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War, Sein, Werden V. – Ende

Das Zimmer wirkte in jeder Hinsicht schäbig und unterwohnt. Die Tapete war nicht gestrichen, vergilbt und irgendwann einmal schlampig und schief aufgeklebt worden. Der Boden war immer nackt geblieben, bis auf ein alter Handtuch, was als Teppich diente. Die einzelne Glühbirne über dem verschlissenen Sessel tauchte den winzigen Raum in ein zwar gelbes, aber trotzdem kaltes Licht. In diesem Sessel saß, mit untergeschlagenen Beinen, der Philosoph, und bekam von dem Zustand des Zimmers nichts mit. Er hing seinen eigenen Gedanken in seiner eigenen Welt nach.

„Was wäre,“ so dachte er „wenn die Menschheit eines Tages die Möglichkeit bekommen würde, in der Zeit zurückzugehen und zu sehen, wie vergangene Generationen wirklich gelebt hatten? Könnte man die Zeit überhaupt so beeinflussen? Was für ein Wesen müsste eine solche ‚Zeit‘ haben?“

In der gesamten Geschichte der Menschheit hatte sicherlich nie jemand einen solch kühnen Gedanken veröffentlicht. Er würde den Gedanken aufschreiben, würde eine Fragestellung formulieren, einige Überlegungen dazu notieren und dann die Fragestellung an das philosophische Konzil schicken. Sie würden sich an seinen Namen erinnern. Die Zukunft würde sich an seinen Namen erinnern.

Seine Fensterluke verdunkelte sich, als ein Erzfrachter vom Mars auf dem Mondhafen vor seinem Fenster zur Landung ansetzte. Eine teure Wohnung mit Erdblick konnte er sich nicht leisten aber über seinen Schreibtisch gebeugt würde er davon so oder so nichts mitbekommen.

‚Stellen Sie sich die Zeit als eine Achse vor, auf der man wandern kann. Stellen Sie sich vor, Menschen könnten sich beliebig auf dieser Achse bewegen. Was wäre, wenn man die zeit beeinflussen könnte?‘

Und damit fing der ganze Schlamassel von vorne an…

Das war der kleine Ausflug meines früheren Ichs in die Welt der Zeitreisen. Ich fürchte, die Geschichte funktioniert am besten, wenn man sie am Block liest, aber auch das braucht starke Nerven und Durchhaltevermögen. Wie immer sind aber Kommentare, Kritik und Meinungen immer gerne gesehen. Ich freue mich auf Feedback und bis zum nächsten Abenteuer.

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War, Sein, Werden IV.

Auf den ersten Blick erkannte der Direktor kaum einen Unterschied zu dem letzten Bild. Auf den zweiten Blick aber ähnelte sich nichts mehr. Sie waren Millionen Jahre weiter in die Vergangenheit gereist. Der Computer gab an, das Zeitalter würde Trias genannt werden. Ein Zeitalter, kurz nach einem der großen Artensterben. Der Wald war noch sichtlich frisch, bestehend aus Pionierpflanzen und kleinen Bäumen. Der Boden war spröder Fels, weich und zerklüftet. Er war offensichtlich erst vor kurzer Zeit aus flüssiger Lava erstarrt.

An den scharfen Klippen klammerten sich die ersten Blumen mit ihren farblosen Blüten fest. Begleitet wurden sie von einer der wenigen Konstanten über die Zeit: Insekten. Wo es Leben in irgendeiner Form gab, da waren sie meist nicht weit. Vielleicht lag es an ihrer Größe, aber Michael konnte kaum Unterschiede zwischen ihnen feststellen. Scheu waren sie jedenfalls nicht. Einige krabbelten schon über die verwelkte Blüte, die vor ihm auf dem Boden gelandet war. Er musste gegen sie gelaufen sein, als er das Portal verließ. Jedenfalls hatte er noch mitbekommen, wie sie ihm vor die Füße fiel. Er sah an seinem Jackett hinab. Es lag glatt, schnörkellos und an der Magnetkante verschlossen, wie immer auf seiner Brust. Keine Taschen, keine Löcher und Lücken, kein störendes Beiwerk. Nur klassische, zeitlose Eleganz.

Der Direktor trat neben ihn. Sein privilegierter roter Kragen leuchtete kräftig unter dem anthrazitfarbenen Sakko. Sein haarloser Kopf schien auf erschreckende Weise perfekt in diese Umwelt zu passen. Michael hätte es nicht begründen können, aber er hatte ein merkwürdiges Gefühl in der Magengegend. Der Direktor begann auf einmal, Neugier an der Zeitreise zu zeigen.

„Sagen Sie, was ist denn nun eigentlich dran an den Paradoxien. Sie wissen schon, diese albernen Gedankenspiele in der Art ‚ich reise in der Zeit zurück und töte meine Mutter. Wer soll mich jetzt zur Welt bringen, damit ich sie ermorden kann?‘ Die Philosophie stellt sich die Frage schon seit fünfzig Jahren, aber was ist dran?“

„Ausgemachter Blödsinn.“ Michael war sich seiner Sache diesbezüglich sicher. „Sehen Sie, wenn Zeitreisen auch in Zukunft möglich bleiben, dann muss die Erde in ihrer Geschichte von einer Masse an Zeitreisenden überschwemmt worden sein. Haben Sie jemals auch nur von einem Einzigen gehört?“

„Nein. Es gab wohl diverse Legenden bei den Wilden auf den karibischen Inseln. Sie berichteten von Menschen, die alle paar Jahre zu Besuch kommen und das schon seit Jahrhunderten. Allerdings hat kein intelligenter Mensch diese ‚Besucher‘ je zu Gesicht bekommen.“

„Damit haben Sie sich ihre Frage selbst beantwortet. Es gibt keine Aufzeichnungen über Zeitreisende. Das bedeutet, es gibt zwei Möglichkeiten. Erstens, wir sind die einzigen beiden Zeitreisenden in der Geschichte der Menschheit.“

„Das wäre absurd!“ Der Direktor fiel ihm ins Wort. „Menschen sind von Natur aus neugierig. Sie werden diese Technologie wieder benutzen, um mehr über unsere Herkunft und Vergangenheit zu lernen. Selbst wenn wir das Portal nach unserer Rückkehr nicht mehr aktivieren können sollten, nach uns werden Andere kommen. Wieso sollte ihnen misslingen, was Sie und ihre Leute quasi im Alleingang geschafft haben?“

Michael fühlte sich tatsächlich geschmeichelt. Außerdem konnte er die Argumentation des Direktors nicht widerlegen. Das kam ihm nur gelegen, denn das bedeutete, dass die zweite Möglichkeit korrekt sein musste.

„In dem Fall greift zweitens. Die Geschichte ist voll von Zeitreisenden wie uns. Wir bekommen es nur nicht mit, die Zeitlinie bekommt es nicht mit. Die Besucher sind zum untätigen Zuschauen verdammt. Man kann es als einen Schutzmechanismus Gottes sehen. Er hat etwas geschaffen, was in seiner Entwicklung nicht beeinträchtigt werden darf, also können wir es nur besuchen aber nicht beeinflussen. Ähnlich wie Sie manche Dateien auf ihrem Rechner nur lesen aber nicht bearbeiten können. Sobald wir unsere Zeit verlassen haben, sind wir unsichtbar und können keine Spuren hinterlassen. Wäre ihnen bisher eine Situation aufgefallen, in der irgendetwas aus der Umgebung auf uns reagiert hätte?“

„Da kann ich Ihnen nur zustimmen.“ Der Direktor war glücklich um diese Antwort. Sie entband ihn von jedweder Verantwortung. Wenn er nichts tun konnte, dann konnte er auch nicht das Falsche tun. Er hatte noch so viele Ziele vor Augen, die er besuchen wollte. Heute konnte er bis zur Entstehung des Lebens zurückreisen, morgen dann die ersten Menschen besuchen. Ihm gehörte zwar nicht die Welt aber dafür die Zeit. Zufrieden lächelnd riss er von dem am nächsten stehenden Busch eine Blüte ab und schnupperte versonnen daran. Der Geruch kitzelte ihn in der Nase. Er legte den Kopf in den Nacken und versuchte vergeblich den Niesreflex zu unterdrücken.

Im folgenden Augenblick lag die Landschaft der Trias ruhig und unberührt da. Von vulkanischen Quellen beheizter Schlamm floss die Hügel hinab, dort entlang, wo vielleicht einmal auf einer anderen Zeitlinie, in einem anderen Universum ein Portal von Zeitreisenden gestanden haben mochte. Auf einer anderen Zeitlinie, in einem anderen Universum, in dem eine unglückliche Verkettung von absolut unwahrscheinlichen Zufällen der Mensch als eine der dominanten Spezies hervorgegangen ist.

Dank sei einer noch um ein vielfaches unwahrscheinlicheren Verkettung von regelrecht unmöglichen Zufällen, würde es in diesem Universum nie dazu kommen. Was sich hier an intelligentem Leben entwickeln würde, hätte für den Moment andere Sorgen, als die Manipulation der Zeitachsen. Dabei war ihre Zeitachse selbst nur deswegen möglich, weil jemand anders genau das getan hatte. Am Ende liebt die Geschichte zwar keine Paradoxien, dafür aber die Ironie um so mehr. Früher oder später würde irgendjemand in einem Anflug von Langeweile die richtigen Fragen formulieren und damit einen Stein ins Rollen bringen. Früher oder später würde etwas vorfallen, was alles bislang Dagewesene infrage stellte. So war es immer, so ist es und so wird es immer sein.

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War, Sein, Werden III.

Die Direktorin hatte die Kälte nicht bemerkt, bis sie verschwunden war. Jetzt, in der Sommersonne der Kreidezeit fühlte sie die Auswirkungen um so mehr. Ihre Schuhe waren durchnässt und die Zehen halb ab gefroren. Der wiederkehrende Blutfluss juckte unangenehm. Frank stiefelte unbeirrt durch die Farnwiese und sah sich mit noch größeren Augen um, als auf dem Gletscher.

Das Panorama was sich ihnen bot war atemberaubend. Das Portal war an einer Waldkante erschienen, mit Blick auf eine weite Steppe. Der Wald brüllte vor verstecktem Leben, während die Savanne ruhig unter summenden Insektenschwärmen da lag. Durch die hohen Farne und das Gebüsch schoben sich die ersten lebenden Dinosaurier, die ein Mensch je zu Gesicht bekommen hatte. Frank hätte schwören können, vor dem weiten Grasland der afrikanischen Savanne zu stehen mit seinen Tierherden, Mückenschwärmen und kreisenden Geiern.

Nur gab es hier kein Gras und die kreisenden Geier waren zwar den bekannten Vögeln ähnlich, aber doch auf den zweiten Blick ganz klar keine Geier. Die Herden von Gnus, Zebras und Elefanten waren sogar weit davon entfernt, Säugetiere zu sein. Frank war nicht besonders gut in Paläontologie gewesen. Von all den unterschiedlichen Arten erkannte er zunächst nur die massiven Kolosse mit den drei Hörnern. Er erinnerte sich daran, als Kind einen Triceratops mit abgeschnittenen Hörnern als Spielzeug gehabt hatte. Fasziniert ging er näher darauf zu.

Die Farne strichen ihm um die Beine, Dornenzweige versuchten Löcher in seine sorgsam gebügelte Hose zu reißen und plötzlich bemerkte er, wie er auf eine schillernde Libelle trat. Leicht betreten betrachtete er die Reste des Insektes. Es war riesig, so lang wie seine Hand und schimmerte in den Farben des Regenbogens. Er streifte seinen Schuh am nächsten Moosbüschel ab und drehte sich zur Direktorin um. Sie war ihm nicht gefolgt, sondern hatte ihr Notizbuch hervorgeholt und skizzierte die Sauropoden, welche sich an den saftigen Büschen an der Waldkante gütig taten. Michael gesellte sich wieder zu ihr und sah ihr über die Schulter. Kindliche Begeisterung leuchtete in ihren Augen.

„Ich war erst kürzlich in der Paläontologie zu Gast. Professor Angus hat mir diverse Dinosaurier vorgeführt, auch Sauropoden. Diese hier ähneln aber keinem von denen, die er mir gezeigt hat. Wenn es wirklich eine neue Art ist, dann fällt uns die Ehre zu, sie zu benennen. Hast du schon einen Vorschlag? Michael Droposaurus?“

Sie zwinkerte ihm frech zu, vollendete ihre Skizze und machte dann doch noch ein Foto. Michael ärgerte sich inzwischen doch ziemlich, keine Kamera eingepackt zu haben. Er hätte daran denken müssen. Wie sonst wollte er die Funktionstauglichkeit des Portals dokumentieren? Erster Testlauf hin oder her, so ein Fehler durfte nicht passieren. Besonders nicht, da er diesmal schon besser vorbereitet war als bei vielen offiziellen Testläufen zuvor. Er hatte das nötigste Werkzeug dabei und einen Ablaufplan.

Laut seinem Plan lagen sie echt gut in der Zeit. Er hatte nur noch drei weitere Punkte auf seiner Liste stehen. Mit jedem dieser Punkte würden sie weiter in der Geschichte zurückreisen. „Theoretisch“ so erklärte er der Direktorin „können wir jeden beliebigen Punkt in der Geschichte des Universums ansteuern. Den Ort können wir dabei nur geringfügig beeinflussen. Wenn ich es richtig interpretiert habe, dann sind wir auf die Erde beschränkt aber können dort wenigstens den Ort frei wählen. Je weiter wir in die Vergangenheit reisen und je weiter wir uns von dem Startpunkt entfernen, um so höher wird der Energieverbrauch des Portals. Außerdem empfiehlt es sich, das ein oder andere Ereignis in der Erdgeschichte nicht zu besuchen. Aus sicherheitstechnischen oder gesundheitlichen Gründen.“

Die Direktorin musste ihm bei seinem letzten Punkt beipflichten. Sie dachte an diverse Katastrophen und Kriege, die schon allein in der Geschichte der Menschheit dokumentiert worden waren. Beim Gedanken an Vulkanausbrüche, Flutwellen, Erdbeben und Meteoriteneinschläge lief es ihr eiskalt den Rücken hinunter.

Verträumt sah sie sich um. Es gab noch etwas, was über die Jahrmillionen gleich geblieben war. Der süßliche Duft der Blumen hatte schon damals nach dem gleichen Muster funktioniert, auch wenn sie ihr nicht so farbenprächtig vorkamen wie die, die sie in ihrem Garten züchtete. Michael schien auch Freude an den Blumen zu haben. Er fand eine besonders dicke, gelbe Blüte, schnitt sie von ihrem Strauch und steckte sie sich ins Knopfloch. Sie sah schrecklich neben seiner blauen Krawatte aus, aber Sinn für Farben hatte er noch nie besessen. „Ich glaube, es ist langsam an der Zeit, unsere Reise fortzusetzen. Es gibt noch einige Orte, die wir besuchen sollten. Ich will sehen, was das Portal alles kann.“

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War, Sein, Werden II.

Frank war sichtlich nervös, als er die Direktorin vor der Tür abstellte. In seinem Kopf musste er den Ablauf mindestens einhundert Mal geprobt haben aber jetzt die Schalter tatsächlich um zu legen war etwas anderes. Er zwang sich zur Ruhe und sah die Direktorin an, die im Augenblick eher auf die schwarz glänzenden Spitzen ihrer ledernen Stiefel konzentriert war.

„Wohin soll die Reise denn gehen? Hast du irgendeinen speziellen Wunsch? Denk daran, uns steht fast alles offen.“

„Ich hätte erwartet, dass du schon Ziele vorbereitet hast. So viel Strom wie die ganze Anlage schon geschluckt hat, musst du doch jedes Jahr bis zur Entstehung der Welt zurückgereist sein.“

Frank gab sich leicht gekränkt und zog eine Schnute. Er hatte einige Testläufe gewagt aber war noch nie tatsächlich durch die Tür gegangen. Er hatte nur ein paar Mal einen Apfel hindurch geschmissen, um zu beobachten, wie sich der Energieverbrauch ändern würde und ob der Apfel auch heile in der Vergangenheit ankommen würde. Die Äpfel waren unbeschadet angekommen, soweit er es sehen konnte wenigstens. Für einen Tierversuch hatte es ihm schlicht an Testtieren gefehlt, also musste er den Selbstversuch wagen. Strom war teuer, da blieb kein Budget mehr für Versuchstiere und so blieb nur die Beobachtung oder eben dieser Selbstversuch. Für einen Moment überlegte er, der Direktorin als Dank für ihre aufmunternden Worte den Vortritt zu lassen. Seine Mutter hätte sich wahrscheinlich für ihn geschämt, dachte er, wählte ein Ziel aus, ergriff die Hand der Direktorin und zog sie hinter sich her durch die Tür. Er weigerte sich daran zu glauben, dass etwas schief gehen könnte. Und manchmal wird Wagemut sogar vom Schicksal belohnt.

Inmitten der eisigen Kälte der Eiszeit erschien eine Tür. Sie bildete mit ihrem schwarzen Anstrich und den gelben Kanten einen starken Kontrast zum endlosen Weiß der Gletscher Mitteleuropas. Hindurch stolperten zwei Gestalten. Sie waren offensichtlich menschlich, nur deutlich größer und fremdartig gekleidet. Beide hatten sehr dünnes Haar und eine regelrecht übertrieben aufrechte Haltung.

Der junge Jäger duckte sich hinter eine Schneewehe und ärgerte sich. Er konnte die beiden fremden bis hier hin hören und mit etwas Pech konnte er sie auch riechen. Das hieß, seine Beute konnte die beiden genau so wahrnehmen und flüchten. Zehn Tage lang hatte er auf die großen Rüsseltiere gewartet. Alleine würde er keine Chance haben eines von ihnen zu erlegen und erst recht nicht, wenn sie vorher flüchteten. Er könnte stattdessen ja die Fremden erlegen. Sie schienen keine Ahnung von der Jagd zu haben, waren unvorsichtig wie die Frischlinge und auch noch deutlich schmächtiger. Alle beide froren bitterlich. Sie waren für einen milden Sommertag gekleidet aber nicht für einen Frühlingstag wie heute. Er verstand sie nicht.

Frank und die Direktorin standen bis zu den Knöcheln im Pulverschnee. Während Frank sich mit riesigen Augen umsah, wirkte seine Begleiterin deutlich unbeeindruckter. Für sie wirkte es einfach nur nach den aktuellen Polarregionen, nicht nach einem Ort in der Vergangenheit. Sie bemerkte eine Bewegung im Augenwinkel, konnte aber nichts entdecken. Was auch immer dort gewesen sein mochte, es war unter der Schneedecke verschwunden. Dafür entdeckte sie etwas anderes am Horizont und nun war auch sie beeindruckt. Vor dem rauen Hintergrund der verschneiten Felsen wanderten riesige Schatten auf sie zu.

Sie waren schnell deutlicher zu erkennen. Elefanten aber größer, mit längeren Stoßzähnen und dickem Fell. Sie waren mitten auf der Wanderroute einer Herde Mammuts gelandet. Obwohl zwei Menschen und ein Zeitportal für die riesigen Tiere keine Gefahr darstellen würden, hielten sie lieber vorsichtigen Abstand, und verschoben ihre Durchreise. Dort, wo sie hin wollten, würde niemand auf sie warten, außer vielleicht der Frühling. Für Frank war es trotzdem eine Nervenprobe. Er wollte der Herde nicht näherkommen als unbedingt notwendig. Es ging ihm lediglich um den Beweis, dass seine Maschine funktionierte und der war längst erbracht. Die Tiere selbst waren ihm unheimlich. Zu groß, zu unberechenbar. Ein schnelles Foto musste ausreichend sein.

Die Direktorin war ihm ein Rätsel. Sie hatte darauf bestanden noch eine weitere Minute die Mammuts beobachten zu dürfen. Die Kälte schien sie nicht einmal zu bemerken und das trotz der dünnen Sportschuhe aus Stoff und der fehlenden Jacke. Frank machte sich ernsthaft Sorgen, ob ihr nicht die Füße abfrieren würden. Sicherheitshalber stellte er sein Portal auf eine Zeit ein, in der wärmeres Klima herrschte. Einer Zeit, noch weiter in der Vergangenheit denn nun galt es, die Grenzen zu erproben. Sein Ehrgeiz war geweckt.

Der Junge Jäger hatte die Mammuts ebenfalls entdeckt. Das Lager seines Stammes war nicht weit und er beeilte sich, die anderen Jäger zu holen. Sollten die beiden Frischlinge doch im Schnee erfrieren. Ein Mammut war in jedem Fall die bessere Beute. Die Jagdgesellschaft brach auf, die Herde zu stellen aber als sie den Ort fanden, an dem der Schnee von scheinbar menschlichen Füßen zertrampelt war, breitete sich Aufregung aus. Weder zu der Stelle hin, noch davon weg war eine Spur zu finden. Jeder Mensch hinterließ eine Spur, immer! Nur diese nicht. Und der junge Jäger wagte es nicht, seinem Stamm die ganze Geschichte zu erzählen.

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War, Sein, Werden I.

Wieder geht es in die Vergangenheit, diesmal im doppelten Sinn des Wortes. Den folgenden Text habe ich bereits vor etlichen Jahren geschrieben, aber irgendwie wollte ich ihn dennoch gerne einmal teilen. Und wo ich mit Selaya bereits bei einer älteren Geschichte war, erschien mir der Zeitpunkt passend.

Eigentlich sollte man sie wohl besser am Stück lesen, aber dann wird sie zu lang. Darum zerstückel ich sie Euch dennoch in handlichere Häppchen und hoffe, dass nicht alle aufgeben. Viel Spaß!

„Also, weswegen genau hast du mich hier hinunter gebeten?“

Die Direktorin stand in einem fast leeren Kellerraum. Ihr Blick lastete auf einem Objekt in der Raummitte. Frank warf ihr einen verständnislosen Blick zu und deutete vage auf das Objekt. Wortlos drehte er sich wieder der Wand zu und kontrollierte die dort aufgereihten Monitore. Sein zottiges Haar wirkte noch fettiger als sonst und sein unrasiertes Kinn wurde von extra tiefen Augenringen begleitet. Er machte keine Anstalten, ihre Frage zu beantworten. Angestrengt holte sie tief Luft, rieb sich die Augen und zwang sich zur Geduld.

„Frank! Wieso soll ich für eine Tür ohne Wand hier herunter kommen? Das Museum für moderne Kunst ist in der Innenstadt.“

„Vergiss die Tür, die ist unwichtig!“, unterbrach er sie unwirsch und sie musste ihm insgeheim zustimmen.

„Der Rahmen ist das Interessante.“

Sie revidierte ihre Zustimmung. Zugegeben, er war besonders klobig, aber interessant war ihrer Meinung nach nicht das richtige Adjektiv. Sie wollte gerade etwas erwidern, da wirbelte Frank herum und sah sie direkt an. In seiner Hemdtasche steckten drei Kugelschreiber, einer davon war ausgelaufen und hatte einen klebrigen, blauen Fleck hinterlassen. Frank schien es nicht einmal zu bemerken. Er schien generell nicht viel zu bemerken und die Direktorin war versucht, ihn vor einen Spiegel zu zerren. Da sie ihn aber dafür hätte anfassen müssen, unterdrückte sie den Impuls. Endlich setzte er zu einer Erklärung an, entblößte dabei gelbe Zähne und wirkte einfach in jeder Hinsicht ungepflegt, verwahrlost und schmutzig.

„Die Tür ist nur da um den Rahmen zu stützen. Und damit niemand aus Versehen hindurch stolpert. Die ganze Maschine ist im Rahmen untergebracht, mit Ausnahme der Steuerung.“ Er tätschelte ein Computergehäuse zu seiner Linken. „Der Rahmen erzeugt das Feld dann aber eigenständig, sobald er den Befehl bekommt. Und die Energie. Besonders viel davon leider. Du hast vielleicht die höhere Stromrechnung bemerkt.“

„Ehrlich gesagt, nein. Um die Gebäudetechnik kümmert sich der Hausmeister. Was für ein Feld soll denn erzeugt werden?“ Wieder musste sie sich zur Ruhe zwingen. Frank erschien ihr in letzter Zeit immer mehr wie ein bockiges, kleines Kind. Für ihn war alles ganz selbstverständlich, alle anderen hatten keine Ahnung, wovon er redete. Seinem Blick nach zu urteilen war es diesmal nicht anders. Er schien ernsthaft an ihrem Geisteszustand zweifeln zu wollen.

„Hast du meinen Bericht überhaupt gelesen?“

„Welchen Bericht? Du sollst mir seit fast drei Monaten einen abliefern und es kommt nichts.“ Langsam aber sicher verlor sie sowohl Geduld als auch Ruhe.

„Na den Projektbericht von vor … ach ist ja auch egal jetzt. Jedenfalls erzeugt das Feld einen chronospherischen Ereignishorizont. Er füllt den ganzen Rahmen aus und ist auch für Lebewesen gefahrlos überschreitbar.“

„Einen was?“

„Chronospherischen Ereignishorizont. Klingt das nicht toll? Ich hab mir den Begriff selbst ausgedacht. Hat wahrscheinlich rein gar nichts mit der Sache an sich zu tun. Ich hab doch keine Ahnung, was da genau vor sich geht, aber es klingt so toll und im Groben beschreibt es doch die Sache.“ Diesmal war es die Direktorin, die ihn wie einen Irren betrachtete. Er legte nach. „Wie gesagt, das Feld füllt den kompletten Rahmen aus und ist bioverträglich. Wir könnten es jetzt aktivieren und durch gehen. Völlig gefahrlos.“

Er strahlte sie mit einer Begeisterung an, als hätte er ihr gerade keine Tür im Keller sondern das komplette Bernsteinzimmer präsentiert. Auf ihrer Seite war weniger Begeisterung. Sie sah nur eine saftige Rechnung für ‚Forschungsmittel‘ und die besagte Tür mit der unaussprechlichen Funktion. Beides stimmte sie alles andere als gut gelaunt. Besonders, da sie immer noch keine Ahnung hatte, was das Gerät nun eigentlich konnte, außer Strom fressen. Am Ende wollte er ihr hier noch eine Zeitmaschine verkaufen. Na schönen Dank auch, dafür wollte sie ihre Zeit nicht verschwenden. Ihre fehlende Begeisterung schien ihn zu irritieren. Er sah sie herausfordernd an.

„Komm schon. Es muss doch etwas geben, was du sehen möchtest. Der Ort lässt sich leider nicht gut beeinflussen, aber auf der Zeitachse sind wir völlig ungebunden.“

Na bitte, eine Zeitmaschine. Massenhaft Forschungsgelder für die Hirngespinste eines Wahnsinnigen. Sie drehte sich um und wollte gehen aber er hastete vor die Türe, versperrte ihr den Weg und sah sie nur weiter herausfordernd an. Er wirkte recht jämmerlich, wie er da so stand, dachte sie. Und er brauchte wirklich dringend eine Dusche und frische Kleider. Leider kannte sie ihn gut genug, als dass sie wusste, wenn er sie so ansah, würde er nicht aufgeben. Er würde sie nicht einmal aus dem Keller lassen, solange sie ihm nicht wenigstens eine Chance gab. Mit einem tiefen Seufzen resignierte sie. Schön, aber wenn, dann wenigstens zu ihren Bedingungen. Er machte große Kulleraugen und sah sie flehend an.

„Bitte! Ich frage nur nach einer Chance es dir zu zeigen, zu beweisen, dass sie funktioniert. Nur eine einzige Chance. Komm mit mir da durch.“ (Genau das hatte sie gemeint.)

„Also gut. Aber vorher gehst du nach hause, duschst dich und ziehst dich vernünftig an. Vorher gehe ich mit dir nirgendwohin. “

Offensichtlich war ihm das Versprechen genug, denn er willigte ein und gab nach kurzem Zögern sogar die Türe wieder frei. Die Direktorin fand, es war besser gelaufen als erwartet. Er verschwand zwar unter Protest, aber er verschwand. Die Pause allerdings hielt er möglichst kurz. Wie um seinem Unternehmen mehr Nachdruck zu verleihen, stand er kaum zwei Stunden später wieder bei ihr in der Tür. Gewaschen und noch mit nassen Haaren, unsauber rasiert aber rasiert und in knittrigen, aber sauberen Klamotten, die alt genug waren, um wieder modern zu sein.

Die Direktorin seufzte resignierend, als sie seinen auffordernden Blick erwiderte. Manchmal hatte sie den Eindruck, er würde ihr das Leben mit voller Absicht schwer machen. Dabei war er im Grunde genommen so ein herzensguter Mensch, der immer zuerst an andere dachte, bevor er sich um sich selbst kümmerte. Jedenfalls, solange es nicht seine Forschungen betraf. Da war er eiskalt und kein Gesetz stand höher als sein Name. Allein um diesen Namen groß aufblasen zu können, würde er ihr keine Ruhe lassen, bis er ihr sein Experiment vorgeführt hatte. Sie hatte fast etwas Mitleid mit ihm. Sein Experiment würde schief gehen, und wenn die Dokumentation in die falschen Hände fiel, dann wäre sein Name für immer verloren.

Bei Zeitreisen verstanden die Akademien keinen Spaß, niemand wollte sich damit seine Reputation zerstören. Auf der ganzen Welt gab es gerade mal zwei Teams, die offen zugaben, sich mit der Thematik zu beschäftigen. Beide wurden offiziell von ihren Akademien nicht unterstützt, wenn sie überhaupt an ihnen gelistet waren. Das eine Team bestand aus Frank und seinem Kellerraum. Das andere Team gruppierte sich um Michael Drop und George Wolf, bestand aus acht Personen und erzielte offiziell weder im praktischen noch im theoretischen Bereich irgendeinen Fortschritt. Trotzdem existierte die Forschungsgruppe bereits seit über zwölf Jahren und es war nicht abzusehen, dass sie sich auflösen würde. Dabei war es allgemein anerkannter Fakt, dass Zeitreisen physikalisch nicht möglich waren.

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