Geburtstag
Goldene Sonnenstrahlen tanzten zwischen den Blättern der Bäume und glitzerten in den flachen Wellen am Ufer. Der nahende Herbst war eifrig dabei, die ersten Blätter bunt zu färben aber noch summte alles vor Leben. Rauchschwaden hingen schwer in der lauen Abendluft.
„Wie schön, das ihr kommen konntet! Mia hatte keine Lust? Naja immerhin seid ihr ja da. Wenn ihr etwas grillen wollt, sucht euch einfach eine freie Stelle auf dem Rost. Bier ist im Bollerwagen. Greift zu, das muss heute noch weg.“
Tina zwinkerte Erik und Flo verwegen zu. Sie hatte sich offenbar selbst bereits fleißig mit dem Bier beschäftigt und war ausgesprochen gut gelaunt. Der Anblick von Flos Kuchen änderte das spontan. Von nun an war sie nicht mehr ausgesprochen gut gelaunt, sondern offen euphorisch begeistert. Kaum hatte er den Kuchen abgesetzt und die Hände frei, fiel sie ihm um den Hals und drückte ihm einen Kuss auf die Wange, um danach beschämt zurück zu weichen und sich zu entschuldigen. Erik quittierte das Ereignis mit einem dreckigen Lachen und drückte Erik nur wortlos ein offenes Bier in die Hand.
Sie waren bei Weitem nicht die Ersten gewesen. Der Grill war bereits warm und rund herum drängte sich eine respektable Gruppe von ihnen mehr oder weniger bekannten Gesichtern auf Handtüchern und Picknickdecken. Markus hatte ein Handtuch nur für sich alleine, war sturzbetrunken und klatschnass. Er hatte sich offenbar mal wieder nicht beherrschen können, und war in den Fluss gesprungen. Jetzt fror er offensichtlich gewaltig, obwohl er beinahe auf dem Grill hing. Nora versuchte sich gleich an drei Kerle gleichzeitig ranzumachen, die Flo nicht kannte oder zuordnen konnte und Selcan ertränkte gerade ihr Steak in einer Zigeunersoße, die sie vorher mit Schnaps etwas aufgewertet hatte. Jonny war nüchtern und verteidigte verbittert den Grill gegen den durchnässten Markus. Grillzange in der einen, Gabel in der anderen wendete er mit der einen das Fleisch, während er mit der anderen Richtung Markus stichelte. Von ihm hatte Mia auch die beiden Bratwürste, welche sie, jeweils in ein Brötchen gestopft, jetzt Flo und Erik in die Hand drückte.
„Hier, ehe ihr mir noch vom Fleisch fallt und ich ärger mit den Damen bekomme. Ich will doch niemanden eifersüchtig machen, nichtwahr?“ Dabei zwinkerte sie Erik besonders provokativ an. An Flo gerichtet fuhr sie fort. „Wie geht es denn Kristina? Läuft bei euch alles gut? Erik hat erzählt, ihr plant schon eine gemeinsame Familie?“
„Das habe ich überhaupt nicht gesagt!“ Erik protestierte mit dem Mund voller Bratwurst. „Ich habe lediglich gesagt, die beiden harmonieren so gut, dass es mich wundern würde, wenn sie nicht auch eines Tages eine Familie gründen. Gibs zu Flo, ihr hättet da alle beide nichts gegen.“
„Wie interessant, was ihr so alles über uns redet. Und bevor wir uns auf Kinder einlassen, mache ich erst einmal meinen Abschluss und ziehe mit Kristina zusammen. Eine gemeinsame Woche bei ihr oder mir ist das eine, ein gemeinsamer Alltag in einer gemeinsamen Wohnung schon wieder irgendwie etwas ganz anderes. Oder findest du nicht, Erik?“
Der angesprochene Erik zog einen kauenden Schmollmund und fühlte sich ungerecht behandelt. Er hatte auch schon früher einen gemeinsamen Alltag mit Mia gehabt und das Zusammenziehen hatte hier nichts dran geändert. Trotzdem sagte er lieber nichts. Flo wusste zu gut über seine Beziehung bescheid und wusste, dass längst nicht alles so rosig und romantisch war, wie er es sich insgeheim wünschte. Er hatte sich auf einen Kompromiss eingelassen, der große Zugeständnisse verlangte. Zeitweise hatte er seine Zweifel, ob es ihm das wirklich alles wert war, aber dann hatte Mia einmal ein paar gute Tage und alles war vergeben und vergessen. Ein Teufelskreis, aus dem er nicht ausbrechen konnte.
Flo aß sein Brötchen auf und legte Steaks auf den Grill, Erik trank Bier und leistete ihm Gesellschaft, Timon packte seine Gitarre aus und klimperte eine Lagerfeuer-Hintergrundmusik. Einige der Mädels hatten bunte Windlichter gebastelt, welche sie nun anzündeten, ehe die Dämmerung zu intensiv wurde. Tina schnitt den Kuchen an und verteilte begeistert Stücke an alle, die den Mund nicht mehr zu voll hatten. Angeregte Gespräche fanden unter der Rauchsäule des Grills statt und Flo war wahrscheinlich der Einzige, der das Logo auf Timons Gitarre erkannte und wusste, dass es eine handgefertigte spanische Gitarre war. Er hatte da mal eine Doku drüber gesehen, wie sie hergestellt wurden und wie begehrt diese Instrumente waren. Für Timon war es einfach nur seine Gitarre, mit der er umherzog und seine Musik machte. Erik hingegen bemerkte, dass die Gitarre leicht verstimmt war, was ihr aber genau den leiernden Effekt verlieh, der irgendwie verwegen und abenteuerlich klang. Er assoziierte es mit dem wilden Westen aber sowohl Flo als auch Erik behielten ihre Erkenntnisse für sich und mischten sich stattdessen lieber in andere Gespräche.
Tina stand inzwischen wieder bei Flo und Erik. Sie hatte eine offene Sektflasche in der Hand, aus der sie immer wieder einen Schluck nahm, ehe sie versuchte sie weiter zu reichen. Es war inzwischen schwerer geworden, gerade zu stehen. Sie schwankte ein wenig und hielt sich immer wieder an Eriks Schultern fest. Neben seiner langen Gestalt wirkte sie besonders klein und zierlich. Sie passte bequem unter den Arm, den er ihr um die Schulter legte und sie damit etwas vom Schwanken abhielt. Markus sprintete quer durch die Gruppe hindurch, verschwand im Schatten des Ufers, dicht gefolgt von Jonny, der ihn an einer weiteren Schwimmrunde hindern wollte. Vergeblich. Erik und Tina folgten ihm. Es war offensichtlich, dass er Hilfe brauchen würde, Markus wieder an Land zu ziehen. Er war zu betrunken, um von selbst den Weg aus dem Fluss zu finden.
„Der Kuchen kam von dir, oder?“
Ein Mädchen, das Flo noch nie zuvor gesehen hatte, hatte ihn angesprochen. Sie saß auf einem grasgrünen Handtuch, bot ihm einen Platz neben sich an und fragte nach dem Rezept. Er nahm das Angebot an und versuchte sich krampfhaft zu erinnern, welches Rezept er denn genau gemacht hatte.
„Ich glaube, ich habe mehrere Rezepte gemischt. Welchen Teil fandest du denn besonders gut? Dann kann ich dir eventuell wenigstens den geben?“
„Eigentlich finde ich die Kombi von der Creme mit den Kirschen und dem fluffigen Teig recht toll.“
Na super, das volle Programm also. Mit jeder Sekunde aber konnte er sich besser an das Rezept und seine eigenen Tricks erinnern. Sollte er ihr wirklich alle Geheimnisse verraten? Er zögerte ein wenig, aber entschied sich für die Fairness. Mit seiner Übung konnte sie vermutlich eh nicht mithalten aber Ahnung hatte sie auf jeden fall. Und sie zeigte sich ausgesprochen dankbar für seine Tipps. Es war wohl nur ein Vorwand gewesen, ein Gespräch mit ihm zu beginnen und nun begab sie sich zu Stufe zwei ihres Plans und wurde offensiver. Beinahe tat es ihm leid, ihre Offerten abweisen zu müssen, zu sehr genoss er es, einmal im Zentrum eines Interesses zu stehen. Doch mit jedem ihrer Worte sah er Kristina deutlicher vor sich, mit ihren sanften Augen, dem ansteckenden Lachen und Lippen, die auf ihn immer noch eine stärkere Anziehungskraft hatten als ein schwarzes Loch. Sie fehlte ihm und das Mädchen neben ihm hatte genau nur ihr Interesse an ihm, was ihn lockte.
Jonny trieb Markus vor sich her zum Grill. Die beiden hinterließen eine Spur aus Wasser und Schlamm, Markus hustete sich den Fluss und die Seele aus den Lungen, Jonny war einfach nur schrecklich schlecht gelaunt und hatte eine nasse Hose. Tina und Erik waren nicht bei ihnen. Flo sah sich irritiert um und fand einen Schatten, welcher immer noch am Fluss saß. Leise stand er auf und ging hinüber. Es dauerte einen Moment, bis er erkannte, was er dort sah.
Erik saß auf einer Stufe, die Hände auf Tinas Hüften. Tina war vor ihm in die Hocke gegangen, hatte seinen Kopf in die Hände genommen und küsste ihn innig. Es war deutlich, dass sie ihn damit völlig unvorbereitet getroffen hatte und er mit dieser Situation völlig überfordert war. Gefangen in einer Schockstarre saß er einfach da, die Augen weit aufgerissen, und ließ sie gewähren. Die Umrisse seines Schattens zitterten vor dem Mondlicht, welches sich im Wasser spiegelte. Flo hatte den Eindruck, der Moment würde ewig dauern aber endlich ließ Tina doch noch von Erik ab. Völlig verstört stand er auf, offensichtlich völlig betrunken, sah Flo direkt an, die Augen immer noch weit aufgerissen und taumelte dann an ihm vorbei, zielgenau auf den Bollerwagen mit den Flaschen zu. Flo blieb mit Tina alleine am Ufer zurück.
„Will ich fragen, was das war?“
„Was würde es dir bringen? Passiert ist passiert.“
Tinas Stimme war matt und brüchig, in ihren Augen glitzerten Tränen. Flo legte stumm den Kopf schief und sah sie weiterhin einfach nur abwartend an.
„Und ich dachte mit noch, das ist total dumm, was du da tust. Aber ich konnte nicht anders. Er wird Mia heiraten, weil sie das so will. Und er wird absolut unglücklich mit ihr bleiben. Sie tut ihm nicht gut und er weiß es aber er kann nicht anders. Es tut weh, zu sehen, wie hörig er ihr ist.“
„Und du meinst nicht, dass er alt genug ist, um das selbst zu entscheiden?“
„Natürlich ist er das. Aber ich liebe ihn. Wenn ich ihn jetzt küsse ist das nur eine große Dummheit und Mia wird mich wahrscheinlich dafür umbringen. Im schlimmsten Fall zerstöre ich eine labile und ungesunde Beziehung. Wenn sie einmal verheiratet sind, dann geht das überhaupt nicht mehr. Wahrscheinlich war das meine einzige Chance.“
„Wenn er es ihr überhaupt erzählt. Es sieht eher so aus, als säße ihm der Schock so tief in den Knochen, dass er kaum noch reden kann. Oh er leert gerade deinen Wodka. Ich sollte ihn wohl zum Schlafen ins Bad legen und morgen darf ich mir von Mia was anhören. Was soll ich ihr sagen?“
„Sag ihr was du willst, es ist mir egal. Sie wird Erik eh nie wieder gehen lassen. Sie hat sich längst mit ihm verlobt, er weiß es nur noch nicht.“
Sie seufzte schwer und insgeheim musste Flo ihr recht geben. Mia gab sich aktuell tatsächlich etwas vereinnahmend. Aber er wusste auch, dass Mia und Erik sich tatsächlich und ehrlich liebten, es allerdings nicht immer zum Ausdruck bringen konnten. Sie stritten häufig, aber konnten doch nicht ohneeinander. Er beschloss im Stillen, erst einmal abzuwarten und nichts zu sagen. Es würde an Erik liegen, falls er sich morgen überhaupt noch erinnern konnte.
„Ich weiß, es sollte mir entsetzlich leidtun, dass ich ihn geküsst habe. Aber obwohl es mir jetzt ein bisschen den Abend versaut hat, es war einer der besten Küsse, die ich je hatte.“
Mit diesen Worten zauberte Mia die Sektflasche aus der Nacht, leerte sie und ließ Flo alleine in der Nacht stehen.