Archiv der Kategorie: Gratis Gedanke

It‘s the end of the world as we know it

It‘s the end of the world as we know it

 

Es ist so weit, die Apokalypse ist offiziell angekündigt. Das System ist zusammengebrochen und hat sich abgemeldet. Okay, nur das duale System. Jahre der Umwelterziehung fallen einer Krise zum Opfer, die sich den meisten Menschen in erster Linie durch Massenhysterie um ausverkauftes Klopapier bemerkbar macht. Die lokalen Stadtreiniger kürzen alles zusammen und leeren ab sofort nur noch den Restmüll. Wer keinen eigenen Kompost auf dem Balkon hat, möge ihn bitte im Restmüll entsorgen, auch die Papiertonnen werden auf unbestimmte Zeit nicht mehr abgefahren, Wertstoff- und Recyclinghöfe bleiben ebenso geschlossen.

Die Krise hat Deutschland fest im Griff. Schulen und Kindergärten sind genau so geschlossen wie die Konsumtempel. Bei bestem Frühlingswetter sollen die Menschen motiviert sein, sich in ihre vier Wände zurückzuziehen, nur die nötigsten Ausflüge zum Supermarkt oder Arzt zu unternehmen, nach Möglichkeit von zuhause aus zu arbeiten, um keine Kollegen zu infizieren und grundlegende Hygieneregeln wie Händewaschen zu beachten. Treffen mit Freunden? Lieber nicht, und wenn nötig, bitte nur in kleinen Gruppen und mit ausreichend Abstand.

Flatten the curve! Streckt die Neuinfektionen über eine möglichst lange Zeit, damit das Gesundheitssystem es auch auffangen und bearbeiten kann. Und über allem schwebt, bzw. fällt inzwischen das Damoklesschwert der Ausgangssperre als letztes Mittel der Politik, der Situation noch, wenn schon nicht Herr, dann wenigstens aber doch Lehrling zu werden.

Die Leute lassen sich davon kaum abhalten. Solange die Cafés geöffnet sind, sitzen sie auch voll. Nur langsam nimmt der Abstand zwischen den Passanten zu und nur langsam nimmt die Zahl derer ab, die sich dazu entschließen, das Wetter mit Freunden, Verwandten und Bekannten im Park zu verbringen. Immerhin ist doch fast perfektes Wetter zum Grillen. Was fällt Mutter Natur auch ein, da einen Strich durch die Rechnung machen zu wollen? Es wirkt beinahe trotzig, wie etliche Leute sich nun in Gruppen in der Sonne sammeln.

Einige halten sich trotzdem an die Aufforderung, zuhause zu bleiben. Wenigstens haben sie ihre eigene Interpretation dessen, was gefordert wird. Mit Hamsterkäufen und allem was dazu gehört. Auf dem Heimweg von der Arbeit kann man die Ströme von Menschen beobachten, die Massen an Lebensmitteln aus den Supermärkten schleppen. Bei den meisten ist der Blick eher nach innen gekehrt. Nur die, die noch eine Packung Klopapier ergattert haben, gucken irgendwie eher beschämt.

Aus der Fußgängerzone schallt das Rattern der Skateboards. Eine Gruppe Jugendlicher nutzt die Schulsperrung, um dieses Hobby noch einmal aufleben zu lassen. Noch ist die Ausgangssperre schließlich nicht in Kraft getreten. Viele Passanten machen dennoch lieber einen Bogen um die kleine Gruppe, die sich um Bluetooth Box und Palette Energydrinks in Dosen versammelt hat. Ein altes Ehepaar schüttelt verständnislos die Köpfe darüber, bevor sie sich zu ihren Freunden ins Café setzen. Zwei Radfahrer rauschen vorbei. Sie sind offensichtlich nicht auf dem Heimweg von der Arbeit oder zum Einkaufen, sondern nur auf Spazierfahrt unterwegs.

Eine Querstraße weiter staut sich der Verkehr hinter einem Lastwagen, der gerade seine Baustelle beliefert. Die Arbeiter können auf Mindestabstände hier keine Rücksicht nehmen und auch der Innenausbau ist im Homeoffice kaum zu realisieren. Spaß an der Arbeit sieht bei den meisten anders aus. Einzig der König der Baustelle in seinem Kran und der LKW Fahrer gucken, als würden sie das Wetter genießen können. Wobei der Kranfahrer sich auch über sein Pausenbrot freuen könnte, welches er gerade mit einem Bier hinunter spült. Natürlich alkoholfrei! Nicht, dass ich das von hier unten erkennen könnte, aber ich unterstelle es ihm. Denn Arbeitssicherheit gilt immer noch, da wird im Kran bitte nicht gesoffen.

Von dort oben kann er sicherlich auch in den Innenhof im übernächsten Block gucken. Die Abendsonne scheint jedenfalls eifrig hinein, spiegelt sich in einigen Fenstern und wird von den zahlreichen offenen Balkontüren geschluckt. Die ersten Blumenkästen sind bunt geschmückt, Balkonmöbel werden raus gestellt und irgendwo tönt R.E.M. aus einer Wohnung. It‘s the end of the world as we know it hallt durch den offenen Hof auf die Straße, auf einzelnen Balkonen wird getanzt. Es hat etwas von Urlaubsstimmung. In der oberen Etage wirft jemand eine Bierflasche über die Ecke auf den benachbarten Balkon. Sein Freund versucht sie mit einem Kissenbezug zu fangen. Man hört das Reißen des Stoffs, bevor die Flasche dumpf auf dem Balkon zerschellt. Ich höre nur noch das Fluchen, als ich um die Ecke verschwinde.

It‘s the end of the world as we know it and I feel fine begleitet mich auf den Metern bis zum letzten Supermarkt vor der eigenen Haustüre, und irgendwie scheint es das passende Motto der Krise zu sein. Eines ist hier sofort deutlich: Es gibt noch Toilettenpapier! Wein in Tetrapacks, Konservendosen und Klopapier, das dominiert hier das Bild der Einkaufstüten. Die Prioritäten sind klar gesetzt.

Die Kassiererin sitzt hinter einem improvisierten Spritzschutz aus Bilderrahmen und Folien, an der Türe begrüßt mich der Hinweis, bitte mindestens 1,5 m Abstand zu anderen Kunden zu halten und mit Karte zu zahlen. Alles, was mir noch fehlt, sind Kartoffeln und Paprika. Dafür sollte es doch heute noch reichen. Selbst in der Ausgangssperre darf man sich schließlich mit frischen Lebensmitteln versorgen. Vielen scheint das nicht so ganz bewusst zu sein.

Was mich am Ende am meisten beunruhigt, ist, dass ich meine Umgebung nicht verstehen kann. Da sind einerseits die völlig Sorglosen, denen alles egal zu sein scheint, die sich über die Grippewelle vermutlich sogar etwas freuen.Und auf der anderen Seite die Hamsterkäufer und Hysteriker, die sich mit Vorräten für Jahre eindecken, um zwei bis drei Wochen in ihrer Wohnung verschwinden zu können. Wo ist das gesunde Mittelmaß geblieben? Achtsamkeit und Rücksicht auf seine Mitmenschen, Einhaltung der Basishygiene, Gelassenheit und ruhiges Abwarten.

Tut es wirklich so weh, einmal nicht mit den Kollegen im Büro zu kuscheln, auf die dritte Party in dieser Woche zu gehen und sich mit fremden Menschen in viel zu kleine Straßencafés zu quetschen um teuren Kaffee zu schlürfen? Ist es wirklich unzumutbar, darauf hinzuweisen, medizinische Notfallausrüstung auch für medizinische Notfälle verfügbar zu halten und nicht literweise Desinfektionsmittel zu horten? Offenbar ist das zu viel verlangt! Und wenigstens fürs Erste haben R.E.M. recht und es ist wirklich das Ende der Welt, wie wir sie kennen. Aber das war noch nie etwas Neues. Es ändert sich immer wieder alles und ein neues „Normal“ stellt sich ein. Wenigstens bis im Sommer die nächste Hitzewelle kommt und den nächsten Ausnahmefall mit bringt. Und gegen Hitze hilft Klopapier genau so gut, wie gegen Grippe. Wenigstens ist Hitze nichts ansteckendes, ihre Opfer dafür umso abstrakter.

Bleibt gesund!!

Ein Auto ist auch nur ein Mensch

Technik entwickelt sich immer weiter. In unserem Alltag können wir das besonders schön an Smartphones, unserer Stromrechnung und im Auto sehen. Besonders der letzte Punkt ist für mich markant, denn ich fahre kaum Auto, und wenn, dann sind es meist Modelle, die höchst rudimentär sind oder so alt, dass jede unterstützende Technik inzwischen defekt und abgeschaltet ist. Luxus ist bereits eine Klimaanlage und eine Musikanlage, die sich per Bluetooth mit dem Smartphone koppeln lässt. Tempomat ist nur dann eine Option, wenn man lange Strecken auf leeren Autobahnen zurücklegt. Schließlich fährt jeder sein eigenes Tempo und man muss ihn laufend raus nehmen, um nicht mit langsameren Fahrzeugen auf freier Strecke zu kollidieren. Und wenn man ihn nach einer längeren Baustelle dann doch wieder aktivieren will, macht er einfach irgendetwas, was im Zweifel hoch gefährlich sein kann. Mir ist diese Technik einfach suspekt. Sie kann zu viel, um sie völlig zu ignorieren, aber auch viel zu wenig, um irgendwie nützlich zu sein.

Wäre da nicht die Sache mit dem technischen Fortschritt. Denn wie ein kleines Kind, hat auch die Technik inzwischen dazu gelernt und ist etwas reifer geworden. Man mag es ja kaum für möglich halten! Und ich komme tatsächlich einmal in die Verlegenheit, in einem neuen Auto zu sitzen, was diese neue Technik sogar besitzt. Eine Armada von Radarsensoren um das ganze Fahrzeug herum beobachtet den Verkehr und bremst eigenständig, wenn der Weg nach vorne nicht frei ist. Und wenn man schon einmal dabei ist, macht man auch die Augen auf, und erkennt die Fahrspur. Und das Auto lernt sogar, damit umzugehen.

Wie ein stolzes Kind seinen Eltern etwas präsentiert, so will jetzt auch das Auto mit den neuen Fähigkeiten angeben. Ein Auto ist schließlich auch nur ein Mensch. Mit Charakter und Persönlichkeit und so. Ein Kind lernt Fahrradfahren, erst etwas wackelig, dann immer sicherer, und guck mal! Schon ganz alleine, ohne Hilfe! Nein, nicht loslassen!! Die Sicherheit der elterlichen Hand im Rücken braucht es noch. Aber guck mal, ich kann das schon alleine! Du sollst nicht Helfen… aber auch nicht loslassen. Und das Auto?

Das hat selber Fahren gelernt. Guck, so schnell darf ich, also fahre ich so schnell, aber nur wenn vorne alles frei ist. Sonst fahre ich aber immerhin so schnell, wie der vor mir. Und guck mal, ich kann sogar die Straße sehen und weiß, wo es lang geht. Neben mir fährt jemand anders, also bleibe ich hier auf der Spur. Guck, ich kann sogar alleine lenken, sogar fast so gut wie Du! Sieh zu, ich zeig es dir. Lass mich das machen… Hey! Nicht das Lenkrad loslassen! Aber guck, siehst du? Ich kann das schon eigentlich alleine!

So oder so ähnlich erschien mir das Auto auf unserem gemeinsamen Weg über die Autobahn. Wie ein stolzes und zugleich etwas bockiges Kind, was etwas tolles Neues gelernt hat, und es jetzt unbedingt präsentieren muss. Es will Verantwortung und weiß, dass es die Aufgabe auch eigentlich schon bewältigen kann, aber traut sich noch nicht so ganz. Vielleicht darf es auch nicht (was wahrscheinlicher ist, da wir ja immerhin in Deutschland sind. Die rechtliche Situation für autonome Fahrzeuge ist bislang weit davon entfernt, klar zu sein).

Noch befindet es sich in einem Zwischenbereich, wo das Kind zwar noch wackelig fährt, aber doch schon fast ganz ohne festgehalten zu werden. Es nimmt einem Arbeit ab, verleitet aber gleichzeitig dazu, sich ablenken zu lassen, um dann vom Bordcomputer angemeckert zu werden, gefälligst wieder die Kontrolle zu übernehmen. Es kann zu viel, um es nicht zu nutzen, aber leider auch noch zu wenig, als dass man ihm die Zügel komplett in die Hand geben könnte. Eines kann man jedenfalls sagen: Die Technik reift rasant und wir können gespannt sein, was noch alles auf uns zu kommt.

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The sun is setting on the british empire

Es ist jetzt schon einige Wochen her, da habe ich ein paar Gedanken zum Thema Brexit aufgeschrieben… mal wieder. Das Thema ist bekanntlich immer noch nicht durch und wird auch nicht so bald durch sein. Den Text jedenfalls habe ich abgespeichert und gut ignoriert, denn wieso braucht es noch eine Meinung dazu? Jetzt hat mir Youtube aus unergründlichen Gründen ein Video vorgeschlagen, welches erstaunlich ähnliche Aussagen trifft. Ich bin also offenbar mit meiner Wahrnehmung nicht allein. Und da hier bereits viel zu lange wieder Funkstille ist, dachte ich mir, wieso eigentlich nicht? Immerhin ist bald Europawahl und wo sich Gysi, die Briten und ich offenbar einig sind, ist, dass die EU etwas Auffrischung braucht. Sie ist zu wichtig geworden um so weiter machen zu können wie bisher, aber das ist eigentlich schon wieder ein anderes Thema. Gerade deshalb ist es wichtig, sich VOR DER WAHL zu informieren, wer denn was möchte und was das bedeutet. Wir haben jetzt vorgemacht bekommen, wie es ansonsten aussehen kann.

 

The sun is setting on the british empire

Die Tagesschau berichtet über den Brexit, wieder einmal. Inzwischen ist das Thema ein beispielloser Stammgast in den Nachrichtensendungen und das Kabarett zeigt sich etwas gelangweilt und nutzt schon längst nicht mehr jede Vorlage. Dafür sind es auch einfach zu viele. Nachdem das (neue) Austrittsdatum näher rückt und es einfach keine Entscheidung geben will, wie geordnet oder ungeordnet der Ausstieg denn vonstatten gehen soll, wird nun der Protest der Bevölkerung noch einmal laut.

Gut eine Million Menschen versammeln sich in Londons Straßen und verlangen Gehör. Sie fordern, dass angesichts der unbefriedigenden Verhandlungen, ein zweites Referendum durchgeführt wird. Dieses soll Klarheit bringen und die Inselnation vor einer großen Katastrophe bewahren. Das erste Referendum war schließlich nicht richtig. Man wusste ja nicht, worüber man abstimmt. Die Brexit Befürworter hatten doch versprochen, dass alles ganz unkompliziert werden würde. Man würde aus der EU aussteigen, sich also nicht mehr an der Finanzierung beteiligen, aber weiterhin alle Vorteile genießen können. Man hätte Millionen über Millionen Pfund übrig, die man plötzlich für das Gesundheitswesen oder Kultur ausgeben könnte. Woher genau dieses Geld kommen würde und wie genau die Beziehung zur EU dann aussehen sollte, darüber konnte schon damals niemand Antworten geben. Dennoch hat sich davon die Mehrheit nicht abhalten lassen und dafür gestimmt, die EU zu verlassen.

Dummerweise haben viele Briten dabei offenbar vergessen, dass zu den Verhandlungen immer zwei Partner gehören. Schon als die Initiatoren des ersten Referendums in den ersten Wochen danach ihre Posten verließen, fühlten sich die ersten Wähler geringfügig getäuscht und belogen. Dieser Zustand hat sich bis heute offenbar nur wenig verbessert. Also soll wieder gewählt werden, in der vagen Hoffnung, dass man diesmal nicht belogen wird. Immerhin kann man ja jetzt besser abschätzen, was einen erwartet. Es gibt zwar kaum neue Informationen, aber dem geneigten Wähler kann inzwischen sogar zugemutet werden, sich damit zu befassen. Immerhin befinden wir uns in wahrhaft denkwürdigen Zeiten.

Auch bei dieser Demonstration zeigt sich wieder dieses merkwürdige Bild. Da werden Personen interviewt, die beim ersten Mal mit „Leave“ gestimmt haben und jetzt beschlossen haben, dass ihnen das doch nicht so lieb ist. Und wieso sollte ein neues Referendum so viel ernst zu nehmender sein? Was, wenn das Ergebnis wieder nicht gefällt? Folgt dann ein Drittes? Ein Viertes? Die Partner in der EU sind natürlich skeptisch. Abgesehen davon, dass diese Sorglosigkeit bei dermaßen weitreichenden Abstimmungen ein Schlag ins Gesicht der Demokratie ist, zeigt sie noch ein ganz anderes Problem.

Es gibt offenbar Menschen, die es als völlig logisch und selbstverständlich hingenommen haben, dass sie einen der größten Wirtschaftsräume dieser Welt verlassen können, und dafür selbstverständlich alle Bedingungen selbst diktieren würden. Immerhin ist man ja nicht irgendwer. Man ist das britische Empire, und die Sonne geht niemals unter, über dem britischen Empire. Völlig unerheblich ist dabei, dass dieses Empire längst nicht mehr existiert. Man regiert nicht mehr die Welt, sondern eine kleine Insel. Und diese böse EU, die so viel Geld kostet, will sich auch nicht von der Insel aus regieren lassen. Gut, das Königreich wollte nie wirklich ein Teil davon sein, hat schon immer weniger in den gemeinsamen Finanztopf eingezahlt und auf ziemlich jede Vorschrift oder Regelung eine britische Sonderregel gesetzt. Eine statistisch signifikante Anzahl von Juristen in ganz Europa dürfte vor Erleichterung hörbar geseufzt haben, als der Brexit beschlossen wurde, macht es doch ihre Arbeit ungemein leichter.

Doch so langsam dämmert es auch einigen Köpfen, deren Sturheit nur als Ignoranz und Überheblichkeit gesehen werden kann, dass die Sonne nicht mehr auf ihr Empire scheint. Die Welt dreht sich einfach weiter und sie wartet nicht. Auch der geduldigste Diplomat hat irgendwann keine Lust mehr. Und was passiert dann? Wer zuckt zuerst mit den Schultern und zieht eine Grenze, wo nie wieder eine hätte liegen sollen? Ich bin versucht zu sagen, dass es ihnen einmal guttun könnte, zu gehen und sich bewusst zu werden, welche Vorteile sie denn hatten. Vermutlich würden sie bald zurückkommen. Nur das ist leider nicht, wie es funktioniert. Es wird kein Happy End wie im Film geben können. Das lassen die Rahmenbedingungen nicht zu. So sehr ich mir auch eine europäische Familienzusammenführung wünschen würde, ich habe aktuell sogar Zweifel, dass die EU die dringend benötigte Selbstreflexion angesichts dieser Katastrophe einleiten wird.

Einen schwachen Trost gibt es dennoch. Die hitzköpfige Tochter, die in einer schweren pubertären Phase mit viel Lärm und Getöse ausgezogen ist, versucht wie immer einen drauf zu setzen. Unter dem orangenen Präsidenten verbrennen die USA diplomatische Brücken, deren Wiederaufbau Jahrzehnte dauern könnte. Aber nur, weil jemand anders eine noch größere Dummheit begeht, wird die eigene auch nicht mehr besser. Es wird Zeit, erwachsen zu werden und einzusehen, dass wir die Probleme dieser Welt nur gemeinsam lösen können. Sie sind mindestens genau so drängend wie die bedrohlichen Blitze und Pilzwölkchen vergangener Tage.

Um etwas besser zu verstehen, wieso die Verhandlungen um den Brexit-Deal extra kompliziert sind, empfehle ich folgendes kleines Video. Es zeigt sehr schön die Diskrepanz zwischen Wunsch und Realität.

„Rettet die Bienen!“ – Ein Volksbegehren aus Lobbysicht

In Bayern laufen im Moment die Gemüter heiß, denn ein von der ÖDP geführtes Interessenbündnis hat ein Volksbegehren zu einem Gesetzesvorschlag gestartet. Unter dem (zugegeben etwas plakativen) Titel „Rettet die Bienen“ soll für mehr Naturschutz gestimmt werden. Ausbau und Förderung der ökologischen Landwirtschaft, Verdichtung des Biotopnetzwerks, Schaffung von mehr Lebensraum für Insekten, Reptilien, Säugetiere und Vögel… Viele Punkte, die aus ökologischer Perspektive absolut zu befürworten und notwendig sind.

Natürlich lassen Gegenstimmen nicht lange auf sich warten. Mit viel Lärm und Schaum vor dem Mund treten die vermeintlichen Verteidiger der Landwirte Bayerns auf. Grund genug für mich, mal wieder aus der Deckung zu treten und meine Zeit damit zu vertun, einen genaueren Blick auf diese Gegenstimmen zu werfen. Immerhin versuchen wir mit unserer Arbeit im Referat ebenfalls viele der vorgeschlagenen Maßnahmen im kleinen Rahmen umzusetzen. Den Text dazu findet ihr hier:

 

Das laufende Volksbegehren Artenvielfalt erregt die Gemüter. Die Kritik ist laut und vielfach natürlich auch wichtig.

Befasst euch damit, bevor ihr irgendetwas unterschreibt!

An vorderster Front natürlich der Bauernverband. Sie erklären allerdings nicht, wieso EU-Fördergelder nicht mehr ausgezahlt werden sollten, wenn die daran gekoppelten Maßnahmen in lokaler Gesetzgebung verankert sind.

Sie berücksichtigen auch nicht, dass Landwirtschaft und Stadtplanung auf verschiedenen Verwaltungsebenen spielen und es bereits einige Städte gibt, die im Zuge des Volksbegehrens ein Verbot von steinernen Vorgärten erwägen.

Sie führen natürlich an, dass sich Landwirte in Bayern bereits vielfach für den Naturschutz einsetzen und ignorieren gekonnt, dass bereits wenige schwarze Schafe hier erheblichen Schaden im Naturraum anrichten können. Eine Verpflichtung steht außerdem keinesfalls im Gegensatz zur Förderung. Es ebnet eher den Weg für zusätzliche Förderungen auf Landesebene, statt privatwirtschaftliche Interessensbezuschussung.

Sie berücksichtigen auch nicht, dass es zwar eine steigende Anzahl von Honigbienenvölkern gibt, die Gesamtmasse der Insekten aber weiterhin dennoch stark abnimmt. Der Gesetzesentwurf, der hier zur Diskussion vorgelegt werden soll, deckt sehr viel mehr ab als nur die Bienen.

Stattdessen wird vermeintliches Bauernbashing aufgeführt und die Verantwortung der Landwirtschaft am Artensterben heruntergespielt. Ich hätte erwartet, dass sie sich mehr Mühe geben, statt sich nur als Lobby der Agrochemie zu profilieren. Immerhin werben sie doch mit ihrem komplexen Verständnis des Naturraums.

Stellungnahme des Bauernverbandes zum Volksbegehren

Besonders von jüngeren Landwirten hört man häufiger den Vorwurf, wieso denn dieses Thema erst jetzt so groß wird. Man tut doch bereits so viel und der Pestizideinsatz war früher um Welten sorgloser. Wieso gab es dann früher noch kein großes Insektensterben?

Das gab es! Populationsgrößen sind übrigens verzögerungsbehaftet. Schrumpfen durch Gifte kommt verspätet und auch die Wirkungsweise aktueller Schutzprogramme zeigt sich erst mit der Zeit (Stichwort: extinction dept). Und der Grund, weswegen viele der früheren Insektizide verboten sind, ist ihre Gefährlichkeit. DDT etwa wurde verboten, weil sein Erfolg gegen die Insekten gleichzeitig ein großes Vogelsterben mit sich brachte. Insekten hingegen werden noch nicht so lange direkt beobachtet. Eine der längsten Datenreihen besitzt die Krefelder Studie von Hallmann et al. (ihr habt davon gehört. garantiert!). Indirekter lässt sich eine Abnahme der Insektenpopulation deutlich weiter zurückverfolgen.

Ein anderer Punkt ist die Veränderung in der Landwirtschaft. Der Druck auf die Fläche steigt an, es gibt keine Freiräume mehr. Gleichzeitig entstehen immer mehr große Industriehöfe, die kleineren Felder von kleinen und mittleren Höfen verschwinden. Damit ebenso die Hecken und schwächer bewirtschafteten Ackerrandstreifen. Weidehaltung wird durch Großställe ersetzt. Damit schwindet auch der Lebensraum, trotz steigender Sorgfalt bei der Schädlingsbekämpfung.

Man tut einiges aber es gibt enorme Altlasten zu beseitigen.

Auf alle diese Argumente geht auch die Radioreportage des BR noch einmal detailliert ein und liefert die Hintergründe gleich mit. Sehr empfehlenswert, sich diese Zeit einmal zu nehmen.

Podcast vom BR zum Thema

Informiert euch gerne und gründlich zum Thema und guckt euch auch an, wie ihr selbst aktiv sein könnt. Aber vergesst vor lauter Information nicht, auch eure Unterschrift abzugeben 😉 Es mag nicht alles perfekt im Gesetzesentwurf sein (immerhin ist es ein Entwurf), aber es ist der beste Ansatz, den wir zur Zeit haben und ein wichtiges Signal für die Politik.

Den Gesetzesentwurf und wo unterschrieben werden kann findet ihr auch unter

www.volksbegehren-artenvielfalt.de

Was ist eure Meinung? Hat der Bauernverband doch recht? Wird der Artenschutz sowieso überbewertet und ist nur ein weiterer Baustein hin zur „Ökodiktatur“?

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Althergebrachte Selbstverständlichkeiten

Astrid Lindgren zählt zu den Helden meiner Kindheit. Ihre Bücher wie Michel, Ferien auf Saltkrokan, die Brüder Löwenherz oder Ronja haben mich über Jahre begleitet und geprägt, wie vermutlich sonst kaum etwas. Es war meine Welt und sie war groß genug, als dass alles Wichtige darin Platz finden konnte. Das mag engstirnig sein und nur eine sehr schmale Sicht auf die Dinge bieten, aber mir erschien es immer vielseitig genug.

Immer wieder habe ich aber auch Berichte gelesen, wo sich die Autoren damit befasst haben, was Astrid Lindgren denn so besonders gemacht hat, was so anders bei ihr war. Dass sie zu den Wenigen gezählt hat, die starke und unabhängige Mädchenfiguren geschrieben hat oder Jungs, die auch einmal Angst haben und Trost brauchen. Dass die Welten, welche sie geschaffen hat, immer rund und voller Leben waren, so dass man selbst hinein tauchen kann und darin wandert. Dass Tragödien, kleine und große, passieren aber nie das Ende der Welt sind, sondern vielleicht nur ein Aufbruch in ein neues Abenteuer. Diese Berichte klangen immer durchaus gut und gaben meine Ansichten durchaus wider. Der Fairness halber muss ich aber sagen, dass mir vielfach überhaupt nicht bewusst war, dass es überhaupt andere Welten gab. Das war einfach, wie man so etwas machte und wie es war.

Dass sie mit ihrer Haltung zu Pionieren einer ganzen Ideologie zählte, war mir nie bewusst. Umso faszinierender sind dann Berichte wie dieser hier, die einen Einblick darin bieten, was früher einmal als alternativlose Selbstverständlichkeit galt und heute offenbar in vielen Teilen der Welt immer noch Realität ist. Es bringt einen zum Grübeln. Was macht das eine oder das andere mit Menschen? Was verändert es auf kurze, mittlere und lange Sicht? Wie hilft es dabei mit, eine Gesellschaft zu formen und wie sieht diese Gesellschaft dann aus? Schnell zeigt sich, die Welt ist komplex und selbst solche vermeintlichen Kleinigkeiten können einen enormen Effekt haben. Ich für meinen Teil bin froh, in dem Umständen aufgewachsen zu sein, die mir meine Eltern mitgegeben haben.

>>Link zum angesprochenen Artikel<<

Warum der Mars eigentlich unwichtig ist

 

Es ist jetzt auch schon wieder einen Monat her, dass ich mit einigen Videos prokrastiniert habe und meinen Gedanken nachgehangen bin. Dabei hatte ich das Gefühl, dass in letzter Zeit mehr und mehr Menschen auf ein Rettungsboot wie Geoengineering oder den Mars vertrauen, statt unsere Probleme hier einfach einmal handfest angehen zu wollen. Und wer sich für den Erhalt eines Waldstücks und gegen die Vernichtung von älterem Torf einsetzt, der bekommt schnell den Stempel „Ökoterrorist“.

Studien wie das Jena-Experiment helfen zwar dabei, Umweltthemen in den Fokus zu rücken, aber wo bleiben die Konsequenzen?

Vor etwas mehr als einer Woche hat dann der IPCC einen aktuellen Bericht abgegeben. Gemeinsam mit dem Koalitionsvertrag unserer aktuellen Regierung, die sich vom Klimaschutz deutlichst distanziert, und der Meldung der EU, keine strengen Klimaschutzziele verabschieden zu wollen, bietet sich ein deutliches Bild:

Scheiß halt drauf! Wir wandern zum Mars aus. Und dann?

Warum der Mars eigentlich unwichtig ist

Bill Maher hat bereits vor einer ganzen Weile eine Sendung produziert, wo er sich deutlich gegen bemannte Raumfahrt zum Mars oder generell irgendeinen Himmelskörper ausspricht. Eine recht ähnliche Meinung hat auch Harald Lesch etwas später von sich gegeben. Was ist da los?

Ich als ScienceFiction Fan bin erst einmal dafür, wenn es heißt, die bemannte Raumfahrt wird wiederbelebt. Der Griff zu den Sternen ist sicherlich etwas, was uns nicht nur wirtschaftlich und wissenschaftlich weiter bringen kann, sondern ganz sicher auch kulturell. Eine erste kleine Basis auf dem Mond beispielsweise wäre die Erfüllung eines Menschheitstraums. Natürlich würde sich das auch in der Kunst und dem gesamten kulturellen Leben widerspiegeln. Die Mondlandungen waren ja wohl kaum eine Randnotiz in der Popkultur und Sputnik oder Gagarin haben sich nur deswegen weniger stark eingeprägt, weil das die falsche Hälfte der Weltkugel war, die östliche. Und wir wissen ja alle, das ist die ultimative Wurzel allen Übels. Wieso stimme ich den beiden genannten Herren jetzt dann doch zu?

Der Grund ist einfach. Beide sind nicht grundsätzlich Gegner der Raumfahrt. Sie sind Gegner der Sichtweise, der Mars könnte als zweite Erde herhalten. Die Raumfahrt erlebt im Augenblick einen richtigen Hype. SpaceX, Blue Origin oder Virgin Galactic, die Investitionen und die hohe Medienpräsenz privater Raumunternehmen ziehen neue Aufmerksamkeit auf ein altes Thema. Auch NASA und ESA profitieren davon. Wir scheinen so nah dran zu sein, an den ersten bemannten Flügen zum Mars. Es braucht nur noch ein paar Tests und die ersten Freiwilligen können starten.

Ganz so einfach ist es natürlich nicht, und selbst wenn es das wäre… was dann?

Musk ist mit seinen Bestrebungen der forscheste und will bis 2050 eine Millionenpopulation auf dem Mars haben. Das ist ja so weit ganz löblich und ein tolles Ziel. Aber dem Gedanken, der Mars könnte ein Rettungsboot für die Menschheit sein, ist das wenig zuträglich. Denn selbst wenn er sein Ziel erreichen sollte (was doch sehr fragwürdig ist), ist das weit davon entfernt, die gesamte Menschheit zu erfassen. Die Millionen Kolonisten sind nicht einmal ein nennenswerter Anteil an der Menschheit, kaum 0,001% der über zehn Milliarden Köpfe, die sich bis dahin auf dieser Kugel drängen.

Und genau da setzt die Kritik an, die ich uneingeschränkt teile. Raumfahrt ist schön und gut. Ich finde sie richtig und wichtig, kulturell wie wirtschaftlich. Aber das löst nicht die Probleme, die wir hier auf der Erde haben und dringendst angehen müssen! Eine Marskolonie hilft der Erde nicht.

Uns Menschen rennt der Klimawandel aktuell davon. Die Geister, die wir riefen, würden dabei vielleicht sogar auf uns hören, wenn wir ihnen denn die passende Order geben würden. Nicht nur die Ereignisse im Hambacher Forst oder die Reaktionen auf ein Dieselgate stehen als Symbole dafür, dass wir lediglich ein ungebremstes „weiter so“ ordern. Wir greifen in Stoffkreisläufe ein, die wir zu großen Teilen verstanden haben und wo wir wissen, dass es eine dumme Idee ist. Und trotzdem soll auf dem Mars alles besser werden?

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Gibt es auf dem Mars nicht: Einen dichten Wald, der Sauerstoff produziert. Auf der Erde vielleicht auch nicht mehr so ewig.

Über Stoffkreisläufe auf dem Mars wissen wir deutlich weniger. Wir wissen nicht einmal, wie viel Wasser wir dort finden können, in welchem Zustand es ist und wo. Auf der Erde können wir all das recht gut abschätzen. Die Temperaturen kennen wir inzwischen auf beiden Welten recht gut und was soll man sagen? Der Mars ist kalt! Was für eine Überraschung.

Kalt ist es in der Antarktis auch, und da gibt es wenigstens Wasser. Trotzdem will kaum jemand hin, um dauerhaft dort zu leben. Mal ein Besuch, eine Forschungsreise oder Abenteuerurlaub „fernab der Zivilisation“, am besten noch mit dem luxuriösen Kreuzfahrtschiff inklusive Schwerölantrieb. Aber dauerhaft dort leben? Nur das bisschen Gemüse essen, was man dort anbauen kann? In unterirdischen Wohnungen, um sich vor kosmischer Strahlung zu schützen? Das muss man auch berücksichtigen, denn der Mars hat kein Magnetfeld, was die Kolonie schützen könnte und auch keine Atmosphäre, die dicht genug wäre, um vor Strahlung oder Meteoriten zu schützen.

Wieso soll man sich monatelang in viel zu enge Blechdosen quetschen, nur um dann auf diesem dermaßen lebensfeindlichen Brocken aufzuschlagen? Wieso nehmen wir dann nicht den Mond? Der ist viel näher, es ist einfacher hin zu kommen, wir waren schon einmal da und kennen die Gegend besser. Eine Kolonie auf Mond oder Mars kann sich nicht wesentlich im Design unterscheiden. Gut, Wasser könnte echt ein Punkt sein, aber ansonsten ist man auf dem Mond sogar noch leichtfüßiger unterwegs.

„Ja aber den Mars kann man doch terraformen und eine zweite Erde draus machen.“

Ich habe keine Ahnung, woher dieses Gerücht kommt und wieso es sich so hartnäckig hält. Fakt ist: Nein! Können wir nicht! (Wenigstens nicht so, wie es präsentiert wird.)

Es hat einen Grund, dass der Mars nur etwa 1/10 des Luftdrucks der Erde hat. Er ist zu klein. Der Mond hat auch nicht genug Gravitation um eine Atmosphäre zu halten. Sie wird einfach in die Weiten des Weltalls hinweg geweht und ist Masse, die dem Körper für immer verloren geht. Selbst wenn man also die bescheuerte Idee verfolgen will, die möglicherweise wasserreichen Polarregionen des Mars mit Atombomben zu bewerfen, bis das ganze Wasser eine Atmosphäre bildet, dann bleibt die nicht da. Abgesehen davon, dass es nicht mehr so leicht ist, eine Million Kolonisten zusammen zu bekommen, wenn es darum geht, im nuklearen Albtraum zu leben.

Es geht also in meinen Augen kein Weg daran vorbei, die Erde in einen Zustand zu versetzen, dass wir gut und gerne hier leben können. Es gibt in unserem Sonnensystem keine Rettungsboote, auf die wir ausweichen können und wenn es irgendwo anders eines geben sollte, dann können wir es nicht erreichen. Und genau das ist die Aussage, die ich in den beiden Videos sehe. Der Mars ist schön und gut, aber für unsere Probleme ist er unwichtig.

Die Erde ist für die Menschheit alternativlos.

Punkt.

Das dürfen wir niemals aus dem Blick verlieren.

Riskiert gerne einen Blick auf die Videos und sagt mir, ob ihr das ähnlich seht. Ich bin ehrlich gespannt.

 

Bill Mahers Kommentar:

 

„Weltveränderer“ mit Harald Lesch:

Arbeitskräfte gesucht!

„Deutschland ist eine Innovationsnation! Wir haben kaum noch natürlich Rohstoffe, die wir fördern können, also ist unser Rohstoff Know-how und Innovationskraft. Darum ist es wichtig, dass ihr euch Mühe gebt, einen guten Abschluss erlangt und etwas Sinnvolles studiert. Deutschland braucht Ingenieure!“

So oder so ähnlich habe ich es damals nicht nur einmal in der Schule zu hören bekommen. Ich erinnere mich nur an eine Realschullehrerin, die von dieser Linie abgewichen ist und die Klasse mahnend erinnert hat: „Handwerk hat goldenen Boden.“ Daran erinnere ich mich inzwischen fast jeden Morgen, wenn ich im Badezimmer stehe und mich das Radio mit der einsetzenden Werbung daran erinnert, dass ich mal wieder zu sehr getrödelt habe. Der Werbeblock besteht hier zu einem guten Teil inzwischen nicht mehr aus „Kauf unseren Scheiß!“-Geblöke, sondern aus „Bitte arbeite für uns!“-Aufrufen.

Maschinenbauer, Tischler, Stahl- und Industriebaufirmen, Supermarktketten und Pflegeeinrichtungen wetteifern mal mehr oder weniger lautstark und kreativ um Personal. Man möchte meinen, wir hätten die Vollbeschäftigung längst hinter uns gelassen. Und vor diesem Hintergrund bekommen im Internet immer noch Leute Gehör, die im Fieberwahn predigen, „die Ausländer“ würden uns die Arbeit wegnehmen und alle nur kriminell sein? Da muss so einiges schiefgelaufen sein, aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte.

Das Werben um Arbeitskräfte beschränkt sich auch nicht aufs Radio. Genau so finden sich die Anzeigen in der Zeitung, sei es nun das Gratis-Käseblatt, was hier jeden Mittwoch im Hausflur liegt oder die Lokalzeitung. Einmal im Jahr bricht hier dann auch noch der Kleinkrieg aus und die Krankenhäuser und Pflegeheime der Region werben mit Plakatwänden und an Bushaltestellen mit dem besseren Arbeitsklima, dem höheren Gehalt oder den besseren Zusatzleistungen. Nur eines ist mir dabei aufgefallen: Niemand wirbt um Akademiker.

Erst sollten wir alle an die Uni und nun haben wir doch alle aufs falsche Pferd gesetzt?

Vielleicht, ich weiß es noch nicht. Ich weiß nur, dass man als gelernter Dachdecker, Klempner oder Einzelhandelskaufmann/-frau/-mensch (ich gebe es zu, ich kann nicht gendern. Tut mir leid!) auf der Party weniger anerkennende „Whoa“-s bekommt, als beispielsweise Mediziner oder Ingenieure. Pflegekräfte bekommen da schon eher mal mit „In dem Job würde ich ja sofort kaputt gehen“ so etwas Ähnliches wie versteckte Bewunderung. Arbeit in der Knochenmühle wird wertgeschätzt, aber machen will es trotzdem niemand.

Klar brauchen wir Ingenieure, aber wer soll denn das alles bauen, was sich die schlauen Köpfe da alles ausdenken?

Ich bin Teil des Problems. Meine Arbeitskraft wandert ebenso an einen Schreibtisch und nicht in die Produktion wie bei den anderen Absolventen. Ich habe mich als Handwerker versucht und beschlossen, dass ich dafür nur mäßig geeignet bin. Vielleicht war ich auch einfach viel zu optimistisch, was die Innovationsbereitschaft in Europa generell betrifft. Nicht erst seit gestern wird schließlich der große Durchbruch der Roboter prognostiziert. Durchgeführt wird er sehr viel zögerlicher als nötig.

ICE-Trassen und die darauf fahrenden Züge sind mit der nötigen Signaltechnik ausgestattet, um sie mit nur geringem Aufwand autonom fahren zu lassen. Die Sensortechnik ist inzwischen ausgereift genug, um selbst konventionellen Bahnbetrieb robotisch abzuwickeln, nur die Fahrzeuge müsste es geben. Und die rechtliche Grundlage. Wo, wenn nicht auf der Schiene, könnte man mit einem solchen System beginnen? Nirgendwo sonst sind die Anforderungen an autonomes Fahren so überschaubar wie dort. Stattdessen beklagen die Bahnbetriebe fehlende Lockführer und planen fest mit Sechstagewochen. Stattdessen erzählen mir die Lockführer selbst, wenn ich sie danach frage, dass autonomer Schienenverkehr nicht kommen wird, solange sie noch die Hakenkreuze von den Triebwagen abkratzen müssen, um auf deutschen Schienen fahren zu können. Stattdessen werden immer mehr Fahrassistenten für Autos entwickelt, welche mehr und mehr Autonomie erlauben. Kommen wird es trotzdem nicht so schnell, denn die Rechtslage ist hierbei immer noch ungeklärt.

Als ich mich damals gegen das Handwerk und für den Hörsaal entschieden habe, wusste ich davon allerdings noch nicht viel. Die Technik existierte auch einfach noch nicht. Was aber bereits existierte, waren CNC-Fräsen und Industrieroboter in unterschiedlichsten Ausprägungen. Wie schwer kann es da sein, die beiden Technologien zu kombinieren? Da braucht es noch nicht einmal die später aufgekommenen 3D-Drucker, um gesamte Produktionen automatisieren zu können. In einem handwerklichen Praktikum habe ich zu Schulzeiten noch Tage in der Werkstatt verbracht und von Hand an einem Werkstück gesägt und gefeilt, was zwar am Ende durchaus passabel war, mich aber in einer Überzeugung absolut bestätigt hat: Die Maschine kann das deutlich schneller und präziser als der Mensch.

Wir haben Technologien zur Verfügung, von denen unsere Vorfahren nicht einmal zu träumen gewagt haben. Wir haben offenbar auch den Bedarf dafür, denn ansonsten können viele Arbeiten einfach nicht ausgeführt werden. Dennoch kommt es nicht, oder nur sehr viel langsamer, als man vielleicht erwarten würde. Mich überrascht das immer wieder.

Ich vergesse immer wieder zu gerne, dass Deutschland ein digitales Entwicklungsland ist, dass „Vorsprung durch Technik“ zwar der Werbeslogan einer bekannten großen Marke hier ist, aber eben nicht viel mehr. Das Vertrauen in die Technik ist nicht da und was ich als logische Weiterentwicklung sehe, erscheint vielen eher als Dystopie. Exoskelette, welche in japanischen Krankenhäusern die Pflege schwerer Patienten erleichtern sollen, oder Roboter als Rezeptionist im Hotel werden als gruselige Kuriosität aus einem fernen und fremden Land präsentiert. Roboter im Gesundheitssystem gibt es zwar auch bei uns, aber nur im OP und nicht in der Pflege.

Die Anzeigen und Werbeclips, in denen „junge und dynamische Teams“ nach neuen Kollegen suchen, werden mich also noch eine Weile begleiten, bis der Druck irgendwann vielleicht doch so groß ist, dass auch unsere Systeme auf den Stand der Technik gebracht werden. Aber was das alles an Entwicklungen mit sich bringen wird, steht auf einem ganz anderen Blatt. So oder so stehen wir vor großen Herausforderungen.

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Szenen an der Supermarktkasse

Ich stehe an der Supermarktkasse und träume vor mich hin, wie ich es viel zu oft tue. Der neue Azubi an der Kasse ist noch nicht besonders geübt und entsprechend geht es gemütlich voran. Die Dame hinter mir möchte gerade damit beginnen, ihre Einkäufe aufs Band zu räumen, als ihr auffällt, dass etwas fehlt. Man sieht ihr an, dass diese Abweichung vom geplanten Ablauf Stress für sie bedeutet. Ihre Stimme rangiert irgendwo zwischen schüchtern, beschämt und gehetzt, als sie sich an mich wendet.

„Entschuldigung aber könnten Sie ganz kurz auf meinen Wagen aufpassen?“

Ich bin etwas überrascht denn es ist nicht viel los und hinter ihr steht niemand an. Aber selbstverständlich nicke ich zustimmend. „Klar!“ Es gibt keinen Grund, wieso nicht. Der ältere Herr vor mir dreht sich um, mustert mich schmunzelnd und muss kichern.

„Sie wirken trotz Bart offenbar vertrauenswürdig.“

Mir ist mein Bart nie als kontroverses Thema vorgekommen. Er ist seit vielen Jahren ein treuer Begleiter. Kein langer Hipsterbart oder aufwändig zurecht rasiert. Einfach nur ein kurzer unkomplizierter Vollbart, lang genug um nicht mehr stachelig zu sein. Frei von jeder politischen Aussagekraft und ohne Ähnlichkeiten zu berühmten Vorbildern in Märchen und Geschichten. Für den Räuberhauptmann hat es nie gereicht.

„Trotz oder gerade deswegen?“ wandert es mir durch den Kopf und zeitgleich über die Lippen. Im Kopf des Mannes scheint das etwas auszulösen, jedenfalls beginnt er zu erzählen, dass Bärte in seiner Jugend ausgesprochen verpönt waren aber das ja so lange her sei und jeder tun sollte, was ihn denn glücklich macht. Ich kann sein Alter schwer schätzen. Ist er noch im Bereich der 70 oder schon über die 80? Ich weiß nicht, wann seine Jugend war, aber spontan fällt mir keine Epoche ein, in der es nicht wenigstens in einzelnen Gesellschaftsschichten angesehen oder akzeptiert gewesen wäre, einen Bart zu tragen. Die Mode schwankt natürlich auch in diesem Bereich stark.

Erst im Nachhinein fällt mir auf, dass er mich trotz der immer breiter werdenden grauen Strähnen im Bart mit seiner Formulierung auch der Jugend zugerechnet haben könnte. Möglicherweise lässt der Bart mich also nicht nur vertrauenswürdiger, sondern auch noch jünger wirken. Ist nicht in der Regel das Gegenteil der Fall? Was auf mich zutrifft kann ich nicht sagen. Die letzten Fotos, auf denen ich ohne Bart zu sehen bin sind bereits alt und vermutlich hat sich auch mein Gesicht im Laufe der Zeit ein wenig gewandelt, genau wie so vieles anderes.

Inzwischen ist auch die Dame gefunden, was sie gesucht hat, und ist wieder zu ihrem Einkaufswagen zurückgekehrt. Mit einem dankbaren Blick stellt sie fest, dass noch alles ist, wie sie es zurückgelassen hat, und beginnt nun doch noch damit, das Band zu beladen. Der Azubi bekommt unterdessen Unterstützung von einer Kollegin, die bereits ein paar Jahre länger hier arbeitet. Auch wenn sie immer gut gelaunt und freundlich ist, sie ist gleichzeitig weltmeisterhaft schnell. Der alte Mann vor mir kennt sie offenbar auch, denn er seufzt etwas wehleidig, fügt sich dann aber seinem Schicksal.

Geoengineering – Moin Senf

Nachdem es hier in letzter Zeit eigentlich nur noch um den Garten ging wird es allerhöchste Zeit für eine kleine Abwechselung. Mir begegnen in letzter Zeit vermehrt wieder Artikel zum Thema Geoengineering, und ich frage mich wieso? Warum ich bei diesen Berichten immer etwas skeptisch bin möchte ich euch in einem kleinen Beitrag gerne erläutern.

Habt ihr euch schon einmal mit dem Thema befasst? Wie ist eure Meinung dazu? Diskutiert gerne mit und vielleicht kann mich ja sogar jemand umstimmen.

Riesige Spiegelflächen im Orbit, die einfallendes Sonnenlicht in den Weltraum reflektieren, künstlich angelegte Wälder in den Wüsten dieser Welt, in der oberen Atmosphäre verstreute Aerosole, welche künstlich Wolken und damit Regen entstehen lassen sollen oder Ozeane voller Algenplantagen, in denen CO2 gebunden werden sollen. Alle diese Maßnahmen zählen zum Themenkomplex des Geoengineerings. Darunter versteht man die Beeinflussung des Weltklimas durch groß angelegte technische Maßnahmen. Der Mensch hat den Klimawandel maßgeblich verursacht, also soll er ihn auch wieder beseitigen, ist dabei die Devise. Die meisten Entwürfe setzen dabei beim Entfernen großer Mengen CO2 aus der Atmosphäre an.

Der Gedanke ist naheliegend. Immerhin ist es auch aus Sicht des Weltklimarates (IPCC) nicht mehr möglich, das 2-Grad-Ziel nur durch Klimaschutzmaßnahmen einzuhalten. Emissionen einsparen allein reicht also nicht mehr aus, um unser Wohlfühlklima zu retten. Aktiv werden müssen wir so oder so, es stellt sich nur die Frage, wie wirkungsvoll wir sein können.

Aber genau wie das vor einigen Jahren sehr emotional diskutierte Verfahren des Abscheidens und Untertageverbringen von CO2 bergen diese Methoden nicht kalkulierbare Risiken. Auch wenn die Klimaforschung weiterhin große Fortschritte erzielt, verstehen wir immer noch viel zu wenig über die Prozesse unseres Klimasystems, um die Folgen solcher Eingriffe zuverlässig abschätzen zu können.

Ganz abgesehen davon ist die wirtschaftliche Komponente nicht zu verachten, denn ob es nun um die Bewässerung und Düngung von Bäumen in der Wüste, die Bewirtschaftung von schwimmenden Farmen im Ozean, die Installation von Spiegeln im Weltall, CO2-Abscheidern oder das Ausbringen von Aerosolen in der Stratosphäre geht, in jedem Fall kostet es Geld. Wer will das bezahlen? Wer KANN das bezahlen? Die Kosten für solche Eingriffe liegen wenigstens im Milliardenbereich.

Und selbst wenn die Finanzierung stimmt, geht es um eingriffe, die das Klima und unsere gesamte Umwelt auf Generationen hin bestimmen werden. Wie stellt man sicher, dass man nicht langfristig einen größeren Schaden als einen Nutzen erzeugt?

Das Verbrennen fossiler Brennstoffe wie Kohle, Öl und Gas war auch einmal nicht nur das „kleinere Übel“, sondern der große Wurf, der alles besser machen sollte. Auch wenn es bereits Veröffentlichungen aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg gibt, die eine Klimawirksamkeit der Verbrennung von Kohle auf globalem Maßstab festgestellt haben, dauerte es seine Zeit, bis die Erkenntnis allgemein etabliert war. Wobei es selbst heute noch Menschen gibt, in deren Augen die Naturgesetze offenbar keine Gültigkeit besitzen.

Kritiker befürchten, dass eine Einführung von Geoengineeringmaßnahmen zur Folge haben wird, dass dies von der Industrie als Freifahrtschein gesehen werden könnte, Emissionen ungehindert in die Atmosphäre einzubringen. Schließlich könnten sie ja jederzeit wieder herausgefiltert und anderweitig entsorgt werden können.

Ein weiteres Argument gegen beispielsweise die Verpressung von CO2 in geologische Speicher ist der „überragende Erfolg“ von vermeintlich sicheren Atommüllendlagern. Bislang konnte auf der Erde keine einzige geologisch zuverlässig stabile Situation ausgemacht werden, die als Endlager brauchbar wäre. Für das flüchtige CO2 werden noch größere Probleme erwartet. Eine Verkippung von mühsam produziertem Holz oder sonstiger Biomasse untertage ist schon allein aus wirtschaftlichen Gründen nicht vorstellbar.

Dabei wäre genau das notwendig, denn die Rechnung ist eigentlich einfach. Material wurde aus einem stabilen fossilen Zustand in den atmosphärischen Kreislauf eingetragen und ist hier nun aktiv. Um den Effekt dauerhaft zu bekämpfen muss dieses Material wieder aus dem Stoffkreislauf entfernt und gebunden werden. Die Alternative ist ein verändertes System mit einem neuen Gleichgewicht, und auch wenn die Erde selbst damit kein Problem haben wird, es zeichnet sich doch ab, dass wenigstens der Übergang in dieses neue Gleichgewicht für uns Menschen nicht angenehm wird.

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Regelt das schon: Die Natur. Hier bei der Arbeit in einem alten Steinbruch und schwer beschäftigt, sich um sich selbst zu kümmern. Macht ja schließlich sonst keiner.

Männer sind vom Mars, Kinder vom Mond?

Ich streife durch die Hallen eines großen Einrichtungshauses und habe irgendwo auf dem Weg vergessen, wieso ich eigentlich hier bin und wonach ich suche. Mein Blick streift über moderne, gerade Konturen von Schränken und über verschnörkelte Sessel, die stiltechnisch nicht zu den Räumen passen wollen, in denen sie ausgestellt sind. Zahllose Gesichter schieben sich durch die Gänge, betrachten Möbel und Einrichtungsgegenstände. Jede kleine Lücke ist mit Dekoartikeln gefüllt, ein buntes Sammelsurium von Dingen, deren einziger Zweck es ist, zu existieren oder eine Funktion zu erfüllen, die in einem gewöhnlichen Alltag eigentlich keinen Platz hat.

Die Kundengruppe ist recht jung. Viele junge Erwachsene, die sich ihre ersten Wohnungen einrichten, Paare auf der Suche nach der richtigen Einrichtung für eine hoffentlich lange und glückliche gemeinsame Zeit und Familien mit frischem Nachwuchs, teils vor, teils noch im Bauch. Gedankenverloren biege ich um eine Ecke, streiche über ein angeblich echtes, aber spottbilliges Lammfell und wäre fast über ein kleines Kind gestolpert, welches selig zwischen den großen Gitterboxen sitzt und mit einem Bündel Kleiderbügel spielt.

Zugegeben, das war eine Übertreibung. Es lagen immer noch mehr als ein Meter zwischen dem kleinen Mädchen und mir, ich hätte sie kaum übersehen können und selbst wenn, dann hätte ich gleichzeitig ihren Vater umrennen müssen, der danebenstand. Dennoch fesselt es mich für einen Moment, mit wie viel Begeisterung sich dieses kleine Wesen ein paar einfarbigen Kleiderbügeln aus Plastik widmet. Sie blickt zu mir auf und grinst mich fröhlich an. Es dauert einen Moment, bis ich realisiere, dass sie damit mein Grinsen erwidert. Eine kleine Hand mit riesigem Kleiderbügel darin winkt mir zu und ich tue, was wohl jeder Mensch tun würde und winke zurück.

Rundherum bemerke ich Reaktionen, die ich eher fühlen kann, als dass ich sie bewusst sehen würde. Da ist der Vater, der mir skeptische Blicke zuwirft und sich kaum merklich anspannt, bereit, seine Tochter vor dem seltsamen Typen zu schützen. Zwischen den Weingläsern heben sich die Köpfe zweier Frauen hervor, die mich zwar neutral aber dennoch aufmerksam beobachten und eine junge Mutter, die ihre Zwillinge im Einkaufswagen bereits aus der Abteilung schieben will und durch einen Gehfehler auffällt, dreht sich noch einmal um und sieht mir irritiert nach.

Einzig ein Mädchen, vermutlich noch nicht einmal zwanzig Jahre alt und mit einer bunten Fußmatte in der Hand, guckt an mir vorbei auf das Kind. Auch sie wird von der guten Laune angesteckt und grinst fröhlich, aber bei ihr sieht deswegen niemand hin. Nur ihr Freund, der sie zwar mit einer Zärtlichkeit betrachtet, die jede Disney-Romanze grobschlächtig wirken lässt, aber dennoch etwas besorgt wirkt. Er kennt wohl den Kinderwunsch seiner Partnerin, weiß aber auch, dass es noch zu früh für sie beide ist.

Erst als ich von den Küchenmessern zu den Gardinenstangen komme, festigt sich das Bild von dem, was gerade passiert ist. Ich habe einem kleinen Kind gewunken und damit eine Menge Leute beunruhigt. Wie kommt das? Ich sehe recht durchschnittlich aus, meine Kleidung ist ordentlich und sauber, ebenso ich selbst. Wenn ich das Blut unschuldiger Seelen im Bart oder an den Händen kleben hätte, dann wüsste ich das mit Sicherheit. Aber die einzige Erklärung, die mir nach einigem Nachdenken kommen will, ist, dass Männer einfach keine kleinen Kinder mögen. Wenigstens, solange es nicht ihre eigenen sind. Wenn eine Frau, egal welchen Alters, ein Kind beobachtet, wird sie vielleicht dafür belächelt. Gelten für Männer da wirklich andere Regeln?

In Bus oder Bahn langweilen sich Kinder oft und suchen den Kontakt zu Mitreisenden. Wenn sie sich dafür andere Kinder oder Frauen aussuchen, die auf ihr Spiel eifrig einsteigen, werden sie vielleicht einmal ermahnt, schön ruhig zu bleiben. Wenn ich die neugierigen Blicke mit albernem Kopfwackeln erwidere, ernte ich regelmäßig argwöhnische Blicke. Nicht selten entschuldigen sich die Mütter hastig bei mir, dass ihr Kind mich belästigt hat, um dann schnell die Aufmerksamkeit des Sprösslings auf sich zu ziehen und ihn mit irgendetwas zu unterhalten, auf dass er den Rest des Busses nicht belästigen möge.

Und regelmäßig frage ich mich dann, wie ich in den Augen der Leute gewirkt haben muss. Was habe ich an mir, dass man mich vermeintlich vor dieser klaren und ehrlichen Neugier schützen muss, die aus so vielen Kinderaugen strahlt, ehe sie durch eifriges Ermahnen, stumpfe Monitore und vertröstende Süßigkeiten im Laufe der Jahre immer weiter abstumpfen. Was sehen sie in meinem Lächeln, mit dem ich versuche, ein wenig des ehrlichen Glücks der Zwerge zu spiegeln? Bin ich so gruselig, dass sie ihre Kinder schnell vor meinen Augen schützen wollen?

Und ist das ein Problem, das nur ich habe, oder reicht das weiter? Immerhin fällt es mir immer wieder auf, dass Kabinen mit Wickeltischen in öffentlichen Toiletten zwischen Damen- und Herrentoiletten angeordnet sind, statt in der Damentoilette. Auf den Piktogrammen sind dennoch immer Frauen mit Kindern abgebildet. Männer haben Papa-Zeit und babysitten, Frauen sind halt einfach Mütter. Das ist der Eindruck, den man bekommen kann, wenn man mit offenen Augen und Ohren durch die Stadt läuft, die Menschen am Spielplatz beobachtet oder den Gesprächen an der Supermarktkasse lauscht. Bin ich der Einzige, der sich daran stößt?

So aufgeklärt diese Gesellschaft gerne sein möchte, es erscheint einiges merkwürdig. Eine ganze Serie von Missbrauchsskandalen hat sie Menschen vorsichtig gemacht. So misstrauisch, dass sich Mütter dafür entschuldigen, wenn ihre Kinder ein wenig gute Laune und Farbe in die Welt hinaus tragen wollen und damit die „falschen“ Leute erreichen. Dabei können vielleicht gerade die das gut gebrauchen. Kinder sollen Kinder sein dürfen, aber ohne dass man ihnen den Platz dafür zugesteht.

Mir scheint, wir haben noch viel Arbeit vor uns…

Seattle Fremont Troll