Hörsaalgetuschel – Ausgabe 5

Volleyball

Der Ball flog über das Netz und traf direkt auf eine Wand aus Fleisch. Ein Pfiff, ein Punkt, ein Wechsel. Flo hatte bei diesem Spiel das Gefühl, immer wenn es spannend wurde, war es auch schon wieder vorbei und eine Pause unterbrach den Fluss. Er war nie gut in diesem Spiel gewesen und so sehr er sich auch bemühte, er würde es wohl auch nie sein.

Mia und Erik hatten sich überhaupt nicht erst dazu überreden lassen, mit zu machen. Mit diesem Spaß wollten sie so wenig wie möglich zu tun haben. Außerdem wollten sie ihn nicht dabei stören, zu glotzen. Auch wenn er es nach Kräften leugnete, nur deswegen war er hier. Um Jenny an zu starren.

Ein Pfiff, ein Schlag, Flo bekam den Ball ins Gesicht noch bevor er aus seiner Träumerei erwachen konnte. Verächtliche Blicke vom Gegnerteam und verständnisloses Kopfschütteln seines eigenen war das erste was er sehen konnte, als er die Augen wieder öffnete. Er wusste doch, dass er das Spiel nicht leiden konnte. Wieso kam er dann jede Woche wieder? Das Spiel lief schon wieder als er sich diese Frage stellte. Er blockte einen Ball am Netz, schaffte es einen Punkt zu holen und ein klein Wenig von seinem Ruf wieder aus zu bügeln.

Wenn man es denn konnte, dann würde ihm dieses Spiel auch sicher etwas Spaß machen aber das war überhaupt nicht so sehr sein Ziel. Was er wollte war etwas anderes und zwar etwas, wofür er sich selbst nicht leiden wollte. Mia und Erik würden ihn auslachen und ihm sagen, er solle sich endlich zusammen reißen und sie wenigstens ansprechen. Die beiden hatten gut reden, sie hatten sich immerhin gegenseitig. Er war nur das dritte Rad am Wagen, das Anhängsel was sonst nicht genug zu tun hätte.

Er sollte dem Spiel mehr Aufmerksamkeit schenken. Jenny tauchte gerade hinter einem flachen Ball her, ihre Haare flogen in einem weiten Bogen um ihren Kopf herum. Sie erwischte ihn noch und wollte ihn direkt über das Netz zurück schicken. Flo stand am Netz und schaffte einen weiteren Block den er gleichzeitig bedauerte. Er hätte ihr den Punkt gegönnt. Nicht, weil sie so gut gespielt hatte sondern einfach, weil sie es war. Und weil sie verboten gut aussah. Ihr enttäuschter Gesichtsausdruck versetzte ihm einen Stich, trotzdem war er ein klein wenig stolz, dass er den Block so sauber geholt hatte.

Auf diese Weise ging es den Rest der Stunde weiter. Er gab sich Mühe gut zu sein und immer wenn er es dann schaffte, bedauerte er es. Würden sie im gleichen Team spielen, sie würde sich vielleicht eher über seine Fortschritte freuen oder ihn einfach überhaupt nicht wahr nehmen. Sie nahm ihn ja so auch kaum wahr. Nein, so stimmte das nicht. Immer wenn er einen Schlag vergeigte schien sie sich zu freuen und ihn innerlich aus zu lachen. Auf diese Weise lernte er zuverlässig Volleyball zu hassen, aus vollstem Herzen.

Am Ende war er wie jedes mal froh, als das Training endlich vorbei war. Vielleicht wollte er sie doch lieber von weitem beobachten. Von einer Position aus, auf der er sich nicht so leicht blamieren konnte. Abbau zum Beispiel, das konnte er, aber das konnte schließlich jeder. Es war eine der Gelegenheiten bei denen er jedes mal versuchte den Mut auf zu bringen, sie endlich an zu sprechen. Er entschied sich wie jedes mal dazu, erst einmal Blickkontakt herstellen zu wollen und wie jedes mal tat sie ihm diesen Gefallen nicht. Sie hatte alles mögliche im Kopf, er zählte definitiv nicht dazu.

Er schöpft und niedergeschlagen packte er seine Tasche. Zuhause würde er erst einmal duschen gehen, wenn ihm denn dann danach war und er sich nicht vorher noch an den Schreibtisch setzte. Er würde es ja dann sehen. Zum Jubeln war ihm jedenfalls nicht zu mute als er sein Fahrrad los schloss. Wieso fühlten sich diese Trainingsstunden im Nachhinein immer so verschwendet an? Er hatte ein spezielles Ziel mit ihnen und jedes mal verfehlte er es um astronomische Einheiten.

Die Hallentür klapperte und Leute kamen heraus. Er registrierte sie nur am Rande. Die Kette war wieder einmal abgesprungen und er durfte sie erst einmal neu auflegen. So würde sich das Duschen wenigstens lohnen. Die Leute verschwanden hinter ihm in der Dämmerung, er war wieder alleine. Eine, zwei Umdrehungen mit den Pedalen und die Kette saß wieder. Er seufzte und ärgerte sich noch einmal über seine Feigheit.

„Du spielst ja immer weniger grottig“

Flo fuhr herum, dass sein Rad scheppernd in den Ständer zurück fiel. Er war doch nicht so alleine gewesen.

„Dankesehr.“ Von allen Menschen dieser Welt stand nun ausgerechnet Jenny da und sprach ihn an. Er schluckte einen Kommentar herunter, den er totsicher noch im gleichen Moment bereut hätte. Was konnte er stattdessen sagen? „Du bist ziemlich gut darin. Spielst du schon sehr lange?“

Verdammt, Kerl! Ist das dein Ernst? Von allen unpassenden Antworten suchst du die platteste heraus?

„Es geht. Seit etwa fünf Jahren. Man merkt, dass du bisher noch keine Erfahrungen hattest. Ist nicht böse gemeint. Nicht sehr jedenfalls.“ Ein kleines Lächeln umspielte ihren Mund und er wurde fast verrückt. Da stand sie, warf ihm so Dinge an den Kopf und er liebte sie dafür auch noch. „Aber dafür machst du dich wirklich nicht schlecht.“

War das gerade ein Kompliment gewesen? Von der Frau, die immer auf ihn herab zu schauen schien? Es geschehen noch Zeiten und Wunder. Nächste Woche würde er wieder hier sein, das war beschlossen. Er hob sein Rad aus dem Ständer und setzte es auf. Es würde ein leichter Rückweg werden, das spürte er. Doch statt auf zu steigen schob er es und Jenny lief neben ihm her. Wenigstens ein Teil des Weges. Sie blickte noch immer auf ihn herab aber diesmal redete sie dabei wenigstens auch noch und das war ja auch schon einmal ein großer Fortschritt. Flos Augen hätten ausgereicht, ihnen den Weg zu leuchten.

Dann war sie plötzlich in die Nacht entschwunden und er konnte nicht sagen, ob die letzten Minuten echt oder geträumt gewesen waren.

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