Vorsichtig strich seine Hand über den Schubregler. Er zitterte als er den Motor mit mehr und mehr Energie versorgte. Er konnte es von innen nicht sehen aber Selayas Konturen verschwammen. Sie wurde eingehüllt von einer schwarzen Aura. Einem Schatten, welcher es unmöglich machen sie klar zu erfassen. Das waren ihre Flügel.
Er zwang sich ruhig zu bleiben und atmete tief durch, schloss die Augen und sammelte sich bevor er nach dem Joystick griff. Er gab dem Motor eine Richtung und ganz langsam und behutsam verlor Selaya die Bodenhaftung, bis sie regungslos zehn Zentimeter unter der Decke und keine dreißig Zentimeter über dem Boden schwebte.
So weit, so gut!
Er ließ sie wieder zu Boden und kontrollierte die Sensoren im Drachenbauch. Sie hatte sich absolut so verhalten wie er es erwartet hatte.
„Bist du bereit für einen Feldtest?“ fragte er in sein Cockpit hinein.
Die Antwort kam nicht von Selaya sondern von seinem Handy. Fröhlich plärrend kündigte es eine Nachricht von seiner Schwester an, welche ihren Zorn darüber entlud, das er ihren Kuchen nicht aus dem Backofen geholt hatte. Ja, es war wohl an der Zeit für einen Feldtest. Die Küche wollte er jedenfalls heute nicht mehr betreten.
Über seinen Laptop suchte er Selayas Diodenmodule. Noch bevor er sie gefunden hatte hob er sie wieder einige Zentimeter über den Boden an und setzte ein kleines Stück vom Tor zurück. Ein kurzer Impuls sprach den Kettenzug des Garagentors an und es fuhr hoch und ließ das Tageslicht herein.
„Sollte ich nicht noch das Licht ausmachen?“
Ist es nicht seltsam was für banale Gedanken einem in unpassenden Momenten durch den Kopf gehen können? Zischend schloss sich die Haube über ihm und eine Hand voll Anzeigen projizierten sich auf ihre Innenseite.
Ein leichter Druck auf einen Regler und Selaya bewegte sich langsam heraus. Der Drache war erwacht und kam verschlafen aus seiner Höhle gekrochen. Genoss kurz den frischen Wind und streckte sich dann der Sonne entgegen, ein ungeduldiges kribbeln in den Knochen.
Ein paar Blocks entfernt quietschten Reifen und verärgertes Hupen hallte hinüber während er eine Startrichtung festlegte. Er seufzte, atmete erneut tief durch und zwang sich ruhig zu bleiben doch innerlich kochte er vor Nervosität und Aufregung.
Finger für Finger schloss sich seine rechte Hand um den Joystick. Mit der Linken regelte er die Vorwärtsbeschleunigung und während er vom Garagenvorplatz abhob sah er unter sich drei schwarz glänzende Limousinen halten und aus jeder sprangen drei in Anzüge gekleidete Personen welche ungläubig hinter ihm her starrten, eine Hand unterm Sacko verborgen.
Bei ihrem Anblick kam sich der Junge beinahe schäbig vor in seinen schmutzigen Jeans und seinem verwaschenen Kaputzenpullover. Seinen Stolz über den Erfolg konnte es jedoch nicht schmälern. Er hatte den Drachen geschaffen und er flog. Er war über eine Hand voll Häuserreihen hinweg geschossen und raste nun über Felder und hier und da ein kleines Dorf. Die Beschleunigung presste ihn in seinen Sessel während er immer schneller und schneller wurde.
Es war perfekt!
Alles war genau so wie er es sich immer erträumt hatte. Selaya flog sich butterweich. Auf jede Bewegung des Joystick folgte sofort die Reaktion, es war ihm als müsse er die gewünschten Bewegungen lediglich denken um sie aus zu führen.
Er fasste den Joystick nach und zog sie mit angehaltenem Atem senkrecht in den Himmel während er die Beschleunigung erhöhte. Der Überschallknall ließ ihn erbeben und als er den blauen Himmel hinter sich zurück ließ hatte er die zehnfache Schallgeschwindigkeit überschritten. Ihm schwindelte. War überhaupt einmal ein Mensch zuvor so schnell gewesen?
Bestimmt! Wie schnell mussten denn die Astronauten der Mondmissionen unterwegs gewesen sein? Er wusste keine Zahl aber er wusste das er diesen Geschwindigkeitsrekord um ein Vielfaches übertreffen konnte und genau das hatte er als nächstes vor.
ER flog und hier konnte ihn absolut niemand aufhalten. Niemand konnte ihm in die Quere kommen, ihm sagen was er tun sollte und was nicht.
Er war FREI!
Das war ein kleiner Ausflug in meine frühen ernsthafteren Schreibversuche. Etwas kürzer diesmal aber ich hoffe, es hat Dir dennoch gefallen. Habe ich mich seitdem etwas weiter entwickeln können? Hat sich mein Stil vielleicht auch geändert? Ich kann es nicht einmal beurteilen. Was mir vermutlich an der Geschichte mit am besten gefällt, ist die Erinnerung an das Gefühl damals, sie geschrieben zu haben…
Meinungen, Anregungen und Kritik sind wie immer in den Kommentaren gerne gesehen 😉