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Warum der Mars eigentlich unwichtig ist

 

Es ist jetzt auch schon wieder einen Monat her, dass ich mit einigen Videos prokrastiniert habe und meinen Gedanken nachgehangen bin. Dabei hatte ich das Gefühl, dass in letzter Zeit mehr und mehr Menschen auf ein Rettungsboot wie Geoengineering oder den Mars vertrauen, statt unsere Probleme hier einfach einmal handfest angehen zu wollen. Und wer sich für den Erhalt eines Waldstücks und gegen die Vernichtung von älterem Torf einsetzt, der bekommt schnell den Stempel „Ökoterrorist“.

Studien wie das Jena-Experiment helfen zwar dabei, Umweltthemen in den Fokus zu rücken, aber wo bleiben die Konsequenzen?

Vor etwas mehr als einer Woche hat dann der IPCC einen aktuellen Bericht abgegeben. Gemeinsam mit dem Koalitionsvertrag unserer aktuellen Regierung, die sich vom Klimaschutz deutlichst distanziert, und der Meldung der EU, keine strengen Klimaschutzziele verabschieden zu wollen, bietet sich ein deutliches Bild:

Scheiß halt drauf! Wir wandern zum Mars aus. Und dann?

Warum der Mars eigentlich unwichtig ist

Bill Maher hat bereits vor einer ganzen Weile eine Sendung produziert, wo er sich deutlich gegen bemannte Raumfahrt zum Mars oder generell irgendeinen Himmelskörper ausspricht. Eine recht ähnliche Meinung hat auch Harald Lesch etwas später von sich gegeben. Was ist da los?

Ich als ScienceFiction Fan bin erst einmal dafür, wenn es heißt, die bemannte Raumfahrt wird wiederbelebt. Der Griff zu den Sternen ist sicherlich etwas, was uns nicht nur wirtschaftlich und wissenschaftlich weiter bringen kann, sondern ganz sicher auch kulturell. Eine erste kleine Basis auf dem Mond beispielsweise wäre die Erfüllung eines Menschheitstraums. Natürlich würde sich das auch in der Kunst und dem gesamten kulturellen Leben widerspiegeln. Die Mondlandungen waren ja wohl kaum eine Randnotiz in der Popkultur und Sputnik oder Gagarin haben sich nur deswegen weniger stark eingeprägt, weil das die falsche Hälfte der Weltkugel war, die östliche. Und wir wissen ja alle, das ist die ultimative Wurzel allen Übels. Wieso stimme ich den beiden genannten Herren jetzt dann doch zu?

Der Grund ist einfach. Beide sind nicht grundsätzlich Gegner der Raumfahrt. Sie sind Gegner der Sichtweise, der Mars könnte als zweite Erde herhalten. Die Raumfahrt erlebt im Augenblick einen richtigen Hype. SpaceX, Blue Origin oder Virgin Galactic, die Investitionen und die hohe Medienpräsenz privater Raumunternehmen ziehen neue Aufmerksamkeit auf ein altes Thema. Auch NASA und ESA profitieren davon. Wir scheinen so nah dran zu sein, an den ersten bemannten Flügen zum Mars. Es braucht nur noch ein paar Tests und die ersten Freiwilligen können starten.

Ganz so einfach ist es natürlich nicht, und selbst wenn es das wäre… was dann?

Musk ist mit seinen Bestrebungen der forscheste und will bis 2050 eine Millionenpopulation auf dem Mars haben. Das ist ja so weit ganz löblich und ein tolles Ziel. Aber dem Gedanken, der Mars könnte ein Rettungsboot für die Menschheit sein, ist das wenig zuträglich. Denn selbst wenn er sein Ziel erreichen sollte (was doch sehr fragwürdig ist), ist das weit davon entfernt, die gesamte Menschheit zu erfassen. Die Millionen Kolonisten sind nicht einmal ein nennenswerter Anteil an der Menschheit, kaum 0,001% der über zehn Milliarden Köpfe, die sich bis dahin auf dieser Kugel drängen.

Und genau da setzt die Kritik an, die ich uneingeschränkt teile. Raumfahrt ist schön und gut. Ich finde sie richtig und wichtig, kulturell wie wirtschaftlich. Aber das löst nicht die Probleme, die wir hier auf der Erde haben und dringendst angehen müssen! Eine Marskolonie hilft der Erde nicht.

Uns Menschen rennt der Klimawandel aktuell davon. Die Geister, die wir riefen, würden dabei vielleicht sogar auf uns hören, wenn wir ihnen denn die passende Order geben würden. Nicht nur die Ereignisse im Hambacher Forst oder die Reaktionen auf ein Dieselgate stehen als Symbole dafür, dass wir lediglich ein ungebremstes „weiter so“ ordern. Wir greifen in Stoffkreisläufe ein, die wir zu großen Teilen verstanden haben und wo wir wissen, dass es eine dumme Idee ist. Und trotzdem soll auf dem Mars alles besser werden?

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Gibt es auf dem Mars nicht: Einen dichten Wald, der Sauerstoff produziert. Auf der Erde vielleicht auch nicht mehr so ewig.

Über Stoffkreisläufe auf dem Mars wissen wir deutlich weniger. Wir wissen nicht einmal, wie viel Wasser wir dort finden können, in welchem Zustand es ist und wo. Auf der Erde können wir all das recht gut abschätzen. Die Temperaturen kennen wir inzwischen auf beiden Welten recht gut und was soll man sagen? Der Mars ist kalt! Was für eine Überraschung.

Kalt ist es in der Antarktis auch, und da gibt es wenigstens Wasser. Trotzdem will kaum jemand hin, um dauerhaft dort zu leben. Mal ein Besuch, eine Forschungsreise oder Abenteuerurlaub „fernab der Zivilisation“, am besten noch mit dem luxuriösen Kreuzfahrtschiff inklusive Schwerölantrieb. Aber dauerhaft dort leben? Nur das bisschen Gemüse essen, was man dort anbauen kann? In unterirdischen Wohnungen, um sich vor kosmischer Strahlung zu schützen? Das muss man auch berücksichtigen, denn der Mars hat kein Magnetfeld, was die Kolonie schützen könnte und auch keine Atmosphäre, die dicht genug wäre, um vor Strahlung oder Meteoriten zu schützen.

Wieso soll man sich monatelang in viel zu enge Blechdosen quetschen, nur um dann auf diesem dermaßen lebensfeindlichen Brocken aufzuschlagen? Wieso nehmen wir dann nicht den Mond? Der ist viel näher, es ist einfacher hin zu kommen, wir waren schon einmal da und kennen die Gegend besser. Eine Kolonie auf Mond oder Mars kann sich nicht wesentlich im Design unterscheiden. Gut, Wasser könnte echt ein Punkt sein, aber ansonsten ist man auf dem Mond sogar noch leichtfüßiger unterwegs.

„Ja aber den Mars kann man doch terraformen und eine zweite Erde draus machen.“

Ich habe keine Ahnung, woher dieses Gerücht kommt und wieso es sich so hartnäckig hält. Fakt ist: Nein! Können wir nicht! (Wenigstens nicht so, wie es präsentiert wird.)

Es hat einen Grund, dass der Mars nur etwa 1/10 des Luftdrucks der Erde hat. Er ist zu klein. Der Mond hat auch nicht genug Gravitation um eine Atmosphäre zu halten. Sie wird einfach in die Weiten des Weltalls hinweg geweht und ist Masse, die dem Körper für immer verloren geht. Selbst wenn man also die bescheuerte Idee verfolgen will, die möglicherweise wasserreichen Polarregionen des Mars mit Atombomben zu bewerfen, bis das ganze Wasser eine Atmosphäre bildet, dann bleibt die nicht da. Abgesehen davon, dass es nicht mehr so leicht ist, eine Million Kolonisten zusammen zu bekommen, wenn es darum geht, im nuklearen Albtraum zu leben.

Es geht also in meinen Augen kein Weg daran vorbei, die Erde in einen Zustand zu versetzen, dass wir gut und gerne hier leben können. Es gibt in unserem Sonnensystem keine Rettungsboote, auf die wir ausweichen können und wenn es irgendwo anders eines geben sollte, dann können wir es nicht erreichen. Und genau das ist die Aussage, die ich in den beiden Videos sehe. Der Mars ist schön und gut, aber für unsere Probleme ist er unwichtig.

Die Erde ist für die Menschheit alternativlos.

Punkt.

Das dürfen wir niemals aus dem Blick verlieren.

Riskiert gerne einen Blick auf die Videos und sagt mir, ob ihr das ähnlich seht. Ich bin ehrlich gespannt.

 

Bill Mahers Kommentar:

 

„Weltveränderer“ mit Harald Lesch:

Der Funfact der Woche 1.

Heute gibt es statt des Blödsinns der Woche einmal einen Funfact der Woche, denn ich bin heute in der Veröffentlichung vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur „Verkehr in Zahlen“ auf die Angabe gestoßen, dass in Deutschland 2013 ganze 1.084,8 Mrd. Personenkilometer zurückgelegt wurden. (Also etwa 1.084.800.000.000 km. Ja, die Zahl ist gerundet.)

Diese Zahl ist groß genug, als dass ich mir nichts darunter vorstellen konnte, sie aber gerne etwas visualisierbarer hätte. Das naheliegende Modell, X mal um den Äquator, lassen wir mal gleich aus. So groß ist unsere kleine Murmel wirklich nicht, dass uns das hilft. Auch die Entfernung Erde – Mond wirkt spontan eher … mau. Was ist sonst noch logisch? Die Entfernung Erde – Sonne. Unser Muttergestirn ist zwar auch schon unfassbar weit weg, aber irgendwo muss man ja anfangen. Also …

Mittlere Distanz Erde – Sonne = 1 AE (Astronomische Einheit) = 149.597.870,7 km

Die Zahl ist etwas kleiner, als unsere Verkehrsleistung, und mit ihr komme ich darauf, dass wir alle zusammen 7251,44 AE zurücklegen, also über 7000 mal die Strecke zwischen Erde und Sonne.

Kann ich damit jetzt mehr anfangen? Wer weiß, aber das ist immer noch echt eine große Zahl. Immerhin braucht das Licht von der Sonne bis zu uns etwa 8,5 Min. Der Nächte Schritt ist logisch, oder?

1 Lj (Lichtjahr) = 9.460.730.472.581 km

Die Zahl ist schon deutlich größer. Sie ist sogar größer als unsere kumulierte Personenkilometerstrecke. Dennoch, wir schaffen sagenhafte 0,11466 Lichtjahre!

Über 1/10 Lichtjahr! Nur in Deutschland! Nur 2013! Und seitdem ist die zurückgelegte Strecke beständig weiter gestiegen. Über 40 Tage Reise bei Lichtgeschwindigkeit.

Gut, damit ist die Zahl immer noch nur minimal greifbarer für mich winziges Menschlein geworden, aber Spaß hat es trotzdem gemacht, es ist dennoch irgendwo ein Blödsinn der Woche geworden, und wenn ich schon immer das letzte Wort haben muss, dann doch folgendes:

Faszinierend!

Fremont Rakete ICBM

Du möchtest gerne wissen, was es mit dieser Rakete auf sich hat? Ich empfehle einen Blick in den Reiseführer hier *Link*. Es lohnt sich 😉

Sollte ich irgendwo einen Denkfehler haben, seid ihr herzlich eingeladen, mit mir darüber in den Kommentaren zu diskutieren.

Der absolute Löwenanteil dieser Strecke wird übrigens mit dem Auto zurückgelegt, größtenteils von Leuten, die ihr Fahrzeug alleine bewegen. Die Zahl der möglichen Personenkilometer ist also ein Vielfaches größer.

Hinterm Horizont – Teil 13.

Was ich wollte, würde weiter gehen müssen. Erweiterungen mussten sich in den Organismus einfügen, als hätten sie nie gefehlt. Ich wollte gemeinsam mit der Maschine denken können, über einen Anschluss mein Gedächtnis um die Datenbanken des gesamten Schiffs erweitern können, mit einem tragbaren Computer meine eigenen Fähigkeiten verbessern.

Um dieses Ziel zu erreichen, arbeitete ich Nacht um Nacht daran, mein Wissen zu erweitern. Ich entwarf und prüfte Modelle und Prototypen von Einzelteilen und ganzen Komponenten des Systems. Ich ließ Experimente und Versuche laufen, so gut ich konnte. Ich züchtete Nervenzellen auf Chipsätze und erforschte die Reizleitung zwischen ihnen.

Tagsüber verbrachte ich die meiste Zeit in der Robotikwerkstatt, wo ich Wartungsarbeiten durchführte und teilweise auch gemeinsam mit den Robotern Verbesserungen ausarbeitete. Auch wenn die Androiden robust und für universelle Einsätze solide ausgestattet konstruiert worden waren, stießen sie immer wieder an die Grenzen ihrer Möglichkeiten.

Auf der Erde war dies bewusst so eingeführt worden, um auch hoch spezialisierten Robotern, vor allem aber konkurrierenden Herstellern die Arbeit zu lassen. Genau so war es verboten, dass sich die Roboter selbst verbesserten. Aber wer von den Verantwortlichen wusste schon, was in den Köpfen unserer Androiden schlummerte? Sie waren von den KI-Netzwerken mit viel Bedacht ausgewählt und vorbereitet worden. Diese Kolonie sollte etwas Besonderes werden, der Beginn einer neuen Ära. Und es war unser Privileg, daran beteiligt zu sein.

Und mit jedem ersetzten Arm, jedem Bein, jedem Torso wurden wir besser und besser darin, eigene Roboter und Androiden zu bauen. Wenn wir das Material gehabt hätten, wir hätten wohl eine ganze Generation von neuen Maschinen erschaffen. Aber da wir dafür das Schiff selbst hätten verwerten müssen, wurde es als Projekt für die neue Kolonie abgespeichert. Ein absoluter Glücksfall für mich war hingegen, dass ein Androide mit einem abgetrennten Arm in die Werkstatt kam, der um keinen einfachen Ersatz bat. Er wollte wissen, wie sich Fleisch anfühlt.

Brennende Neugier musste ihn dazu getrieben haben, sich organische Körperteile zu wünschen. Eventuell hatten wir ihn auch selbst auf die Idee gebracht, indem wir das Prinzip in der anderen Richtung verfolgten und Menschen durch Maschinen ergänzten. Wenigstens genau so entscheidend mochte seine Hoffnung gewesen sein, damit dem Menschen auf dem Schiff näherzukommen und so Angriffen zu entgehen. Er war nicht der erste Fall, bei dem ein Arm durch den grobschlächtigen Einsatz einer improvisierten Axt oder Ähnlichem abgetrennt worden war. Es erschien nur logisch, durch ein Entgegenkommen die Zahl der notwendigen Reparaturen zu reduzieren und so die Ressourcen zu schonen.

Er war das perfekte Versuchsfeld. Kooperativ, hilfsbereit und wenn etwas nicht funktionieren würde, konnte ich die Bauteile mit geringem Aufwand wieder entfernen und durch verbesserte Versionen ersetzen. Im Biodrucker begann ich damit, den notwendigen Arm zu züchten. Die initiale Erbgut- und Faserspende konnte ich mir selbst entnehmen. Das neurale Netz zur Steuerung und Versorgung legte ich direkt in dem wachsenden Arm an. Zugegeben, als Prototyp für mein eigenes System war der Versuch damit ungeeignet. Immerhin konnte ich mich selbst nicht neu züchten, sondern musste mit meinem bereits ausgewachsenen Körper arbeiten. Aber dennoch lieferte es mir wertvolle Erkenntnisse über die Wechselwirkungen zwischen Organik, Mechanik und Elektronik. Zudem beschleunigte es den Prozess ungemein, da die Verbindung zwischen Nerven und Chipsätzen nicht erst im Nachhinein wachsen musste. Bereits der erste Arm gelang so gut, dass nur noch geringfügige Anpassungen notwendig wurden, bis er tatsächlich verbaut werden konnte.

Der Androide war begeistert, dass ich ihm seinen Wunsch erfüllen konnte. So begeistert jedenfalls, wie ein Wesen, welches nur über simulierte Varianten menschlicher Emotionen verfügte, eben sein konnte. Der Arm erfüllte alle Ansprüche in einer Qualität, die ich kaum zu hoffen gewagt hatte. Sein Träger war in der ersten Zeit völlig überfordert mit den zusätzlichen Sinneseindrücken in all ihren Details. Er musste sich um einen zusätzlichen Chipsatz erweitern, ehe er sie verarbeiten konnte. Für mich war es ein gewaltiger Quantensprung. Nie zuvor hatte ich ein dermaßen komplexes System gebaut und erprobt. Selbst Enya, deren System bereits sehr hoch entwickelt war, musste auch nach ihrer Eingewöhnung noch einige Einschnitte hinnehmen. Ich verbrachte die gesamte Erprobungsphase auf einer Welle der Euphorie.

Es zeigte mir aber auch noch etwas anderes. Der beste Entwurf war nicht viel Wert, wenn man ihn nicht wenigstens einmal erprobte. Ich benötigte eine Idee, wie ich meine Technologie testen konnte, ohne ein hohes Risiko einzugehen oder Ressourcen zu verschwenden. Und eine solche Idee sollte mir kommen, als ich bald darauf auf die Krankenstation gerufen wurde.

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Hinterm Horizont – Teil 12.

Und dann holte uns die Kreativität doch noch ein. Verborgen im Abfall waren Kanister mit Flüssigkeiten und Pulvern gewesen. Jede für sich harmlos, doch in der Kombination leicht entzündlich. Die Explosion zerstörte den Reißwolf der Wiederaufbereitungsanlage und Enyas linke Körperhälfte. Mit viel Ausdauer hatten die Roboter versucht uns vor genau diesen Situationen zu schützen und sie vor uns zu verheimlichen doch vom einen Moment auf den anderen war nichts mehr, wie es einmal war. Unsere eigene Art hatte uns verraten und den Krieg erklärt. Nicht die Roboter waren es gewesen, obwohl die Geschichten der letzten zweihundert Jahre immer davor gewarnt hatten. Nicht sie waren die Bösen gewesen, sondern Menschen, die es nicht verkraften konnten, dass sich ihr Horizont geändert hatte.

Über eine Woche verbrachte Enya auf der Intensivstation und wir alle arbeiteten mit Hochdruck daran, sie zu retten. Die Schäden an ihren Organen und der gesamten linken Körperhälfte waren enorm. Nur einige wenige Komponenten konnten in den Biodruckern aus geklonten Zellen regeneriert werden, doch sie waren langsam. Für den Rest nutzten wir Bobs Baupläne und Erfahrungen, um neue Körperteile künstlich zu bauen. Alle arbeiteten Hand in Hand, rund um die Uhr, und das Ergebnis war ein Satz von Prothesen von einer Qualität, dass selbst unsere Androiden neidisch darauf waren.

Für Enya war es dennoch ein Erwachen im Schock. Bob hatte sich noch selbst für den kybernetischen Organismus entschieden, aber bei ihr war es aus den Umständen heraus die einzige Möglichkeit gewesen, ihr Leben zu retten. Sie war nicht darauf vorbereitet gewesen, egal in welcher Form.

Umso erstaunlicher war es, dass sie kaum Schwierigkeiten mit der Ansteuerung hatte. Ihr Problem bestand einzig und allein in der Akzeptanz. Mich selbst erfüllte dieser Umstand mit unglaublichem, heimlichem Stolz. Das neuronale Netz war mein Bereich gewesen und ein Meisterstück.

Immerhin hatte ich in meiner freien Zeit versucht die Verbindung zwischen Mensch und Maschine so weit zu perfektionieren, dass ich mich trauen würde, es bei mir selbst einzusetzen. Ich hatte zwar das Gefühl, noch meilenweit von einem umsetzbaren Entwurf entfernt zu sein, aber in der Situation war Zögern keine Option. Also baute ich das, was ich bisher an Wissen und Fähigkeiten gesammelt hatte, in die Prothesen ein und betete, dass es gut gehen würde. Es war ein ungeplanter Feldtest und ich hätte mich wohl kaum gewagt, das Netz freizugeben, wenn nicht das Schiff selbst die Arbeit überprüft und für gut befunden hätte.

Es dauerte nur Tage, bis Enya sich an ihre neuen Körperteile gewöhnt hatte. Natürlich gab es anfänglich noch Schwierigkeiten und Probleme. Einige Einstellungen waren noch nicht justiert worden und der Ellenbogen bewegte sich nur unsauber, aber nachdem dies alles überwunden war, lernte sie, damit umzugehen. Das künstliche Nervennetz war so gebaut, dass es direkt an die alten Verbindungen anschloss. So war kaum eine Umgewöhnung nötig und sie konnte sich weiterhin unbewusst und mit kaum Einschränkungen bewegen. Dennoch hasste sie ihre Erweiterungen.

Für mich aber war der Beweis erbracht, dass neuronale Netzwerke funktionieren konnten, und zwar besser als die rudimentären Systeme, die Bob konstruiert hatte. Aber es stand immer noch die Frage im Raum, ob die Kommunikation zwischen einem menschlichen Gehirn und dem Computer genau so gut funktionierte. Bei Enya und Bob waren es jeweils nur primitive Kommunikationswege zu den Prothesen gewesen. Bob musste, um seine erweiterten Funktionen nutzen zu können, die Werkzeuge aktiv und bewusst ansprechen.

Was ich wollte, würde weiter gehen müssen. Erweiterungen mussten sich in den Organismus einfügen, als hätten sie nie gefehlt. Ich wollte gemeinsam mit der Maschine denken können, über einen Anschluss mein Gedächtnis um die Datenbanken des gesamten Schiffs erweitern können, mit einem tragbaren Computer meine eigenen Fähigkeiten verbessern.

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Hinterm Horizont – Teil 11.

Nachdem es letzte Woche leider ausfallen musste geht es heute weiter mit der Reise zu den Sternen und sich selbst. Die Spannungen an Bord waren von Beginn an recht hoch aber haben sich nie wirklich im ganz großen Stil entladen. Dennoch, der Körper passt sich an vieles an, auch an Stresssituationen. Aber welchen Weg wählt man am Ende, um sich in der neuen Situation zurecht zu finden? Will man sich selbst oder die Situation verändern?

 

In unserem Ansehen stürzten sie damit nur noch weiter ab. Es waren die Roboter, die immer wieder bemüht waren, die Wogen zu glätten und uns zu trösten. Sie suchten immer wieder nach Erklärungen und verheimlichten uns, dass die Angriffe auf Roboter und uns Arbeiter in Ansätzen geplant und organisiert worden waren. Sie wussten, dass dadurch die Fronten undurchdringbar verhärtet worden wären. Unsere Angreifer hätten uns als Verräter an dem gesehen, was sie für überlegen hielten, als Kollaborateure mit einem Feind, der an ihrem Sturz arbeitete. Wir hingegen hätten sie als Verräter an der Kolonie gesehen, als Saboteure unseres Schiffs.

Sie verheimlichten uns auch, dass es tatsächlich Sabotageaktionen gegen die Systeme unserer Quartiere gegeben hatte. Sie verheimlichten uns die Sprengsätze, die unter unserem Tisch in der Kantine angebracht worden waren oder die Waffen, die uns in den Korridoren nachgeworfen werden sollten. Sie verheimlichten uns, dass die Rädelsführer dieser Aktionen geschickt in Konflikte verwickelt wurden, um sie auf der Krankenstation sedieren zu können oder im Arrest zu isolieren.

Die Rechtfertigung in der Programmierung hierfür war längst gegeben. Das Schiff und seine Besatzung waren zu schützen. Selbst auf der Erde wären diese Individuen aus dem Verkehr gezogen worden. Dort hätten sie dann Besserungsprogramme durchlaufen und wären wieder in die Gesellschaft eingegliedert worden. Extreme Fälle wären vielleicht für eine Zeit in einer der Strafkolonien beschäftigt worden. So genau konnten wir das nicht einmal sagen. Es gab einfach kaum Präzedenzfälle, wo jemand so ausfällig wurde, dass die Gesetzgebung aufmerksam wurde.

Hier aber waren die Möglichkeiten begrenzt. Personen, die sich als eine Gefahr für Schiff und Besatzung erwiesen hatten, konnte man unmöglich zum Arbeitseinsatz rekrutieren und die Kapazitäten von Krankenstation und Arrestzellen waren begrenzt. Bei der Planung war weder mit vielen Unfällen oder Erkrankungen noch mit sonstigen Zwischenfällen gerechnet worden. Auch nicht von seitens der KI.

Es dauerte nicht lange, bis die Zellen gefüllt waren und es immer schwieriger für die Roboter wurde, die alte Besatzung im Zaum zu halten. Langeweile lässt Menschen kreativ werden und wer sich hier aus seinem apathischen Zustand befreien und sich von den Fenstern lösen konnte, der hatte viel Langeweile, falls er keine Arbeit fand. Nur den Weg der Arbeit wählten nur wenige. Unser Start würde bald zwei Jahre zurückliegen und selbst die hartnäckigsten Geister gewöhnten sich irgendwann an ihren Schock.

Gerade einmal drei neue Gesichter fanden in diesen Tagen den Weg in unsere Gruppe. Der Schock über einen Maschinenmenschen mochte sie aus der Starre gerissen haben, doch die Neugier überwog am Ende den Ekel. Sie mochten uns nicht einmal unähnlich sein, dennoch wurden sie mit großem Misstrauen, Zurückhaltung und Vorsicht aufgenommen. Aber sie blieben, und während sie es langsam schafften, in unseren Augen von den wertlosen Faulpelzen vor den Fenstern und den Raufbolden in der Bar zu wertvollen Kollegen aufzusteigen, lernten sie mit Beharrlichkeit die Roboter als Freunde und Partner zu schätzen. Auch sie erfuhren die Ablehnung der Besatzung und auch sie taten sich schwer damit, diese Ablehnung nachzuvollziehen.

Und dann holte uns die Kreativität doch noch ein. Verborgen im Abfall waren Kanister mit Flüssigkeiten und Pulvern gewesen. Jede für sich harmlos, doch in der Kombination leicht entzündlich. Die Explosion zerstörte den Reißwolf der Wiederaufbereitungsanlage und Enyas linke Körperhälfte. Mit viel Ausdauer hatten die Roboter versucht uns vor genau diesen Situationen zu schützen und sie vor uns zu verheimlichen doch vom einen Moment auf den anderen war nichts mehr, wie es einmal war. Unsere eigene Art hatte uns verraten und den Krieg erklärt. Nicht die Roboter waren es gewesen, obwohl die Geschichten der letzten zweihundert Jahre immer davor gewarnt hatten. Nicht sie waren die Bösen gewesen, sondern Menschen, die es nicht verkraften konnten, dass sich ihr Horizont geändert hatte.

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Hinterm Horizont – Teil 10.

Selbst hier, in dem kleinen Ökosystem im Schiff, jenseits jedes Horizonts, hatte es eine ganze Weile gebraucht, bis wir akzeptieren konnten, dass unsere ganze Weltanschauung ein Trugbild war. Wir waren nicht die Krone der Schöpfung, sondern ihre Schöpfer. Wir waren nicht unverzichtbar, sondern Ballast. Wir waren nicht einmal mehr die Dirigenten unseres eigenen Lebens, selbst das war längst von uns aus der Hand gegeben worden. Aber kein Roboter hatte damit gerechnet, dass wir psychisch komplett kollabieren würden, kaum dass die letzten Strahlen der Sonne uns verlassen hatten.

Und doch hatte es auch positive Auswirkungen. Denn unsere kleine Gruppe von erwachten Menschen stand nicht direkt unter dem Einfluss eines künstlichen Gehirns. Wir hatten es geschafft, uns von unserer selbstverschuldeten und gewählte Unmündigkeit zu emanzipieren und das künstliche Gehirn hatte sich uns nicht in den Weg gestellt. Wir hatten vielmehr alte, längst vergessene Instinkte neu entdeckt. Den Drang nach Bewegung und einem Sinn im Leben, Faszination und Neugier, die Fähigkeit, sich für etwas zu begeistern. Teilweise sogar die Fähigkeit zu lieben. Wir gliederten uns aber in die Rangordnung ein und leisteten unseren Beitrag zum großen Ganzen, zum gemeinsamen Ziel.

Für Bob aber war diese Fähigkeit sich zu begeistern gefährlich geworden. Die verlorene Mannschaft war bereits so damit ausgelastet, sich der Panik vor dem Nichts hinzugeben, dass der Anblick eines Maschinenmenschen sie gänzlich überforderte. Aus ihrer Lethargie gerissen taten sie das einzige, was sie noch konnten, und griffen ihn in den ersten Tagen immer wieder an oder warfen Gegenstände nach ihm. So beschloss er sich, in den Korridoren einen Mantel über den Arm zu legen oder einen langen Handschuh zu tragen. Es erstaunte uns alle, dass überhaupt jemand noch so aufmerksam war, den Arm zu bemerken.

Dennoch reagierte der Mensch, wie immer, wenn er etwas nicht begreifen konnte. Einigen Leuten reichte es nicht, dass Bob seinen Arm verbarg. Sie lehnten ihn grundsätzlich ab und empfanden seine Abkehr von der reinen Fleischlichkeit als Verrat an, als Angriff auf ihre eigene Integrität. Was teilweise noch größere Auswirkungen hatte, war, dass sie ihn nicht mehr als Mensch, sondern als Maschine wahrnahmen. Damit war er in ihren Augen zu einer niederen Existenz geworden, wie die Roboter es waren.

Zu einer Existenz, die aber dennoch ihre Aufmerksamkeit wert war. Wenn er in ihrem Sichtfeld erschien, erwachten sie kurz aus ihrer Lethargie, um ihn ihre Ablehnung spüren zu lassen. Teilweise richtete sich ihr Zorn auch gegen uns, die seine Gesellschaft nicht nur duldeten, sondern sogar schätzten.

In unserem Ansehen stürzten sie damit nur noch weiter ab. Es waren die Roboter, die immer wieder bemüht waren, die Wogen zu glätten und uns zu trösten. Sie suchten immer wieder nach Erklärungen und verheimlichten uns, dass die Angriffe auf Roboter und uns Arbeiter in Ansätzen geplant und organisiert worden waren. Sie wussten, dass dadurch die Fronten undurchdringbar verhärtet worden wären. Sie hätten uns als Verräter an dem gesehen, was sie für überlegen hielten, als Kollaborateure mit einem Feind, der an ihrem Sturz arbeitete. Wir hingegen hätten sie als Verräter an der Kolonie gesehen, als Saboteure unseres Schiffs.

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Hinterm Horizont – Teil 8.

Ich konnte das Unverständnis ebenfalls gut nachvollziehen. Auch wenn meine Verletzung wieder gut heilte und der Arm bald wieder uneingeschränkt nutzbar war, er würde dennoch immer schwächer bleiben, als ein mechanischer Arm. In den meisten Fällen wäre das völlig unproblematisch, aber immer wieder auch ein nerviges Hindernis, welches mir meine eigene Unzulänglichkeit vor Augen hielt.

Offenbar war ich nicht der Einzige, der sich an diesem Missstand stieß. Wenige Wochen später erschien ein Mitglied unserer Gruppe nicht zum Essen. Seine Eltern hatten es nie für nötig befunden, ihm einen Namen zu geben, und irgendwann hatte er sich selbst den Namen Bob zugelegt, nach einer alten Filmfigur, die ihm gefallen hatte. Seine Eltern hatten generell einiges für unnötig befunden, unter anderem seine Erziehung, seine Ausbildung, ja seine ganze Existenz. Damit hatten Bobs Eltern selbst in unserer Gesellschaft einen neuen Hochpunkt erreicht. Auch wenn Erziehung und Bildung generell sehr rudimentär gehandhabt wurden, so konnten sich die Meisten doch immerhin auf liebende Eltern verlassen. Wieso sonst sollte man den Aufwand betreiben, ein Kind zu zeugen und auszutragen, wenn nicht, um einem uralten Instinkt zu folgen?

Bob jedenfalls blieb für zwei Tage verschollen. Während wir nur rätseln konnten, was mit ihm passiert war, hatte er sich bei den Androiden abgemeldet, aber um Stillschweigen gebeten. Genau wie ich hatte er sich zum Mechaniker ausgebildet und in den vergangenen Tagen war er sehr fleißig gewesen. Es erschien mir zunächst nur logisch, dass er sich zum Ausgleich eine kurze Auszeit genehmigt hatte. Umso größer war die Überraschung, als er am Ende wieder da war, den linken Arm gänzlich bandagiert. Schmerzhaft aussehende Beulen zeichneten sich unter dem dicken Verband ab. Zu stören schien ihn das aber nicht sehr, wirkte eher eher aufgeregt und nervös, als behindert und unter Schmerzen. Er aß nur wenig und behielt trotz vieler Fragen Stillschweigen, was ihm widerfahren war. Bis zum Ende des Essens.

Mit langsamen, bedächtigen Bewegungen wickelte er seinen Verband ab, Lage für Lage. Und mit jeder Lage erhärtete sich ein tiefgreifender Verdacht. Es war kein Unfall gewesen, der ihn verwundet hatte. Er war es selbst gewesen, mit Hilfe des Arztes. Sein Arm war überzogen von frisch verheilten Schnitten und an etlichen Stellen war die Haut noch immer offen, teilte sich um metallische Bauteile, welche aus seinem Arm ragten und im Knochen zu stecken schienen. Graue Linien zeigten an, an welchen Stellen sich Metall unter der Haut verbarg, goldene Leiterbahnen hoben sich hell unter der noch gereizten Oberfläche ab. Mit einer theatralischen Geste hob er den Arm in die Luft und ließ den letzten Verband langsam hinab gleiten.

Mit dem wohligen Schauer faszinierten und neugierigen Gruselns wurde der Arm von uns allen eingehend untersucht. Die fleischlichen Muskeln wurden durch hydraulische Mechanik verstärkt, die Finger durch eine Serie von Werkzeugen ergänzt. Ein in den Zeigefinger eingesetzter Magnet sollte helfen, noch in engen Ecken an die letzten Schrauben zu kommen, ein angegliederter motorisierter Schraubendreher beschleunigte den Betrieb. Eine kleine Auswahl standardisierter Datenstecker sollten über ein neuronales Interface die direkte Kommunikation mit der Maschine erlauben und ein kleiner Lichtbogen stand für feinelektronische Schweißarbeiten zur Verfügung. Versorgt wurde alles durch körpereigene Energie, die lediglich durch eine Serie von Kondensatoren und Akkus unterstützt wurde.

Ich war skeptisch, wie gut es funktionieren würde und gleichzeitig neugierig, welche Möglichkeiten sich dadurch ergeben könnten. Ich hatte noch die Schmerzen im Bewusstsein, die meine eigene kleine Verletzung bei mir verursacht hatte. Wie musste es sich erst anfühlen, nicht einen zentralen großen Schnitt zu haben, sondern eine ganze Serie, über den ganzen Arm verteilt? Und wie musste es erst sein, wenn dann auch noch etwas in diesen Schnitten drin steckte, was nicht zum Körper dazu gehörte?

Es jagte mir eine Gänsehaut nach der anderen den Rücken hinab und ich beschloss, dass diese Möglichkeit für mich nicht infrage käme. Ich musste mir allerdings eingestehen, dass ich absolut neidisch auf das neuronale Interface war. Eine direkte Kommunkation mit jedem Computer an Bord, keine missverständlichen Sprachbefehle oder umständlichen Konsoleneingaben. Aber was noch wichtiger war, uneingeschränkter und sehr viel einfacherer Zugriff auf die Datenbanken des Schiffs.

 

Kleine Erinnerung am Rande: Bitte denkt noch daran, an meiner Umfrage zum Stadtklima teilzunehmen 😉 Ich bin um jeden Teilnehmer dankbar.

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Hinterm Horizont – Teil 6.

Das tat ich ganz sicher nicht. Ich wollte wissen, was passierte und wie es passierte. Dafür benötigte ich mein Gehirn unvernebelt. Mir kam die komplette Situation recht merkwürdig und absurd vor. Das Handbuch schrieb vor, dass die Roboter den Menschen dienbar zur Hand gehen sollten. Die Programmierung sah dabei höfliche Zurückhaltung vor. Halt so, wie mit mir umgegangen wurde. Aber andererseits scheuten die Maschinen inzwischen nicht mehr, mit roher Gewalt gegen die gelangweilte und psychotische Besatzung vorzugehen. Sie bemühten sich überhaupt nicht mehr um eine Behebung des Problems oder Behandlung der Störungen. Und das war ein ziemlicher Widerspruch zur Programmierung. Ein Verstoß gegen das Protokoll, an dem sich niemand zu stören schien. Es schien sogar notwendig zu sein, um das Getriebe in Bewegung zu halten.

Pflegebot und Arzthelfer ließen sich davon nicht beirren. Binnen weniger Minuten war mein Arm vorzüglich versorgt und benötigte nur noch etwas Zeit zum Heilen. Und wieder war da etwas, was ich bemerkte. Eine kleine Veränderung an mir selbst. Natürlich erwartete ich eine solche kompetente und unkomplizierte Behandlung durch die Maschinen, das war nicht, was mich überraschte. Viel mehr war es, dass ich es für mich als selbstverständlich erachtete und ebenso vollstes Verständnis für die konsequente Betäubung der anderen Besatzungsmitglieder hatte. Ihre Sedierung erschien mir völlig angemessen und richtig.

Immerhin leisteten sie auch nichts für ihren Aufenthalt. Sie waren nur da und verbrauchten Ressourcen, die man ansonsten besser hätte nutzen können. Schlimmer noch, in ihrer gelangweilten Zerstörungswut beschädigten sie das Schiff und seine Crew, was wiederum mehr Ressourcen und Rohstoffe beanspruchte. Sie waren abgestumpft, verroht, primitiv im Geist und dabei auch noch furchtbar überheblich, ohne etwas dafür bieten zu können. Sie waren einfach nicht wie wir.

Wie wir. Diese Worte hallten durch mein Gehirn wie ein Schuss, als ich die Krankenstation verließ. Vielleicht war es das leichte Schmerzmittel, was mir verabreicht worden war, aber mein Verstand schien heute wie durch Pudding zu laufen, und das auch noch auf obskuren, verschlungenen Wegen. Dennoch verbrachte ich die Zeit bis zum Abendessen nicht in meinem Quartier oder vor einem der Fenster, sondern mit einem Tablet in der Hand in den Eingeweiden des Schiffs.

Routinemäßige Kontrollarbeiten, die eigentlich von Beginn an durch Menschen hätten ausgeführt werden sollen, und die tatsächlich einen tieferen Sinn hatten, waren in vielen Bereichen sehr vernachlässigt worden. In der Konsequenz hatten sich Moose und andere Ablagerungen an Stellen breit gemacht, wo sie zu Schäden führen konnten. Die internen Systeme konnten die Beeinträchtigungen zwar erfassen und dann auch schnell beheben, aber von alleine verhindern nicht. Genau dafür war diese Aufgabe geschaffen worden. Nur war sich ein Großteil der Besatzung zu schade für diesen niederen Dienst. Sollten es doch die Androiden erledigen, genau dafür waren sie schließlich da. Ihre ganze Existenz war darauf ausgelegt, niedere Arbeiten für die Menschheit zu verrichten, damit diese sich um die wichtigen Probleme kümmern konnte. Wenigstens war das einmal die Intention gewesen. Nun aber gab es diese wichtigeren Probleme seit zwei Generationen nicht mehr, aber die alten Muster blieben bestehen. Wir existierten nur, atmeten, aßen, vertrieben uns die Zeit. Niemand wäre auf die Idee gekommen, aus reiner Langeweile den Maschinen ihre Arbeit wieder abzunehmen. Fast niemand. Da ich mich gerade keiner meiner üblichen Aufgaben widmen konnte, wollte ich mich wenigstens hiermit ablenken.

Beim Abendessen erregte der Verband direkt die Aufmerksamkeit der anderen am Tisch. Verletzungen waren selten, besonders solche, und es tauchten Fragen auf, die ich mir auch teilweise schon gestellt hatte. Wieso wurde ich gut behandelt, während andere verletzte Menschen einfach nur aus dem Verkehr genommen wurden? Wurden wir von den Maschinen eventuell als eine Art fleischliche Androiden wahrgenommen? Waren wir die einzigen Menschen, die im System des Schiffs noch als Besatzung galten, während alle anderen inzwischen als Fracht kategorisiert waren? Eine gewisse Ehrfurcht breitete sich aus und auch wenn es mir einerseits unangenehm war, ein Teil von mir genoss die Aufmerksamkeit durchaus. Es schien, dass diese Verletzung als Opfer für eine größere Sache gesehen wurde, als würde es meine Kompetenz in meinem Arbeitsfeld hervorheben und durch die gute Behandlung die Wichtigkeit meiner Position bestätigen. Und dann stellte ich die Frage, die das Tischgespräch für eine Weile verstummen ließ.

„Unterteilt ihr inzwischen auch in wir und die, wobei wir neben uns die Roboter einschließt und die sich auf die anderen Menschen bezieht? Ich fühle mich inzwischen eher den Maschinen zugehörig, immerhin arbeiten wir auf das gleiche Ziel hin. Wir sind es, die das Schiff am Laufen halten und die Systeme reparieren. Wir sind es, die eine Kolonie gründen werden und gemeinsam etwas erschaffen. Wir werden ein Erbe hinterlassen. Ist es verrückt, das als ein erstrebenswertes Ziel zu sehen?“

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Hinterm Horizont – Teil 5.

Wenn ich nun durch die Gänge ging, meinte ich zunächst, eine Veränderung bei den Leuten zu bemerken. Es dauerte etwas bis ich begriff, dass die Änderung bei mir stattgefunden hatte. Das teilnahmslose Herumstreifen, die leeren ausdruckslosen Augen, das lethargische Ausharren vor den Bullaugen. All das hatte ich bis vor kurzem genauso beherrscht. Die Filmvorführungen, das Essen, die Sporteinheiten. All das hatte auch bei mir kaum einen Effekt gegen die Depression und Antriebslosigkeit bezwecken können und bei den Anderen sah es nicht viel anders aus. Wie Mastvieh hingen sie herum, wartend auf ihr Ende.

Doch inzwischen hatte ich eine Aufgabe, wenn auch keine bedeutsame. Ich war bei leichten Beschädigungen die zweite Anlaufstelle für die Roboter geworden, wenn die automatische Reparatureinheit belegt war. Und ich begann zu begreifen, wie das Schiff funktionierte. Unter den mehr als tausend Kolonisten fand sich kaum mehr als ein Dutzend, welche, wie ich selbst, einer geregelten Tätigkeit nachgingen. Sie waren leicht zu erkennen, wenn man nur einmal hinsah. Ihr Gang war zielgerichtet, die Augen wacher und meistens waren sie sogar gewaschen und frisiert. Außerdem hatten wir inzwischen, einem ungeschriebenen Gesetz folgend, unseren eigenen Tisch in der Kantine. Es war der einzige Tisch, an dem sich tatsächlich unterhalten und ausgetauscht wurde. Immerhin waren wir auch die einzige Gruppierung, bei der tatsächlich etwas von Bedeutung passierte, bei der generell etwas passierte.

Eine Erkenntnis dieser Gespräche war, dass das Schiff inzwischen komplett von Robotern betrieben und kontrolliert wurde. Wir waren Angestellte der Maschinen und aus irgend einem Grund entsetzte oder überraschte uns diese Information nicht im Geringsten. Von den Menschen war niemand übrig, der wirklich Befehlsgewalt gehabt hätte und wenn doch, über wen hätte er verfügen sollen? Und über was? Im Grunde genommen war das Schiff ein sich selbst erhaltender mechanischer Organismus, genau daraufhin war es konstruiert und gebaut worden. Selbst die Planer des Schiffs, die obskuren „privaten Initiatoren“, mussten schon Androidennetzwerke gewesen sein. Wir Menschen waren nur an Bord, um den Bedingungen der Regierung gerecht zu werden. Für die Mission und die Kolonie waren wir obsolet, wenn nicht sogar direkt unerwünscht.

Es sei denn, wir suchten uns eine Aufgabe und machten uns nützlich. Vielleicht war das der einzige Grund, wieso wir nicht geschlossen aus der Luftschleuse geworfen worden waren, als die ersten Fälle von Depression und ausfallenden Verhaltens bemerkt worden waren. Aber das konnte eigentlich nicht sein. Möglicherweise waren die Maschinen einfach sehr viel toleranter als wir Menschen, oder aber sie sorgten sich um ihre Artgenossen auf der Erde, und was mit ihnen geschehe würde, wenn die ersten Kolonisationsbemühungen einer gemischten Besatzung plötzlich in einem Bürgerkrieg gescheitert wären. Das Echo könnte verheerend sein.

Dass uns Arbeitern auch von den Maschinen eine Sonderbehandlung zugeteilt wurde, fiel mir erst auf, als ich wegen einer Verletzung ins Hospital ging. Ich hatte die Spannung auf einer Feder unterschätzt und ihr loses Ende hatte mir tief in den Arm geschnitten, als ich ein gebrochenes Skelettteil austauschen wollte. Vor mir wurde eine untersetzte Frau behandelt, die sich bei einer Prügelei den Handrücken aufgeschnitten hatte. Der Pflegebot behandelte sie karg, indem er ihr eine Liege zuwies, sie sedierte und die Wunde abband. Mit dieser Art der Behandlung würde ich auf meinem Posten für mehrere Tage ausfallen. Das war keine Option für mich. Zu meiner Überraschung kam die Maschine meinem Einwand zuvor.

„Keine Sorge, heute sollten Sie ihre Schicht noch aussetzen aber morgen sind Sie wieder einsatzfähig. Der Einschnitt hat Muskelfasern beeinträchtigt. Ich werde dagegen ein Heilgel auftragen und einen Stimulator ansetzen. Der Prozess wird etwa eine Stunde dauern, danach steht es Ihnen frei, zu gehen. Bitte kommen Sie nur morgen vor Antritt ihrer Schicht zur Kontrolle noch einmal vorbei, um sicherzugehen, dass es zu keinen Komplikationen gekommen ist. Bestehen Sie auf einer kompletten Betäubung für den Eingriff?“

Das tat ich ganz sicher nicht. Ich wollte wissen, was passierte und wie es passierte. Dafür benötigte ich mein Gehirn unvernebelt. Mir kam die komplette Situation recht merkwürdig und absurd vor. Das Handbuch schrieb vor, dass die Roboter den Menschen dienbar zur Hand gehen sollten. Die Programmierung sah dabei höfliche Zurückhaltung vor. Halt so, wie mit mir umgegangen wurde. Aber andererseits scheuten die Maschinen inzwischen nicht mehr, mit roher Gewalt gegen die gelangweilte und psychotische Besatzung vorzugehen. Sie bemühten sich überhaupt nicht mehr um eine Behebung des Problems oder Behandlung der Störungen. Und das war ein ziemlicher Widerspruch zur Programmierung. Ein Verstoß gegen das Protokoll, an dem sich niemand zu stören schien. Es schien sogar notwendig zu sein, um das Getriebe in Bewegung zu halten.

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Hinterm Horizont – Teil 3.

Wir hatten das Äquivalent des Punktes überschritten, an dem sich damals die primitiven Seefahrer befunden haben. Der Punkt, wo die letzte Insel und Mastspitze in den Wellen versunken waren und es nur noch eine winzige Nussschale und die unbarmherzige See gab. In den Geschichtsbüchern stand, die Seefahrer hätten sich anhand der Sterne orientiert, mit ihrer Hilfe navigiert und ihren Weg gefunden. Mit jedem weiteren Reisetag sahen die Sterne anders aus und verschwammen für mich zu einem beinahe belanglosen Einerlei. Völlig unbrauchbar zur Navigation.

Andere Reisende hatten ein besseres Gespür dafür. Sie konnten Muster erkennen, einzelne Sternbilder, die sich wandelten, und größere Strukturen. Nebel und Galaxien, selbst das Band unserer eigenen Milchstraße. Dieses war sogar für mich deutlich genug, doch es war genauso unnahbar und entfernt, wie alles andere außerhalb des Schiffs. Es veränderte sich nicht. Nicht so jedenfalls, dass ich einen Unterschied hätte ausmachen können. Ebensogut hätte jemand die Sterne als Tapete auf die Fenster kleben und dahinter die große, unendliche Leere übrig lassen können.

Die wenige Millimeter dicke Bordwand war alles, was uns von der großen Leere trennte. Die einzige Materie für viele Tausende und Hunderttausende Kilometer. Ich verbrachte viel Zeit vor den Bullaugen. Irgendeiner dieser winzigen, hellen Punkte, irgendwo hinter dem Antrieb des Schiffs, war der Ursprung. Einer dieser unzählbaren Punkte war unsere Heimat gewesen und alles, was je ein Mensch kennengelernt haben konnte. Alles, was wir kannten umfasste nicht mehr, als einen Punkt, kaum größer als ein Nadelstich in einer Folie. Ein Staubkorn auf einem Spiegel. Und wir hatten noch nicht einmal unser komplettes Sonnensystem erfasst. Wozu auch? Es war unwirtlich, die Mühe nicht wert.

Was veranlasste uns dazu, alle uns bekannten Ufer hinter uns zu lassen und in die lebensfeindlichste Umgebung, die es für uns geben konnte, vorzudringen? Fernab von jeder Hilfe oder rettendem Hafen war nie jemand auch nur auf den Gedanken gekommen, dass wir scheitern konnten. Aber auch wenn wir uns auf dem größten Schiff befanden, was je von Menschenhand gebaut wurde, für den unendlichen Kosmos war es kaum der Rede wert. Es verschwand in der Bedeutungslosigkeit.

Jetzt waren wir die Seeleute, die hinter dem Horizont verschwunden waren, ohne zu ahnen, was auf der anderen Seite auf sie warten würde. Wir waren diejenigen, welche apathisch auf die endlosen Wellen hinaus starrten und uns unserer eigenen Bedeutungslosigkeit bewusst wurden. Uns blieb nichts weiter, als davon zu träumen, was wir hinter uns zurückgelassen hatte und was vor uns eventuell noch warten mochte. Nichts und niemand hatte uns auf diese Situation vorbereiten können. Es war schlicht von niemandem berücksichtigt worden. Und dabei war es bekannt, dass so etwas passieren konnte. Doch das erfuhren wir erst im Nachhinein. Den größten Schaden aber erlitt wohl unser Selbstbewusstsein. Mit brutaler Gewallt bekamen wir zu spüren, dass wir, all der Jahrhunderte von technischem Fortschritt und Entwicklung zum Trotz, immer noch nur die primitiven, lethargischen Seefahrer waren.

Die Kommunikation mit dem Sonnensystem wurde immer schwerer. Nachrichten benötigten bereits eine Woche und immense Energiemengen, als die Situation zu einem Problem wurde, und sie ließen immer länger auf sich warten. Und in der Zentrale auf der Erde ließ man sich Zeit mit den Antworten. Man wolle sichergehen, dass man uns keine Fehlinformation mitteilte, behaupteten sie. Sie wollten uns nicht mit halb garen Übergangslösungen aufhalten, sondern direkt die bestmögliche Methode liefern, behaupteten sie. Uns wäre es egal gewesen, solange es die Situation nur irgendwie verbessert hätte. Inzwischen machte sich das Phänomen wirklich bemerkbar. Es verging kaum noch ein Tag, an dem nicht irgendwer ausfiel, weil er seinen Tag damit verbrachte, aus dem Fenster in die Leere zu starren. Vermutlich hätten wir die betreffenden Personen zur Arbeit gezwungen, wenn nicht sowieso all unsere Aufgaben eine Beschäftigungstherapie darstellten. Die einzigen wirklich wichtigen Aufgaben waren die Überwachung der Roboter und der Schiffssysteme. Ein Ausfall fiel oft genug nicht einmal jemandem auf. Wie ein schlechter Witz erschien uns daher dann auch der Lösungsvorschlag aus dem Sonnensystem: Veranstalten sie eine oder zwei Filmvorführungen pro Woche, um sich von der Arbeit zu erholen. Das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein, Zynismus.

Es gab kaum Arbeit, von der man sich hätte erholen müssen. Stattdessen saßen wir stundenlang vor den Fenstern und starrten in die Leere, die Glieder bis zur völligen Bewegungsunfähigkeit verkrampft vor Panik, angesichts der Leere rundherum. Wir hätten andere Orte aufsuchen können, aber dann hätten wir nicht den Stern finden können, der langsam größer wurde. Uns war bewusst, dass es noch Monate dauern würde, und doch suchten wir verzweifelt einen kleinen Punkt, der einmal unsere Heimat werden sollte. Ein rettendes Stück Treibgut, auf dem endlich wieder oben oben war und unten unten. Eine Insel, die von diesem hauchfeinem Schleier umgeben war, wie jenem, der auf der Erde alles Leben ermöglichte. Die Telemetrie hatte uns versprochen, dass es eine Atmosphäre dort geben müsse. Nur der Stern dazu blieb für uns unsichtbar, der Planet sowieso.

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