zu rauchen wäre auch reichlich unbefriedigend. In diesem Sinne …

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Ist inzwischen übrigens verblüht und sehr viel kahler