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Hörsaalgetuschel – Ausgabe 154.

Schönheitsideale

In all den Jahren, die Erik inzwischen an der Uni war, hatte er fast immer Gesellschaft beim Essen gehabt. Zunächst, weil er anfangs fast nie in der Mensa gewesen war und danach, weil er immer Gesellschaft gehabt hatte. Sei es durch Mia, Flo, Tina oder wen anders. Wenn es einen Ort gab, wo sich der ganze Studiengang, wenn nicht die ganze Uni traf, dann war es die Mensa. Und doch schlurfte Erik heute, wie schon die letzten Male, hungrig aber lustlos und vor allem alleine in Richtung der Fütterungseinrichtung. Mit müden Augen suchte er die Menge nach bekannten Gesichtern ab, fand aber nur solche, die hektisch in kleinen Grüppchen unterwegs waren oder nicht minder hektisch allein, aber in Richtung kleiner Grüppchen ihrer Freunde.
In der vagen Hoffnung, doch noch irgendwo Anschluss zu finden, bemühte er sich um eine Haltung, die nicht ganz so deutlich zeigte, wie erschöpft er sich eigentlich fühlte. Mit einer vollständig gespielten Offenheit versuchte er zwei Mädels zuzulächeln, die ihm gerade entgegen kamen. Es wäre gelogen zu behaupten, sie wären ihm schon von Weitem aufgefallen. Dafür war er aktuell viel zu kurzsichtig. Aber jetzt, wo sie schon näher herangekommen waren, fand er, die Wahl wäre definitiv auf die Richtigen gefallen. Leider sahen die beiden das etwas anders und blieben völlig in ihr Gespräch vertieft.
„…die dann erwarten, dass man immer perfekt hergerichtet ist und geschminkt und alles, aber sich selbst nicht vernünftig rasieren können.“
„Ja, das ist wirklich schrecklich. Vor allem scheuert das dann so. Ich mein, mal nicht geschminkt ist nicht so ein Drama. Dann macht man halt das Licht aus und schon passt es wieder. Aber nicht rasiert? Du würdest dich wundern, wie dünn deine Haut auf einmal ist.“
„Ja, aber ehrlich. Und dann auch noch Ansprüche stellen. Wie der Typ von letztens, der mit den dunklen Locken, der sich für den größten Stecher gehalten hat. Echt, ich hab nur kurz mit dem rum gemacht und hatte schon keinen Bock mehr, dafür aber das ganze Kinn zerkratzt. Stell dir vor, ich hätte den mitgenommen, dann könnte ich jetzt noch immer nicht mehr laufen.“
Erik strich sich geistesabwesend über sein eigenes stoppeliges Kinn. Er hatte sich die letzten Tage nicht unbedingt vorbildlich um sich selbst gekümmert aber beim Blick in den Spiegel war ihm heute Morgen aufgefallen, dass er sich eigentlich auch einmal einen Bart stehen lassen konnte. Das würde ihm jedenfalls das Rasieren ersparen. Nur den beiden Damen hier würde er damit dann keinen Gefallen mehr tun. Die Frage wäre sowieso gewesen, ob er das überhaupt gewollt hätte. Das Seltsame an Schönheitsidealen war doch, sie bezogen sich meistens auf das Äußere und vernachlässigten den Geist sträflichst. Dennoch war das Aussehen nun einmal die Visitenkarte, das Erste, was man in der Regel von seinem Gegenüber wahrnahm. Persönlichkeit war auf den ersten Blick hin unsichtbar, oft genug sogar im ersten Gespräch noch.
In einem Punkt aber musste er den beiden Mädels recht geben. Es war immer alles ein Geben und Nehmen. Besonders Beziehungen funktionierten immer nur als Duett. Ob es sich auf Arbeitsteilung im Haushalt bezog, auf das Erfüllen von zwischenmenschlichen Bedürfnissen oder offenbar wie hier auch auf die Körperpflege. Der Kompromiss war das Zauberwort.
Nur beim Essen wollte er heute keinen eingehen. Als er das Angebot der Mensa sah und die langen Schlangen an der Ausgabe, entschied er sich für ein einfaches Brötchen in der Cafeteria, und ging wieder. Das einzige Gericht, was ihn nicht schon vom Namen her abgestoßen hatte, sah so aus, als sei es schon einmal gegessen gewesen und das verdarb ihm einfach den Appetit.

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Hörsaalgetuschel – Ausgabe 135.

Herzschmerz

Tina zog ein Gesicht, bei dem selbst Flo erkennen musste, dass etwas nicht stimmte. Mit hängenden Schultern saß sie in der Mensa und stocherte lustlos auf ihrem noch vollen Teller herum. Das gemeinsame Mittagessen sah heute einmal etwas anders aus, da Mia noch arbeiten musste und Erik bei einem Projekt eingebunden war, worum er ein riesiges Geheimnis machte. So waren am Ende nur Flo und Tina übrig geblieben und genau so gut hätte Flo hier alleine sitzen können. Die Zeiten, dass Tina heimlich für Flo geschwärmt hatte, waren ebenfalls lange vorbei. Zu viel war in den letzten Monaten und Jahren passiert.

Flo beobachtete mit leicht nachdenklich schief gelegtem Kopf, wie Tina eine einzelne Erbse aufspießte, vorsichtig in den Mund nahm und die nächsten zwei Minuten behäbig darauf herum kaute. Dabei waren ihre Augen durchaus nicht so leer, wie in den letzten Wochen, wenn sie sich unbeobachtet fühlte. Jetzt spiegelte sich offene Traurigkeit darin wieder, und es schien ihr egal, ob sie beobachtet wurde, oder nicht. Flo grübelte kurz und entschloss sich dann, einen Schuss ins Blaue zu wagen.

„Wie geht es deinem Zwerg?“

Wie aus tiefen Gedanken schreckte Tina hoch, sah ihn kurz an und senkte dann wieder den Blick.

„Ganz gut soweit. Nichts Neues mehr seit der letzten Untersuchung und die nächste ist erst in drei Wochen. Aber im Augenblick wüsste ich nichts, was für Probleme sorgen könnte.“

„Wie wäre es damit, dass du nichts isst? Oder dein Gesichtsausdruck wie sieben Tage Regenwetter?“

Wenn er wirklich ganz ehrlich zu sich selber war, dann liebte er das Spiel mit dem Feuer ein ganz kleines Bisschen. Und ein Spiel mit dem Feuer war es im Moment wirklich. Noch behielt Tina aber die Kontrolle über sich selbst.

„Dem Würmchen geht es gut, das hat nichts damit zu tun. Du kannst das nicht verstehen. Ihr könnt das alle nicht verstehen. Erik hat Mia, du hast deine Kristina, sogar Marco hat eine neue Dumme gefunden. Jeder findet irgendwie wen, nur ich bleibe allein. Und wenn ich dann doch einmal jemanden finde, der wirklich was drauf hätte, dann will er natürlich nichts von mir.“

Zum Ende des Satzes hin war jede Wut aus ihrer Stimme gewichen und grenzenlose Enttäuschung hatte ihren Platz eingenommen. Sie blickte mit einem Gesicht auf ihren Teller, bei dem Flo sich wunderte, wieso er keine dicken Tränen laufen sah. Tina war nicht innerlich tot, aber sehr schwer verletzt. Und er hatte immer geglaubt, es sei für Frauen einfacher, einen Partner zu finden. Besonders wenn sie sehr gut aussahen und, so fair musste er sein, Tina hatte von Mutter Natur einen ausgesprochen schicken Körper geschenkt bekommen. Wie passte das zusammen?

„Du hast also wen kennengelernt? Wieso wollte er dich denn dann nicht? Ist ihm das mit dem Kind zu viel?“

„Davon weiß er noch nicht einmal. Es war nur ein Date, wir waren etwas Essen, er hat darauf bestanden, mich einladen zu dürfen und hat sich hinterher aufgespielt wie was-weiß-ich, weil ich ihn nicht gleich in mein Bett eingeladen habe. Dabei wirkte er eigentlich zuerst noch recht vernünftig, aber plötzlich bin ich eine billige Schlampe, weil ich mich nicht auf dem ersten Date flachlegen lasse.“

Da war es wieder, das wütende Funkeln in ihren Augen. Gekränkter Stolz, angeschlagenes Selbstbewusstsein und die erstickte und zertrampelte zaghafte Hoffnung, doch einmal Glück gehabt zu haben. Und gleichzeitig auch ein starrer Trotz, sich nicht dadurch definieren und beherrschen zu lassen. Sie würde wieder aufstehen und stärker sein als zuvor. Stärker und unbarmherziger, kalt und grausam wie das ewige Eis der Berge, welches jeden Wanderer einforderte, der es wagte, sie bezwingen zu wollen, ohne zu wissen, worauf er sich eingelassen hatte. Trotz des schönen Wetters kroch eine Gänsehaut über Flos Rücken und er wandte sich hastig wieder seinem Essen zu, ehe er sich in diesen Augen verlor.

Marco mochte noch nur Mittel zum Zweck gewesen sein, doch ihr nächster Freund würde schwer arbeiten müssen, um über den Status des bloßen Spielzeugs hinaus zu kommen. Irgendwo empfand Flo Mitleid mit dem unbekannten Kerl aber er konnte sie verstehen. Es war unmöglich zu sagen, wie er selbst sich in ihrer Situation benehmen würde. Vermutlich wäre er auch nicht gerade wohlwollend. Mit groben Bewegungen und lautem Klappern lies sich Mia auf den Platz neben Tina fallen. Gierig schaufelte sie sich einen großen Bissen in den Mund und sah sich dann zufrieden kauend in der kleinen Runde um.

„Alles okay bei euch? Sieht nicht gerade nach Partystimmung aus hier.“

„Tina ist etwas gefrustet.“

„Oh nein, war er doch ein Reinfall? Das tut mir so leid, Schatz.“

Und noch ehe Tina selbst überhaupt irgendetwas sagen konnte, hatte Mia ihr Besteck beiseitegelegt und sie mit einer unerwarteten Zärtlichkeit in den Arm genommen. Flo hatte zwar mitbekommen, dass Mia und Tina sich in letzter Zeit erstaunlich gut verstanden, aber er hatte immer noch die Furie Mia vor Augen, die in eifersüchtige Tiraden ausgebrochen war, weil dieses Mädchen ihren Freund auch nur falsch angesehen hatte. Ganz zu schweigen von der Tina, wie sie Erik in einem ruhigen Moment geküsst hatte, ohne seine Zustimmung abzuwarten. Wenigstens darin glichen sich die beiden Frauen. Sie fragten nicht lange, sie handelten lieber und nahmen sich, was sie wollten.

Und nun saßen diese beiden hier, die noch vor einem halben Jahr erbitterte Feinde gewesen waren, und kuschelten, als wären sie schon immer ein Herz und eine Seele gewesen. Flo hatte Fragen, die er sich im Moment nicht zu stellen wagte. In Mias Armen wirkte die kleine Tina noch einmal besonders zierlich und zerbrechlich und Flo hoffte inständig, dass Mia sich keinen perversen Spaß aus ihrem Leid machte, um irgendeine perfide Rachefantasie zu befriedigen.

Wasserkuppe

Hörsaalgetuschel – Ausgabe 131.

Nachwuchs

Kurz, nachdem Flo zu Kristina gezogen war, hatte sich das Ritual eingebürgert, einmal die Woche mit Erik und Mia gemeinsam in der Mensa essen zu gehen. Zeitweise gesellten sich auch andere Freunde dazu, aber die Drei waren die Stammbesetzung dieser Runde. Heute würden sie nicht hinein gehen, sondern sich nur einen Platz in der Vorhalle suchen, denn Flo hatte mal wieder einen Kuchen dabei, welcher ihr Mittagessen sein würde. Etwas Geduld brauchten sie aber noch, denn Erik war alleine gekommen. Mia hatte mal wieder etwas zu organisieren gehabt und war noch in der Sprechstunde beim Dekan.

„Du kannst sagen, was du willst, aber die Frau treibt mich irgendwann noch in den Wahnsinn.“

So sehr Erik seine Freundin auch bewunderte, so sehr liebte er es, über sie zu meckern. Ob sie anwesend war oder nicht, spielte keine Rolle. Nichts, was er sagte, würde er nicht auch vor ihr so sagen, und wenn sie sich über etwas aufregen oder ärgern wollte, dann tat sie das ebenso unabhängig davon, ob sie es hörte, oder nicht. Und bei allen Unstimmigkeiten konnten sie nicht anders, als sich am Ende jedes Mal wieder zu vertragen. Sie waren absolut süchtig nacheinander und selbst wenn ihre Wohnung zwanzig Zimmer gehabt hätte, sie wären immer maximal im Nebenraum voneinander gewesen.

Flo sah von seinem Telefon auf und machte sich emotional bereit, wieder mitten im Kreuzfeuer zwischen den Schützengräben zu stehen. Bei jedem größeren Streit kam es zwangsläufig zu dem Punkt, wo wenigstens eine der beiden Seiten vor ihm stand, und eine Positionierung forderte. Inzwischen war er sehr geübt darin, eine positiv klingende aber dennoch dermaßen ungefähre Antwort zu geben, aus der ihm auch im Nachhinein kein Strick gedreht werden konnte. Doch das hier klang bereits jetzt nicht nach einem großen Streit, sondern nur geringfügig abweichenden Meinungen.

„Ich weiß ja, dass sie recht eifersüchtig sein kann, aber irgendwo muss doch auch mal gut sein. Seit sie mitbekommt, dass Tina gelegentlich etwas mit mir flirtet, geht sie viel stärker auf mich ein, das ist ja noch etwas Gutes. Aber offenbar bekommt sie es etwas in den falschen Hals, dass Tina ein Kind bekommt.“

„Wieso das? Will sie jetzt auch eins? Du weißt ja, sie ist manches Mal etwas voreilig und hat Angst, etwas zu verpassen. Gib ihr ein bis zwei Wochen, um sich an die Situation zu gewöhnen, und alles ist wieder gut.“

„Du verstehst das nicht so ganz, glaube ich. Sie wird keine Woche warten wollen.“

„Soweit ich weiß, gehören da auch immer zwei zu. Also, was soll sie tun?“

„Eine Katze anschaffen.“

Die Idee war so charmant wie absurd. Das letzte Mal, dass Mia eine Katze gestreichelt hatte, konnte sie für zwei Tage kaum mehr etwas sehen, so sehr hatte der allergische Schock ihre Augen zu quellen lassen. Auch wenn sie die Tiere nach wie vor liebte, sie war zum Abstand gezwungen. Und jetzt wollte sie sich eine Katze als Kindersatz in die Wohnung holen? Flo musste unwillkürlich laut auflachen. Das passte doch alles überhaupt nicht zusammen. Wieso musste es unbedingt eine Katze sein? Weil ein Hund zu viel Auslauf benötigte und ein Meerschweinchen zu uninteressant war? Oder wollte sie doch noch zu einer verrückten alten Katzendame werden?

„Eine Katze? Von allen möglichen Haustieren möchte sie eine Katze haben? Es könnte auf jeden Fall sehr lustig werden, wenn ich mich an das letzte Mal erinnere.“

„Das nennst du lustig? Schlimm genug, dass ich mich dann rund um die Uhr um sie kümmern muss, weil sie selbst zu nicht mehr viel in der Lage sein wird. Aber hast du eine Ahnung, was die Viecher für einen Dreck machen? Also Katzen mein ich jetzt, nicht geblendete Frauen. Überall Haare, Katzenstreu und alles wird nach was auch immer stinken. Wie soll ich denn mit Putzen hinterher kommen, wenn auf jeder Schrankwand dreckige Katzenpfoten Samba tanzen? Soviel kann ich dir jetzt schon sagen, Mia wird sich nicht darum kümmern. Wenn ich Glück habe, achtet sie wenigstens auf die Erziehung.“

„Oh das wird sie schon. Spätestens dann, wenn die Katze ihre verrückten fünf Minuten während ihrer Serie bekommt.“

Konfliktpotenzial vom Feinsten bahnte sich an. Mias spontane Sehnsucht nach einem Kindersatz gegen Eriks ausgeprägten Sauberkeitsfimmel. Wenn es nur um die beiden ging, ging das Zusammenleben ja recht gut, aber ein Haustier? Flo sah darin den denkbar ungeeignetsten Testballon für ein eventuell anstehendes gemeinsames Kind. Aber so oder so, ein Kind pro Semester war doch eigentlich genug. Er sah jedenfalls nicht, dass es eine gute Option für Mia und Erik wäre.

Zu seiner Überraschung sah er nun auch Mia, die sich zügig und in unerwarteter Begleitung näherte. An ihrer Seite bemühte sich Tina, Schritt zu halten. Die beiden Frauen wirkten dabei außerordentlich gut gelaunt. Schon von Weitem winkte Mia Erik und Flo aufgeregt zu, drückte dann ihrem Freund einen Kuss auf den Mund und Flo ihr Handy ins Gesicht.

„Schau mal! Ist sie nicht süß? Vielleicht bekommen wir die Kleine hier als Pflegekind. Erik hat dir wahrscheinlich schon erzählt, dass wir eine Katze adoptieren, oder?“

Da war sie, die Aufforderung, Position zu beziehen, wenn auch etwas versteckt. Natürlich sah Mia nirgendwo ein Problem oder Diskussionsbedarf, vielleicht auch deswegen, weil Erik nie sehr nachdrücklich war.

„Er hat mir erzählt, dass du dir eine Katze wünschst, ihr darüber aber noch einmal reden müsst.“

„Ja siehst du, das ist doch fast das Gleiche. Was gibt es heute zu essen? Ich verhungere!“

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