Ich sitze am Fenster und sehe den Regentropfen dabei zu, wie sie sich ein Wettrennen an der Außenseite entlang liefern. Sitzen ist dabei vielleicht nicht ganz der richtige Ausdruck. Ich liege eher, den Kopf auf die über Kreuz geschlagenen Arme gelegt, die Nase an die Oberkante des Fensterrahmens gedrückt, die Stirn gerade so weit von der kalten Scheibe entfernt, dass sie nicht auskühlt. Ich habe mir extra diesen Platz auf meiner Fensterbank freiräumen müssen. Links von mir drängen sich zwei Blumentöpfe, einer mit Zwiebeln, einer mit Basilikum. Auf der anderen Seite ringen die Setzlinge von einer Tomate und einer Paprika um Sonnenlicht. Heute werden sie wohl kein Glück mehr haben und ich auch nicht.
Der Regen hat bereits vor Stunden begonnen und seitdem nicht mehr aufgehört. Meinen noblen Vorsatz, nach Hause zu laufen, habe ich nicht einmal versucht umzusetzen. Dabei hatte ich mich wirklich auf die Bewegung an frischer Luft gefreut und sogar geplant, die längere Route durch den Park zu gehen. Die Magnolien müssten langsam in voller Blüte stehen und bei Sonnenschein ist das wirklich ein toller Anblick. Doch statt sonnendurchfluteter Magnolienblüten bleibt mir nur das Fenster mit einem schrecklich trüben Ausblick und ein wenig Melancholie.
Dabei hatte der Tag so schön begonnen. Mit strahlendem Sonnenschein und sogar etwas, was zwar noch keine wirkliche Wärme, wenigstens aber schon einmal keine Kälte mehr war. Herzenswärme vielleicht, denn auch wenn die Sonnenstrahlen, wie sie sich wagemutig vom Frühlingshimmel herabwerfen, noch keine Chance gegen den kalten Morgenwind haben, so können sie doch wenigstens einen Vorgeschmack auf den Sommer geben, dass es einem warm ums Herz werden kann. Keine Wolke am Himmel lässt daran zweifeln, dass es heute ein wundervoller Tag werden kann und wenn die Sonne einmal höher am Himmel steht, dann kann sie auch gegen den Wind ankommen.
Zwei Stunden später ist von der Sonne nichts mehr zu sehen. Wie aus dem Nichts sind die Wolken da und der strahlende Morgen nur noch eine schöne Erinnerung. Aber erst als die ersten Regentropfen fallen, vergeht auch die Hoffnung, dass die Sonne sich doch noch ein kleines Loch in die dicke Wolkendecke fressen kann. Mich erfasst eine Melancholie, die ich ansonsten nur aus dem Herbst kenne, die ich nicht besonders gut leiden kann und die mich trotzdem heute nicht mehr verlassen will. Leider kann ich mir meine Gefühle wohl doch nicht aussuchen. Mir wäre grade eigentlich viel eher nach guter Laune und Motivation. Beides könnte ich dringend gebrauchen.
Aber stattdessen liege ich zwischen den Pflanzen auf dem Fensterbrett und starre einfach nur den Regen an. „Wenn der Sommer jetzt kommen möchte, ich wäre dann soweit“, geht es mir durch den Kopf. Es ist nicht so sehr die Sonne, die mich lockt, sondern die Temperaturen. Ich mag es gerne warm. Vielleicht lebe ich einfach in der falschen Klimazone.
„Kalt ist besser als warm. Eine weitere Schicht kann man sich immer anziehen, aber ausziehen wird irgendwann schwer.“ Das scheinbar einzige Argument der Winterfreunde und ich halte es für riesen Schwachsinn. Natürlich kann ich mich immer dicker anziehen aber ich bin so überhaupt nicht scharf darauf, wie das Michelin-Männchen durch die Gegend zu hopsen. Selbst der graue Regen wäre bei angenehmen Temperaturen nicht ganz so abweisend. Die Straßenlaternen brennen jetzt schon, dabei ist es noch lange nicht Zeit für den Sonnenuntergang, und auch mir wird langsam allein vom Zusehen kalt. Ich überlasse den Pflanzen wieder das Feld und ziehe mich mit meinem Laptop ins Bett zurück. Vielleicht wagen sich ja später am Abend noch einmal Sonnenstrahlen in diesen Teil der Welt vor.