Spaziergänge
Das war es gewesen, das Semester. Flo hatte seine letzte Hausarbeit abgegeben und die letzte Klausur geschrieben. Gut gelaufen war es nicht, eher im Gegenteil. Bei vielen Arbeiten wäre er einfach nur zufrieden, wenn sie bestanden waren. Nicht glücklich, aber immerhin zufrieden. So realistisch war er, um einzusehen, dass aus seinen Arbeiten einfach nicht viel herauszuholen war. Das, was ihn dabei am meisten störte, war, dass eine dieser Arbeiten sein Abschluss war.
Mia hatte ihre Bachelorarbeit bereits vor einem Semester eingereicht und war darüber beinahe verzweifelt. Dieses Semester hatten Erik und er dann nachgezogen, und während Erik sich gründlich Mühe gegeben hatte und ein umfangreiches Thema bearbeitet hatte, war es bei ihm selbst eine fast reine Literaturarbeit geworden. Also im Grunde nur eine Hausarbeit von vielen, in etwas ausführlicherer Form. Es war nicht gewesen, was er sich gewünscht hatte, aber es war verfügbar gewesen und für ihn einfach zu bewältigen. Der Weg des geringsten Widerstandes, auf den er nicht stolz war, aber es beendete für ihn ein Kapitel, was eh bereits viel zu lange andauerte.
Und was war nun? Es änderte sich im Grunde nichts. Gemeinsam mit Erik und Mia würde er auch weiterhin in die Vorlesungen gehen. Im letzten Semester hatte er neben den Bachelorkursen bereits einzelne Masterkurse besucht, auch wenn er teilweise nur als Gasthörer zugelassen war. Aber immerhin machte sich ein minimaler Fortschritt bemerkbar.
Er hatte mehr als zwei Jahre länger gebraucht als Mia oder Erik aber nun hatte er seinen ersten Abschluss. Aber sollte sich das echt so anfühlen? Wo blieb der Stolz, das erhabene Gefühl, die Erleichterung oder Befriedigung? Sollte sich das nicht anders anfühlen als eine gewöhnliche Hausarbeit? Wieso war da nur die übliche Frustration? Wieso war da nicht mehr, als dieses ausgelaugte, abgebrannte Gefühl?
Flo nutzte einen freien Tag, um die Umgebung seiner neuen Heimat etwas besser kennenzulernen. Mit lauter Musik auf den Ohren stiefelte er durch die Felder der Umgebung und hing seinen Gedanken nach. Wenn es nur um ihn selbst gegangen wäre, würde es ihn vielleicht nicht stören. Er würde seine Noten ableisten wie früher und das war es dann. Er hatte bereits viel Zeit an der Uni verbracht, bevor Mia und Erik ihn in ihre Lerngruppe integriert hatten und wenn er mit sich selbst ehrlich war, dann war er drauf und dran gewesen, die Uni komplett aufzugeben, als es so weit war. Aber dann war er besser geworden, hatte Motivation bekommen und durchgehalten. Zwischenzeitlich war er sogar ziemlich gut geworden und hatte Spaß an der Sache entwickelt.
Doch besonders das letzte Semester über hatte er bemerkt, wie seine Kräfte, und besonders die Geduld, schwanden. Sein Grund, durchzuhalten, war gewesen, den Abschluss fertig zu schreiben. Das war sein Ziel gewesen. Bis hier hin wollte er durchhalten, koste es, was es wolle. Dafür hatte er bereits zu viel Zeit darein investiert. Aber wieso saß er nun im Master? Was hatte er sich dabei gedacht? Woher sollte er die Nerven dafür noch auftreiben können?
Statt sich einzugestehen, dass er schlicht zu demotiviert und faul gewesen war, sich eine Alternative zu suchen, versuchte er es auf Kristina abzuwälzen. Für sie mühte er sich ab, einen besseren Abschluss zu erringen. Für sie wollte er die höhere Qualifikation, um ihr eher zu genügen. Und wer konnte wissen, was noch alles folgte? Irgendwann würden sie vielleicht eine Familie haben, die es zu versorgen galt. Mit Kristinas Job alleine würde das vermutlich schwer werden. Aber auch wenn es noch ein wenig bis dahin war, so langsam brauchte er wirklich dringend eine Richtung in seinem Leben. Durch den Bachelor hatte er es ohne nennenswerte Spezialisierung geschafft, aber damit war jetzt Schluss. Er brauchte ein festes Ziel! Und ganz viel Kraft, um das zu erreichen.
Mit dieser Erkenntnis fielen die letzten Sonnenstrahlen auf das zarte Grün der Äcker. Flo zog den Kragen von seiner Jacke hoch und fror trotzdem. Auch wenn der Frühling nun da war, sobald die Sonne verschwand, wurde es schnell empfindlich kalt. Wenn er sich jetzt auf den Heimweg machte, würde er immerhin noch gemeinsam mit seiner Freundin dort ankommen. Seine Idee, das Abendessen bis dahin fertig zu haben, kam erst jetzt wieder zurück. Er war zu sehr in seine Gedanken versunken gewesen und hatte den Eindruck, nichts damit gewonnen zu haben. Wenigstens hatte er die Töpfe schon auf dem Herd stehen und musste nur noch kochen. So vorausschauend war er noch gewesen.