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Arbeitskräfte gesucht!

„Deutschland ist eine Innovationsnation! Wir haben kaum noch natürlich Rohstoffe, die wir fördern können, also ist unser Rohstoff Know-how und Innovationskraft. Darum ist es wichtig, dass ihr euch Mühe gebt, einen guten Abschluss erlangt und etwas Sinnvolles studiert. Deutschland braucht Ingenieure!“

So oder so ähnlich habe ich es damals nicht nur einmal in der Schule zu hören bekommen. Ich erinnere mich nur an eine Realschullehrerin, die von dieser Linie abgewichen ist und die Klasse mahnend erinnert hat: „Handwerk hat goldenen Boden.“ Daran erinnere ich mich inzwischen fast jeden Morgen, wenn ich im Badezimmer stehe und mich das Radio mit der einsetzenden Werbung daran erinnert, dass ich mal wieder zu sehr getrödelt habe. Der Werbeblock besteht hier zu einem guten Teil inzwischen nicht mehr aus „Kauf unseren Scheiß!“-Geblöke, sondern aus „Bitte arbeite für uns!“-Aufrufen.

Maschinenbauer, Tischler, Stahl- und Industriebaufirmen, Supermarktketten und Pflegeeinrichtungen wetteifern mal mehr oder weniger lautstark und kreativ um Personal. Man möchte meinen, wir hätten die Vollbeschäftigung längst hinter uns gelassen. Und vor diesem Hintergrund bekommen im Internet immer noch Leute Gehör, die im Fieberwahn predigen, „die Ausländer“ würden uns die Arbeit wegnehmen und alle nur kriminell sein? Da muss so einiges schiefgelaufen sein, aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte.

Das Werben um Arbeitskräfte beschränkt sich auch nicht aufs Radio. Genau so finden sich die Anzeigen in der Zeitung, sei es nun das Gratis-Käseblatt, was hier jeden Mittwoch im Hausflur liegt oder die Lokalzeitung. Einmal im Jahr bricht hier dann auch noch der Kleinkrieg aus und die Krankenhäuser und Pflegeheime der Region werben mit Plakatwänden und an Bushaltestellen mit dem besseren Arbeitsklima, dem höheren Gehalt oder den besseren Zusatzleistungen. Nur eines ist mir dabei aufgefallen: Niemand wirbt um Akademiker.

Erst sollten wir alle an die Uni und nun haben wir doch alle aufs falsche Pferd gesetzt?

Vielleicht, ich weiß es noch nicht. Ich weiß nur, dass man als gelernter Dachdecker, Klempner oder Einzelhandelskaufmann/-frau/-mensch (ich gebe es zu, ich kann nicht gendern. Tut mir leid!) auf der Party weniger anerkennende „Whoa“-s bekommt, als beispielsweise Mediziner oder Ingenieure. Pflegekräfte bekommen da schon eher mal mit „In dem Job würde ich ja sofort kaputt gehen“ so etwas Ähnliches wie versteckte Bewunderung. Arbeit in der Knochenmühle wird wertgeschätzt, aber machen will es trotzdem niemand.

Klar brauchen wir Ingenieure, aber wer soll denn das alles bauen, was sich die schlauen Köpfe da alles ausdenken?

Ich bin Teil des Problems. Meine Arbeitskraft wandert ebenso an einen Schreibtisch und nicht in die Produktion wie bei den anderen Absolventen. Ich habe mich als Handwerker versucht und beschlossen, dass ich dafür nur mäßig geeignet bin. Vielleicht war ich auch einfach viel zu optimistisch, was die Innovationsbereitschaft in Europa generell betrifft. Nicht erst seit gestern wird schließlich der große Durchbruch der Roboter prognostiziert. Durchgeführt wird er sehr viel zögerlicher als nötig.

ICE-Trassen und die darauf fahrenden Züge sind mit der nötigen Signaltechnik ausgestattet, um sie mit nur geringem Aufwand autonom fahren zu lassen. Die Sensortechnik ist inzwischen ausgereift genug, um selbst konventionellen Bahnbetrieb robotisch abzuwickeln, nur die Fahrzeuge müsste es geben. Und die rechtliche Grundlage. Wo, wenn nicht auf der Schiene, könnte man mit einem solchen System beginnen? Nirgendwo sonst sind die Anforderungen an autonomes Fahren so überschaubar wie dort. Stattdessen beklagen die Bahnbetriebe fehlende Lockführer und planen fest mit Sechstagewochen. Stattdessen erzählen mir die Lockführer selbst, wenn ich sie danach frage, dass autonomer Schienenverkehr nicht kommen wird, solange sie noch die Hakenkreuze von den Triebwagen abkratzen müssen, um auf deutschen Schienen fahren zu können. Stattdessen werden immer mehr Fahrassistenten für Autos entwickelt, welche mehr und mehr Autonomie erlauben. Kommen wird es trotzdem nicht so schnell, denn die Rechtslage ist hierbei immer noch ungeklärt.

Als ich mich damals gegen das Handwerk und für den Hörsaal entschieden habe, wusste ich davon allerdings noch nicht viel. Die Technik existierte auch einfach noch nicht. Was aber bereits existierte, waren CNC-Fräsen und Industrieroboter in unterschiedlichsten Ausprägungen. Wie schwer kann es da sein, die beiden Technologien zu kombinieren? Da braucht es noch nicht einmal die später aufgekommenen 3D-Drucker, um gesamte Produktionen automatisieren zu können. In einem handwerklichen Praktikum habe ich zu Schulzeiten noch Tage in der Werkstatt verbracht und von Hand an einem Werkstück gesägt und gefeilt, was zwar am Ende durchaus passabel war, mich aber in einer Überzeugung absolut bestätigt hat: Die Maschine kann das deutlich schneller und präziser als der Mensch.

Wir haben Technologien zur Verfügung, von denen unsere Vorfahren nicht einmal zu träumen gewagt haben. Wir haben offenbar auch den Bedarf dafür, denn ansonsten können viele Arbeiten einfach nicht ausgeführt werden. Dennoch kommt es nicht, oder nur sehr viel langsamer, als man vielleicht erwarten würde. Mich überrascht das immer wieder.

Ich vergesse immer wieder zu gerne, dass Deutschland ein digitales Entwicklungsland ist, dass „Vorsprung durch Technik“ zwar der Werbeslogan einer bekannten großen Marke hier ist, aber eben nicht viel mehr. Das Vertrauen in die Technik ist nicht da und was ich als logische Weiterentwicklung sehe, erscheint vielen eher als Dystopie. Exoskelette, welche in japanischen Krankenhäusern die Pflege schwerer Patienten erleichtern sollen, oder Roboter als Rezeptionist im Hotel werden als gruselige Kuriosität aus einem fernen und fremden Land präsentiert. Roboter im Gesundheitssystem gibt es zwar auch bei uns, aber nur im OP und nicht in der Pflege.

Die Anzeigen und Werbeclips, in denen „junge und dynamische Teams“ nach neuen Kollegen suchen, werden mich also noch eine Weile begleiten, bis der Druck irgendwann vielleicht doch so groß ist, dass auch unsere Systeme auf den Stand der Technik gebracht werden. Aber was das alles an Entwicklungen mit sich bringen wird, steht auf einem ganz anderen Blatt. So oder so stehen wir vor großen Herausforderungen.

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Hörsaalgetuschel – Ausgabe 162.

Filterblasen

Flo hatte eigentlich nur etwas Neues ausprobieren wollen. Einen Weg an Nachrichten zu kommen, abseits der Tagesschau oder der großen Zeitungen. Erfolgreich war er darin gewesen, wenn auch nicht ganz auf die Art, die ihm vorgeschwebt hatte. Bei näherer Betrachtung war das Internet voller Nachrichten. Die wenigsten davon waren allerdings neu und so oder so, die meisten hatten eine Färbung, die ihn sehr stark nicht nur an der Echtheit der Meldungen zweifeln ließ, sondern auch am gesunden Menschenverstand.

„Sollte ich nicht eigentlich in einer Filterblase leben? Ich dachte immer, die Suchmaschine erstellt Persönlichkeitsprofile und gibt mir nur entsprechend gefärbte Ergebnisse aus. Offenbar hab ich dann immer ein extrem verzerrtes Bild von mir gehabt.“

Kristina antwortete ihm nicht mehr auf seine Frage. Sie war über ihrem Laptop eingeschlafen, auf dem noch die aktuelle Folge ihrer Lieblingsserie lief. Mutter und Tochter tanzten mitten in der Nacht durch einen festlich geschmückten Park voller bunter Lichter. Eine heile kleine Welt, voller Drama, was sich immer durch Gespräche auch wieder lösen ließ. Und was tat sich auf seinem Tablet?

„Schon wieder hat ein Syrer eine Deutsche mit einem Messer angegriffen.“

„Sofortige Abschiebung von Straftätern ist ein Muss, auch in unsichere Herkunftsländer!“

„Kann die CSU die Regierungsbildung noch retten?“

„Wieso eine schärfere Obergrenze unausweichlich ist.“

„Gegen die feindliche ISLAM-Invasion, haltet Deutschland sauber!“

Ja war denn diese Welt völlig bescheuert geworden? Und vor allem: Was musste er angerichtet haben, plötzlich in dieser fremden Filterblase gelandet zu sein? Keine einzige dieser Schlagzeilen klang für ihn nach mehr, als nach erbärmlichem Populismus. Hieß es nicht immer, dass die Algorithmen einem nur die Artikel anzeigen sollten, die einen persönlich mit höherer Wahrscheinlichkeit auch ansprachen? Schließlich sollte man sie anklicken und den entsprechenden Portalbetreibern dadurch Werbeeinnahmen bescheren.

Eines musste er zugeben, die CSU-Meldung hatte ihn immerhin zum Lachen gebracht. Es bedurfte schon einer gehörigen Portion Sarkasmus, zu behaupten, diese Partei könne irgendetwas retten. Besonders, wenn sie bislang mit nichts anderem als Sabotageakten in der betreffenden Angelegenheit von sich hatte reden machen. Dass sie sich nicht schämten, überhaupt ihren eigenen Parteinamen auszusprechen. Aber wieso sollte er sich überhaupt damit befassen?

Viel mehr wunderte er sich sowieso über die letzte Meldung. Nach was musste er gesucht haben, um plötzlich Rechtsaußen gelandet zu sein, bei der Meldung eines „christlichen Heimatschutzvereins“? Flo musste zugeben, dass er sich auch nicht für den Islam begeistern konnte. Aber das galt im gleichen Maße für das Christentum, genau wie alle anderen theistischen Religionen. Sie alle litten an der gleichen epidemischen Geltungssucht und kurzsichtigen Ignoranz. Keine von ihnen war fähig, nachhaltig zu denken und zu agieren. Die Menschheit wäre sicherlich besser dran ohne sie. Aber ein großer Vernichtungskrieg war hier sicherlich der falsche Weg.

Er war sich darüber im Klaren, dass es naiv war. Dennoch genoss er die Illusion, die Menschen würden sich von ihren Krücken befreien, wenn sie nur einmal eine vernünftige Grundbildung erhielten. Besonders im naturwissenschaftlichen Bereich. Das musste doch möglich sein. Und wenn man dann noch eine gemeinsame Sprache beherrschte und miteinander redete … in einer solchen Welt konnte doch kein Platz für Kleingeister sein.

Aber die Realität sah immer noch anders aus und das widerte ihn an. Er schloss die Nachrichtenseiten und startete stattdessen eine Dokumentation über kleine Pandas. Es musste doch unverfänglicher sein, den kleinen roten Fellkugeln beim Toben zuzusehen. Dennoch, seine gute Laune war verflogen. Es waren Tage wie dieser, an denen er an sich selbst zu zweifeln begann.

Er wollte doch eigentlich ein guter Mensch sein, immer den kategorischen Imperativ im Hinterkopf. Seinem Streben nach Selbstverbesserung stand seine eigene Faulheit schon zur Genüge im Weg. Aber wenn er jetzt über die Welt nachdachte, dann fiel ihm auf, dass ihm die Menschen im Krieg eigentlich egal waren. Er kannte keinen Einzigen davon und so oder so gab es viel zu viele. Klar, das war der natürliche Instinkt, der Drang zur Fortpflanzung. Er selbst würde sich auch über Nachwuchs freuen, keine Frage! Aber würde er ihn wirklich in diese Welt setzen wollen?

Zärtlich streichelte er über Kristinas Bauch, während auf dem Bildschirm gerade zwei kleine Pandas zu alberner Musik mit einem Futterspender rangen. Vielleicht würde es ihm ja eines Tages egal werden, aber aktuell noch nicht.

Schwarzes Moor Rhön

Männer sind vom Mars, Kinder vom Mond?

Ich streife durch die Hallen eines großen Einrichtungshauses und habe irgendwo auf dem Weg vergessen, wieso ich eigentlich hier bin und wonach ich suche. Mein Blick streift über moderne, gerade Konturen von Schränken und über verschnörkelte Sessel, die stiltechnisch nicht zu den Räumen passen wollen, in denen sie ausgestellt sind. Zahllose Gesichter schieben sich durch die Gänge, betrachten Möbel und Einrichtungsgegenstände. Jede kleine Lücke ist mit Dekoartikeln gefüllt, ein buntes Sammelsurium von Dingen, deren einziger Zweck es ist, zu existieren oder eine Funktion zu erfüllen, die in einem gewöhnlichen Alltag eigentlich keinen Platz hat.

Die Kundengruppe ist recht jung. Viele junge Erwachsene, die sich ihre ersten Wohnungen einrichten, Paare auf der Suche nach der richtigen Einrichtung für eine hoffentlich lange und glückliche gemeinsame Zeit und Familien mit frischem Nachwuchs, teils vor, teils noch im Bauch. Gedankenverloren biege ich um eine Ecke, streiche über ein angeblich echtes, aber spottbilliges Lammfell und wäre fast über ein kleines Kind gestolpert, welches selig zwischen den großen Gitterboxen sitzt und mit einem Bündel Kleiderbügel spielt.

Zugegeben, das war eine Übertreibung. Es lagen immer noch mehr als ein Meter zwischen dem kleinen Mädchen und mir, ich hätte sie kaum übersehen können und selbst wenn, dann hätte ich gleichzeitig ihren Vater umrennen müssen, der danebenstand. Dennoch fesselt es mich für einen Moment, mit wie viel Begeisterung sich dieses kleine Wesen ein paar einfarbigen Kleiderbügeln aus Plastik widmet. Sie blickt zu mir auf und grinst mich fröhlich an. Es dauert einen Moment, bis ich realisiere, dass sie damit mein Grinsen erwidert. Eine kleine Hand mit riesigem Kleiderbügel darin winkt mir zu und ich tue, was wohl jeder Mensch tun würde und winke zurück.

Rundherum bemerke ich Reaktionen, die ich eher fühlen kann, als dass ich sie bewusst sehen würde. Da ist der Vater, der mir skeptische Blicke zuwirft und sich kaum merklich anspannt, bereit, seine Tochter vor dem seltsamen Typen zu schützen. Zwischen den Weingläsern heben sich die Köpfe zweier Frauen hervor, die mich zwar neutral aber dennoch aufmerksam beobachten und eine junge Mutter, die ihre Zwillinge im Einkaufswagen bereits aus der Abteilung schieben will und durch einen Gehfehler auffällt, dreht sich noch einmal um und sieht mir irritiert nach.

Einzig ein Mädchen, vermutlich noch nicht einmal zwanzig Jahre alt und mit einer bunten Fußmatte in der Hand, guckt an mir vorbei auf das Kind. Auch sie wird von der guten Laune angesteckt und grinst fröhlich, aber bei ihr sieht deswegen niemand hin. Nur ihr Freund, der sie zwar mit einer Zärtlichkeit betrachtet, die jede Disney-Romanze grobschlächtig wirken lässt, aber dennoch etwas besorgt wirkt. Er kennt wohl den Kinderwunsch seiner Partnerin, weiß aber auch, dass es noch zu früh für sie beide ist.

Erst als ich von den Küchenmessern zu den Gardinenstangen komme, festigt sich das Bild von dem, was gerade passiert ist. Ich habe einem kleinen Kind gewunken und damit eine Menge Leute beunruhigt. Wie kommt das? Ich sehe recht durchschnittlich aus, meine Kleidung ist ordentlich und sauber, ebenso ich selbst. Wenn ich das Blut unschuldiger Seelen im Bart oder an den Händen kleben hätte, dann wüsste ich das mit Sicherheit. Aber die einzige Erklärung, die mir nach einigem Nachdenken kommen will, ist, dass Männer einfach keine kleinen Kinder mögen. Wenigstens, solange es nicht ihre eigenen sind. Wenn eine Frau, egal welchen Alters, ein Kind beobachtet, wird sie vielleicht dafür belächelt. Gelten für Männer da wirklich andere Regeln?

In Bus oder Bahn langweilen sich Kinder oft und suchen den Kontakt zu Mitreisenden. Wenn sie sich dafür andere Kinder oder Frauen aussuchen, die auf ihr Spiel eifrig einsteigen, werden sie vielleicht einmal ermahnt, schön ruhig zu bleiben. Wenn ich die neugierigen Blicke mit albernem Kopfwackeln erwidere, ernte ich regelmäßig argwöhnische Blicke. Nicht selten entschuldigen sich die Mütter hastig bei mir, dass ihr Kind mich belästigt hat, um dann schnell die Aufmerksamkeit des Sprösslings auf sich zu ziehen und ihn mit irgendetwas zu unterhalten, auf dass er den Rest des Busses nicht belästigen möge.

Und regelmäßig frage ich mich dann, wie ich in den Augen der Leute gewirkt haben muss. Was habe ich an mir, dass man mich vermeintlich vor dieser klaren und ehrlichen Neugier schützen muss, die aus so vielen Kinderaugen strahlt, ehe sie durch eifriges Ermahnen, stumpfe Monitore und vertröstende Süßigkeiten im Laufe der Jahre immer weiter abstumpfen. Was sehen sie in meinem Lächeln, mit dem ich versuche, ein wenig des ehrlichen Glücks der Zwerge zu spiegeln? Bin ich so gruselig, dass sie ihre Kinder schnell vor meinen Augen schützen wollen?

Und ist das ein Problem, das nur ich habe, oder reicht das weiter? Immerhin fällt es mir immer wieder auf, dass Kabinen mit Wickeltischen in öffentlichen Toiletten zwischen Damen- und Herrentoiletten angeordnet sind, statt in der Damentoilette. Auf den Piktogrammen sind dennoch immer Frauen mit Kindern abgebildet. Männer haben Papa-Zeit und babysitten, Frauen sind halt einfach Mütter. Das ist der Eindruck, den man bekommen kann, wenn man mit offenen Augen und Ohren durch die Stadt läuft, die Menschen am Spielplatz beobachtet oder den Gesprächen an der Supermarktkasse lauscht. Bin ich der Einzige, der sich daran stößt?

So aufgeklärt diese Gesellschaft gerne sein möchte, es erscheint einiges merkwürdig. Eine ganze Serie von Missbrauchsskandalen hat sie Menschen vorsichtig gemacht. So misstrauisch, dass sich Mütter dafür entschuldigen, wenn ihre Kinder ein wenig gute Laune und Farbe in die Welt hinaus tragen wollen und damit die „falschen“ Leute erreichen. Dabei können vielleicht gerade die das gut gebrauchen. Kinder sollen Kinder sein dürfen, aber ohne dass man ihnen den Platz dafür zugesteht.

Mir scheint, wir haben noch viel Arbeit vor uns…

Seattle Fremont Troll

Hinterm Horizont – Teil 8.

Ich konnte das Unverständnis ebenfalls gut nachvollziehen. Auch wenn meine Verletzung wieder gut heilte und der Arm bald wieder uneingeschränkt nutzbar war, er würde dennoch immer schwächer bleiben, als ein mechanischer Arm. In den meisten Fällen wäre das völlig unproblematisch, aber immer wieder auch ein nerviges Hindernis, welches mir meine eigene Unzulänglichkeit vor Augen hielt.

Offenbar war ich nicht der Einzige, der sich an diesem Missstand stieß. Wenige Wochen später erschien ein Mitglied unserer Gruppe nicht zum Essen. Seine Eltern hatten es nie für nötig befunden, ihm einen Namen zu geben, und irgendwann hatte er sich selbst den Namen Bob zugelegt, nach einer alten Filmfigur, die ihm gefallen hatte. Seine Eltern hatten generell einiges für unnötig befunden, unter anderem seine Erziehung, seine Ausbildung, ja seine ganze Existenz. Damit hatten Bobs Eltern selbst in unserer Gesellschaft einen neuen Hochpunkt erreicht. Auch wenn Erziehung und Bildung generell sehr rudimentär gehandhabt wurden, so konnten sich die Meisten doch immerhin auf liebende Eltern verlassen. Wieso sonst sollte man den Aufwand betreiben, ein Kind zu zeugen und auszutragen, wenn nicht, um einem uralten Instinkt zu folgen?

Bob jedenfalls blieb für zwei Tage verschollen. Während wir nur rätseln konnten, was mit ihm passiert war, hatte er sich bei den Androiden abgemeldet, aber um Stillschweigen gebeten. Genau wie ich hatte er sich zum Mechaniker ausgebildet und in den vergangenen Tagen war er sehr fleißig gewesen. Es erschien mir zunächst nur logisch, dass er sich zum Ausgleich eine kurze Auszeit genehmigt hatte. Umso größer war die Überraschung, als er am Ende wieder da war, den linken Arm gänzlich bandagiert. Schmerzhaft aussehende Beulen zeichneten sich unter dem dicken Verband ab. Zu stören schien ihn das aber nicht sehr, wirkte eher eher aufgeregt und nervös, als behindert und unter Schmerzen. Er aß nur wenig und behielt trotz vieler Fragen Stillschweigen, was ihm widerfahren war. Bis zum Ende des Essens.

Mit langsamen, bedächtigen Bewegungen wickelte er seinen Verband ab, Lage für Lage. Und mit jeder Lage erhärtete sich ein tiefgreifender Verdacht. Es war kein Unfall gewesen, der ihn verwundet hatte. Er war es selbst gewesen, mit Hilfe des Arztes. Sein Arm war überzogen von frisch verheilten Schnitten und an etlichen Stellen war die Haut noch immer offen, teilte sich um metallische Bauteile, welche aus seinem Arm ragten und im Knochen zu stecken schienen. Graue Linien zeigten an, an welchen Stellen sich Metall unter der Haut verbarg, goldene Leiterbahnen hoben sich hell unter der noch gereizten Oberfläche ab. Mit einer theatralischen Geste hob er den Arm in die Luft und ließ den letzten Verband langsam hinab gleiten.

Mit dem wohligen Schauer faszinierten und neugierigen Gruselns wurde der Arm von uns allen eingehend untersucht. Die fleischlichen Muskeln wurden durch hydraulische Mechanik verstärkt, die Finger durch eine Serie von Werkzeugen ergänzt. Ein in den Zeigefinger eingesetzter Magnet sollte helfen, noch in engen Ecken an die letzten Schrauben zu kommen, ein angegliederter motorisierter Schraubendreher beschleunigte den Betrieb. Eine kleine Auswahl standardisierter Datenstecker sollten über ein neuronales Interface die direkte Kommunikation mit der Maschine erlauben und ein kleiner Lichtbogen stand für feinelektronische Schweißarbeiten zur Verfügung. Versorgt wurde alles durch körpereigene Energie, die lediglich durch eine Serie von Kondensatoren und Akkus unterstützt wurde.

Ich war skeptisch, wie gut es funktionieren würde und gleichzeitig neugierig, welche Möglichkeiten sich dadurch ergeben könnten. Ich hatte noch die Schmerzen im Bewusstsein, die meine eigene kleine Verletzung bei mir verursacht hatte. Wie musste es sich erst anfühlen, nicht einen zentralen großen Schnitt zu haben, sondern eine ganze Serie, über den ganzen Arm verteilt? Und wie musste es erst sein, wenn dann auch noch etwas in diesen Schnitten drin steckte, was nicht zum Körper dazu gehörte?

Es jagte mir eine Gänsehaut nach der anderen den Rücken hinab und ich beschloss, dass diese Möglichkeit für mich nicht infrage käme. Ich musste mir allerdings eingestehen, dass ich absolut neidisch auf das neuronale Interface war. Eine direkte Kommunkation mit jedem Computer an Bord, keine missverständlichen Sprachbefehle oder umständlichen Konsoleneingaben. Aber was noch wichtiger war, uneingeschränkter und sehr viel einfacherer Zugriff auf die Datenbanken des Schiffs.

 

Kleine Erinnerung am Rande: Bitte denkt noch daran, an meiner Umfrage zum Stadtklima teilzunehmen 😉 Ich bin um jeden Teilnehmer dankbar.

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Hinterm Horizont – Teil 6.

Das tat ich ganz sicher nicht. Ich wollte wissen, was passierte und wie es passierte. Dafür benötigte ich mein Gehirn unvernebelt. Mir kam die komplette Situation recht merkwürdig und absurd vor. Das Handbuch schrieb vor, dass die Roboter den Menschen dienbar zur Hand gehen sollten. Die Programmierung sah dabei höfliche Zurückhaltung vor. Halt so, wie mit mir umgegangen wurde. Aber andererseits scheuten die Maschinen inzwischen nicht mehr, mit roher Gewalt gegen die gelangweilte und psychotische Besatzung vorzugehen. Sie bemühten sich überhaupt nicht mehr um eine Behebung des Problems oder Behandlung der Störungen. Und das war ein ziemlicher Widerspruch zur Programmierung. Ein Verstoß gegen das Protokoll, an dem sich niemand zu stören schien. Es schien sogar notwendig zu sein, um das Getriebe in Bewegung zu halten.

Pflegebot und Arzthelfer ließen sich davon nicht beirren. Binnen weniger Minuten war mein Arm vorzüglich versorgt und benötigte nur noch etwas Zeit zum Heilen. Und wieder war da etwas, was ich bemerkte. Eine kleine Veränderung an mir selbst. Natürlich erwartete ich eine solche kompetente und unkomplizierte Behandlung durch die Maschinen, das war nicht, was mich überraschte. Viel mehr war es, dass ich es für mich als selbstverständlich erachtete und ebenso vollstes Verständnis für die konsequente Betäubung der anderen Besatzungsmitglieder hatte. Ihre Sedierung erschien mir völlig angemessen und richtig.

Immerhin leisteten sie auch nichts für ihren Aufenthalt. Sie waren nur da und verbrauchten Ressourcen, die man ansonsten besser hätte nutzen können. Schlimmer noch, in ihrer gelangweilten Zerstörungswut beschädigten sie das Schiff und seine Crew, was wiederum mehr Ressourcen und Rohstoffe beanspruchte. Sie waren abgestumpft, verroht, primitiv im Geist und dabei auch noch furchtbar überheblich, ohne etwas dafür bieten zu können. Sie waren einfach nicht wie wir.

Wie wir. Diese Worte hallten durch mein Gehirn wie ein Schuss, als ich die Krankenstation verließ. Vielleicht war es das leichte Schmerzmittel, was mir verabreicht worden war, aber mein Verstand schien heute wie durch Pudding zu laufen, und das auch noch auf obskuren, verschlungenen Wegen. Dennoch verbrachte ich die Zeit bis zum Abendessen nicht in meinem Quartier oder vor einem der Fenster, sondern mit einem Tablet in der Hand in den Eingeweiden des Schiffs.

Routinemäßige Kontrollarbeiten, die eigentlich von Beginn an durch Menschen hätten ausgeführt werden sollen, und die tatsächlich einen tieferen Sinn hatten, waren in vielen Bereichen sehr vernachlässigt worden. In der Konsequenz hatten sich Moose und andere Ablagerungen an Stellen breit gemacht, wo sie zu Schäden führen konnten. Die internen Systeme konnten die Beeinträchtigungen zwar erfassen und dann auch schnell beheben, aber von alleine verhindern nicht. Genau dafür war diese Aufgabe geschaffen worden. Nur war sich ein Großteil der Besatzung zu schade für diesen niederen Dienst. Sollten es doch die Androiden erledigen, genau dafür waren sie schließlich da. Ihre ganze Existenz war darauf ausgelegt, niedere Arbeiten für die Menschheit zu verrichten, damit diese sich um die wichtigen Probleme kümmern konnte. Wenigstens war das einmal die Intention gewesen. Nun aber gab es diese wichtigeren Probleme seit zwei Generationen nicht mehr, aber die alten Muster blieben bestehen. Wir existierten nur, atmeten, aßen, vertrieben uns die Zeit. Niemand wäre auf die Idee gekommen, aus reiner Langeweile den Maschinen ihre Arbeit wieder abzunehmen. Fast niemand. Da ich mich gerade keiner meiner üblichen Aufgaben widmen konnte, wollte ich mich wenigstens hiermit ablenken.

Beim Abendessen erregte der Verband direkt die Aufmerksamkeit der anderen am Tisch. Verletzungen waren selten, besonders solche, und es tauchten Fragen auf, die ich mir auch teilweise schon gestellt hatte. Wieso wurde ich gut behandelt, während andere verletzte Menschen einfach nur aus dem Verkehr genommen wurden? Wurden wir von den Maschinen eventuell als eine Art fleischliche Androiden wahrgenommen? Waren wir die einzigen Menschen, die im System des Schiffs noch als Besatzung galten, während alle anderen inzwischen als Fracht kategorisiert waren? Eine gewisse Ehrfurcht breitete sich aus und auch wenn es mir einerseits unangenehm war, ein Teil von mir genoss die Aufmerksamkeit durchaus. Es schien, dass diese Verletzung als Opfer für eine größere Sache gesehen wurde, als würde es meine Kompetenz in meinem Arbeitsfeld hervorheben und durch die gute Behandlung die Wichtigkeit meiner Position bestätigen. Und dann stellte ich die Frage, die das Tischgespräch für eine Weile verstummen ließ.

„Unterteilt ihr inzwischen auch in wir und die, wobei wir neben uns die Roboter einschließt und die sich auf die anderen Menschen bezieht? Ich fühle mich inzwischen eher den Maschinen zugehörig, immerhin arbeiten wir auf das gleiche Ziel hin. Wir sind es, die das Schiff am Laufen halten und die Systeme reparieren. Wir sind es, die eine Kolonie gründen werden und gemeinsam etwas erschaffen. Wir werden ein Erbe hinterlassen. Ist es verrückt, das als ein erstrebenswertes Ziel zu sehen?“

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Hinterm Horizont – Teil 2.

Feuer, das Rad, der Buchdruck, Eisenbahnen, Flugzeuge, Computer, das Internet, Raketenantrieb und viele andere „große“ Erfindungen lagen weit in der Vergangenheit. Unsere Urgroßeltern stammten noch aus einer Generation, in der man sich an vergangene, große Taten erinnerte. Sie erinnerten sich auch noch an ihren Spitznamen. „Generation Taugenichts“ waren sie gerufen worden und es hatte einen schrecklichen Beigeschmack gehabt. Ihre Kinder hatten damit angefangen, das Schimpfwort als einen Titel zu tragen. Das war ihr Protest gegen die alten Strukturen und er war von Erfolg gekrönt, wie so oft, wenn eine Gruppe ihre Beschimpfung in einen Anzug steckt und stolz auf die Bühne stellt.

Was folgte, war die große Stagnation. Wirtschaftlich, gesellschaftlich und intellektuell. Der Zeitpunkt, als wir satt, zufrieden und träge geworden waren. Allen ging es gut, mehr oder weniger. Jedenfalls so gut, wie noch nie zuvor in der Geschichte. Und dann, mitten in diese große Zufriedenheit hinein, brach die Revolution los. Plötzlich forderten Androiden ihre Rechte ein und Menschen wollten wieder arbeiten gehen und „ihrem Leben einen Sinn geben.“ Was für ein esoterischer Unfug. Dennoch sind auch wir aus dieser Bewegung hervorgegangen.

Die Erde entpuppte sich als zu klein für uns alle und die logische Konsequenz war, auszuwandern. Der Vorschlag zu diesem Projekt kam von den Androiden. Einige wollten eine eigene Kolonie auf den äußeren Planeten oder deren Monden gründen. Natürlich erhielt so etwas keine Genehmigung. Die Umweltbedingungen wären dort für Menschen kaum tragbar gewesen und was wäre ein Roboter ohne Aufseher? Die Androiden mussten doch einsehen, dass so etwas unmöglich war. Es musste eine andere Lösung her. So suchte und fand man die zweite Erde, den Planeten, zu dem wir aufbrachen.

Gleichzeitig konnte man den Beweis antreten, dass Roboter nicht immer nur logisch motiviert handeln. Die Androiden waren mit dem Kompromiss nicht glücklich und zeigten eindeutig emotionale Reaktionen. Sie bestanden weiterhin auf einer Kolonie im äußeren Sonnensystem. „Notfalls auch ohne Menschen vor Ort.“ Dabei war man ihnen doch bereits in so vielen Punkten so weit entgegen gekommen. Statt dankbar für ihre Möglichkeiten zu sein, forderten einige von ihnen gar ein Recht auf Selbstbestimmung! In der Regierung riefen solche Forderungen Unverständnis und Verstimmungen hervor. Dennoch, das Kolonieprojekt lief an, vorangetrieben allein durch Privatinitiativen. Hinter einigen vorgehaltenen Händen krochen Gerüchte hervor, das Projekt existiere nur aus Angst vor einer Revolte der Maschinen. Aber diese verstummten sehr schnell wieder.

Es wurde ein Schiff gebaut, Fracht und Passagiere zusammengestellt. Wir alle, die ausgewählt wurden, mussten eine lange Reihe von Tests und Vorbereitungen über uns ergehen lassen. Im Gegensatz zu den Androiden konnte man uns nicht einfach in den Ruhemodus schicken und in den Frachtcontainern verstauen. Mir ist es trotzdem ein Rätsel, wie es hilfreich gewesen sein soll, mit einem Drehwurm eine gerade Linie entlang zu gehen. So vieles aus dieser Vorbereitungszeit schien einfach nur dafür da zu sein, uns irgendwie zu beschäftigen oder zu foltern. Die genauen Auswahlkriterien sind auch nach dem Start nicht bekannt, aber ich kam an Bord und startete die vermutlich einzige wahre Reise meines Lebens. Ein Aufbruch in Gefilde, der nicht möglich zu sein schien.

Je länger der Start nun zurück liegt, umso mehr kann ich die Siedler im System verstehen, welche die Erde als solch prächtige Perle sahen. War sie aus der Nähe noch ein schmutziger, gräulicher Ball, mit jedem Tag der Reise wurde sie kleiner und schöner. Aus einiger Entfernung konnte man selbst den blauen Schimmer erkennen, welcher dem „Blauen Planeten“ seinen Namen gegeben haben musste. Ein bläulicher Punkt, mitten im immer heller werdenden Sternenkleid des Kosmos.

Wie hatte die Erde eigentlich geheißen, bevor die ersten Menschen ihre Raumsonden bis in die äußeren Ausläufer des Sonnensystems geschickt hatten? War es zunächst einmal der graue Planet gewesen, oder der grüne? Und wie weit hatte man damals reisen müssen, um das schmutzige Braun der Landoberfläche nicht mehr sehen zu können? Angeblich hatte die Erde damals anders ausgesehen. Das erzählt man uns bereits in der Grundschule, aber ich habe es noch nie glauben können. Bis zu diesen Momenten, als wir in die Richtung sahen, aus der wir kamen, und die Erde nur noch einer der vielen Sterne ist. Selbst unsere Sonne lässt sich nicht mehr davon unterscheiden. Egal, in welche Richtung man seine Blicke wendet, der Himmel sieht immer gleich aus.

Wir hatten das Äquivalent des Punktes überschritten, an dem sich damals die primitiven Seefahrer befunden haben. Der Punkt, wo die letzte Insel und Mastspitze in den Wellen versunken waren und es nur noch eine winzige Nussschale und die unbarmherzige See gab. In den Geschichtsbüchern stand, die Seefahrer hätten sich anhand der Sterne orientiert, mit ihrer Hilfe navigiert und ihren Weg gefunden. Mit jedem weiteren Reisetag sahen die Sterne anders aus und verschwammen für mich zu einem beinahe belanglosen Einerlei. Völlig unbrauchbar zur Navigation.

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Hinterm Horizont – Teil 1.

 

Man erzählt sich, die alten Seefahrer hatten damals, als sie auf ihren Windjammern loszogen, die Welt zu erkunden, ein kleines Problem. Immer dann, wenn das letzte Stückchen Land, die letzte Insel oder auch nur das letzte bisschen Treibgut hinter dem Horizont zurückblieb, überkam die Seeleute eine merkwürdige Stimmung. Wenn es nur noch das Schiff, sie selbst und die schier endlosen Weiten des Ozeans mit seinen bodenlosen Wellen gab, verfielen sie in eine Art der Depression oder Apathie.

Aber solche Dinge gehörten der Vergangenheit an. Inzwischen hatten sich die Welt und die Menschheit stark weiterentwickelt. Vieles, was einst undenkbar erschien, war nun Realität. Damals träumten die Menschen noch davon, ihren eigenen Planeten zu erkunden. Fremde Welten waren keinen Gedanken wert, und wenn es die Bälle des eigenen Systems wären. So vieles hatte sich seitdem verändert. So viel mehr hatte man in der Zwischenzeit gelernt. Zum Beispiel, dass es nicht nur das eigene Sonnensystem gab und auch nicht nur diese eine Erde. Die andere Erde war nur allem Anschein nach völlig tot, aber in direkter Nachbarschaft. Und die Menschheit hatte die Möglichkeit erlernt, genau diese zweite Erde zu erreichen.

Vor nur zehn Jahren war dies noch völlig unmöglich erschienen. Ein Schiff, welches lebende Menschen und ihre Ausrüstung im Verlauf nur eines Menschenlebens über zig Lichtjahre hinweg transportieren konnte. Ein Schiff, welches am Zielort landen konnte, und als Keimzelle für die Biosphäre einer ganzen Welt dienen konnte. Eine Samenkapsel, die eine raue, tote Insel in ein blühendes Paradies verwandeln sollte. Das waren wir.

Nicht nur für uns war es das ganz große Abenteuer. Die halbe Menschheit sah es als ein Jahrhundertprojekt, vielleicht sogar als Jahrtausendprojekt. Nie zuvor hatten Menschen das Sonnensystem verlassen, nie zuvor eine fremde Welt besiedelt, um eine zweite Erde zu erschaffen. Mond, Mars und die Monde der Gasriesen hatten ihre Basen bekommen, teilweise waren sie sogar dauerhaft besiedelt. Doch immer waren es nur kleine Stationen zur Erforschung und Organisation der Bergbauaktivitäten. Wer so weit draußen gewesen war, kam oft zurück und schwärmte von der wärmenden Sonne auf der Erde oder ihrer Schönheit, die sie erst aus der Ferne offenbarte.

Wir Menschen von Erde und Mond konnten das nie nachvollziehen. Die Sonne war einfach da und wir kannten sie nicht anders. Was die Schönheit der Erde betraf, so musste es wohl wirklich an der Perspektive liegen. Oder aber, die Kolonien dort draußen mussten wahrhaft trostlos sein. Dabei kamen doch von dort die Bilder mit den tollsten Aussichten. Ein immenser Jupiter, welcher sich über den Horizont erhob oder die Ringe des Saturn, wie sie den Himmel seiner Monde so beeindruckend dominieren konnten. Die teils roten und gleichzeitig blauen Sonnenuntergänge, wie sie sich auf dem Mars zeigten, dagegen konnte die Erde einfach mit nichts aufwarten.

Trostlose Großstädte, die wie raue Felswüsten ganze Landstriche prägten. Enorme Äcker und Felder, die sich schier endlos wie verkrustete Wunden über Hügel und Täler erstreckten und giftig grüne Ozeane, von Algenblüte und Hydrofarmen bedeckt. Wer es sich leisten konnte, verbrachte seine Zeit in einer der vielen bunten virtuellen Realitäten. Die anderen suchten wenigstens mit augmentierten Realitäten ihren Trost. Künstliche, aufregende Fassaden über einer schmutzigen und grauen Realität. Doch das alles konnte nicht darüber hinweg täuschen, dass es alles nicht wirklich echt war.

Die VR und AR Programme sollten die Leute motiviert halten und wenigstens ihre Grundbedürfnisse befriedigen. Doch sie waren nie gut genug geworden, um wirklich allen Träumen und Hoffnungen gerecht zu werden. Sie mochten das menschliche Grundbedürfnis nach immer mehr Mehr drosseln, aber gänzlich unterdrücken oder gar befriedigen konnten sie es nie. Es war nicht länger der große Wunsch nach noch mehr kleinen Dingen. Was sich in der Gesellschaft mehr und mehr aufstaute, war die Sehnsucht nach dem nächsten ganz großen Wurf.

Feuer, das Rad, der Buchdruck, Eisenbahnen, Flugzeuge, Computer, das Internet, Raketenantrieb und viele andere „große“ Erfindungen lagen weit in der Vergangenheit. Unsere Urgroßeltern stammten noch aus einer Generation, in der man sich an vergangene, große Taten erinnerte. Sie erinnerten sich auch noch an ihren Spitznamen. „Generation Taugenichts“ waren sie gerufen worden und es hatte einen schrecklichen Beigeschmack gehabt. Ihre Kinder hatten damit angefangen, das Schimpfwort als einen Titel zu tragen. Das war ihr Protest gegen die alten Strukturen und er war von Erfolg gekrönt, wie so oft, wenn eine Gruppe ihre Beschimpfung in einen Anzug steckt und stolz auf die Bühne stellt.

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Nur eine kleine Revolution in der Hochschulpolitik

Vielleicht erinnert sich noch jemand an die neue Revolution in der Hochschulpolitik? Damals habe ich noch wild spekuliert und mich ansonsten über die schönen Sonnenblumen gefreut. Inzwischen sind wir einen Schritt weiter, denn auch andere sind inzwischen darauf aufmerksam geworden, so auch die lokale Zeitung, welche hier schön großformatig und mit Foto davon berichtet. Und falls der Link nicht funktionieren sollte, habe ich Euch den Text einmal geklaut:

Cannabis-Pflanzen gedeihen auf Würzburger Uni-Campus

Sie ist eine wertvolle, uralte Kulturpflanze, angebaut schon vor tausenden Jahren. Weil aber weibliche Blüten zu Marihuana und ihr Harz zu Haschisch verarbeitet werden können, hat Hanf – wissenschaftlich Cannabis– hierzulande einen schweren Stand.

Umso erstaunlicher, dass auf dem neuen Würzburger Uni-Campus gar nicht wenige Cannabis-Pflanzen gedeihen. Eine Plantage für den studentischen Eigenverbrauch?

Beim Familienspaziergang Cannabis-Pflanzen entdeckt

Eigentlich will Felix Weinrich mit seiner Frau und den zwei kleinen Kindern nur einen gemütlichen Spaziergang durch das Gelände des neuen Campus Nord machen – die ehemaligen Leighton Barracks. Dort ist mächtig was los: Die Landesgartenschau wird angelegt, neue Wohnhäuser schießen aus dem Boden, und auch auf dem Unigelände wird ordentlich umgebaut.

Gymnasiallehrer Weinrich möchte seinen Kindern die vielen Bagger, Radlader und sonstigen Baufahrzeuge zeigen. Was die Familie aber dann entdeckt, ist eine Sache für Erwachsene: zierliche Cannabis-Pflanzen, direkt neben der Straße, auf dem freien Feld hinter der neuen Mensateria.

Hanf zwischen anderen Blühpflanzen

Die Gewächse sind eingestreut zwischen Sonnenblumen und anderen Blühpflanzen. Auf jeden Fall optisch eine feine Sache. Aber vielleicht noch mehr?

Beim Spaziergang dabei: Weinrichs Schwester und deren Mann, beides studierte Landschaftsökologen. Sie können den Cannabis sofort identifizieren. „Was uns wirklich erstaunte“, berichtet Deutsch- und Erdkundelehrer Weinrich, „war das Ausmaß der Verbreitung dort.“ Aus dem Rottenbauerer Grund kenne man eine wilde Bepflanzung, wo in selten Fällen auch Hanf wachse. „Aber nicht in dieser Menge!“

Strenge Auflagen für den Anbau von Hanf

Möglicherweise ein illegaler Drogenanbau mitten auf dem Uni-Campus? Recherchen der Redaktion führen zunächst zu Fachleuten aus Botanik und Pharmazie. Dr. Gerd Vogg, wissenschaftlicher Custos am Botanischen Garten, weiß um die Sensibilität des Themas: „Wenn wir für die Analytik in der Pharmazie einige Hanfpflanzen anbauen wollen, brauchen wir eigens eine Genehmigung der Bundesopiumstelle in Bonn.“

Dabei gibt es bei den Cannabisarten große Unterschiede: Um Haschisch und Marihuana erzeugen zu können, brauchen die Hanfpflanzen einen hohen Gehalt des Wirkstoffes Tetrahydrocannabinol (THC). Dieser beträgt beim kommerziell verwerteten Nutzhanf weniger als 0,2 Prozent.

Hanf als Nutzpflanze, für die Medizin – und für Drogen

Textilien, Öle, Dämmstoffe, Seile, Papier – die Palette legaler Hanfprodukte ist groß. Vor allem Sorten der Hanfart Cannabis sativa werden dafür eingesetzt, während der Indische Hanf (Cannabis indica) die entscheidende Rolle als Drogen- und Medizinpflanze spielt. Rein äußerlich, erklärt Vogg, seien die beiden Arten kaum zu unterscheiden.

Und was wächst am Hubland-Campus? Der Botaniker hätte – mit Blick auf die vielen Sonnenblumen auf dem Feld – eine plausible Erklärung: „Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelt es sich um eine Saatgutmischung, die dort ausgestreut wurde. Auch in Mischungen von Vogelfutter finden Sie einzelne Hanfsamen.“ Also keine gezielte Cannabiszucht, sondern nur Begleiterscheinungen?

Studenten hatten „WEED“-Transparent aufgestellt

Einigen Studenten jedenfalls waren die hübschen Hanfgewächse aufgefallen. Zu ihrem Amüsement hatten sie vor wenigen Wochen an dem Feld ein Transparent aufgestellt mit der Aufschrift „WEED ’s to Entertain you“ (frei übersetzt: „Gras macht Spaß“). Ob auch „geerntet“ wurde, ist nicht bekannt.

Als der technische Betrieb der Uni das Banner bemerkte, holte man es ein und wies die Pressestelle der Hochschule auf das Cannabisfeld hin. Entsprechend ging man auch dort interessiert der Hanfherkunft nach.

Verbindung zur nahen Landesgartenschau 2018

So kann Pressesprecher Gunnar Bartsch mittlerweile aufklären: In direkter Nachbarschaft zur Landesgartenschau 2018 steht die Pflanzaktion mit ihr in Zusammenhang. Das Gelände, so Bartsch, solle möglichst ansprechend aussehen. Also überlegte man sich beim zuständigen Staatlichen Bauamt, wie die Brachfläche hinter der Mensateria ökologisch aufzuwerten ist.

Beraten ließ man sich von der Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) in Veitshöchheim, mit der die Staatsbauer auch sonst eng kooperieren. Und die LWG-Experten empfahlen eine spezielle Wildpflanzenmischung, die sich auf dem Boden und in der Lage am Campus Nord angeblich gut entfaltet. Das Ergebnis gibt den Öko-Fachleuten Recht.

Wildpflanzenmischung der Veitshöchheimer Landesanstalt

Seit 2008 entwickelt die LWG zusammen mit Projektpartnern aus ganz Deutschland artenreiche mehrjährige Wildpflanzenmischungen mit 15 bis 25 Pflanzenarten für die Biogasproduktion. Energiepflanzen, die gleichzeitig Lebensräume für Wildtiere schaffen.

Die „starkwüchsige Veitshöchheimer Hanfmischung“ zaubert einen wahren Blütenreigen auf den Unicampus: Sonnenblumen, Schmuckkörbchen, Stockrose, Fenchel, Wegwarte, Herzgespann – und Faserhanf. Mangels THC-Gehalt ist allerdings bestenfalls der Anblick der Blütenpracht berauschend.

Quelle: http://www.mainpost.de/regional/wuerzburg/Hanf-Landesgartenschau-2018-Marihuana-Pharmazie;art735,9780244
© Main-Post 2017

Es ist also nur eine kleine Revolution in der Hochschulpolitik. Statt der Haushaltskasse sollen nur die Optik und die Ökologie des Campus renoviert werden, und das sogar noch höchst offiziell und abgesegnet. Auch wenn mir das so weit bekannt war, oder wenigstens aber extrem naheliegend und leicht zu erschließen, irgendwie ist es dann doch fast ernüchternd. Mir hat meine Idee eigentlich ganz gut gefallen, auch wenn sie nach wie vor nicht legal wäre.

Was die Ernte angeht, sind wir übrigens einen Schritt weiter als die Zeitung. Ja, man weiß von kleinen Mengen, die geerntet wurden. Allerdings nicht zum Rauchen, sondern als Raumlufterfrischer und Duftspender. Und als optisches Zierelement. Wie der Artikel auch beschreibt, Faserhanf zu rauchen wäre auch reichlich unbefriedigend. In diesem Sinne …

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Ist inzwischen übrigens verblüht und sehr viel kahler

Der Blödsinn der Woche 7.

Es ist mal wieder Zeit für die Fragen, die die Welt bewegen, und heute begeben wir uns einmal in die Naturwissenschaften. Denn am Ende des Tages ist doch auch der Mensch nur eine besonders komplexe Maschine, möchte ich behaupten. Und so kam dann irgendwann die folgende Frage auf, zu der bisher noch keine Antwort gefunden wurde.

Zwillinge haben im Mutterbauch jeder seine eigene Nabelschnur aber sind sie in Parallel- oder Reihenschaltung?

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Die neue Revolution in der Hochschulpolitik?

Jedes Semester zur Prüfungsphase sind vermehrt Beschwerden, über zu hohen Stress im Leben der Studierenden zu vernehmen. Bereits leicht vernachlässigte Zeitplanung sorgt für kritische Kumulation des Workload in kritischen Zeitphasen, was mit schweren psychischen Problemen einhergehen kann. Entstehende Prüfungsangst und Depressionen sind hier nur der Anfang.

Und jedes Mal werden die Rufe nach einer Reformation des Bildungssystems laut. In der fortschreitenden Internationalisierung des Arbeitsmarktes und damit dem wachsenden Konkurrenzdruck ist ein dankbarer Sündenbock leicht gefunden. Lösungsansätze bietet das jedoch nicht.

Ebenso drückt der Wegfall der Studiengebühren auf das Budget der Bildungseinrichtungen und verhindert eine Verbesserung von Lehre und, auch psychologischer, Betreuung der Studierenden. Möglicherweise bietet ein Experiment einer großen fränkischen Universität eine Möglichkeit, gleich mehrere dieser Probleme in einem Rutsch effektiv zu bekämpfen.

In einem Versuch, der zunächst nur auf drei Jahre ausgerichtet ist, wird hier eine Brachfläche für ein ökologisches Experiment genutzt, welches in Teilen gleichzeitig durch lukrative Verkäufe für frisches Kapital sorgen kann. Gleichzeitig kann durch den kontrollierten Anbau gewährleistet werden, dass den Studierenden nur hochwertige, saubere und wirksame Entspannungshilfen verkauft werden. Die ersten Ergebnisse der Studie stehen noch aus, zumal auch nicht alle politischen Hürden ausgeräumt werden konnten. Hier wird hoffnungsvoll auf die anstehende Bundestagswahl verwiesen.

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Meine sehr verehrten Damen und Herren. Treten Sie näher und genießen Sie das Suchbild!