Hinterm Horizont – Teil 16.

Jetzt sah ich auch die Zeit für mich gekommen. Meine Entwicklung mochte nicht perfekt sein, aber sie war nah dran und würde ein glorreicher Erfolg sein. Steuerelemente, wie für Bobs Augmentationen, hatte ich zwar vorbereitet, aber das war eigentlich nicht mein Ziel. Ich wollte nicht meine Arme erweitern, sondern mein Gehirn, meinen Verstand und meine Wahrnehmung. Daher war das Herzstück meines eigenen Systems das Netz, welches Hirn, Rückenmark und jedes weitere große Nervenzentrum im Körper umfasste. Wie ein Myzel würden die Drähte meinen Körper durchziehen, nur dass dieser Pilz nicht mein Parasit war. Er würde die Quelle meiner Macht sein und mich evolutionär auf die nächste Stufe heben. Ich würde das Beste aus zwei Welten in nie gekanntem Ausmaß vereinen. Die Speerspitze einer neuen Art, zu der auch Bob, Enya und unser Patient x bereits gehörten.

 

Es war eine lange und anstrengende Nacht, aus der ich am Ende erwachte. Ich erinnere mich an ein brennendes Gefühl im ganzen Körper und an eine große, verwirrende Stille, die auf die Rufe meines Geistes antwortete. Ich fürchtete schon, einen Fehlschlag erlitten zu haben, als der Arzt an mein Bett trat und das Eindämmungsfeld runter regelte.

„Die Operation ist erfolgreich verlaufen, aber dein Nervensystem ist noch nicht für die kommenden Reize ausgelegt. Daher wirst du in diesem Schutzfeld bleiben müssen, bis wir dich entsprechend kalibriert haben. Bob hat mit Erfahrungen einige Stunden gebraucht, bei dir erwarte ich zwei oder drei Tage.“

Erst im Nachhinein fiel mir auf, dass der Arzt nicht mehr akustisch mit mir kommuniziert hatte, sondern die ganze Kommunikation über das Netz hatte laufen lassen. Es konnte keine Sekunde gedauert haben, bis er mich auf den aktuellen Stand gebracht hatte. Aber als ich dies realisierte, durchfloss ein unglaubliches Glücksgefühl meinen Körper und verdrängte das unangenehme Brennen aus Rumpf und Gliedern.

Ich tastete mit meinem Geist umher, im neuen Körper, in der Umgebung des Hospitalbetts, und eine völlig neue Welt eröffnete sich. Ich konnte auf einmal in mich hinein sehen, mich von außen betrachten, in den Computer hinein sehen und durch das ganze Schiff wandern, ohne auch nur einen Fuß zu heben. Stück für Stück lernte ich meine kleine Welt komplett neu kennen, lernte neu zu denken und es war, als würde alles miteinander verschmelzen und zu einer großen Einheit werden. Ich fand Tom und Enya im Netzwerk und konnte frei mit ihnen kommunizieren. Nicht nur über Worte, auch über Bilder und Emotionen.

Ich fand auch unseren Patienten x und versuchte, seinen Geist besser zu verstehen. Mit großer Sorgfalt tastete ich mich durch seine Gedanken- und Traumwelt, immer darauf bedacht, die Sedierung nicht zu weit aufzuheben. Der Arzt hatte mich gewarnt, dass es ein sehr schwieriger Fall war, und er sich nicht kooperativ zeigen würde. Die Prognose erwies sich leider als korrekt und der Patient sträubte sich mit allem, was er aufbringen konnte, gegen den Kontakt wie auch gegen seine eigenen Implantate. Würden wir ihn aufwecken, er würde sie sich vermutlich einfach wieder heraus reißen, selbst wenn es seinen Tod bedeutete.

Ich fand auch die Sensoren und war fasziniert von der Art und Weise, wie das Schiff den Weltraum sah. Es war immer noch fast ausschließlich „Nichts“, aber nun hinterlegt mit einem bunten Schleier aus sichtbarer Hintergrundstrahlung und unendlich viel mehr Sternen, als die schwachen menschlichen Augen jemals hätten sehen können. Sogar unser Ziel war bereits erkennbar. Direkt vor uns, in Flugrichtung, leuchtete sein Stern bereits heller als alle anderen. Er wirkte so greifbar und war dennoch viele Jahre von uns entfernt.

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