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Wie war denn nun eigentlich Moskau?

Ich bin euch da noch eine Kleinigkeit schuldig… diese hier, um genau zu sein. Immerhin war das der Abschluss der glorreichen Exkursion.

„Wie war denn nun eigentlich Moskau?“ werde ich immer wieder gefragt. Nun, mein Eindruck von der Stadt ist recht unausgereift, denn so vieles habe ich überhaupt nicht gesehen. Wir haben uns den Rat der Gastgeber zu Herzen genommen und uns hauptsächlich mit der Metro bewegt.

Auch wenn die Moskauer Metro – ähnlich übrigens wie die Sankt Petersburger Metro – sehr sehenswert ist, man sieht naturgemäß eher weniger von der Stadt. Dafür wurde an den Stationen nicht mit Naturstein, Mosaiken und Bronzestatuen gespart. Sie sollten Paläste für das Volk sein und sind gleichzeitig so angelegt, dass sie für die Bevölkerung im Notfall als Atomschutzbunker herhalten können. Dabei liegen die Stationen deutlich flacher als beispielsweise die Metro in Sankt Petersburg mit ihren teilweise über 100 m tiefen Stationen.

Aber die Stadt? Vermutlich hätte man mit dem Bus oder Taxi nicht viel mehr gesehen, denn auf den Straßen herrscht im Allgemeinen ein ziemliches Chaos. Das mag auch dem Fahrstil einiger Individuen geschuldet sein. Wie die Leute hier ohne Metro an ihr Ziel kommen, ist mir etwas schleierhaft. Dafür ist die Metro umso attraktiver. Für eine Fahrt, egal wohin, haben wir etwa 30 Cent gezahlt und die Züge fahren in einer sehr dichten Taktung. Man wartet selten mehr als eine Minute.

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Das Hauptgebäude der Universität in Moskau. Es sieht sehr viel kleiner aus, als es tatsächlich ist.

Was ich gesehen habe, hat auf mich irgendwie den Eindruck von Strukturlosigkeit hinterlassen. Es gibt Gebäude, soweit man gucken kann. Aber ob jetzt vom Zug aus, als wir in die Stadt eingefahren sind, aus dem Hotelzimmer oder vom Balkon der Universität aus, ich könnte ein Viertel nicht vom nächsten unterscheiden. Auch was die Skyline angeht. Es gibt nicht wirklich eine Bestimmte! Klar, da gibt es die sieben Schwestern, die gelegentlich auch Stalin-Hochhäuser genannt werden und schöne Beispiele der Zuckerbäcker-Architektur sind. Es gibt den Fernsehturm, der sich durch seine Höhe auszeichnet, den ich persönlich ansonsten aber eher wenig elegant finde. Er ist halt funktional und soll weit gucken können. Es gibt mit Moskau City sogar einen CBD (Central Business District) mit modernen Hochhäusern, glitzernden Glasfassaden und etwas mehr Etagen, als die umliegenden Plattenbauwohntürme. In der Masse der Stadt gehen sie aber schlicht und ergreifend unter und sind nur hier und da kleine Flecken. Daran können auch die Waldstücke nichts mehr ändern, die jeder für sich schon die Ausmaße einer mittleren Stadt erreichen, hier aber einfach nur Parks sind. Wohin man auch guckt, im Großen und Ganzen sieht der Horizont überall gleich aus.

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Ausblick vom Balkon der Universität auf der 25 Etage. Die Etagen in diesem Teil messen übrigens gute 8 m. Man gönnt sich ja sonst nix. Gesamthöhe von diesem Palast: 235 (für 36 Etagen).

Plattenbau, der in der Ferne im Dunst verschwindet. Das ist auch ein Punkt, bei dem die Stadt für mich eher einen bitteren Geschmack hinterlassen hat. Es gibt keinen Horizont. Irgendwo verschwinden die Silhouetten der Betonklötzchen einfach im allgemeinen Grau des Hintergrunds, der irgendwo in Richtung Zenit zum schmuddeligen Blau des Himmels wird. Besonders deutlich ist das morgens, wenn die Luft noch kühl ist und die Dunstglocke niedrig über der Stadt hängt. Man kann es riechen, schmecken und sehen. Es riecht nach Abgasen von Diesel, Benzin und Kohle, schmeckt säuerlich ungesund und – wie bereits erwähnt – ist deutlich zu jeder Tageszeit am Horizont sichtbar.

Natürlich ist es eine Metropole, eine Weltstadt, die Hauptstadt Russlands, eine Stadt mit über 11 Mio. Einwohnern. Es gibt Wahrzeichen wie den Kreml, den Roten Platz, der eigentlich immer wegen irgendwelcher Events gesperrt ist, das Bolschoi Theater und neben der Basilius Kathedrale noch einen ganzen Blumenstrauß an Kirchen und Kathedralen. Mit dem GUM findet sich direkt am roten Platz ganz nebenbei noch das erste und älteste „Kaufhaus“ der Welt. Direkt um die Ecke wurde ein großer Park mit Konzerthaus und Ausleger über die Moskwa neu angelegt und ist durchaus sehenswert. Das alles konzentriert sich aber in einem recht kleinen Bereich im Zentrum.

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Ein Fernsehturm im Dunst. Was das Foto natürlich nicht einfangen kann, sind Geruch und Geschmack der Luft. Von beidem hat sie reichlich.

Es ist nicht so, dass die Stadt nichts zu bieten hätte. Es gibt sicherlich viele schöne Ecken und Orte, die einen näheren Blick wert sind. Ich habe halt einfach nicht so viele davon sehen können und der Schreck über die miserable Luftqualität hat vieles überlagert. Dabei sind die Moskauer so stolz auf die rot-weiß geringelten Schornsteine, die überall in der Stadt stehen. Sie gehören zu den zahlreichen Blockheizkraftwerken die „extrem umweltfreundlich und schadstofffrei“ aus Erdgas Strom und Wärme erzeugen. Der hohe Wirkungsgrad ist unbestritten, auch wenn bei den 30 Grad, die bei unserem Besuch herrschten, die Wärme kaum Absatz finden dürfte. Aber immerhin ein Anfang, denn Treibstoffe für den Verkehr unterliegen keinerlei Kontrollen oder Beschränkungen.

Die Leute, mit denen ich gesprochen habe, waren sich alle einig. Wenn es um Umweltfragen geht, dann hat Russland noch extremen Aufholbedarf. Müllentsorgung gibt es nur auf der Deponie, Recycling ist nicht existent, Energie ist billig und entsprechend sorglos kann man damit umgehen. Effizienz ist hier einfach nicht so sehr gefragt. Aber besonders bei der jüngeren Generation wächst das Bewusstsein dafür und Kritik an der Regierung wird lauter, wenn wieder einmal Nachhaltigkeitsprojekte sabotiert werden. Mit Kritik hält man sich im Allgemeinen nicht zurück. Es gibt also Hoffnung, dass auch hier die Sache noch nicht verloren ist.

Die Stadt mit dem Puppengesicht

Sie wird das „Venedig des Nordens“ genannt oder die „Perle der Ostsee“. Sankt Petersburg liegt an der Mündung der Newa und war unser erster Kontakt mit russischem Boden. Die Stadt hat vermutlich im Rahmen der hier mit ausgetragenen Fußball WM und ihres Gründungsjubiläums eine gründliche Überarbeitung erhalten. So wurde ein neues System von Stadtautobahnen angelegt und viele Gebäude im Stadtzentrum wurden generalüberholt und frisch saniert.

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Eremitage, gesehen von der Klappbrücke aus. Man sieht den ein oder anderen Reisebus davor aber mir wurde versichert, aktuell sei quasi niemand da. Für einen Besuch darin war leider dennoch keine Zeit.

Man sieht der Stadt an, dass sie den Spagat zwischen alt und neu versucht. Das Leben soll auf die Straßen kommen, die Kanäle rufen nach Leben und doch wirkt die Stadt wie eine Puppe. Nichts hier scheint wirklich alt oder echt zu sein. Wenig verwunderlich, immerhin entstand die Planstadt erst 1703 auf Geheiß von Peter dem Großen. Sie ist übrigens nicht nach ihm selbst benannt, sondern nach seinem Namenspatron. Das muss man schon wissen, denn ansonsten ist es angesichts vieler Denkmäler sehr leicht zu verwechseln.

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Festung Peter-und-Paul von der Newa aus gesehen. Es braucht schon sehr schlechtes Wetter, damit das goldene Dach nicht kräftig glitzert.

Besonders in der Altstadt konzentrieren sich mit beispielsweise der Admiralität, dem Winterpalast, der Eremitage und der Peter-und-Paul-Festung prunkvolle Gebäude, welche erst in den letzten Jahren aufwendig saniert wurden, teilweise auch noch saniert werden und absolut poliert aussehen. Wikipedia führt übrigens etwa 2.300 Paläste, Prunkbauten und Schlösser für die Stadt. Aber so sehr sich die Stadt auch bemühen mag, sie hat das Problem, was so viel Planstädte haben. Es wirkt einfach alles ziemlich konstruiert (was es ja eigentlich auch ist). Man geht an Gebäuden von Hunderten Metern Länge entlang, und ihre Fassaden verändern sich kaum. Es fehlt einfach das Organische, was einer Stadt den Eindruck verleiht, dass Menschen in ihr leben. Die überdimensionierten Zentralgebäude im Bereich der Sowjetstadt helfen hier nicht besonders.

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Der Platz vor dem Winterpalast, eigentlich immer voller Leute. Abends sammelt sich regelmäßig eine Traube von jungen Menschen unter der Säule links und irgendeine Band macht Musik. Am Parkplatz am Rande ist derweil das Schaulaufen der Prolls mit ihren getunten Autos.

An den großen Alleen wie dem Nevsky Prospekt oder auch entlang vieler Kanäle wird das zugegebenermaßen etwas besser. Städtisch wirkt es hier auch dank des Verkehrschaos. Dabei herrscht nicht einmal viel Stillstand. Der Verkehr fließt durchaus, ob auf dem Bürgersteig oder davor. Eines gilt aber so oder so: Jeder will gesehen werden und das erreicht man am besten darüber, der Lauteste zu sein. Vielleicht verstehe ich das aber einfach falsch und es geht eigentlich darum, der Schnellste zu sein. Offiziell gilt die Höchstgeschwindigkeit 60 km/h. Umgesetzt wird etwas anderes.

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Einer von zwei alten Leuchttürmen am ehemaligen Kai der Stadt. Heute werden sie nur noch zu Feiertagen entzündet… aber dies dann nachwievor mit Ölfeuern.

Ich würde übrigens grundsätzlich empfehlen, Strecken wenn möglich zu Fuß zurückzulegen. Das Metro Netz ist gut geeignet, um die einzelnen Stadtteile zu erreichen, aber für die Fläche dann vielleicht doch etwas dünn gesät. Außerdem muss man schon einiges an Geduld mitbringen, um überhaupt bis zum Zug zu kommen. Einige Stationen sind über 100 m tief, da verbringt man schon etliche Minuten nur auf der Rolltreppe hinunter. Dafür sind die Stationen aufwendig dekoriert und verziert. Barrierefreiheit ist hier übrigens kein Fokus. Rollstühle habe ich kaum gesehen und angesichts der vielen hohen Stufen und Treppen ist das kein Stück verwunderlich. Offenbar gibt es in Russland keine körperlich eingeschränkten Personen 😉

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Ich habe vergessen welche Metrostation das hier ist, möglicherweise die Admiralität. An anderer Stelle sind eher Mosaike oder pompöse Kronleuchter vertreten.

Gegen Abend zeigt die Stadt dann eine andere Seite. Ob Wochenende oder nicht, an jeder Ecke steht jemand und macht Musik, wahlweise gibt es auch Tanzschulen, die ihr Angebot einfach auf einen der öffentlichen Plätze verlagert haben oder die Möglichkeit, in der Märchenkutsche durch die Stadt zu fahren. Als ihr Wahrzeichen versteht die Stadt aber wohl ihre Brücken.

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Wem es gefällt, für den stehen verschiedenste Modelle an Kutschen für Stadtrundfahrten bereit. Ein Angebot, was offensichtlich sehr gut angenommen wird.

Jede Nacht werden die Klappbrücken geöffnet um die Schiffe hindurch zu lassen, die ansonsten nicht durch passen würden. Hell erleuchtet und zu pompöser Musik aus dem Lautsprecher klappen die Straßen hoch, Reisebus um Reisebus quetscht sich an die Uferpromenade und tausende Menschen sehen dabei zu, wie die Boote, welche auch tagsüber fleißig Touristenfahrten anbieten, durch die Lücken fahren. Diesmal halt nur nicht einzeln, sondern alle auf einmal.

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Samstagabend am alten Hafenkai. Am Fuß der alten Leuchttürme finden öffentliche Veranstaltungen lokaler Tanzschulen statt. Falls jemand mitmachen möchte…

Sankt Petersburg ist eine Stadt mit Gesicht, aber man muss sich schon an den Anblick gewöhnen. Man hat den Eindruck, eine Puppe vor sich sitzen zu haben. Alt, lange Jahre schwer vernachlässigt worden, und jetzt in mühseliger Kleinarbeit wieder gewaschen, geflickt und überarbeitet. Dabei ist man vielleicht an der ein oder anderen Stelle über das Ziel hinaus geschossen, denn ihr Gesicht ist vielleicht etwas zu sauber. Klar, Augen, Nase und Mund sind vorhanden, aber es fehlen die Akzente, die sie wirklich lebendig machen. Die Sehenswürdigkeiten und „Traditionen“ wirken etwas infantil und unreif. Man hat eher den Eindruck durch einen Freizeitpark zu schlendern, als durch eine Stadt. Dennoch lassen sich die Menschen nicht davon abhalten, sie in ihre ganz eigenen Spiele einzubinden und sticken ihre eigenen kleinen Muster in das Puppenkleid. Es ist ein merkwürdiger Kontrast, der dabei entsteht, aber wenn man sich auf das Bild einlässt, kann es durchaus gefallen.

 

Erste Eindrücke aus Karelien

Es ist bereits eine Weile Funkstille und das liegt nicht nur an vieler Arbeit, wenig Inspiration und rasend schnell verfliegender Zeit, sondern auch daran, dass ich auch einmal dazu gekommen bin, aus meiner Komfortzone gerissen zu werden und in einen mir unbekannten Ort zu reisen. Von alleine wäre ich vermutlich jedenfalls nicht auf die Idee gekommen, nach Russland zu fahren.

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Eine der besseren Straßen, abseits der neuen und frischen Hauptstraße. Dennoch muss man sich schon etwas von den Städten entfernen, um sie derart ruhig vorzufinden.

Karelien ist das Land der zehntausend Seen und weiten Wälder. Zehntausend stimmt dabei nicht so ganz, aber bei dermaßen vielen Seen ist es auch nicht mehr wirklich wichtig, ob es jetzt 60.000 oder 65.000 sind. Fakt ist: Es sind echt sehr sehr viele und mit dem Onegasee und dem Ladogasee finden sich hier auch noch die größten Süßwasserseen des europäischen Kontinents. Was für ein Erbe, welches die letzten Eiszeiten hier zurückgelassen haben!

Zwischen diesen Seen findet sich viel Wald. Sehr viel Wald, denn etwas anderes wird hier üben in der Taiga mit dem Land auch nicht gemacht. Landwirtschaft ist hier zwar möglich, der Boden ist durchaus fruchtbar, aber Spitznamen wie „das Land der immergrünen Tomaten“ lassen schon vermuten, dass die Sommer hier nicht die ergiebigsten sind. Hausgärten werden bewirtschaftet, aber landwirtschaftliche Fläche macht nur etwa 1% der Gesamtfläche Kareliens aus. Und diese ist etwa vergleichbar mit der Fläche Deutschlands.

Was wir hauptsächlich gesehen haben, sind Landschaften, die durch die Gletscher der letzten Eiszeiten gut eingeebnet wurden. In der Region um Sankt Petersburg herum ist das Relief dermaßen flach und stabil, dass Gräben und Krater aus dem Krieg nur unter Moos und niedrigen Büschen verborgen liegen. Obwohl es in der Region viel regnet, sind sie nie verschüttet worden.

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Ich bin übrigens amtierender Europameister im unscharfe Fotos schießen. Nicht offiziell natürlich, aber dafür mit vielen Beweisbildern. Meine Kamera mag mich nicht.

An dieser Stelle möchte ich euch nur einen ersten Eindruck über die Gegend bieten, denn was mich am meisten beeindruckt hat, ist tatsächlich die Gegend. Der Wald hat sich in den letzten 12.000 Jahren nicht verändert und sieht doch noch so jung und hell aus. Flüsse fließen, wie sie nun einmal fließen, und niemand macht sich die Mühe, ihnen ein neues Bett geben zu wollen. Straßen führen Kilometer um Kilometer nur durchs Nichts. Wenn es hier eines im Überfluss gibt, dann ist es Platz, und das alles nur wenige Kilometer von der Grenze der EU entfernt.

PS: WordPress informiert mich gerade darüber, dass heute mein Jahrestag ist. Dieser Blog existiert seit inzwischen vier Jahren. Zur Feier des Tages gibt es wenig Text und viele Bilder 🙂 Ich hoffe, sie gefallen Euch! (Das mit den Kacheln ist ein Experiment. Ich hoffe, es klappt mit dem vergrößern und den Beschriftungen)

Der Funfact der Woche 1.

Heute gibt es statt des Blödsinns der Woche einmal einen Funfact der Woche, denn ich bin heute in der Veröffentlichung vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur „Verkehr in Zahlen“ auf die Angabe gestoßen, dass in Deutschland 2013 ganze 1.084,8 Mrd. Personenkilometer zurückgelegt wurden. (Also etwa 1.084.800.000.000 km. Ja, die Zahl ist gerundet.)

Diese Zahl ist groß genug, als dass ich mir nichts darunter vorstellen konnte, sie aber gerne etwas visualisierbarer hätte. Das naheliegende Modell, X mal um den Äquator, lassen wir mal gleich aus. So groß ist unsere kleine Murmel wirklich nicht, dass uns das hilft. Auch die Entfernung Erde – Mond wirkt spontan eher … mau. Was ist sonst noch logisch? Die Entfernung Erde – Sonne. Unser Muttergestirn ist zwar auch schon unfassbar weit weg, aber irgendwo muss man ja anfangen. Also …

Mittlere Distanz Erde – Sonne = 1 AE (Astronomische Einheit) = 149.597.870,7 km

Die Zahl ist etwas kleiner, als unsere Verkehrsleistung, und mit ihr komme ich darauf, dass wir alle zusammen 7251,44 AE zurücklegen, also über 7000 mal die Strecke zwischen Erde und Sonne.

Kann ich damit jetzt mehr anfangen? Wer weiß, aber das ist immer noch echt eine große Zahl. Immerhin braucht das Licht von der Sonne bis zu uns etwa 8,5 Min. Der Nächte Schritt ist logisch, oder?

1 Lj (Lichtjahr) = 9.460.730.472.581 km

Die Zahl ist schon deutlich größer. Sie ist sogar größer als unsere kumulierte Personenkilometerstrecke. Dennoch, wir schaffen sagenhafte 0,11466 Lichtjahre!

Über 1/10 Lichtjahr! Nur in Deutschland! Nur 2013! Und seitdem ist die zurückgelegte Strecke beständig weiter gestiegen. Über 40 Tage Reise bei Lichtgeschwindigkeit.

Gut, damit ist die Zahl immer noch nur minimal greifbarer für mich winziges Menschlein geworden, aber Spaß hat es trotzdem gemacht, es ist dennoch irgendwo ein Blödsinn der Woche geworden, und wenn ich schon immer das letzte Wort haben muss, dann doch folgendes:

Faszinierend!

Fremont Rakete ICBM

Du möchtest gerne wissen, was es mit dieser Rakete auf sich hat? Ich empfehle einen Blick in den Reiseführer hier *Link*. Es lohnt sich 😉

Sollte ich irgendwo einen Denkfehler haben, seid ihr herzlich eingeladen, mit mir darüber in den Kommentaren zu diskutieren.

Der absolute Löwenanteil dieser Strecke wird übrigens mit dem Auto zurückgelegt, größtenteils von Leuten, die ihr Fahrzeug alleine bewegen. Die Zahl der möglichen Personenkilometer ist also ein Vielfaches größer.

Hörsaalgetuschel – Ausgabe 170.

Wartezeit

Flo schämte sich nicht zuzugeben, dass er neidisch auf Steffi war. Drei Wochen hatte sie Urlaub gehabt, war durch Mexiko und Teile Mittelamerikas gereist. Drei Wochen lang hatte er Fotos von ihr geschickt bekommen, wie sie mit ihrem Freund am Strand lag, antike Ruinen erforschte, durch dichte grüne Wälder streifte oder durch die Gassen verträumter und weniger verträumter Städte schlenderte. Drei Wochen, die er im Büro mit seinem Praktikum zugebracht hatte. Beinahe fühlte er sich etwas schlecht sich darüber zu freuen, dass sie jetzt wieder zurück war und sein Leben teilte. Aber eigentlich freute er sich mehr, dass sie jetzt die Zeit fanden, alle gemeinsam den Abend in der Bar verbringen zu können.

Er hatte mit einem Abend voller Abenteuergeschichten gerechnet, immerhin waren die Fotos alle recht beeindruckend gewesen. Es stellte sich aber schnell heraus, dass die Fotomotive wohl gewählte Highlights waren, zwischen verstopften Straßen, massenhaft Strandverkäufern, die ihnen jede Menge schlecht produzierter Souvenirs verkaufen wollten und Hotels, bei denen man sich wunderte, dass mehr Menschen als Kakerlaken im Pool schwammen. Es ist also nicht alles Gold, was auf Social Media so schön glänzt.

Stattdessen kam das Gespräch schnell auf ein anderes Thema. Denn genau wie Flo hatte auch Steffi bereits den halben Monat auf eine Mail gewartet, die ihnen versprochen worden war, aber einfach nicht kommen wollte. Während ihres Urlaubs hatte sie immer wieder ein Auge auf das Mailfach geworfen und sich gewundert. War die Mail nur einfach nicht angekommen? Wäre sie da gewesen, hätte sie vielleicht einmal angerufen. Aber so richtete sie ihre Frage stattdessen an Flo.

„Sag mal, hast du eigentlich in der Zwischenzeit etwas wegen des Tutoriums gehört? Er meinte doch, sie würden die Unterlagen nur noch fertig machen und uns dann Bescheid geben. Ich habe jetzt die Mails immer überwacht aber es kam nie etwas.“

„Ich habe auch noch nichts bekommen. Vermutlich ist es unter die Räder gekommen, denn ich war letzte Woche da, habe ihn noch einmal dran erinnert und er hat es sich aufgeschrieben.“

„Es lief also noch überhaupt nicht?“

„Nein. Er meinte zwar, es hätte längst laufen sollen, aber draus geworden ist wohl nichts. Wieso, konnte er mir nicht sagen. Aber das läuft wohl auch nicht über ihn. Er macht zwar die Vorlesung dazu und hält die Übung, aber das ist eigentlich nicht einmal sein Lehrstuhl, von dem die Veranstaltung kommt.“

„Ich werde diese Uni nie verstehen. Aber jetzt weiß ich wenigstens auch, was du meintest, als du gesagt hast, du wärst erst einmal vorsichtig. Ich hätte nicht erwartet, dass es ein solches Chaos geben kann, über ein paar HiWi-Verträge.“

Flo konnte sich nur denken, dass es einfach im allgemeinen Chaos untergegangen ist, die Papiere längst fertig da lagen und irgendwo unter irgendwelchen Anträgen auf den Schreibtischen sedimentierten. Irgendwann würde dann, lange, nachdem eine neue Version gedruckt, unterschrieben und abgeheftet war, bei einer Aufräumaktion in ferner Zukunft ein beinahe schon metamorph überprägter Stapel an Papieren zum Vorschein kommen und ohne weitere Beachtung in den Papiermüll wandern. Denn so funktionierte Nachhaltigkeit an der Uni einfach.

Sie einigten sich darauf, dem Lehrstuhl noch eine Woche Zeit zu geben, bevor sie sich melden wollten. Der letzte Tag sollte der sein, an dem dann doch noch die erwartete Mail eintraf.

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Kunstliebhaber

Missy hat sich gewünscht, also soll sie auch bekommen. Eine kleine Geschichte um den Kunstliebhaber aus dem Ausflug zum Vertikalen Erdkilometer. Auch wenn das Auto nicht so wirklich zerstört ist… (und ja, das ist als Satire zu sehen)

Drei Stunden war Karl Orph in seinem Saab 900 unterwegs gewesen, natürlich hauptsächlich auf Landstraßen. Das lag einerseits daran, dass der alte Saab nicht mehr fit genug für die Autobahn war, andererseits daran, dass die Autobahn ja viel zu schnöde war. Gerade recht für den arbeitenden Pöbel und die Kolonnen von Lkw, aber der intellektuelle Bildungsbürger war besser dran, wenn er auch etwas von der Gegend sah. Man wusste ja nie, über welches Kleinod man am Wegesrand stolpern konnte.

Allein auf dieser Reise hatte er fünf Mal Halt machen müssen. Einmal war es ein verwitterter Marienschrein gewesen, der seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, zweimal waren es etwas verfallene Perlen der Architekturgeschichte gewesen, deren Besitzer ganz offensichtlich keine Ahnung hatten, was für Schätze sie hier besaßen und einmal war das Sonnenlicht einfach nur dermaßen rührend durch eine kleine Baumgruppe gebrochen, dass er unbedingt eine Pause machen musste, um das Lichtspiel eine Minute ganz ergriffen zu bewundern. Der fünfte Stopp war einfach nur dem Drang der Natur geschuldet. Er hätte den dritten Kaffee mit Kurkuma und Zimt vielleicht doch besser aufheben sollen.

Drei Stunden, nachdem er am heimischen Atelier aufgebrochen war, parkte Karl Orph sein treues Gefährt nun in der Tiefgarage unter dem Theaterplatz. Auf sein Auto war er fast so stolz, wie auf seinen Namen. „Wie der Maler, nur etwas anders geschrieben“ sagte er immer, und es fiel ihm jedes Mal zu spät ein, dass es ja nur ein schäbiger Komponist gewesen war, und kein erhabener Maler. Freizeitkreativlinge, allesamt, diese Musiker. Dabei wusste doch jeder, dass die Königsdisziplin der schönen Künste die Bildhauerei war, gefolgt von der Malerei. Was war da schon ein Musiker?

Mit einer beinahe zärtlichen und demonstrativ ausladenden Geste holte er seine Tasche aus original kenianischem Watusileder aus dem Kofferraum. Darin fand sich sein Gluten freies Graubrot mit Bärlauchhumus und Münchener Stadthonig sowie sein Reiseführer, der ihn zu allen wichtigen Kunstwerken der Stadt geleiten sollte. Und davon gab es hier einige. Das Erste befand sich sogar direkt auf dem Theaterplatz, zu welchem er nun die Treppen hinauf stieg. Und es musste ein wahres Meisterwerk sein! Unscheinbar und doch unglaublich bedeutsam, provokativ und für den schnöden Pöbel fast unsichtbar. Diese Banausen würden es ohnehin nicht zu würdigen wissen.

Er fand das Meisterwerk recht mittig auf dem großen offenen Platz und, wie zu erwarten gewesen war, völlig unbeachtet von den Passanten. Völlig verzückt war er, wie er hier so stand, und mit verstehender Mine, sich über das Kinn streichend, auf den kleinen Messingpunkt inmitten der Betonplatte blickte. Eine erhabene Begeisterung erfasste den intellektuellen Kunstliebhaber in ihm. Dieser unscheinbare Punkt von keinen fünf Zentimetern Durchmesser war die obere Spitze einer Messingstange, welche sich exakt einen vollen Kilometer tief in die Erde erstreckte. Allein der Bau dieses Monuments musste eine technische Meisterleistung gewesen sein!

Der Aufregung und seinem unterirdischen Orientierungssinn war es geschuldet, dass er nicht realisierte, noch vor fünf Minuten im Parkhaus genau unter diesem Punkt gewesen zu sein. Aber auch mit einem besseren Orientierungssinn hätte er wohl kaum realisiert, dass er seinen geliebten Saab 900 genau unterhalb dieses unscheinbaren Punktes geparkt hatte. Würde dieses Kunstwerk wirklich sein, was es vorgab, dann würde diese Stange genau durch den Motorblock ragen und sein Liebling würde sich nie wieder bewegen. Es würde vielleicht einem ähnlichen Schicksal anheimfallen, wie der VW Käfer am Troll von Fremont. Nur das dies hier ein echtes Kunstwerk war und kein ordinäres Populärmonument, eine erbärmliche Touristenattraktion. Dies hier hingegen… ihm fehlen die Worte, und da der Autor sich auch nicht in einen solchen Verstand hinein denken kann, muss es dabei bleiben.

Auf dem Weg zu seinem nächsten Ziel wird er einen weiteren Zwischenstopp einlegen, auch wenn die Zeit drängt. Es gibt noch so viel zu sehen und zu bewundern. Eine fünffach vergrößerte Spitzhacke zum Beispiel, oder drei Steinkugeln, welche in den Ästen eines künstlichen Baumes befestigt sind. Die nächste Station ist aber erst einmal ein Getränkeladen. Natürlich handelt es sich auch hierbei um keinen gewöhnlichen Laden. Zu einem sagenhaft günstigen Preis von nicht einmal vier Euro pro Liter würde er hier entstörtes und energetisch aufgeladenes Kristallwasser bekommen. Gegen den Uhrzeiger drehend! Schon allein dafür hätte sich die Anfahrt gelohnt.

Er ignorierte die bunten Statuen auf dem Sims der Säulenhalle rechts von ihm. Ganz abgesehen davon, dass sie bunt waren, und Statuen nicht bunt zu sein hatten, wenn sie nicht gerade als populäre Touristenattraktion herhalten sollten, standen sie nicht in seinem Kunstführer und waren demnach auch von keinem artistischen Interesse. Statuen aufstellen konnte jeder. Kunstwerke schaffen, das war eine ganz andere Nummer. Aber was verstand der einfältige Normalbürger davon schon? Diese Leute bildeten sich ja schon bei einem einfachen Besuch im Industriemuseum ein, zur intellektuellen Elite zu gehören.

Um sich von der Beleidigung zu befreien, die dieser bloße Gedanke mit sich brachte, warf er mit einer imposanten Geste seinen Schal aus handgekämmter Seide zurück und stolzierte vor der genervt klingelnden Straßenbahn entlang. Das Leben als Kunstliebhaber konnte schon wahrlich schwer sein.

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Blogparade: Impro-Geschichten. In Echt jetzt!!

Hier dann jetzt der richtige Beitrag zu dieser Aktion. Betrachtet den Letzten einfach als eine Art Teaser, der euch hoffentlich auch gefallen hat aber nicht völlig satt gemacht hat sondern immer noch genug Hunger auf mehr gelassen hat.

Offenschreiben hat mich dazu angehalten, eine Impro Geschichte zu verfassen. Ich soll drei Begriffe zu einer Geschichte verarbeiten, ohne groß darüber nachzudenken oder zu editieren. Einfach nur vor sich hinschreiben und schauen was passiert. Wenn Ihr weitere Details wissen möchtet, klickt am besten den Link da oben an. Ich muss gestehen, ich war selbst ziemlich neugierig, was dabei herum kommt und habe einfach einmal los gelegt. Meine drei Begriffe waren: Das Meer, ein Kissen und ein Handschuh. Ich hoffe, es macht euch Spaß zu lesen. Ich hatte jedenfalls Spaß beim Schreiben (auch wenn das nicht überall durch scheint).

Neptuns Tribut

Der Kolonial konnte nicht mehr sagen, ob es Tage oder Wochen gewesen waren, die der Sturm das Schiff durch die Wellen geschleudert hatte. Es fühlte sich jedenfalls an, als seien es bereits Monate. Die Neptun war zwar nicht das größte, aber dennoch ein solides und ansehnliches Schiff in der Kolonialflotte des Kaiserreichs. Nur der Meeresgott selbst schien den Namen und das Schiff selbst als eine Beleidigung zu empfinden und machte die Reise zur Hölle auf Erden selbst. Welle für Welle spülte über das hohe Deck, als wäre es ein flacher Strand, und riss alles mit sich in die Tiefen der See, was nicht gründlich und gewissenhaft festgenagelt war.

Für den Laderaum kam jede Rettung zu spät. Die Besatzung hatte alle Luken mit Pech und Lumpen versiegelt, doch das hatte nur die ersten Stunden geholfen. Wellen, hoch wie das Schiff selbst, hatten die Neptun dermaßen brutal herumgeschleudert, dass selbst der Kapitän Angst zeigte, es würde ihm die Deckplanken unter den Füßen zerreißen. Die Schiffsjungen hatten die Lenzpumpen in der Bilge seit Tagen nicht mehr alleine lassen können. Unterstützt wurden sie von den Soldaten des Kolonials, aber auch ihre Hände verwandelten sich mit der Zeit in blutige Fetzen. Von überallher schoss die salzige See in den Segler und durchweichte alles.

Man hätte meinen wollen, dass die Wassermassen den Gestank nach Exkrementen, Erbrochenen und Blut verdünnen und hinauswaschen würde. Stattdessen verteilte sich die klebrige Brühe überall und setzte sich auf allen Oberflächen fest. Niemand wagte sich an Deck, um die vollen Eimer zu leeren. Es brauchte allein fünf Mann und schwere Leinen, nur um den Steuermann abzulösen, ohne jemanden zu verlieren. Kapitän und Kolonial hatten ihre Kabinen auf dem Oberdeck übereilt aufgeben müssen, nachdem bereits die ersten Ausläufer des Sturmes die kunstvollen Glasfenster zertrümmert hatten.

Nur einen schien diese Hölle nicht aus der Ruhe zu bringen. Der Segelmeister, ein alter Seebär, der bereits mehr Jahre auf Segelschiffen verbracht hatte als der Kolonial alt war, hatte beim Anblick der Wolkenfront am Horizont alle Segel sichern und verstauen lassen, hatte sich anschließend in seiner Hängematte festgebunden und zur Besinnungslosigkeit gesoffen. Alle paar Stunden kam er kurz zu sich, aß einen Kanten trockenes Brot und soff sich zurück ins Nirwana, sobald er registriert hatte, dass das Unwetter noch tobte und das Schiff noch nicht völlig zerfallen war.

„Ich lasse ihn auspeitschen. Sobald wir das überlebt haben, lasse ich ihn auspeitschen.“

Der Maat tobte und fluchte, dass selbst die Schiffskatze kurz davor war, sich zu bekreuzigen. Es frustrierte ihn zutiefst, dass es ihm selbst vergönnt war, sich dem Sturm zu entziehen, wie es der alte Segelmeister tat. Fast noch mehr aber ärgerte ihn, dass er seine Drohung nach dem Sturm nicht einmal wahr machen konnte. Wenn das Schiff überlebte, würden sie den Segelmeister brauchen. Und zwar gesund und unverletzt. Die Takelage würde ein einziges Durcheinander sein und in Fetzen hängen und er war nach dem Schiffszimmermann der Einzige, der sich wirklich damit auskannte. Der Zimmermann hingegen würde dafür sorgen müssen, dass die Neptun wieder dicht genug wurde, um es bis zum nächsten Hafen zu schaffen.

Möglicherweise war inzwischen der dritte Tag im Sturm angebrochen. Genauso gut konnte es auch bereits der Fünfte sein, niemand vermochte es zu sagen, denn die Sonne schaffte es mit keinem Lichtstrahl hinab. Lediglich die Unmengen von Blitzen erhellten den Horizont, welcher rundherum ein einheitliches Gebirge aus Wasser und Gischt zeigte. Die Mannschaft war hoffnungslos übermüdet und ausgemergelt. Zwieback und Wasser gaben ihr nicht mehr genug Kraft und ein Seemann nach dem anderen brach zusammen und musste in seine Hängematte gebunden werden. Die Götter der See forderten ihren Tribut in Blut.

„Wir werden das Wasser nicht mehr los. Es ist überall. So sehr wir auch Pumpen, wir sind zu schwer.“

Es war leicht, das Gefasel des Matrosen als Fiebertraum abzutun. Er war völlig ausgemergelt, die ledrige Haut blass wie ein Leichentuch, die Augen Blut unterlaufen, glasig und schwarz wie die aufgewühlte See. Die Männer verhungerten vor vollen Tellern. Niemand vermochte in dieser See sein Essen bei sich zu behalten und in den zertrümmerten Fässern war kaum noch genug Trinkwasser, um den staubigen Zwieback hinunter zu spülen.

„Die Ladung zieht uns alle in den Tod. Wir müssen uns retten und sie über Bord werfen.“

Der Kolonial hätte niemals ein Gesicht zu diesen Worten ausmachen können, die da aus der breiigen Masse der erschöpften Seeleute kam. Aber sie brachten wieder neues Leben in ihn und entfachten ungekannte Wut in ihm.

„Diese Fracht ist überhaupt erst der Grund für unsere Reise. Niemand legt auch nur einen Finger an sie oder Euer aller Heuer ist gestrichen. Für diese Fahrt und für alle, die da kommen mögen.“

„Es obliegt nicht Euch, hier irgendjemandes Heuer zu streichen, Kolonial. Ehe mir die See mein Schiff raubt, gebe ich lieber die Ladung auf. Aber falls es Euch beruhigt, bei diesem Sturm ist es uns unmöglich, die Luken zu öffnen und diese Tat zu überleben. Eure kostbare Ladung ist also fürs Erste sicher. Ich hoffe nur, sie ist es auch wert.“

Die leise gebrummten Worte des Kapitäns waren im Tosen des Unwetters kaum zu verstehen. Seine Laune war miserabel, nicht nur, weil er sich um Schiff und Mannschaft sorgte, sondern auch, weil das eindringende Wasser seinen Tabak durchnässt hatte und er es nicht zustande brachte, seine Pfeife zu entzünden. Dennoch blieb er weiterhin hart aber absolut gerecht und bot seiner Besatzung einen Ruhepol und Anker in dieser schweren Zeit. Wenn er sprach, breitete sich Ruhe aus und nur geflüsterte anonyme Stimmen folgten seinen Worten.

„Was ist überhaupt drin, in dieser kostbaren Ladung, die uns den Hals kosten wird?“

„Der Arzt meinte, die Ladelisten würden Kissen aufführen. Ich wollte es nicht für möglich halten aber einer der Schiffsjungen meinte, eine der Kisten sei geborsten und durch die Spalten konnte er ein Kissen erkennen. Durchnässt aber aus feinstem Brokat, vermutlich sogar aus Seide.“

„Das ist doch unmöglich. Wieso sollen wir Seidenkissen in die Barbarenländer fahren? Brauchen die Generäle und Statthalter etwas Abwechselung zu den exotischen Fellen und edlen Hölzern? Eine solche Ladung ist absurd.“

„Schweig, du Narr. Eine solche Ladung kann uns retten. Der Dünne Stoff kann nicht viel Wasser halten und die Kissen selbst wiegen auch kaum etwas. Mit Werkzeug oder Glas in den Frachtkisten wären wir so schwer, dass es das Schiff längst zerrissen hätte.“

Auch der Kolonial hatte den leisen Disput verfolgen können, entschied sich aber, nichts weiter dazu zu sagen. Niemand würde seine Ladung anrühren, da nahm er den Kapitän beim Wort. Aber auch er hatte das unheilvolle Bersten und Splittern aus den Frachträumen vernommen. Seine Sorge war, dass Treibgut ein Loch in die Bordwand gerissen haben könnte. Nicht, weil das Schiff deswegen sinken würde, sondern, weil wertvolle Frachtkisten durch die Öffnung gerissen werden würden und der Kolonial hatte Teile seines privaten Vermögens in diesen Handel investiert. Er erwartete einen entsprechenden Gewinn, um das Anwesen seiner Familie renovieren zu können.

Seine Ahnen hatten ihr Land damals direkt von der Krone bekommen, als das Reich noch unter einem König stand. Eigentlich hatten sie ihren Stand nur einem denkwürdigen Zufall und einer folgenschweren Verwechselung zu verdanken doch im Laufe der Zeit hatten sie sich zu einem bedeutenden Geschlecht entwickelt. In jüngerer Zeit hatten unbedachte Entscheidungen das altehrwürdige Anwesen und seine Herren schwer in Mitleidenschaft gezogen. Der Kolonial hatte seinen Posten angenommen, um diesen Missstand zu beheben und seinem Namen zu neuem Glanz und Ruhm zu verhelfen.

Er war sich bitterlich bewusst, dass Erfolg oder Scheitern seines Vorhabens in den Kolonien über Fortbestand oder endgültigen Untergang seines Hauses entscheiden konnte. Die Kissen mussten unter allen Umständen möglichst unversehrt ihr Ziel erreichen, oder er konnte sich genauso gut hinter ihnen her in die erbarmungslosen Fluten stürzen.

Ein eisiger Schwall Seewasser schoss durch die geöffnete Luke und ließ einen jungen Thunfisch panisch zappelnd auf den Bohlen des Zwischendecks zurück. Ein ausgemergelter Matrose beobachtete ihn kurz aus der Distanz, stürzte sich dann auf ihn und ermattete in der Hoffnung, den Fisch unter seinem verbleibenden Körpergewicht zu erdrücken. Wenn sie ihn verspeisen wollten, dann mussten sie es roh tun denn auf dem ganzen Schiff war kein Feuer mehr zu entfachen. Mit dem nächsten Schwall Wasser wurde die dicke Leine mit dem Steuermann hineingezogen. Blut troff aus seiner Kleidung, wo die Seile ihn davor bewahrt hatten, vom Salzwasser von Bord gespült zu werden. Er war unterkühlt, triefnass und kaum noch als lebender Mensch zu erkennen. Seine Lippen waren aufgerissen und dünner, als ein Blatt Papier.

„Nichts. Soweit das Auge reicht, nur Wasser.“ Die dünne Stimme war brüchig und zwischen jedem zweiten Wort hustete er sich den Ozean aus den Lungen. „Ich verstehe das nicht. Wir hätten längst eine Insel oder Küste sehen müssen. Auch von anderen Schiffen ist keine Spur zu sehen. Ich fahre diese Route jetzt zum mehr als zwanzigsten Mal, in dieser Gegend ist das Meer immer etwas stürmisch, aber hier sind wir auch immer dem Konvoi der Apollon begegnet. Keine Mastspitze ist zu sehen. Sieben Schiffe sollten es sein und keines ist aufgetaucht.“

„Vielleicht haben sie den Sturm frühzeitig bemerkt und sind ihm ausgewichen oder gleich im Hafen liegen geblieben.“

„Wir wollen es ihnen wünschen. Sie bringen Erze und Metalle aus den Kolonien. Schwer, wie sie sind, wären sie in diesem Sturm mit Mann und Maus verloren.“

„Dann müssen sie im Hafen geblieben sein. Sieben Schiffe, einen solchen Blutzoll kann kein Gott unbeachtet lassen.“

Ein Schuss hallte durch das Schiff und pflanzte sich in den hölzernen Balken fort, als ein Teil der Takelage zwischen den Masten zerriss. Stumm betete der Kapitän, die Masten mögen den Sturm wenigstens überleben. Die Neptun war eines der schnellsten Schiffe der kolonialen Flotte, doch auch sie brauchte ihre Masten, um ans Ziel zu gelangen. Alles andere konnte man auch auf hoher See reparieren, sobald das Wetter aufklarte.

Ein trockenes Würgen hob sich im allgemeinen Lärm ab. Es kam aus einer dunklen Ecke am Bug. Berstendes Glas und lautes Fluchen lenkten Neugier und Aufmerksamkeit in die Richtung der Gardine aus Segeltuch, die der alte Segelmeister vor seiner Hängematte befestigt hatte. Er war also wieder bei Bewusstsein und auf der Suche nach der nächsten Flasche. Seine schwielige und knochige Hand schob die Gardine beiseite und das schiefe Gesicht des knorrigen Mannes kam zum Vorschein. Winzige, tief im Schädel liegende Augen sahen sich um.

„Himmel und Hölle stinkt das hier. Wenigstens wird der Sturm schwächer, ehe es uns noch vollends in Stücke reißt.“

Die Worte des alten Segelmeisters lösten nur Verwirrung und Kopfschütteln aus. Er musste sich seinen letzten Rest Wahrnehmung weggesoffen haben, dass er vom Ende des Sturms sprach. Doch als der Maat innehielt und lauschte, musste er sich eingestehen, dass sich die Geräusche tatsächlich geändert hatten. Viel seltener hallte das reißende Geräusch von berstendem Holz durch die Balken und auch die von der Decke baumelnden Werkzeuge und Hängematten schlugen weniger oft und weniger fest gegen die Bordwände. Selbst die Fluten brandeten nicht mehr mit jeder Welle über das Deck und ergossen sich in den Bauch des Frachters. Es sah wirklich so aus, als hätten sie es so gut wie überstanden. Jetzt dürfte ihnen in den letzten Stunden bloß kein Fehler mehr unterlaufen, dann waren sie gerettet. Verstümmelt, entstellt, halb verhungert und verdurstet aber am Leben. Die Meisten von ihnen jedenfalls.

Als wäre dies noch nicht Motivation genug gewesen, hatten die Schiffsjungen das erste Mal den Eindruck, mehr Wasser aus der Bilge hinaus zu pumpen, als nachlaufen konnte. Mit frischem Mut griffen aufgeplatzte Hände nach den splitterigen, aufgequollenen Hebeln der Pumpen und entluden ihre letzten Kräfte in die Bemühung, das geschundene Schiff wieder über die Wellen zu heben. Bis aber tatsächlich Erfolge zu sehen waren, vergingen weitere lange Stunden. Und in all dieser Zeit wurde das Heulen und Tosen sanfter und leiser.

Inzwischen war selbst der alte Segelmeister wieder in der Verfassung, seine Hängematte verlassen zu können. Kopfschüttelnd sah er sich im Schiff um und ging sicheren Schrittes über die schwankenden Decks. Hier und da fing er eine Hand voll Seewasser von den Balken und warf sie sich ins Gesicht.

„Ihr seid doch alle verrückt. Hier hätten Euch die Handschuhe zwar wohl auch nicht mehr viel geholfen aber ich an Eurer Stelle hätte es trotzdem wenigstens versucht. Nun denn, des Menschen Wille ist sein Himmelreich, wie meine alte Mutter immer sagte. Dann fuhr sie zur See hinaus und kam nicht mehr wieder.“

Mit diesen Worten stieß er die Luken auf. Kalte, wohltuende Luft brach in den Bauch des Schiffes und brachte neues Leben mit sich. Er schickte sich an, die Leiter hinauf aufs Deck zu klettern, doch der Maat griff ihn am Knöchel.

„Von was für Handschuhen redest Du?“

„Die Handschuhe, die ich aus der alten Fock genäht habe. Ich habe sie Dir vor einem Monat gegeben, erinnerst Du Dich nicht mehr? Natürlich erinnerst du dich nicht mehr, sonst hätten die Jungs nicht so blutige Hände. Ein scheußlicher Anblick. Wascht die Wunden gut aus und tragt kräftig Fett auf, damit die Haut wieder etwas geschmeidiger wird. Mit diesen Händen könnt Ihr kaum die Taue zum Festmachen greifen.“

Mit diesen Worten war er in die schwarze Nacht verschwunden. Der Maat erinnerte sich tatsächlich jetzt erst an den Sack mit geölten Handschuhen, die er vor vier Wochen von dem Alten bekommen hatte. Robust und gut gearbeitet waren sie gewesen, wenn auch sehr fest. Er hatte sie ins Lager gehängt und nicht mehr weiter daran gedacht. Schließlich sollten die Leute ein Gefühl für das Material haben, das sie griffen. Als er hinter dem Segelmeister die Leiter hoch hastete, fand er nur noch ein leeres Deck vor. Hinter ihnen erhellten noch Blitze den Horizont, doch vor ihnen wartete nur endlose und abgrundtiefe Schwärze.

Als er sich suchend umblickte, fiel ihm das Loch auf, aus dem der Baum des Hauptmastes ragte. Das war also das splitternde Geräusch gewesen. Wäre da nicht das schwache Glimmen der Laterne gewesen, mit der ihm ein Matrose an Deck gefolgt war, er hätte es nicht gesehen und wäre am Ende noch hineingefallen. Er rief den Mann herüber und lies ihn in den Laderaum darunter leuchten. Der Baum hatte die Deckplatten, einige Kisten der Ladung und die Bordwand durchschlagen, ehe er sich verkeilt hatte und nun festsaß.

Wenigstens eine der festgenagelten Kisten hatte sich losgerissen und musste durch das Loch verschwunden sein. Viele Kisten waren geborsten und aus den meisten troff Wasser. Umherfliegende Splitter mussten einige der Kissen beschädigt haben. Verkrustete Daunenfedern klebten an den Wänden und schwammen in den Pfützen. Der Kolonial würde nicht glücklich sein aber nach dem, was er sehen konnte, hatte der deutlich größte Teil der Ladung die Fahrt nass aber unversehrt überstanden. Die Könige der See hatten sich dennoch nicht von ihrem Tribut fernhalten lassen.

Als später die Sonne ihr erstes zaghaftes Licht durch die Wolkendecke drücken konnte, fanden sie den Segelmeister wieder. Er saß auf dem Bugspriet und knotete die Seile der Takelage neu zusammen. Es würde nicht viel sein, aber ein wertvoller Anfang. Die Neptun hatte den Sturm überlebt, nun musste sie es nur noch in den Hafen schaffen. Die Nacht über waren keine Sterne zu sehen gewesen, genau so wenig wie nun Land oder der genaue Stand der Sonne. Niemand wusste, wo genau sie sich befanden. Die Richtung stimmte ungefähr, aber das war nicht viel wert, wenn sie sich am falschen Punkt befanden. Sie konnten nur hoffen, dass der Ausguck etwas erspähte.

Derweil schoss immer noch die See durch die Spalten in den Schiffsplatten. Gierig sogen die Männer das karge Tageslicht ein, wankten wie Untote über das Deck. Eimer um Eimer wurde das Wasser zurück ins Meer gegossen, ohne Pause und Unterlass. Der dumpfe Klang der Hämmer hallte durch jeden Hohlraum. Die laute Stimme des Zimmermanns rief Anweisungen, welches Leck wie geschlossen zu werden hatte. Er hatte es sehr eilig damit und wollte unbedingt mit einem seetauglichen Schiff in den Hafen einlaufen. Der Steuermann hielt dagegen und wollte so bald wie irgend möglich einlaufen. Im Hafen wäre es einfacher, Reparaturen vorzunehmen.

Die Sonne stand bereits tief über dem Horizont, als hysterische Schreie das ganze Schiff aufhorchen ließen. Sie kamen aus dem Krähennest an der Mastspitze, wo sich ein zitternder Schiffsjunge an das Holz des Mastes klammerte.

„Land! Da ist Land, backbord voraus! Ich sehe Berge und Bäume, da ist die Rauchfahne einer Siedlung! Land! Bei allen Göttern, seht Euch das an.“

Und tatsächlich war dort Land. Langsam kroch es über den Horizont auf die Neptun zu, kam näher und wurde in der letzten Abendsonne immer deutlicher. In der Ferne blinkte ein schwaches Licht regelmäßig vor sich hin. Ein Leuchtturm. Der Kapitän zählte leise vor sich hin und nickte dem Steuermann zu. Sie waren auf dem richtigen Kurs und an der richtigen Stelle. Angesichts des heftigen Sturmes war dies ein wahres Wunder. Wie Ameisen waren die Männer aus dem Bauch des Schiffes gekrochen und klammerten sich an die Reling. Das rettende Ufer, es schien so nah und war doch noch wenigstens eine Tagesreise entfernt.

Nur der Kolonial interessierte sich nicht für das Land. Er kletterte durch das Loch in den Laderaum hinab und begann, seine Fracht zu inspizieren. Mit tiefen Sorgenfalten hielt er die Fetzen eines seidenen Kissenbezuges in der Hand, doch je länger er zählte, um so mehr glätteten sich die Züge. Vielleicht würde er nicht reich werden, aber wenn von hier ab nun alles nach Plan lief, dann würde er sich keine Sorgen mehr um seine Gläubiger machen müssen. Er würde sie alle auszahlen können.

Es hatte drei weitere Tage gebraucht, bis der Hafen in Sicht gekommen war. Die Neptun hatte nur eine kleine Segelfläche setzen können, und kam nur mit schwacher Fahrt voran. Jetzt, wo er nichts weiter tun konnte, als warten, stand der Kolonial hauptsächlich am Bug, die Arme hinterm Rücken verschränkt, und starrte auf die nun ruhig daliegende See. Treibgut und dichte Büschel von Seegras waren die letzten Zeugen des verheerenden Sturms, und natürlich der Zustand des Schiffs. Kein einziger großer Mast war ihnen entgegen gekommen. Nur in direkter Nähe zur Küste konnte man einige Fischerbötchen sehen. Sie boten ein friedliches Bild, als wäre die Welt noch in Ordnung und als habe nie eine Gefahr für irgendwen bestanden.

Die Mannschaft kam langsam wieder zu Kräften. Sie schien sich gemeinsam mit ihrem Schiff zu erholen. Mit jedem geschlossenen Riss in der Bordwand wirkten die Männer weniger wie wandelnde Leichen, mit jedem Knoten in der Takelage kehrte die Kraft in Arme und Beine zurück. Dennoch verfehlte der Schiffszimmermann sein Ziel, die Neptun wieder voll seetauglich zu haben, bis sie in den Hafen einliefen. Sie war außer Gefahr aber immer noch reichlich geschunden.

Der Kran und ein Heer von Trägern standen am Kai bereit, als sie festmachten. Der Kolonial hatte seine Soldaten an Deck zur Inspektion antreten lassen. Sie sollten einen guten Anblick bieten, mit polierten Rüstungen und gesunden Gesichtern. Er war nicht zufrieden mit dem, was er präsentiert bekam. Seine Kompanie würde keinen beeindruckenden Eindruck hinterlassen, aber für die Wilden hier würde es hoffentlich genügen. Zerknirscht stand er an der Reling und blickte auf den Hafen hinab. Ein Anleger, einige Lagerhäuser, die Handelsstation und die Verwaltung. Nun, immerhin waren sie hier nicht in der Zivilisation. Der alte Segelmeister trat zu ihm.

„Ihr wolltet Euren Stoff über Bord gehen lassen. Den, von den kaputten Kissen. Ich habe mir erlaubt, ihn anderweitig zu verwenden.“

Mit diesen Worten reichte er ihm ein kleines Häufchen des fein bestickten Seidenstoffs. Als er ihn entfaltete, kam ein einzelner Handschuh zum Vorschein. Er blickte den Alten fragend an, aber dieser nickte nur. Als er den Handschuh über seine Rechte zog, passte er perfekt. Das Muster schmeichelte der Hand und er war ausgesprochen fein und sauber gearbeitet. Unwillkürlich spürte er eine seltsame Mischung aus Verwirrung, Freude, Tadel und Dankbarkeit in sich aufwallen.

„Der Stoff hat noch für zwei Paar Damenhandschuhe gereicht, aber dieser hier ist für Euch. Leider nur einer. Möge er Euch immer eine Mahnung sein und Euch an die Gnade der Götter mit unserem Schiff erinnern. Auf dass Ihr hoffentlich Wertschätzung entgegen bringt, woran auch immer Ihr hier Eure Hand legen mögt.“

Mit diesen Worten drehte sich der alte Mann um, verschwand in der zerstörten Kajüte und ließ den Kolonial sehr nachdenklich und in Gedanken zurück. Sein Blick wandere über die immer noch angetretene Kompanie, dann über das fremde Land mit seinen merkwürdigen und geheimnisvollen Bewohnern, welches hier vor ihnen lag.

Am Ende dieses kleinen Experiments bin ich doch erstaunt, wie lang der Text geworden ist und wie viel Spaß mir das Schreiben gemacht hat. Ich bedanke mich jedenfalls ausdrücklich bei der guten Offenschreiben für diesen „Auftrag“ und bei der ominösen Isabelle (ich kenne sie nicht direkt), für das Erschaffen dieses „Kettenbriefs“.

Die Regeln verlangen, dass ich selbst nun auch Begriffe und Nominierungen verteile. Von Nominierungen bin ich zwar nicht so der Freund, aber wenn Du möchtest, dann schreibe doch auch etwas dazu. Die Begriffe sind: Ein Raumschiff, Nebel, Licht.

Solltest Du mit machen, verlinke den Beitrag bitte hier und auf Isabelles (siehe oben) Beitrag. Viel Spaß!

Abendrot

Seattle Gum Wall

Seattle, im U.S. Bundesstaat Washington, verfügt über eine etwas andere Touristenattraktion. Die Gum Wall in der Post Alley. Gut versteckt zwischen, unter, hinter oder neben dem Pike Place Market (je nachdem, von wo aus man guckt) findet sich hier eine Wand, die über und über mit Kaugummis beklebt ist. Mit gekauten Kaugummis, wohlgemerkt.

Market Theater
Ich habe nur Erzählungen und Geschichten von der legendären Gum Wall gehört, ehe ich 2013 selbst in Seattle war, und ich konnte mir nicht wirklich etwas darunter vorstellen. Kaugummis auf dem Boden der Fußgängerzone kennt man ja, aber an den Wänden? Ein Blick kann ja nicht schaden.
Was mir als Erstes auffiel, war, wie schwer dieses „Wahrzeichen“ zu finden ist. Die Post Alley liegt etwas abseits der Straßen und ist wirklich nur eine schattige Gasse durch die Hinterhöfe. Vom Markt aus kommt man über eine Treppe dort hinab und erwischt man den falschen Torbogen, findet man sich statt in einer feuchten Unterführung in einem gequetscht vollem Kram- und Postkartengeschäft wieder. Ich war am Ende von der anderen Seite aus erfolgreicher, wo sogar ein Schild auf die Gasse aufmerksam macht. Verblüffend ist, wie leicht man es übersieht, bedenkt man die Größe.
Und dann findet man tatsächlich eine Backsteinmauer und etwas, was wie der Hintereingang zu einer Kneipe oder ein sehr alternatives Theater aussehen könnte. Etwas zurückliegende Türe und daneben Fenster, die in den letzten zehn oder zwanzig Jahren wahrscheinlich nie geputzt worden sind. Das rote Backsteinmauerwerk tritt absolut in den Hintergrund, angesichts dieser Masse von kunterbunten Kaugummis, welche daran kleben. Es reicht ein Blick, um zu verstehen, wie es dieses Kunstwerk in die Liste der „top 5 germiest tourist attractions in 2009“ in den USA schaffen konnte. Vielen Besuchern hat es nicht gereicht, einfach einen Kaugummi zu hinterlassen. Sie haben Herzchen oder kleine Schriftzüge daraus geformt oder es auch benutzt, um kleine Zettelchen mit Botschaften zu hinterlassen.

Gum Wall

Seinen Ursprung findet diese Sehenswürdigkeit um 1993 herum, als Besucher des Market Theater die Kaugummis benutzten, um Münzen an dessen Außenwand zu kleben. Anfänglich wurden diese noch von den Theaterangestellten entfernt, doch spätestens, seit das Management des Marktes die Wand 1999 als Touristenattraktion deklarierten, gaben sie auf. Die letzte größere Reinigung lag zu diesem Zeitpunkt schon etliche Jahre zurück. Köln und Paris haben Brücken voller Schlösser, New York Graffitikunst, Los Angeles seine Promi-Imitatoren und Seattle halt eine Wand voller Kaugummi.
Damals, 2013, sah es auf jeden Fall beeindruckend aus und auf seine eigene Weise völlig skurril. Auf guten zwanzig Metern länge und so hoch, wie man halt reichen konnte, mal als kleiner Blobb, tropfend oder lang gezogen und zu Buchstaben und Zeichen geformt.
Und dann, im November 2015, gab die Marktleitung bekannt, das Kunstwerk zu entfernen. Das erste mal seit zwanzig Jahren rückten Hochdruckreiniger an und befreiten die Mauern von ihrem bunten Kostüm. Der Grund hierfür ist der Zucker in den Kaugummis. Er greift die Ziegel an und schädigt den Zementmörtel. In dem Versuch, der Erosion und dem Zerfall Einhalt zu gebieten, wurde vom 10. bis 13. November in hundertdreißig Arbeitsstunden über eine Tonne Kaugummi von den Steinen gekratzt. Kurz vorher hatte es noch den öffentlichen Aufruf gegeben, sich mit einem letzten Kaugummi und der Teilnahme an einem Fotomarathon von der Gum Wall in seiner bisherigen Form zu verabschieden.

Gum Wall Seattle
„Die Wand ist wie die Kunst, die dahinter stattfindet, ständigem Wandel unterworfen, durch jene, die sich daran beteiligen.“ Den Offiziellen des Marktes war klar, dass jede Reinigung der Wand nur ein Neubeginn, auf keinen Fall aber ein Ende sein würde und sie behielten recht. Kaum war bekannt gegeben, dass die Wand gereinigt werden sollte, organisierte sich ein Flashmob unter dem Motto „Re-gumming the gum wall.“ Die Marktleitung hatte sich in ihrer Ankündigung neugierig gezeigt, in welcher Form das Kunstwerk neu entstehen würde. Das Ergebnis hatte dann aber keiner erwartet.
Am 13. November, dem Tag, an dem die Reinigung abgeschlossen war, erschütterten Explosionen das viele Tausend Kilometer entfernte Paris. Der Donner hallte nicht nur in Europa wider, sondern dröhnte selbst im jungen, weltoffenen Seattle. „Re-gum“ änderte spontan seinen Zweck und beschloss, statt etwas schrecklich Albernem und Sinnlosem lieber etwas Albernes aber wenigstens ein wenig sinnvollem zu tun. “Re-gumming” the gum wall – for Paris. Unter den ersten Kaugummis auf der neuen Gum Wall waren Kondolenzen und Botschaften für Paris. Sie entstanden, noch bevor die lokale Presse die Bilder der gereinigten Wand veröffentlichen konnte. Seitdem wächst sie wieder und es ist kaum absehbar, wie weit sie es diesmal schaffen wird, ehe die nächste Reinigung das historische Mauerwerk darunter renoviert.