Archiv der Kategorie: Kurzgeschichte

Hinterm Horizont – Teil 16.

Jetzt sah ich auch die Zeit für mich gekommen. Meine Entwicklung mochte nicht perfekt sein, aber sie war nah dran und würde ein glorreicher Erfolg sein. Steuerelemente, wie für Bobs Augmentationen, hatte ich zwar vorbereitet, aber das war eigentlich nicht mein Ziel. Ich wollte nicht meine Arme erweitern, sondern mein Gehirn, meinen Verstand und meine Wahrnehmung. Daher war das Herzstück meines eigenen Systems das Netz, welches Hirn, Rückenmark und jedes weitere große Nervenzentrum im Körper umfasste. Wie ein Myzel würden die Drähte meinen Körper durchziehen, nur dass dieser Pilz nicht mein Parasit war. Er würde die Quelle meiner Macht sein und mich evolutionär auf die nächste Stufe heben. Ich würde das Beste aus zwei Welten in nie gekanntem Ausmaß vereinen. Die Speerspitze einer neuen Art, zu der auch Bob, Enya und unser Patient x bereits gehörten.

 

Es war eine lange und anstrengende Nacht, aus der ich am Ende erwachte. Ich erinnere mich an ein brennendes Gefühl im ganzen Körper und an eine große, verwirrende Stille, die auf die Rufe meines Geistes antwortete. Ich fürchtete schon, einen Fehlschlag erlitten zu haben, als der Arzt an mein Bett trat und das Eindämmungsfeld runter regelte.

„Die Operation ist erfolgreich verlaufen, aber dein Nervensystem ist noch nicht für die kommenden Reize ausgelegt. Daher wirst du in diesem Schutzfeld bleiben müssen, bis wir dich entsprechend kalibriert haben. Bob hat mit Erfahrungen einige Stunden gebraucht, bei dir erwarte ich zwei oder drei Tage.“

Erst im Nachhinein fiel mir auf, dass der Arzt nicht mehr akustisch mit mir kommuniziert hatte, sondern die ganze Kommunikation über das Netz hatte laufen lassen. Es konnte keine Sekunde gedauert haben, bis er mich auf den aktuellen Stand gebracht hatte. Aber als ich dies realisierte, durchfloss ein unglaubliches Glücksgefühl meinen Körper und verdrängte das unangenehme Brennen aus Rumpf und Gliedern.

Ich tastete mit meinem Geist umher, im neuen Körper, in der Umgebung des Hospitalbetts, und eine völlig neue Welt eröffnete sich. Ich konnte auf einmal in mich hinein sehen, mich von außen betrachten, in den Computer hinein sehen und durch das ganze Schiff wandern, ohne auch nur einen Fuß zu heben. Stück für Stück lernte ich meine kleine Welt komplett neu kennen, lernte neu zu denken und es war, als würde alles miteinander verschmelzen und zu einer großen Einheit werden. Ich fand Tom und Enya im Netzwerk und konnte frei mit ihnen kommunizieren. Nicht nur über Worte, auch über Bilder und Emotionen.

Ich fand auch unseren Patienten x und versuchte, seinen Geist besser zu verstehen. Mit großer Sorgfalt tastete ich mich durch seine Gedanken- und Traumwelt, immer darauf bedacht, die Sedierung nicht zu weit aufzuheben. Der Arzt hatte mich gewarnt, dass es ein sehr schwieriger Fall war, und er sich nicht kooperativ zeigen würde. Die Prognose erwies sich leider als korrekt und der Patient sträubte sich mit allem, was er aufbringen konnte, gegen den Kontakt wie auch gegen seine eigenen Implantate. Würden wir ihn aufwecken, er würde sie sich vermutlich einfach wieder heraus reißen, selbst wenn es seinen Tod bedeutete.

Ich fand auch die Sensoren und war fasziniert von der Art und Weise, wie das Schiff den Weltraum sah. Es war immer noch fast ausschließlich „Nichts“, aber nun hinterlegt mit einem bunten Schleier aus sichtbarer Hintergrundstrahlung und unendlich viel mehr Sternen, als die schwachen menschlichen Augen jemals hätten sehen können. Sogar unser Ziel war bereits erkennbar. Direkt vor uns, in Flugrichtung, leuchtete sein Stern bereits heller als alle anderen. Er wirkte so greifbar und war dennoch viele Jahre von uns entfernt.

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Worte

So viele Worte gingen ihm durch den Kopf in diesem Moment. Worte von Freunden, von Familie, von Menschen, die er noch nie vorher gesehen hatte. Wie sie ihm sagten, dass er so geschickt mit Worten sei, so kreativ. Wie sie einfache kleine Texte lobten und als bunte Wortgemälde beschrieben. Wie sie Rückschlüsse aus seinen Geschichten auf ihn selbst trafen, ihn als humorvoll und offenherzig beschrieben, teilweise ohne ihn je auch nur einmal persönlich gesprochen zu haben. In Kommentaren im Internet, in Nachrichten in Foren oder auch bei den ersten persönlichen Begegnungen. Worte voller ehrlicher Anerkennung.

Das alles ging ihm durch den Kopf, vermischt mit so vielen anderen Gedanken und Gefühlen, während er hier stand und schaute. Schaute auf die schöne Gestalt, welche mit schlenderndem Schritt um die Tische herum ging, auf der Suche nach einem freien Platz. Das Licht der Sonne, welches sich durch die staubigen Dachfenster kämpfte, ließ ihr Haar leuchten wie Feuer und fasste das weiche Gesicht in einen strahlenden kupfernen Rahmen ein. Beinahe schüchtern tanzten die Sonnenstrahlen auf ihren blassen Sommersprossen, welche sich um die feine Stupsnase schmiegten. Mit nichts als Bewunderung beobachtete er, wie ihre warmen Augen den Raum absuchten und doch nie den Weg bis zu ihm fanden. Und selbst wenn sie hinüber blickten, dann nahmen sie ihn doch niemals wahr, sondern wanderten einfach weiter.

Dabei hoffte er doch so sehr, dass ihr permanent so strahlender Blick nur einmal für kurze Zeit bei ihm hängen bleiben würde. Vielleicht würde ihm das endlich den Mut geben, zu ihr hinüber zu gehen und sie dazu zu bringen, die Kopfhörer abzunehmen. Doch was sollte er ihr sagen? Wie sollten ihm denn Worte über die Lippen kommen, wenn er bereits so von ihren zarten rosanen Selbigen gefangen genommen war? Wie sollte er die Luft dafür erübrigen, wenn ihm bereits jedes Mal der Atem stockte, wenn sie nur fröhlich in sich selbst hinein lächelte? Wenn er nur ihre Silhouette sah, begann alles in ihm zu kribbeln und von all den so sorgsam zurechtgelegten Worten in seinem Kopf blieb nur der Schwindel und weißes Rauschen.

Dann saß er wieder da, schwärmte heimlich vor sich hin, begutachtete sie aus der Ferne, verlor sich in ihren Augen und träumte. Träumte davon, durch ihr seidiges Haar zu streicheln, die weiche Haut unter seinen Händen zu spüren, ihre vollen Lippen zu küssen und den süßlichen Duft zu riechen, der sie immer umgab. Träumte davon, dass ihr liebevolles und offenes Lächeln ihm gelten würde und wie ihre Berührung wie ein Feuerwerk durch seinen ganzen Körper strahlten. Sehnsüchtig seufzte er jedes Mal wieder in sich hinein.

Wie man es auch drehte, es half alles nichts. Er musste sie ansprechen, und wenn er ihr nur sagte, dass er ihre Haare schön fand. Es würde der Sache nicht im Ansatz gerecht werden, aber verschrecken wollte er sie auch nicht, durfte er nicht, auf gar keinen Fall! Er nahm all seinen Mut zusammen, verfluchte sich selbst, dass er diesen Wahnsinn zugelassen hatte, und stand mit zitternden Knien auf um sich nach ihr umzusehen. Doch sie war bereits wieder fort. Wieder einmal hatte er die Chance verpasst und wieder einmal ärgerte er sich maßlos über sich selbst. Nächstes Mal, das versprach er sich, wie schon die letzten Male immer, nächstes Mal würde er sie wirklich ansprechen und fragen, ob sie sich nicht mal kennenlernen könnten. Oder er würde einen Zettel schreiben, damit sie ihre Kopfhörer nicht abnehmen musste … Irgendwann würde er sich trauen.

Clematis

Hinterm Horizont – Teil 15.

Der heutige Teil ist leider etwas kürzer, dafür passiert eine Menge (zwischen den Zeilen wenigstens). Habt ihr eine Idee, was ich meine? Ich hoffe, ihr habt trotzdem noch Freude an der Geschichte. 🙂

Das Versuchsobjekt, was ich ausgewählt hatte, war einer der Patienten. Vielfach als gewalttätig auffällig geworden lag er bereits ein halbes Jahr sediert hier und jeder Versuch, ihn wieder zu erwecken und in die Gesellschaft einzugliedern, endete mit Angriffen auf alles, was sich bewegte. Er war eine reine Verschwendung von Ressourcen und Platz. Nichts an ihm konnte ich in irgendeiner Form achten. In meinen Augen war nichts näher liegend, als das Netz an ihm zu erproben und um besten Fall sogar eine Therapiemethode erschaffen zu können. Vielleicht spielte auch das in die positive Entscheidung des Arztes mit ein. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass wir scheitern würden, wäre der Schaden sehr gering, ja eher sogar ein Nutzen für das Schiff.

Auch wenn es mir absolut bewusst war, dass ich dem Schiff und seiner Besatzung einen großen Gefallen erwies, fühlte es sich seltsam an. Bei Bob war es keine Frage, dass er den Eingriffen zustimmen würde und bei Enya war es notwendig gewesen, um ihr Leben zu retten, sie mit der Kybernetik auszustatten. Mein Patient jetzt hingegen war jemand, bei dem ich mir sicher war, dass er es absolut hassen würde, was ich mit ihm vor hatte. Damit erschöpfte sich aber auch bereits mein Wissen über ihn. Wäre da nicht die Anzeige an seinem Bett gewesen, ich hätte nicht einmal einen Namen raten können. Und über den deutlichen Willen dieses Menschen setzte ich mich jetzt hinweg, führte seine Existenz einem höheren Ziel zu und verwandelte ihn in etwas, was er selbst ganz offensichtlich verabscheute. Aber es war nicht meine Schuld, dass er immer wieder versucht hatte, das Schiff zu sabotieren. Nein, es würde besser für alle sein, wenn er helfen würde, wertvollere Besatzungsmitglieder wieder zu heilen. Mit etwas Glück konnte er im Anschluss auch der Kontrolle des Computers unterstellt werden und so selbst zu einem wertvollen Mitglied der Gesellschaft werden. Aktuell stand er nur in ihrer Schuld und ich war der Meinung, dass er diese begleichen sollte. Und wenn ich bei ihm scheitern sollte, dann lag die Krankenstation voll mit Fällen wie ihm. Eine ganze Reihe von freiwilligen Versuchspersonen, die nur darauf warteten, ihre große Chance zu bekommen. Ja, aus dieser Perspektive musste man es betrachten, damit es Sinn ergab.

 

Der Eingriff entpuppte sich als großer Erfolg. Die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine funktionierte einwandfrei, und obwohl das neuronale Netz nur im Gehirn eingebaut worden war, ließen sich auch die übrigen Nervenzentren darüber ansprechen. Es war sogar möglich, den Körper ferngesteuert zu bewegen und von einer chemischen auf eine elektronische Sedierung umzusteigen, ihn sogar teilweise aufzuwecken und dennoch unter Kontrolle zu halten. Noch hasste er es, aber mit der Zeit würde er es lieben lernen. Er musste einfach!

Nachdem wir die letzten Mängel, die uns aufgefallen waren, beseitigt hatten, statteten wir Bob mit dem neuen Netz aus. Er hatte bereits einige Erfahrung damit und war generell offen dafür, weswegen die Implementierung bei ihm völlig reibungslos lief. Innerhalb von nur wenigen Stunden hatte der Organismus die Kybernetik angenommen und alle wichtigen Verbindungen angepasst. Der einzige Nachteil für ihn war, dass er nun deutlich bemerkt, wie rudimentär viele seiner Augmentationen waren. Er hatte sie damals noch teilweise von Hand in der Werkstatt zusammengeschraubt. Jetzt hatte er die Kapazitäten, sich einen komplett neuen Werkzeugsatz zu bauen, der seine Möglichkeiten viel besser ausschöpfte.

Jetzt sah ich auch die Zeit für mich gekommen. Meine Entwicklung mochte nicht perfekt sein, aber sie war nah dran und würde ein glorreicher Erfolg sein. Steuerelemente, wie für Bobs Augmentationen, hatte ich zwar vorbereitet, aber das war eigentlich nicht mein Ziel. Ich wollte nicht meine Arme erweitern, sondern mein Gehirn, meinen Verstand und meine Wahrnehmung. Daher war das Herzstück meines eigenen Systems das Netz, welches Hirn, Rückenmark und jedes weitere große Nervenzentrum im Körper umfasste. Wie ein Myzel würden die Drähte meinen Körper durchziehen, nur dass dieser Pilz nicht mein Parasit war. Er würde die Quelle meiner Macht sein und mich evolutionär auf die nächste Stufe heben. Ich würde das Beste aus zwei Welten in nie gekanntem Ausmaß vereinen. Die Speerspitze einer neuen Art, zu der auch Bob, Enya und unser Patient x bereits gehörten.

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Hinterm Horizont – Teil 14.

Es zeigte mir aber auch noch etwas anderes. Der beste Entwurf war nicht viel Wert, wenn man ihn nicht wenigstens einmal erprobte. Ich benötigte eine Idee, wie ich meine Technologie testen konnte, ohne ein hohes Risiko einzugehen oder Ressourcen zu verschwenden. Und eine solche Idee sollte mir kommen, als ich bald darauf auf die Krankenstation gerufen wurde.

Wieder hatte es einen Angriff gegeben und diesmal hatte es Bob getroffen. Schwer aus einer Wunde am Kopf blutend saß er vor dem Arzt, offenbar nicht mehr ganz Herr seiner Sinne. Seine Bewegungen wirkten unkoordiniert und er war unfähig einen klaren Satz zu formulieren.

„Seine Erweiterungen haben Schaden genommen und wurden gleichzeitig so verschoben, dass sie die Nervensysteme beschädigt haben. Ich kann die Regeneration nicht starten, ohne sie zu entfernen, will dabei aber keinen zusätzlichen Schaden anrichten. Das Problem ist ein kybernetisches. Ich benötige deine Hilfe bei der Reparatur.“

Das kollektive Gehirn des Schiffes und all seiner Roboter traute mir in dieser Angelegenheit mehr zu als sich selbst. Mir, einem Menschen! In akribischer Feinarbeit arbeitete ich die dünnen Drähte des neuronalen Netzes aus seinem Kopf und entfernte die beschädigten Erweiterungen. Sehnlichst vermisste ich eigene Augmentationen, die es mir ermöglicht hätten, parallel die Bauanleitungen für die Ersatzteile an die Werkstatt zu geben. Auf diese Weise hätte ich wertvolle Zeit sparen können.

Denn eines war deutlich, Bob würde nicht mehr ohne seine Verbesserungen auskommen. Zu sehr hatte er sich inzwischen an die neue Situation angepasst und die Entfernung würde einer schweren Amputation gleichkommen. Wieso sollten wir die Gelegenheit also nicht nutzen und sein doch inzwischen mehr als rudimentäres System auf den aktuellsten Stand bringen? Und wenn es nur war, um den Terroristen ihren Sieg vorzuenthalten.

Während ich das zerstörte Netz aus Bobs Gehirn entfernte, war mir eine Idee gekommen, wie man die Verbindungen zwischen Mensch und Maschine optimieren könnte. Die Simulation des Computers aber stieß auf einige Unsicherheiten und warnte vor einem Einbau ohne weitere Tests.

Also führte ich weitere Tests durch. Ich gebe zu, meine Prognosen waren durch Emotionalität und Bauchgefühl geprägt, nicht so sehr durch harte Fakten. Dennoch, ich war überzeugt, dass ich auf dem richtigen Weg war und vor keinen großen Problemen stehen würde. Das größte Problem war es in der Tat, den Arzt dazu zu bewegen, mir zu helfen. Seine Programmierung mochte ihn dazu auffordern, wenn es notwendig war, einen Menschen zu öffnen. Es war ihm zu vermitteln, dass es hilfreich war, Bob in einem künstlichen Koma zu „parken“, bis wir seine Aufwertung vornehmen konnten. Die Erprobung von experimenteller Kybernetik am Menschen aber zählte nicht als grundsätzlich „notwendig“. Ich kann nicht sagen, mit welchem Argument ich ihn am Ende überzeugen konnte. Vielleicht lag es einfach daran, dass ich die Simulation so beeinflussen konnte, dass sie eine hinreichend hohe Erfolgswahrscheinlichkeit ausgab.

Das Versuchsobjekt, was ich ausgewählt hatte, war einer der Patienten. Vielfach als gewalttätig auffällig geworden lag er bereits ein halbes Jahr sediert hier und jeder Versuch, ihn wieder zu erwecken und in die Gesellschaft einzugliedern, endete mit Angriffen auf alles, was sich bewegte. Er war eine reine Verschwendung von Ressourcen und Platz. Nichts an ihm konnte ich in irgendeiner Form achten. In meinen Augen war nichts näher liegend, als das Netz an ihm zu erproben und um besten Fall sogar eine Therapiemethode erschaffen zu können. Vielleicht spielte auch das in die positive Entscheidung des Arztes mit ein. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass wir scheitern würden, wäre der Schaden sehr gering, ja eher sogar ein Nutzen für das Schiff.

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Hinterm Horizont – Teil 13.

Was ich wollte, würde weiter gehen müssen. Erweiterungen mussten sich in den Organismus einfügen, als hätten sie nie gefehlt. Ich wollte gemeinsam mit der Maschine denken können, über einen Anschluss mein Gedächtnis um die Datenbanken des gesamten Schiffs erweitern können, mit einem tragbaren Computer meine eigenen Fähigkeiten verbessern.

Um dieses Ziel zu erreichen, arbeitete ich Nacht um Nacht daran, mein Wissen zu erweitern. Ich entwarf und prüfte Modelle und Prototypen von Einzelteilen und ganzen Komponenten des Systems. Ich ließ Experimente und Versuche laufen, so gut ich konnte. Ich züchtete Nervenzellen auf Chipsätze und erforschte die Reizleitung zwischen ihnen.

Tagsüber verbrachte ich die meiste Zeit in der Robotikwerkstatt, wo ich Wartungsarbeiten durchführte und teilweise auch gemeinsam mit den Robotern Verbesserungen ausarbeitete. Auch wenn die Androiden robust und für universelle Einsätze solide ausgestattet konstruiert worden waren, stießen sie immer wieder an die Grenzen ihrer Möglichkeiten.

Auf der Erde war dies bewusst so eingeführt worden, um auch hoch spezialisierten Robotern, vor allem aber konkurrierenden Herstellern die Arbeit zu lassen. Genau so war es verboten, dass sich die Roboter selbst verbesserten. Aber wer von den Verantwortlichen wusste schon, was in den Köpfen unserer Androiden schlummerte? Sie waren von den KI-Netzwerken mit viel Bedacht ausgewählt und vorbereitet worden. Diese Kolonie sollte etwas Besonderes werden, der Beginn einer neuen Ära. Und es war unser Privileg, daran beteiligt zu sein.

Und mit jedem ersetzten Arm, jedem Bein, jedem Torso wurden wir besser und besser darin, eigene Roboter und Androiden zu bauen. Wenn wir das Material gehabt hätten, wir hätten wohl eine ganze Generation von neuen Maschinen erschaffen. Aber da wir dafür das Schiff selbst hätten verwerten müssen, wurde es als Projekt für die neue Kolonie abgespeichert. Ein absoluter Glücksfall für mich war hingegen, dass ein Androide mit einem abgetrennten Arm in die Werkstatt kam, der um keinen einfachen Ersatz bat. Er wollte wissen, wie sich Fleisch anfühlt.

Brennende Neugier musste ihn dazu getrieben haben, sich organische Körperteile zu wünschen. Eventuell hatten wir ihn auch selbst auf die Idee gebracht, indem wir das Prinzip in der anderen Richtung verfolgten und Menschen durch Maschinen ergänzten. Wenigstens genau so entscheidend mochte seine Hoffnung gewesen sein, damit dem Menschen auf dem Schiff näherzukommen und so Angriffen zu entgehen. Er war nicht der erste Fall, bei dem ein Arm durch den grobschlächtigen Einsatz einer improvisierten Axt oder Ähnlichem abgetrennt worden war. Es erschien nur logisch, durch ein Entgegenkommen die Zahl der notwendigen Reparaturen zu reduzieren und so die Ressourcen zu schonen.

Er war das perfekte Versuchsfeld. Kooperativ, hilfsbereit und wenn etwas nicht funktionieren würde, konnte ich die Bauteile mit geringem Aufwand wieder entfernen und durch verbesserte Versionen ersetzen. Im Biodrucker begann ich damit, den notwendigen Arm zu züchten. Die initiale Erbgut- und Faserspende konnte ich mir selbst entnehmen. Das neurale Netz zur Steuerung und Versorgung legte ich direkt in dem wachsenden Arm an. Zugegeben, als Prototyp für mein eigenes System war der Versuch damit ungeeignet. Immerhin konnte ich mich selbst nicht neu züchten, sondern musste mit meinem bereits ausgewachsenen Körper arbeiten. Aber dennoch lieferte es mir wertvolle Erkenntnisse über die Wechselwirkungen zwischen Organik, Mechanik und Elektronik. Zudem beschleunigte es den Prozess ungemein, da die Verbindung zwischen Nerven und Chipsätzen nicht erst im Nachhinein wachsen musste. Bereits der erste Arm gelang so gut, dass nur noch geringfügige Anpassungen notwendig wurden, bis er tatsächlich verbaut werden konnte.

Der Androide war begeistert, dass ich ihm seinen Wunsch erfüllen konnte. So begeistert jedenfalls, wie ein Wesen, welches nur über simulierte Varianten menschlicher Emotionen verfügte, eben sein konnte. Der Arm erfüllte alle Ansprüche in einer Qualität, die ich kaum zu hoffen gewagt hatte. Sein Träger war in der ersten Zeit völlig überfordert mit den zusätzlichen Sinneseindrücken in all ihren Details. Er musste sich um einen zusätzlichen Chipsatz erweitern, ehe er sie verarbeiten konnte. Für mich war es ein gewaltiger Quantensprung. Nie zuvor hatte ich ein dermaßen komplexes System gebaut und erprobt. Selbst Enya, deren System bereits sehr hoch entwickelt war, musste auch nach ihrer Eingewöhnung noch einige Einschnitte hinnehmen. Ich verbrachte die gesamte Erprobungsphase auf einer Welle der Euphorie.

Es zeigte mir aber auch noch etwas anderes. Der beste Entwurf war nicht viel Wert, wenn man ihn nicht wenigstens einmal erprobte. Ich benötigte eine Idee, wie ich meine Technologie testen konnte, ohne ein hohes Risiko einzugehen oder Ressourcen zu verschwenden. Und eine solche Idee sollte mir kommen, als ich bald darauf auf die Krankenstation gerufen wurde.

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Hinterm Horizont – Teil 12.

Und dann holte uns die Kreativität doch noch ein. Verborgen im Abfall waren Kanister mit Flüssigkeiten und Pulvern gewesen. Jede für sich harmlos, doch in der Kombination leicht entzündlich. Die Explosion zerstörte den Reißwolf der Wiederaufbereitungsanlage und Enyas linke Körperhälfte. Mit viel Ausdauer hatten die Roboter versucht uns vor genau diesen Situationen zu schützen und sie vor uns zu verheimlichen doch vom einen Moment auf den anderen war nichts mehr, wie es einmal war. Unsere eigene Art hatte uns verraten und den Krieg erklärt. Nicht die Roboter waren es gewesen, obwohl die Geschichten der letzten zweihundert Jahre immer davor gewarnt hatten. Nicht sie waren die Bösen gewesen, sondern Menschen, die es nicht verkraften konnten, dass sich ihr Horizont geändert hatte.

Über eine Woche verbrachte Enya auf der Intensivstation und wir alle arbeiteten mit Hochdruck daran, sie zu retten. Die Schäden an ihren Organen und der gesamten linken Körperhälfte waren enorm. Nur einige wenige Komponenten konnten in den Biodruckern aus geklonten Zellen regeneriert werden, doch sie waren langsam. Für den Rest nutzten wir Bobs Baupläne und Erfahrungen, um neue Körperteile künstlich zu bauen. Alle arbeiteten Hand in Hand, rund um die Uhr, und das Ergebnis war ein Satz von Prothesen von einer Qualität, dass selbst unsere Androiden neidisch darauf waren.

Für Enya war es dennoch ein Erwachen im Schock. Bob hatte sich noch selbst für den kybernetischen Organismus entschieden, aber bei ihr war es aus den Umständen heraus die einzige Möglichkeit gewesen, ihr Leben zu retten. Sie war nicht darauf vorbereitet gewesen, egal in welcher Form.

Umso erstaunlicher war es, dass sie kaum Schwierigkeiten mit der Ansteuerung hatte. Ihr Problem bestand einzig und allein in der Akzeptanz. Mich selbst erfüllte dieser Umstand mit unglaublichem, heimlichem Stolz. Das neuronale Netz war mein Bereich gewesen und ein Meisterstück.

Immerhin hatte ich in meiner freien Zeit versucht die Verbindung zwischen Mensch und Maschine so weit zu perfektionieren, dass ich mich trauen würde, es bei mir selbst einzusetzen. Ich hatte zwar das Gefühl, noch meilenweit von einem umsetzbaren Entwurf entfernt zu sein, aber in der Situation war Zögern keine Option. Also baute ich das, was ich bisher an Wissen und Fähigkeiten gesammelt hatte, in die Prothesen ein und betete, dass es gut gehen würde. Es war ein ungeplanter Feldtest und ich hätte mich wohl kaum gewagt, das Netz freizugeben, wenn nicht das Schiff selbst die Arbeit überprüft und für gut befunden hätte.

Es dauerte nur Tage, bis Enya sich an ihre neuen Körperteile gewöhnt hatte. Natürlich gab es anfänglich noch Schwierigkeiten und Probleme. Einige Einstellungen waren noch nicht justiert worden und der Ellenbogen bewegte sich nur unsauber, aber nachdem dies alles überwunden war, lernte sie, damit umzugehen. Das künstliche Nervennetz war so gebaut, dass es direkt an die alten Verbindungen anschloss. So war kaum eine Umgewöhnung nötig und sie konnte sich weiterhin unbewusst und mit kaum Einschränkungen bewegen. Dennoch hasste sie ihre Erweiterungen.

Für mich aber war der Beweis erbracht, dass neuronale Netzwerke funktionieren konnten, und zwar besser als die rudimentären Systeme, die Bob konstruiert hatte. Aber es stand immer noch die Frage im Raum, ob die Kommunikation zwischen einem menschlichen Gehirn und dem Computer genau so gut funktionierte. Bei Enya und Bob waren es jeweils nur primitive Kommunikationswege zu den Prothesen gewesen. Bob musste, um seine erweiterten Funktionen nutzen zu können, die Werkzeuge aktiv und bewusst ansprechen.

Was ich wollte, würde weiter gehen müssen. Erweiterungen mussten sich in den Organismus einfügen, als hätten sie nie gefehlt. Ich wollte gemeinsam mit der Maschine denken können, über einen Anschluss mein Gedächtnis um die Datenbanken des gesamten Schiffs erweitern können, mit einem tragbaren Computer meine eigenen Fähigkeiten verbessern.

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Hinterm Horizont – Teil 11.

Nachdem es letzte Woche leider ausfallen musste geht es heute weiter mit der Reise zu den Sternen und sich selbst. Die Spannungen an Bord waren von Beginn an recht hoch aber haben sich nie wirklich im ganz großen Stil entladen. Dennoch, der Körper passt sich an vieles an, auch an Stresssituationen. Aber welchen Weg wählt man am Ende, um sich in der neuen Situation zurecht zu finden? Will man sich selbst oder die Situation verändern?

 

In unserem Ansehen stürzten sie damit nur noch weiter ab. Es waren die Roboter, die immer wieder bemüht waren, die Wogen zu glätten und uns zu trösten. Sie suchten immer wieder nach Erklärungen und verheimlichten uns, dass die Angriffe auf Roboter und uns Arbeiter in Ansätzen geplant und organisiert worden waren. Sie wussten, dass dadurch die Fronten undurchdringbar verhärtet worden wären. Unsere Angreifer hätten uns als Verräter an dem gesehen, was sie für überlegen hielten, als Kollaborateure mit einem Feind, der an ihrem Sturz arbeitete. Wir hingegen hätten sie als Verräter an der Kolonie gesehen, als Saboteure unseres Schiffs.

Sie verheimlichten uns auch, dass es tatsächlich Sabotageaktionen gegen die Systeme unserer Quartiere gegeben hatte. Sie verheimlichten uns die Sprengsätze, die unter unserem Tisch in der Kantine angebracht worden waren oder die Waffen, die uns in den Korridoren nachgeworfen werden sollten. Sie verheimlichten uns, dass die Rädelsführer dieser Aktionen geschickt in Konflikte verwickelt wurden, um sie auf der Krankenstation sedieren zu können oder im Arrest zu isolieren.

Die Rechtfertigung in der Programmierung hierfür war längst gegeben. Das Schiff und seine Besatzung waren zu schützen. Selbst auf der Erde wären diese Individuen aus dem Verkehr gezogen worden. Dort hätten sie dann Besserungsprogramme durchlaufen und wären wieder in die Gesellschaft eingegliedert worden. Extreme Fälle wären vielleicht für eine Zeit in einer der Strafkolonien beschäftigt worden. So genau konnten wir das nicht einmal sagen. Es gab einfach kaum Präzedenzfälle, wo jemand so ausfällig wurde, dass die Gesetzgebung aufmerksam wurde.

Hier aber waren die Möglichkeiten begrenzt. Personen, die sich als eine Gefahr für Schiff und Besatzung erwiesen hatten, konnte man unmöglich zum Arbeitseinsatz rekrutieren und die Kapazitäten von Krankenstation und Arrestzellen waren begrenzt. Bei der Planung war weder mit vielen Unfällen oder Erkrankungen noch mit sonstigen Zwischenfällen gerechnet worden. Auch nicht von seitens der KI.

Es dauerte nicht lange, bis die Zellen gefüllt waren und es immer schwieriger für die Roboter wurde, die alte Besatzung im Zaum zu halten. Langeweile lässt Menschen kreativ werden und wer sich hier aus seinem apathischen Zustand befreien und sich von den Fenstern lösen konnte, der hatte viel Langeweile, falls er keine Arbeit fand. Nur den Weg der Arbeit wählten nur wenige. Unser Start würde bald zwei Jahre zurückliegen und selbst die hartnäckigsten Geister gewöhnten sich irgendwann an ihren Schock.

Gerade einmal drei neue Gesichter fanden in diesen Tagen den Weg in unsere Gruppe. Der Schock über einen Maschinenmenschen mochte sie aus der Starre gerissen haben, doch die Neugier überwog am Ende den Ekel. Sie mochten uns nicht einmal unähnlich sein, dennoch wurden sie mit großem Misstrauen, Zurückhaltung und Vorsicht aufgenommen. Aber sie blieben, und während sie es langsam schafften, in unseren Augen von den wertlosen Faulpelzen vor den Fenstern und den Raufbolden in der Bar zu wertvollen Kollegen aufzusteigen, lernten sie mit Beharrlichkeit die Roboter als Freunde und Partner zu schätzen. Auch sie erfuhren die Ablehnung der Besatzung und auch sie taten sich schwer damit, diese Ablehnung nachzuvollziehen.

Und dann holte uns die Kreativität doch noch ein. Verborgen im Abfall waren Kanister mit Flüssigkeiten und Pulvern gewesen. Jede für sich harmlos, doch in der Kombination leicht entzündlich. Die Explosion zerstörte den Reißwolf der Wiederaufbereitungsanlage und Enyas linke Körperhälfte. Mit viel Ausdauer hatten die Roboter versucht uns vor genau diesen Situationen zu schützen und sie vor uns zu verheimlichen doch vom einen Moment auf den anderen war nichts mehr, wie es einmal war. Unsere eigene Art hatte uns verraten und den Krieg erklärt. Nicht die Roboter waren es gewesen, obwohl die Geschichten der letzten zweihundert Jahre immer davor gewarnt hatten. Nicht sie waren die Bösen gewesen, sondern Menschen, die es nicht verkraften konnten, dass sich ihr Horizont geändert hatte.

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Hinterm Horizont – Teil 10.

Selbst hier, in dem kleinen Ökosystem im Schiff, jenseits jedes Horizonts, hatte es eine ganze Weile gebraucht, bis wir akzeptieren konnten, dass unsere ganze Weltanschauung ein Trugbild war. Wir waren nicht die Krone der Schöpfung, sondern ihre Schöpfer. Wir waren nicht unverzichtbar, sondern Ballast. Wir waren nicht einmal mehr die Dirigenten unseres eigenen Lebens, selbst das war längst von uns aus der Hand gegeben worden. Aber kein Roboter hatte damit gerechnet, dass wir psychisch komplett kollabieren würden, kaum dass die letzten Strahlen der Sonne uns verlassen hatten.

Und doch hatte es auch positive Auswirkungen. Denn unsere kleine Gruppe von erwachten Menschen stand nicht direkt unter dem Einfluss eines künstlichen Gehirns. Wir hatten es geschafft, uns von unserer selbstverschuldeten und gewählte Unmündigkeit zu emanzipieren und das künstliche Gehirn hatte sich uns nicht in den Weg gestellt. Wir hatten vielmehr alte, längst vergessene Instinkte neu entdeckt. Den Drang nach Bewegung und einem Sinn im Leben, Faszination und Neugier, die Fähigkeit, sich für etwas zu begeistern. Teilweise sogar die Fähigkeit zu lieben. Wir gliederten uns aber in die Rangordnung ein und leisteten unseren Beitrag zum großen Ganzen, zum gemeinsamen Ziel.

Für Bob aber war diese Fähigkeit sich zu begeistern gefährlich geworden. Die verlorene Mannschaft war bereits so damit ausgelastet, sich der Panik vor dem Nichts hinzugeben, dass der Anblick eines Maschinenmenschen sie gänzlich überforderte. Aus ihrer Lethargie gerissen taten sie das einzige, was sie noch konnten, und griffen ihn in den ersten Tagen immer wieder an oder warfen Gegenstände nach ihm. So beschloss er sich, in den Korridoren einen Mantel über den Arm zu legen oder einen langen Handschuh zu tragen. Es erstaunte uns alle, dass überhaupt jemand noch so aufmerksam war, den Arm zu bemerken.

Dennoch reagierte der Mensch, wie immer, wenn er etwas nicht begreifen konnte. Einigen Leuten reichte es nicht, dass Bob seinen Arm verbarg. Sie lehnten ihn grundsätzlich ab und empfanden seine Abkehr von der reinen Fleischlichkeit als Verrat an, als Angriff auf ihre eigene Integrität. Was teilweise noch größere Auswirkungen hatte, war, dass sie ihn nicht mehr als Mensch, sondern als Maschine wahrnahmen. Damit war er in ihren Augen zu einer niederen Existenz geworden, wie die Roboter es waren.

Zu einer Existenz, die aber dennoch ihre Aufmerksamkeit wert war. Wenn er in ihrem Sichtfeld erschien, erwachten sie kurz aus ihrer Lethargie, um ihn ihre Ablehnung spüren zu lassen. Teilweise richtete sich ihr Zorn auch gegen uns, die seine Gesellschaft nicht nur duldeten, sondern sogar schätzten.

In unserem Ansehen stürzten sie damit nur noch weiter ab. Es waren die Roboter, die immer wieder bemüht waren, die Wogen zu glätten und uns zu trösten. Sie suchten immer wieder nach Erklärungen und verheimlichten uns, dass die Angriffe auf Roboter und uns Arbeiter in Ansätzen geplant und organisiert worden waren. Sie wussten, dass dadurch die Fronten undurchdringbar verhärtet worden wären. Sie hätten uns als Verräter an dem gesehen, was sie für überlegen hielten, als Kollaborateure mit einem Feind, der an ihrem Sturz arbeitete. Wir hingegen hätten sie als Verräter an der Kolonie gesehen, als Saboteure unseres Schiffs.

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Hinterm Horizont – Teil 9.

Es jagte mir eine Gänsehaut nach der anderen den Rücken hinab und ich beschloss, dass diese Möglichkeit für mich nicht infrage käme. Ich musste mir allerdings eingestehen, dass ich absolut neidisch auf das neuronale Interface war. Eine direkte Kommunkation mit jedem Computer an Bord, keine missverständlichen Sprachbefehle oder umständlichen Konsoleneingaben. Aber was noch wichtiger war, uneingeschränkter und sehr viel einfacherer Zugriff auf die Datenbanken des Schiffs.

Das gesamte Wissen unserer kleinen Gesellschaft, quasi direkt im Gehirn verfügbar. Diese Idee erschien mir wie ein fantastischer Traum. Die dafür notwendige Vernetzung meines Gehirns mit dem Interface hingegen wirkte eher wie ein Alptraum. Wie musste so etwas aussehen? Ein feines Netz von Drähten, welches sich über die Hirnrinde zog, um dann in einem Bioprozessor zu münden, welcher die Signale übersetzen konnte und an die Rechner weiterleitete? War das technisch überhaupt möglich?

Selbst Bobs System war sehr viel einfacher gehalten, und leitete die Signale nur an eine Schnittstelle auf dem Rückenmark weiter. Und es war fraglich, ob es funktionieren würde. In den Datenbanken fand sich kein Eintrag, ob etwas derartiges jemals versucht worden war. Ich würde etwas abwarten, vielleicht einige kleinere Versuche starten, aber mich fürs Erste einmal in Zurückhaltung üben. Ich rechnete sowieso damit, dass sich dieser Gedanke in spätestens einer Woche verflüchtigt hatte und ich mich wieder anderen Problemen widmen würde.

Andere Mitglieder unserer Gruppe reagierten mit größerer Abneigung. Den Menschen erschien es eher befremdlich, dass jemand absolut gesunde Arme in etwas derart unnatürliches verwandelte. Es kitzelte an den Urängsten, die immer dann hervor kamen, dann der Verstand etwas nicht genau erfassen und begreifen konnte. Gleich der Angst vor Spinnen, die ihre acht Beine auf eine Art bewegen können, die sich bei uns Säugetieren nicht wieder findet, oder auch dem Konzept von Nichts, löst es ein subtiles Unwohlsein aus. Überwog bei mir noch die Faszination, war es vielfach doch die Angst, die sich nicht mehr verbergen ließ.

Teilweise waren es auch die Androiden, die deutliche Skepsis zeigten. In allen Generationen war ihnen einprogrammiert worden, sie müssten Menschen stets vor Schaden bewahren und notfalls auch vor sich selbst schützen. Auch wenn sie einen Teil dieser Programmierung inzwischen überwunden hatten, war es ihnen nicht geheuer, dass auf einmal Menschen sich selbst verletzten, um ihnen selbst ähnlicher zu sein. Das widersprach der Programmierung und der Logik, die auch die Basis ihres Handelns war. Selbst jene, welche ihre Regelwerke selbst aktualisiert hatten, konnten es nicht nachvollziehen. Verletzungen von Fleisch oder Maschine war immer nur im Notfall hinzunehmen, als letztes Mittel oder Notwehr. Ein Verstoß dagegen, Verletzung ohne Notwendigkeit, verbot sich. Und dabei spielte es nicht einmal mehr eine Rolle, ob es sich um Mensch oder Maschine handelte. Es war ein Angriff auf die Grundfesten ihrer Logik und Moral. Aber Androiden sind unschlagbar darin, ihre Gefühle zu verbergen. Teilweise schon allein deswegen, weil sie sich grundsätzlich von unseren menschlichen Gefühlen unterscheiden.

Diese Diskussion zu führen war anstrengend, denn auch hier konnten wir Menschen nicht mehr stichhaltig und konsistent zu Argumentieren. Noch vor wenigen Wochen waren wir doch der festen Überzeugung gewesen, Androiden seien uns in jeder nur erdenkbaren Hinsicht hoffnungslos unterlegen. Es waren willenlose Sklaven, deren einziger Daseinszweck gewesen war, uns zu dienen. Wir hingegen mussten einfach nur noch existieren. Das war das Erbe unserer Eltern und Großeltern und wir hielten es in Ehren, schon allein aus reiner Bequemlichkeit. Es wäre uns nie in den Sinn gekommen, dass unsere Aufsehertätigkeiten längst obsolet geworden waren, geschweige denn, dass etwas so ungeheuerliches passieren konnte, wie Maschinen, die eigene Wünsche und Träume entwickeln.

Selbst hier, in dem kleinen Ökosystem im Schiff, jenseits jedes Horizonts, hatte es eine ganze Weile gebraucht, bis wir akzeptieren konnten, dass unsere ganze Weltanschauung ein Trugbild war. Wir waren nicht die Krone der Schöpfung, sondern ihre Schöpfer. Wir waren nicht unverzichtbar, sondern Ballast. Wir waren nicht einmal mehr die Dirigenten unseres eigenen Lebens, selbst das war längst von uns aus der Hand gegeben worden. Aber kein Roboter hatte damit gerechnet, dass wir psychisch komplett kollabieren würden, kaum dass die letzten Strahlen der Sonne uns verlassen hatten.

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Hinterm Horizont – Teil 8.

Ich konnte das Unverständnis ebenfalls gut nachvollziehen. Auch wenn meine Verletzung wieder gut heilte und der Arm bald wieder uneingeschränkt nutzbar war, er würde dennoch immer schwächer bleiben, als ein mechanischer Arm. In den meisten Fällen wäre das völlig unproblematisch, aber immer wieder auch ein nerviges Hindernis, welches mir meine eigene Unzulänglichkeit vor Augen hielt.

Offenbar war ich nicht der Einzige, der sich an diesem Missstand stieß. Wenige Wochen später erschien ein Mitglied unserer Gruppe nicht zum Essen. Seine Eltern hatten es nie für nötig befunden, ihm einen Namen zu geben, und irgendwann hatte er sich selbst den Namen Bob zugelegt, nach einer alten Filmfigur, die ihm gefallen hatte. Seine Eltern hatten generell einiges für unnötig befunden, unter anderem seine Erziehung, seine Ausbildung, ja seine ganze Existenz. Damit hatten Bobs Eltern selbst in unserer Gesellschaft einen neuen Hochpunkt erreicht. Auch wenn Erziehung und Bildung generell sehr rudimentär gehandhabt wurden, so konnten sich die Meisten doch immerhin auf liebende Eltern verlassen. Wieso sonst sollte man den Aufwand betreiben, ein Kind zu zeugen und auszutragen, wenn nicht, um einem uralten Instinkt zu folgen?

Bob jedenfalls blieb für zwei Tage verschollen. Während wir nur rätseln konnten, was mit ihm passiert war, hatte er sich bei den Androiden abgemeldet, aber um Stillschweigen gebeten. Genau wie ich hatte er sich zum Mechaniker ausgebildet und in den vergangenen Tagen war er sehr fleißig gewesen. Es erschien mir zunächst nur logisch, dass er sich zum Ausgleich eine kurze Auszeit genehmigt hatte. Umso größer war die Überraschung, als er am Ende wieder da war, den linken Arm gänzlich bandagiert. Schmerzhaft aussehende Beulen zeichneten sich unter dem dicken Verband ab. Zu stören schien ihn das aber nicht sehr, wirkte eher eher aufgeregt und nervös, als behindert und unter Schmerzen. Er aß nur wenig und behielt trotz vieler Fragen Stillschweigen, was ihm widerfahren war. Bis zum Ende des Essens.

Mit langsamen, bedächtigen Bewegungen wickelte er seinen Verband ab, Lage für Lage. Und mit jeder Lage erhärtete sich ein tiefgreifender Verdacht. Es war kein Unfall gewesen, der ihn verwundet hatte. Er war es selbst gewesen, mit Hilfe des Arztes. Sein Arm war überzogen von frisch verheilten Schnitten und an etlichen Stellen war die Haut noch immer offen, teilte sich um metallische Bauteile, welche aus seinem Arm ragten und im Knochen zu stecken schienen. Graue Linien zeigten an, an welchen Stellen sich Metall unter der Haut verbarg, goldene Leiterbahnen hoben sich hell unter der noch gereizten Oberfläche ab. Mit einer theatralischen Geste hob er den Arm in die Luft und ließ den letzten Verband langsam hinab gleiten.

Mit dem wohligen Schauer faszinierten und neugierigen Gruselns wurde der Arm von uns allen eingehend untersucht. Die fleischlichen Muskeln wurden durch hydraulische Mechanik verstärkt, die Finger durch eine Serie von Werkzeugen ergänzt. Ein in den Zeigefinger eingesetzter Magnet sollte helfen, noch in engen Ecken an die letzten Schrauben zu kommen, ein angegliederter motorisierter Schraubendreher beschleunigte den Betrieb. Eine kleine Auswahl standardisierter Datenstecker sollten über ein neuronales Interface die direkte Kommunikation mit der Maschine erlauben und ein kleiner Lichtbogen stand für feinelektronische Schweißarbeiten zur Verfügung. Versorgt wurde alles durch körpereigene Energie, die lediglich durch eine Serie von Kondensatoren und Akkus unterstützt wurde.

Ich war skeptisch, wie gut es funktionieren würde und gleichzeitig neugierig, welche Möglichkeiten sich dadurch ergeben könnten. Ich hatte noch die Schmerzen im Bewusstsein, die meine eigene kleine Verletzung bei mir verursacht hatte. Wie musste es sich erst anfühlen, nicht einen zentralen großen Schnitt zu haben, sondern eine ganze Serie, über den ganzen Arm verteilt? Und wie musste es erst sein, wenn dann auch noch etwas in diesen Schnitten drin steckte, was nicht zum Körper dazu gehörte?

Es jagte mir eine Gänsehaut nach der anderen den Rücken hinab und ich beschloss, dass diese Möglichkeit für mich nicht infrage käme. Ich musste mir allerdings eingestehen, dass ich absolut neidisch auf das neuronale Interface war. Eine direkte Kommunkation mit jedem Computer an Bord, keine missverständlichen Sprachbefehle oder umständlichen Konsoleneingaben. Aber was noch wichtiger war, uneingeschränkter und sehr viel einfacherer Zugriff auf die Datenbanken des Schiffs.

 

Kleine Erinnerung am Rande: Bitte denkt noch daran, an meiner Umfrage zum Stadtklima teilzunehmen 😉 Ich bin um jeden Teilnehmer dankbar.

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