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Hörsaalgetuschel – Ausgabe 169.

Ausschlafen am Wochenende

Eines der großen Vorteile von Wochenenden ist, dass nicht zwangsläufig der Wecker die Nacht beendet, sondern der Tag selbst eine Chance dazu bekommt. Wenn die Sonne durch die Vorhänge linst und man nicht wacht wird, weil die Zeit vorbei ist, sondern weil man tatsächlich ausgeschlafen ist.

Die Theorie könnte so schön sein, wenn sie sich denn auch daran halten würde. Aber der Körper gewöhnt sich an gewisse Rhythmen und wacht dann auch zu den Zeiten auf, die er gewohnt ist. Ob die Zeit dazu schon reif ist oder nicht, spielt erst einmal eine untergeordnete Rolle. Und so kam es dann, dass Flo nach immerhin sechs Stunden Schlaf, was wenigstens zwei zu wenig für ihn waren, entnervt auf die Uhr sah.

Sonnenaufgang war für ihn nie ein Kriterium zu Wachwerden gewesen. Er hatte auch gerne einmal bis mittags durchschlafen können, nur um dann weitere Stunden einfach nur faul da zu liegen. Aber das war einmal. Inzwischen hatte er sich daran gewöhnt, an den Wochenenden bei Kristinas innerem Zeitplan mitzuspielen. Das hieß, gegen zehn Uhr aus dem Bett zu krabbeln und zu frühstücken. Nur waren es selbst bis dahin noch zwei Stunden Zeit, und trotz neu in die Bettdecke wickeln und umdrehen schaffte er es nicht, noch einmal einzuschlafen. Und das trotz bleierner Müdigkeit.

Welchen Wert hatte denn ein Wochenende, wenn der Wecker zwar nicht um sechs Uhr klingelte, er aber doch keinen erholsamen Schlaf nachholen konnte? Kurz spielte er mit dem Gedanken, einfach schon einmal aufzustehen und das Frühstück vorzubereiten, aber dabei würde er vermutlich Lärm machen und seine Freundin wecken. Sollte er sich stattdessen an den Schreibtisch setzen und liegen gebliebene Arbeit aufholen? Es wäre notwendig aber ungefähr so verlockend, wie von einer kalten Dusche geweckt zu werden.

Während er grübelte, angelte er Kristinas Kuscheltier zwischen den Kissen hervor. Das rosane Plüschschwein begleitete sie schon seit ihrer Kindheit und war ganz selbstverständlich auch in ihrem Bett eingezogen, selbst wenn ihr einziger Kontakt dazu noch war, es gelegentlich von hier nach da zu räumen, wenn es ihr im Weg war. Stattdessen belächelte sie Flo, wenn er es hervorzog und damit spielte oder mit ihm redete. Von seinen Kindheitserinnerungen hatte keines das Haus seiner Eltern verlassen. Wozu auch? Er hatte ja jetzt das Schwein.

Als Kristina eine Stunde später aufwachte, fand sie Flo, fest schlafend mit ihrem Kuscheltier auf dem Brustkorb liegend. Es schien ihr fast, er würde dort ein Baby halten. Sie konnte nicht sagen, was dieser Gedanke mit ihr machte, aber er beunruhigte sie und erfüllte sie gleichzeitig mit Glück. Heute würde sie nicht direkt aufstehen, stattdessen kuschelte sie sich noch etwas zu Flo und dem Schwein und gab sich ihren Grübeleien hin.

Golden Gardens Seattle

Momente VIII

Sommerhitze rollt wie ein brennender Güterzug über die Stadt hinweg und lässt die windstille Luft flirren. Staubig wirkendes Sonnenlicht lässt stumpfe Fensterscheiben und dicke Schweißperlen glitzern. Die Thermometer in den zahlreichen Dachwohnungen klettern immer höher und höher und jedes noch so kleine Wasserloch erhält eine magische Aura aus unwiderstehlicher Anziehungskraft.

Im Hörsaal ist es erstaunlich leise. Das Semester ist bereits etwas fortgeschritten und hat einen inneren Zwang mitgebracht, sich endlich zu engagieren und regelmäßiger in den Vorlesungen aufzupassen. Trotz kompletter Verdunklung steht die Luft, gefühlt ohne ein einziges Sauerstoffmolekül, dafür aber mit jeder Menge stechendem Schweißgeruch und noch mehr Wärme, als selbst in der prallen Sonne zu finden wäre.

Die Zeiten der Grundvorlesungen sind vorbei und so kann der Professor endlich über die Themen referieren, die ihn selbst auch begeistern. Das mag ein gutes Mittel gegen die lähmende Hitze sein. Vielleicht liegt es auch an seiner Tätigkeit in den Wüsten dieser Welt, von denen er gerade berichtet, die ihn gegen Temperaturen weit jenseits der eigenen Körpertemperatur abgehärtet haben. Im Moment sieht er jedenfalls in interessierte, wenn auch erschöpfte Gesichter. Nicht nur ein Paar Augen hier sehnt sich gerade nach einer kalten Dusche, einer Siesta oder wenigstens einem großen Eis. Doch seine Begeisterung steckt an und so nehmen etliche den Kampf an und bemühen sich um Aufmerksamkeit.

Plötzlich kommt Leben auf, ein heiteres Gekicher wandert durch die Reihen. Der Einzige, der in seiner Reihe nicht kichert, ist der Stoner in seinem bunten Hawaiihemd, bei dem es nur niemand übers Herz gebracht hat, ihm mitzuteilen, dass es schrecklich aussieht. Er sitzt recht schief, das Kinn auf die Faust gestützt und schläft in aller Seelenruhe. Der Professor lächelt kurz und fährt dann unbeirrt fort. Er wird schon wieder irgendwann aufwachen. Lediglich die beiden Ägypter in der letzten Reihe schütteln ungläubig die Köpfe. Währenddessen zieht eine hohe, diffuse Wolkendecke über den Himmel, perfekt um die Wärme über Nacht zu halten.

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Schwarze Plörre

Und wieder finden wir uns bei einem von Jettes Schreib mit mir, diesmal Teil 31. Keine Sorge, diesmal habe ich mich kurz gehalten. Ich hatte beim Lesen der „Aufgabe“ spontan ein Bild vor Augen, wie es auch aus einem Terry Pratchet Roman hätte stammen können. Das war also der Stil, den ich anpeilen wollte. Spoileralarm: Ich habe es nicht geschafft. Komik und ich, wir sind eben ein Gespann, was nicht auf Kommando funktioniert. Ich hoffe, es gefällt Euch trotzdem. Viel Spaß!

Ps.: Rahmenbedingungen für den Text gibt es nochmal hier!

Schwarze Plörre

Undurchdringbare Büsche, hohe, dichte Baumwipfel, welche im Wind rascheln, Vögel, die darin mit hellen Stimmen rufen und immer wieder ein scheues Reh oder stolzes Wildschwein, welches durchs Unterholz bricht. Zierliche Sonnenstrahlen tanzen über glitzernde Blumen auf gut versteckten Lichtungen, von weichem Moos bewachsene Steine, so alt wie die Zeit selbst, ragen aus dem kühlen Schatten und verdecken den Bau von Wolf oder Kaninchen, welche sich lieber erst in der goldenen Dämmerung zeigen.

Die windschiefe Hütte der Hexe Mellita stand nicht in einem solchen Wald. Büsche und Bäume um das Bauwerk, welches ebenso knorrig war wie seine Bewohnerin, war längst zu Brennholz verarbeitet worden und der einst so unscheinbare Pfad durch den einst so verschlafenen Wald war zu einer viel genutzten Hauptverkehrsader geworden. Selbst ein Straßenpflaster hatte König Vaalium gespendet, nachdem Mellita sich wiederholt geweigert hatte, an seinen Hof zu ziehen. Nur hier draußen gab es die besonderen Zutaten, welche sie für ihren magischen Trank benötigte.

Und dieser Trank, eine bitterlich sauer, und doch so aufregend riechende, schwarze Flüssigkeit, war die Basis ihrer Macht. In einem riesigen Kupferkessel brodelte das Gebräu vor ihrem Haus, und es brauchte nur ein Nicken und einen Fingerzeig von Mellita, und gleich eine ganze Meute von Wartenden stürmte los, neues Holz auf das Feuer zu legen oder eimerweise frisches Wasser aus dem Brunnen zu holen. Und sie bezahlten ihr auch noch gutes Geld dafür, dass sie sich abrackern durften und am Ende meist nur eine Flasche des Trunkes zu bekommen, welcher kalt und sauer war, ehe sie ihr Heim erreichten. Dabei funktionierte der Trank doch nur, solange er heiß war.

Sie hatte Geschichten gehört, von Barbaren, die ihr erkaltetes Gebräu mit Milch wieder aufkochten. Angeblich gab es im Osten auch einen grauen Zauberer, der einen Kräutersud aus Blättern bestimmter Büsche verkochte, welcher auch kalt noch wirkte. Aber das waren nur Ammenmärchen, da war sie sich sicher.

Wie jeden Morgen stand auch heute wieder, pünktlich zu Sonnenaufgang, der Herold von König Vaalium vor der Hütte. Sein Weißer Schimmel erleichterte sich, ebenfalls wie jeden Morgen, an der Hausecke. Mellita würde den Dung später einsammeln. Es war ein wertvoller Rohstoff. Herold Zitzewitz, gewandet in eine schrecklich alberne Uniform aus kunterbunter, scheinbar wild zusammengewürfelter Kleidung, war heute allerdings weniger gut gelaunt als sonst.

„Heute benötige ich die doppelte Menge, keine Sorge, ich bezahle auch doppelt. Aber die Königin hat sich offenbar die Titte eingeklemmt. Laufend jammert und nörgelt sie nur über des Königs Lethargie, welche nur durch Euren Zaubertrank zeitweise besser wird. Aber er wirkt immer weniger und weniger. Der König braucht inzwischen alle viertel Glockenschlag einen gehörigen Schluck. Es bleibt für niemanden sonst etwas übrig.“

Die quietschige Stimme des ordinären Boten hallte über das provisorische Lager, welches die Hütte permanent umgab. Er war sichtlich unglücklich mit der Situation, obwohl sie so viele Geschichten bereithielt.

„Nur wird es der Frau Königin wohl wenig helfen. Mein Zaubertrank ist kein Liebestrank. Das, was du suchst, wirst du nicht in diesem Kessel finden. Aber ich habe etwas Neues ausprobiert und die Wirkung verstärken können. Diese Flasche wirkt doppelt so stark, eine Expressversion, wenn du so willst. Möchtest du es erst einmal damit versuchen?“

Herold Zitzewitz war entzückt. Begeistert hüpfte er auf der Stelle und klatschte in die pummeligen Händchen.

„Einen Liebeszauber bräuchte es bei dieser Königin sicherlich nicht. Viel wichtiger ist wohl, dass der König lange genug wach ist, dass die Lebensgeister auch den kleinen König erreichen können. Dann geht es sicherlich auch der Königin und ihren Honigtüten wieder besser.“

Eilig ritt er von dannen und ließ eine kopfschüttelnde Hexe zurück. Kaum war er hinter dem nächsten Baum verschwunden, griff sie einen Eimer, sammelte die Hinterlassenschaften des treuen Schimmels ein und begab sich mit einem weiteren Eimer in den Wald. Sie musste sich beeilen, ihn mit Hasenkötteln, Hirschdung und diversen Kräutern zu füllen. Schon kurz nach Sonnenaufgang erwartete sie ihren Lehrling, welcher unterwegs war, Säcke der exotischen Bohnen zu besorgen. Über einem Feuer mit den Eimerinhalten geröstet würden sie genau das perfekte Aroma erhalten, welche sie dann, zerstoßen und zermahlen, an das Wasser im Kessel abgeben konnten.

Natürlich könnte sie auch einfach das Pulver verkaufen und den Leuten beibringen, wie sie das Gebräu selbst zubereiteten, aber sie war eine Hexe und von einer Hexe erwartete man, dass sie vor einem großen Kessel stand und einen magischen Zaubertrank zubereitete. Ab und an, wenn sie jemand fragte, riet sie dazu, einige der weißen Kristalle hineinzugeben, welche sie ebenfalls verkaufte. Die honigsüßen Steinchen waren ihr eigentliches Geheimnis und sie waren ihr Gewicht in Gold gleich doppelt wert.

Schwarze_Suppe