Archiv für den Monat April 2016

Aprillwetter

Ich sitze am Fenster und sehe den Regentropfen dabei zu, wie sie sich ein Wettrennen an der Außenseite entlang liefern. Sitzen ist dabei vielleicht nicht ganz der richtige Ausdruck. Ich liege eher, den Kopf auf die über Kreuz geschlagenen Arme gelegt, die Nase an die Oberkante des Fensterrahmens gedrückt, die Stirn gerade so weit von der kalten Scheibe entfernt, dass sie nicht auskühlt. Ich habe mir extra diesen Platz auf meiner Fensterbank freiräumen müssen. Links von mir drängen sich zwei Blumentöpfe, einer mit Zwiebeln, einer mit Basilikum. Auf der anderen Seite ringen die Setzlinge von einer Tomate und einer Paprika um Sonnenlicht. Heute werden sie wohl kein Glück mehr haben und ich auch nicht.

Der Regen hat bereits vor Stunden begonnen und seitdem nicht mehr aufgehört. Meinen noblen Vorsatz, nach Hause zu laufen, habe ich nicht einmal versucht umzusetzen. Dabei hatte ich mich wirklich auf die Bewegung an frischer Luft gefreut und sogar geplant, die längere Route durch den Park zu gehen. Die Magnolien müssten langsam in voller Blüte stehen und bei Sonnenschein ist das wirklich ein toller Anblick. Doch statt sonnendurchfluteter Magnolienblüten bleibt mir nur das Fenster mit einem schrecklich trüben Ausblick und ein wenig Melancholie.

Dabei hatte der Tag so schön begonnen. Mit strahlendem Sonnenschein und sogar etwas, was zwar noch keine wirkliche Wärme, wenigstens aber schon einmal keine Kälte mehr war. Herzenswärme vielleicht, denn auch wenn die Sonnenstrahlen, wie sie sich wagemutig vom Frühlingshimmel herabwerfen, noch keine Chance gegen den kalten Morgenwind haben, so können sie doch wenigstens einen Vorgeschmack auf den Sommer geben, dass es einem warm ums Herz werden kann. Keine Wolke am Himmel lässt daran zweifeln, dass es heute ein wundervoller Tag werden kann und wenn die Sonne einmal höher am Himmel steht, dann kann sie auch gegen den Wind ankommen.

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Zwei Stunden später ist von der Sonne nichts mehr zu sehen. Wie aus dem Nichts sind die Wolken da und der strahlende Morgen nur noch eine schöne Erinnerung. Aber erst als die ersten Regentropfen fallen, vergeht auch die Hoffnung, dass die Sonne sich doch noch ein kleines Loch in die dicke Wolkendecke fressen kann. Mich erfasst eine Melancholie, die ich ansonsten nur aus dem Herbst kenne, die ich nicht besonders gut leiden kann und die mich trotzdem heute nicht mehr verlassen will. Leider kann ich mir meine Gefühle wohl doch nicht aussuchen. Mir wäre grade eigentlich viel eher nach guter Laune und Motivation. Beides könnte ich dringend gebrauchen.

Aber stattdessen liege ich zwischen den Pflanzen auf dem Fensterbrett und starre einfach nur den Regen an. „Wenn der Sommer jetzt kommen möchte, ich wäre dann soweit“, geht es mir durch den Kopf. Es ist nicht so sehr die Sonne, die mich lockt, sondern die Temperaturen. Ich mag es gerne warm. Vielleicht lebe ich einfach in der falschen Klimazone.

„Kalt ist besser als warm. Eine weitere Schicht kann man sich immer anziehen, aber ausziehen wird irgendwann schwer.“ Das scheinbar einzige Argument der Winterfreunde und ich halte es für riesen Schwachsinn. Natürlich kann ich mich immer dicker anziehen aber ich bin so überhaupt nicht scharf darauf, wie das Michelin-Männchen durch die Gegend zu hopsen. Selbst der graue Regen wäre bei angenehmen Temperaturen nicht ganz so abweisend. Die Straßenlaternen brennen jetzt schon, dabei ist es noch lange nicht Zeit für den Sonnenuntergang, und auch mir wird langsam allein vom Zusehen kalt. Ich überlasse den Pflanzen wieder das Feld und ziehe mich mit meinem Laptop ins Bett zurück. Vielleicht wagen sich ja später am Abend noch einmal Sonnenstrahlen in diesen Teil der Welt vor.

Hörsaalgetuschel – Ausgabe 80

Bibstrategen

Flo war in der Bibliothek. Alleine. Nicht, weil er für eine Gruppenarbeit hier verabredet war, nicht, weil er für eine Hausarbeit etwas suchte und nicht, weil ihn jemand geschickt hatte. Er war hier, weil er einfach neugierig wegen eines Themas war, und weitere Informationen suchte.

Vermutlich war er selbst am meisten verwundert deswegen. Sogar erstaunter noch als Mia, die ihm in letzter Zeit vermehrt vorgeworfen hatte, zu faul für die Uni zu sein. Im Gegensatz zu ihr war er nicht besonders scharf darauf gewesen, sich den Stundenplan voller zu laden als unbedingt notwendig war. Zu Semesterbeginn war er immer dankbar um einen möglichst leeren Stundenplan gewesen. Erst am Ende hatte es ihm immer irgendwie leidgetan, nicht noch einige von den interessanten Fächern belegt zu haben. Vielleicht hatte sie ja sogar recht und er war wirklich zu faul, wenn er immer nur das Nötigste machte, aber der Tag würde nicht kommen, an dem er das zugeben würde.

Es erstaunte ihn auf jeden fall, wie interessant es in der Bibliothek sein konnte. Mit viel Zeit wanderte er zwischen den Regalen entlang, las die Buchtitel, holte immer wieder eines heraus und blätterte fasziniert darin herum. Immer wieder musste er sich an das Thema erinnern, weswegen er eigentlich hierher gekommen war. Immer wieder fand er sogar etwas dazu, überflog Zusammenfassungen und Inhaltsverzeichnisse und fühlte sich dabei wie ein richtiger, fleißiger Student. Zwei vielversprechende Bücher hatte er schon in der Hand, mit dem Vorsatz, sie auszuleihen und später in Ruhe zu lesen.

Bunte Buchrücken zogen seine Aufmerksamkeit auf sich. Er war inzwischen bei einem anderen Fachbereich angekommen aber die Titel waren nicht weniger interessant. Neugierig hockte er sich in den Gang und begann zu lesen. Der Weg zu den Tischen im Lesesaal war ihm zu weit und außerdem wollte er sich doch nur einen Überblick verschaffen und nicht intensiv lesen. Das konnte er schließlich später noch genauso gut.

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Mia hatte aus dem Bücher ausleihen eine kleine Wissenschaft gemacht. Sie suchte sich immer einzelne Exemplare im Katalog heraus, die vielversprechend klangen. Dann holte sie die entsprechenden Titel aus den Regalen, verglich sie mit anderen Werken und nahm auch immer einige andere Bücher aus dem Abschnitt mit. Danach saß sie mit einem großen Stapel am Tisch und las die Inhaltsverzeichnisse und bestenfalls noch die Stichwortverzeichnisse. Was ihr zusagte, wurde ausgeliehen, der Rest landete auf einem der Rückgabewagen. Und bei ihr gab es immer viel Rest. Sie lieh viel aus, las bestimmt auch einiges, aber eine gute Anzahl der Bücher hatte sie vermutlich trotzdem nie aufgeschlagen, wenn sie sie kurz vor Ablauf der Frist wieder zurückgab.

So systematisch ging Flo nie an die Sache heran. Er war kein Mensch für Systematiken, sondern eher für das Bauchgefühl. Und er war viel zu faul um Bücher zu schleppen, in die er nie hineinsehen würde. Wenn er etwas lesen musste, dann tat er es meist gleich in der Bibliothek, im Lesesaal. Ausgeliehen wurde nur in Ausnahmefällen, wenn er seine Arbeiten so lange aufgeschoben hatte, dass er tatsächlich zu Hause schreiben musste.

Die Situation, dass er las, weil er lesen wollte, war ihm neu. Natürlich hatte er einige Bücher schon freiwillig gelesen. Romane in unterschiedlichen Formen und Farben, seltener auch Sachbücher oder sogar einmal eine Biografie. Mit der Uni hatten aber alle nie etwas zutun gehabt. Und doch saß er jetzt hier. Es war fast schon bedenklich. Da war er nun wirklich schon so lange an der Uni, dass er für die Themen echte, ehrliche Begeisterung und Neugier entwickelte. Und dennoch fühlte es sich irgendwie gut an. Nicht nur, weil das Thema wirklich spannend war, und er wirklich Antworten finden wollte. Sondern auch, weil er sich heimlich tatsächlich einmal nicht wie ein Taugenichts fühlte, im Gegenteil. Es kam ihm fast so vor, als wäre er ein guter, eifriger Student. So, wie es eigentlich von ihm erwartet wurde.

Am Ende war es doch kein reines Hobby, wegen dem er hier war. Zwei Bücher hatte er gefunden, die ihm bei einer Hausarbeit weiterhelfen konnten. Beide hatte er nur durch Zufall entdeckt, aber dann doch mitgenommen. Zusammen mit den Büchern zu seinen eigenen Fragen stand er am Ende mit mehr Büchern am Ausgang, als er jemals vorher gehabt hatte. Fast schon wünschte er sich, dass er mit seiner Beute irgendwie im Foyer auffallen würde. Und das, obwohl er sich heute nicht einmal die Haare gemacht hatte.

Liebster Award: Kettenbrief 2.0?

Liebster Award

Man lernt bekanntlich nie aus und weil das so ist und lernen Spaß macht gibt es heute für mich eine Lektion, die mich ganz besonders freut. Die liebe Luna von LunaUmbra ist nämlich der Ansicht, dass ich gute Sachen schreibe und einen lesenswerten Blog habe. Jedenfalls hat sie mich für den „Liebster Award“ nominiert, von dem ich bislang noch nichts wusste. Und das nach fast 80 Ausgaben Hörsaalgetuschel, die ich hier veröffentlicht habe. Ich freu mich jedenfalls sehr und fühle mich mächtig geehrt, so beworben zu werden.

Und was ist besagter „Liebster Award“ jetzt? Luna beschreibt das hier wiefolgt:

„Der Award dient dazu neue Blogs zu entdecken und bekannter zu machen. Hierfür nominiert ein Blogger eine bestimmte Anzahl an Blogs die er interessant findet und stellt ein paar persönliche Fragen, welche dann beantwortet werden.

Es gibt dafür auch verschiedene Regeln. Ich halte mich da ganz einfach an die Regeln die Nina festgelegt hat:

  • Danke der Person, die Dich für den Liebster Award nominiert hat und verlinke den Blog dieser Person in Deinem Beitrag
  • Beantworte die 11 Fragen, welche Dir der Blogger, der Dich nominiert hat, stellt.
  • Nominiere 5 bis 10 weitere Blogger mit bisher weniger als 300 Followern für den Liebster Award.
  • Stelle eine neue Liste mit 11 Fragen für Deine nominierten Blogger zusammen.
  • Schreibe diese Regeln in Deinen Artikel zum Liebster Award, damit die Nominierten wissen, was Sie tun müssen.
  • Informiere Deine nominierten Blogger über die Nominierung und Deinen Artikel“

Da ist es auch nicht besser weiß, bleibe ich doch einfach bei diesen Regeln. Ich habe sogar unter den von mir abonnierten Blogs einige unter 300 Followern, die ich gerne lese und damit nominieren kann. Aber dazu kommen wir später.

Zunächst, vielen Dank an Luna für die Nominierung. Ich freue mich wirklich sehr, dass Dir mein Blog so gut gefällt. Sie stellt mir (und ihren anderen Nominierungen) folgende Fragen:

  1. Wie bist du/seid ihr zum Bloggen gekommen?
    Gute Frage… Ich glaube es war einfach deswegen, weil ich nicht mehr ausschließlich für mich schreiben wollte. Ich schreibe schon seit vielen Jahren als Hobby aber immer wieder sehr unregelmäßig und auch leider nicht so gut, wie ich gerne würde. Ich habe zum Beispiel ein Buch geschrieben, welches in seiner aktuellen Form nur regelrecht grausam ist. Ich habe beim Schreiben einige Fehler gemacht und mit vorgenommen, diese beim nächsten zu vermeiden. Dafür wollte ich vorher etwas üben, auch deswegen, weil ich mich laufend in Sackgassen schreibe. Also habe ich zunächst einige Kurzgeschichten geschrieben und festgestellt, ich schreibe immer noch zu sporadisch und am schlechtesten bin ich darin, Charaktere zu bilden. Genau deswegen ist Hörsaalgetuschel entstanden. Und einige Ausgaben später ist dieser Blog entstanden, damit jemand die Möglichkeit hat, die Ausgaben auch zu lesen und mir ggf. auch eine Rückmeldung geben kann.
  2. Womit hattest du/hattet ihr am Anfang Schwierigkeiten?
    Das Offensichtliche wäre das Layout und die Designs, glaub ich. Verglichen mit Anderen ist mein Blog ja geradezu stümperhaft schnöde und spartanisch. Oh, und Leserschaft finden 🙂 Ich habe Anfang Januar einen Jahresbericht von WordPress bekommen und auch hier gepostet. Ihr könnt ja gerne mal die Aufrufzahlen mit euren eigenen vergleichen 😉
  3. Was motiviert dich/euch?
    Der Klassiker? Feedback. Also, nicht so sehr zum Schreiben an sich, sondern zum Posten hier. Geschrieben habe ich ja auch so schon immer irgendwie. Es macht halt aber doch mehr Spaß, wenn es auch jemand liest. Nur auf das Schreiben könnte ich so oder so nicht verzichten, dafür erzähle ich einfach viel zu gerne Geschichten. Ich hoffe nur, hier ist wenigstens ab und zu auch mal wirklich Gutes dabei.
  4. Was ist deine/eure Lieblingsjahreszeit und warum?
    Später Frühling oder früher Sommer. Es ist endlich nicht mehr kalt und alles steht voll in Blüte. Die Welt wirkt einfach so bunt und lebendig dann. Alternativ nehme ich auch gerne den Sommer. Dann aber auch bitte einen richtigen, mit Bums und Hitze. Unter 35°C kann der mal schön zuhause bleiben. Ich brauche einfach die Hitze, das ist wie Akkus laden.
  5. Was ist deine/eure größte Stärke?
    Keine Ahnung. Habe ich eine? Ich kann glaub ich gut pünktlich sein… und ich bilde mir gerne ein, sehr zuverlässig zu sein. Zählt das überhaupt als Stärke? Bitte Frage präzisieren 😉
  6. Was ist deine/eure größte Schwäche?
    Das bleibt mal schön mein Geheimnis! Soweit kommt es ja noch… 😉
  7. Was ist deine/eure größte Leidenschaft?
    Ein Etwas, was mich wirklich leidenschaftlich werden lässt? Jetzt bräuchte ich wohl einen Lebenstraum oder so… Ich sage Musik. Gute Musik kann leicht sehr starke Emotionen auslösen. Ansonsten Roboter? Nein, eher wohl Roboterethik. Ich zweifel halt nicht daran, dass Roboter die besseren Menschen sein können, so brutal das auch klingen mag.
  8. Was machst du/ihr an einem komplett freien Tag?
    Nicht wissen, was mit mir anzufangen ist. So richtig frei? Garnichts, was erledigt werden muss oder vorbereitet oder nacharbeitet oder vor mir her zu schieben? Vermutlich echt etwas dumm aus der Wäsche sehen und nicht weiter wissen. Oder aber es gibt Internet, in dem Fall verschwende ich die Zeit wohl einfach. Es sei denn ich finde die Ruhe zum Spielen. So aus dieser Perspektive wirkt mein Leben gerade irgendwie was… traurig.
  9. Wenn du/ihr einen Wunsch frei hättest, war wäre das?
    Habe ich nicht unendlich viele frei und es erfüllt sie mir nur niemand? Nein, schwierig. Vermutlich könnte ich mich nicht entscheiden und würde ihn dann überhaupt nicht verwenden. Oder ich würde mich für das ultimative Wissen entscheiden. Oder doch lieber Superkräfte? Unendlich Geld wäre zu klassisch. Besondere Fähigkeiten? Eine Reise zum Mond/Mars/einer neuen Erde? Meine eigene Stadt nach meinen Wünschen und Vorstellungen? Ein bisschen Größenwahn schadet nie.
  10. Was ist dein/eurer Lieblingsgericht?
    Das Amtsgericht, ahaaahahahabenwirjetztabermalNICHTgelacht. Abhängig von Laune, Jahreszeit, Wetter, Zeit, relativer Mondfeuchte…
    Ich kann ja ein paar Beispiele nennen. Zum Beispiel Scheiterhaufen, ein Quark-Mehlgericht? Ich kann es schwer beschreiben aber es ist super, wenn auch etwas aufwändig in der Zubereitung. Pfannekuchen/Eierkuchen/Plinsen, jede Region hat ihren eigenen Namen dafür, für mich sind es Pfannekuchen. Wenn es mal nicht süß sein soll, wie wäre es mit einer bunten Gemüsepfanne? Kartoffelpüree mit Muskat natürlich, z.B. mit Rotkohl und Bratwürstchen, Letzteres ist natürlich optional.
  11. Was magst du/mögt ihr gar nicht?
    Früh aufstehen, verschwendetes Essen, Kälte/frieren, blinde Ignoranz, Schlager, Stress…

So, damit ist dieser Punkt hoffentlich zu eurer Zufriedenheit beantwortet. Hast Du noch eine Frage übrig? Ansonsten ist nun dieses legendäre „Später“ erreicht und es kommt zu meinen Nominierungen. Ich hoffe, es ist ihnen allen recht so. Luna, du fällst raus. Das wäre doch irgendwie albern.

Ein buntes Sammelsurium, bei dem für fast jeden etwas dabei sein dürfte. Werte Nominierte, falls Ihr Euch nicht an dieser Aktion, die ja doch sehr den alten Kettenbriefen ähnelt, beteiligen möchtet, dann nehme ich euch das in keinster weise übel. Aber ich habe mich jedenfalls über diese kleine Geste gefreut. Falls Ihr aber doch mitmachen möchtet, gibt es hier Eure elf Fragen.

  1. Was macht Musik mit Dir und was ist für Dich gute Musik?
  2. Was willst Du gerne richtig gut können? Als Bonus werden Superkräfte als Möglichkeit mit eingeschlossen.
  3. Dein Lieblingsort auf diesem Planeten und deine bevorzugte Begleitung dort?
  4. Verbringst Du zuviel Zeit am Bildschirm?
  5. Dein Lieblings-Buchgenre? Und wie kam es dazu?
  6. Welcher Deiner Neujahrsvorsätze hat am längsten überlebt und wie lange war das?
  7. Wohin und auf welche Weise soll die nächste Reise gehen?
  8. Dein ausgefallenstes Reiseziel? In der Vergangenheit und/oder Zukunft, alles ist möglich.
  9. Wenn es ein bedingungsloses Grundeinkommen gehen würde, was würdest Du tun / welchen Beruf würdest Du ausüben?
  10. In welchem Zustand befindet sich Dein Schreibtisch?
  11. Finale! Hast Du einen Lebenstraum? Und magst Du ihn mit uns teilen?

Viel Spaß!

Hörsaalgetuschel – Ausgabe 79

Passwort

Mia war irritiert. Etwas war anders, als sie es gewohnt war. Sie hatte ja darüber hinwegsehen wollen, dass Erik noch immer keine Anstalten machte, irgendetwas in Umzugskartons zu verstauen und das, obwohl der Umzug bereits in einem Monat sein sollte. Sie saß schon seit Wochen auf gepackten Kisten und Kästen und hier war alles aufgeräumt und in den Regalen verstaut. Als hätten sie ewig Zeit, um alles zu bewerkstelligen. Und nun auch noch das hier. Eigentlich hatte sie nur Musik anmachen wollen. Erik war auf dem Weg unter die Dusche gewesen, als sie angekommen war, und es schien ihr wenig verlockend, ihn zu begleiten. Also hatte sie sich an den Rechner gesetzt und ihn hochfahren wollen, aber er akzeptierte das Passwort nicht mehr.

Sie fühlte sich verraten, hintergangen und irritiert. Das Passwort hatte doch immer funktioniert, schon seit über einem Jahr. Erik hatte es ihr nie verraten, sie hatte ihm einfach auf die Finger gesehen, als er es eingegeben hatte. Immerhin war er ihr Freund und hatte keine Geheimnisse vor ihr. Jedenfalls hatte sie keine vor ihm, also wieso sollte es umgekehrt so sein? Vielleicht sollte sie ihn einfach fragen.

„Schatz, mit dem Computer stimmt etwas nicht.“

„Wieso? Was hast du denn damit angestellt?“

Durch das rauschende Wasser war seine Stimme gedämpft aber trotzdem noch verständlich. Hatte sie da etwa einen leisen Vorwurf gehört? Sie hatte doch alles wie immer gemacht.

„Der akzeptiert das Passwort nicht mehr!“

„Ehrlich nicht? Bei mir eben ging es noch.“

Hätte sie jetzt mit ihm unter der Dusche gestanden, hätte sie eventuell bemerkt, wie er sich ein albernes Grinsen erlaubte. Oder aber sie wäre viel zu sehr mit ihren Haaren beschäftigt gewesen. So aber versuchte sie es einfach noch einmal mit dem Passwort, dann mit besonderer Aufmerksamkeit, dann noch einmal mit veränderter Groß-Kleinschreibung. Keines davon reichte der blöden Kiste, um ihr Musik zu servieren.

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„Bei mir funktioniert es aber nicht. Wieso nicht?“

„Welches hast du denn versucht?“

Was war das schon für eine Frage. Der Rechner hatte doch nur das eine. Erik hatte generell nur das eine, welches in diversen Abwandlungen auch auf allen Social Media Plattformen zum Einsatz kam. Nur für die Uni hatte er andere, aber auch die gaben den Computer nicht frei.

„Na das gleiche wie immer. Hast du es etwa geändert?“

Der Gedanke daran allein empörte sie. Er hatte ihr nichts davon erzählt, dass er ein neues Passwort einrichten wollte. Auch nicht, wieso und auch nicht welches. Im Bad wurde das Wasser abgestellt.

„Natürlich, das soll man doch immer mal wieder machen. Einfach wegen der Sicherheit. Änderst du dein Passwort etwa nie?“

„Wieso sollte ich das ändern? Außer mir benutzt nur du meinen Laptop und vor dir habe ich ja keine Geheimnisse.“

So sehr sie sich auch bemühte, neutral zu klingen, sie verlangte, dass er den verborgenen Hinweis wahrnahm und ihr einfach das neue Kennwort nannte. Einfach, als Beweis seines Vertrauens. Oder hatte er etwa wirklich etwas vor ihr zu verheimlichen? Sicherlich eine erotische Mail von Tina. Schrieben sie sich immer noch Mails? Und blieb es nur bei Mails oder was lief da noch? Wenn sie erst einmal zusammenwohnten, dann würde sie das viel einfacher im Auge behalten können. Außerdem sendete es ein ganz anderes Signal aus, wenn ein Paar zusammenlebte, als wenn jeder in seiner eigenen Wohnung saß. Dem würde sich auch Tina nicht entziehen können und hoffentlich endlich aufhören, sich an fremde Freunde ranzuschmeißen. Und wieso zögerte er so lange, ihr das neue Passwort zu sagen? Musste sie wirklich so deutlich werden? „Junge, du weißt es noch nicht, aber du steckst in großen Schwierigkeiten“, dachte sie und versuchte dann besonders harmlos und unbedarft zu klingen.

„Wie geht denn das Neue?“

Wieder keine Antwort. Das Schloss der Badezimmertüre klapperte und Erik kam mit zerstubbelten, feuchten Haaren und seinem Handtuch, wie einen Wickelrock um die Taille gewickelt, heraus. Er drängte sich zwischen sie und den Computer, sodass sie weder Monitor noch Tastatur sehen konnte, Tasten klapperten und nur Augenblicke später drehte er sich zu ihr um und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn, was sie vielleicht noch mehr ärgerte, als das unbekannte Passwort.

„Du solltest das ab und zu ändern, weil es nicht nur für diejenigen ist, welche an der Tastatur sitzen, sondern auch für jene, welche sich über das Internet einschleichen wollen, um an deine Daten zu kommen. Darum!“

Er lächelte sie heiter an, ehe er wieder im Bad verschwand und sie vor einem, bis auf den Musikplayer, leeren Bildschirm zurückließ. Wäre sie nicht so bemüht gewesen, ihren Ärger und Frust zu verbergen, sie hätte vielleicht bemerkt, dass in seinen Augen etwas glitzerte, und es war ganz sicher nichts, was zu dem weichen Lächeln und dem Kuss gepasst hätte.

Momente

Manches mal sind es die ganz kleinen Dinge, die einem den Tag versüßen können, und graue Wolken weiß, oder die Sonne heller erscheinen lassen. Ein frisch geputztes Bad nach einer langen Prüfungsphase, in der man sich für nichts Zeit genehmigen möchte, als für das Nötigste, fürs Lernen und viel zu viele Ablenkungen. Eine lange ersehnte Mail oder Nachricht von einer bestimmten Person oder manches mal auch wirklich nur ein Augenblick. Teilweise völlig belanglose Nichtigkeiten, die aber genau das für irgendjemanden in dem Moment überhaupt nicht sind.

Ich bin auf dem Rückweg vom Einkaufen. Das Wochenende steht vor der Tür, der Supermarkt war zum Bersten voll, und dass es endlich Frühling wird und man heute zum ersten mal wirklich ohne Jacke vor die Türe kann, tut dem sicherlich keinen Abbruch. Lärmend wälzt sich die Blechlawine des Feierabendverkehrs durch die Straßen. Der von ihr aufgewirbelte Staub scheint die Sonne schwächer scheinen zu lassen. Zwei Hunde bellen sich nervös aufgeregt an, während Herrchen und Frauchen feststellen, dass sie beide den gleichen Zigarettenautomaten als Ziel haben. Optisch harmonieren sie sogar recht gut. Viele Zigaretten haben die Haare dünn und die Haut faltig werden lassen, dabei sind beide noch recht jung.

Ein paar Studenten fädeln sich auf ihren Fahrrädern durch den dichten Verkehr, der Bus protestiert mit seiner Hupe dagegen. Ein Mofa löst sich aus dem Verkehrsstrom und dröhnt an mir vorbei. Der Geruch des Zweitakters hängt noch lange danach im Wind. An einem unbestimmten Punkt vor meinen Augen bringt die Sonne scheinbar die Luft, vermutlich aber nur den Staub zum Glitzern, und verleiht der Szene einen winzigen Hauch Magie. Die Einkaufstasche zieht schwer am Handgelenk. Unter der Aktionswahre im Supermarkt habe ich niederländische Stroopwafels gefunden und konnte nicht widerstehen, obwohl ich genau weiß, dass sie nicht so gut schmecken werden wie die in meinen Kindheitserinnerungen. Trotzdem freue ich mich darauf.

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Rechts von mir sammelt eine Hecke in der Frühlingssonne die Kraft, frisch auszutreiben und den schmalen Streifen Garten dahinter besser zu verbergen. Dahinter erregt eine Bewegung meine Aufmerksamkeit. Ein kleines Kind klettert über die hölzerne Brüstung eines Sandkastens und läuft auf unsicheren Beinen seinem etwa gleichaltrigen Spielkameraden entgegen, welcher mit gleichermaßen tapsigem Windelpopo ein Förmchen anschleppt. Die Mütter sitzen etwas abseits im Hintergrund und unterhalten sich gedämpft, dampfende Kaffeetassen neben sich. (Wieso sind es eigentlich immer die Mütter und fast nie Väter, die sich mit den Kindern befassen?)

Noch steht die Sonne hoch genug und ist die Hecke licht genug, als dass die Sonnenstrahlen das Ganze perfekt ausleuchten. Sie brechen sich im Dampf über den Tassen, spielen auf den Blütenblättern der Blumen, die sich sanft im Wind wiegen und fast wirkt es so, als würden sie sogar das leise Kichern der Kinder besonders hell und unbeschwert klingen lassen wollen. Sie wissen noch nichts von dem, was ihr Leben für sie bereithält, und das ist vielleicht auch sehr gut so.

Drei Sekunden später bin ich schon vorbei gelaufen. Ich bin nicht stehen geblieben. Selbst wenn ich schnell genug dafür reagiert hätte, ich hätte diese kleine Idylle auf keinen Fall stören wollen. Diese seltsame, kleine Oase der Ruhe, abseits des irgendwie grobschlächtigen Lärmes der Stadt. Die filigrane Leichtigkeit dieses Ortes hat mich erfasst und breitet sich heiter in mir aus, als wolle sie jeden Rest eines trüben, dunklen und kalten Winters aus mir vertreiben. Was es aber auf jeden Fall treibt, ist, mir ein Lächeln ins Gesicht. Die Einkaufstasche fühlt sich gleich etwas leichter an und die Waffeln werden süßer schmecken, als ich es eben noch befürchtet habe. Drei Sekunden, die mir eine Dosis Glück verabreicht haben, die für den ganzen Rest des Tages reicht.

Hörsaalgetuschel – Ausgabe 78

Kompromisse

„Wie sieht es nun wohnungstechnisch bei euch aus?“

Flo war neugierig und der ruhige Abend mit Erik schien ihm günstig, diese Neugier zu befriedigen. Mia hatte sich mit ihren Mädels verabredet, um gemeinsam eine Fernsehserie zu gucken. Für Flo und Erik die Gelegenheit, sich einen Film anzusehen, Pizza zu futtern und was das Wichtigste war, Eriks Biervorräte zu vernichten. Mia hatte deutlich zu verstehen gegeben, dass sie Bier im Haushalt missbilligte. Bis zum Umzug musste es also weg und es wäre eine Schande, es einfach durch den Ausguss zu schicken. Erik hatte bereits zwei Flaschen leer und kaute nun leicht nachdenklich auf einem Stück Pizza.

„Nun, Mia hat eine Wohnung gefunden, mit der sie glücklich ist. Sie hat den Mietvertrag auch schon unterschrieben. Ich schätze mal, wir werden in den nächsten Wochen renovieren und dann umziehen.“

Erik kratze sich am Bart und Pfiff in die halb leere Bierflasche. Er sah seinen Freund an und versuchte zu erahnen, was hinter seiner Stirn vorging.

„Mia ist also glücklich damit. Was ist es denn für eine geworden? Und wo?“

„Ja, jedenfalls sagt sie das. Drei Zimmer, Küche, Bad, kleiner Flur, gut nutzbarer Raum, ein Balkon, recht frisch saniert und bezahlbar. Die Lage ist recht gut. Am Rand von der Altstadt, etwa auf halber Strecke zwischen Bahnhof und Uni. Es ist eigentlich alles in Reichweite.“

„Also, bist du auch glücklich damit? Du klingst etwas nüchtern.“

Erik hörte auf, an der Pizza zu kauen und sah verwirrt auf. Ob er mit der Wohnung glücklich war? Wieso denn er? Es wurde ihm allmählich bewusst, dass Mia derart das Ruder bei der Wohnungssuche an sich gerissen hatte, dass er am Ende überhaupt nicht mehr nach seiner Meinung gefragt worden war. Nicht einmal von sich selbst. Genau genommen hatte Mia ihn von Anfang an schon nicht gefragt. Sie war einfach davon ausgegangen, dass er ihren Geschmack teilen würde. Und nun sollte er plötzlich eine Meinung haben.

„Ich weiß es nicht genau. Ich mein, es gibt schon gute Argumente dafür. Die Lage ist wirklich gut, auch wenn der Balkon nach Nordwesten zeigt und nur abends Sonne bekommt.“

Er zögerte und Flo hob fragend die Augenbrauen. Erik hatte das angeknabberte Pizzastück zur Seite gelegt und starrte ins Leere. Flo nahm einen kräftigen Schluck aus seiner Flasche, dachte kurz nach und wagte einen Schuss ins Blaue.

„Eigentlich möchtest du nicht mit ihr zusammenziehen, oder?“

„Du kennst sie doch. Das ist nichts, was sie zur Diskussion stellen würde. Entweder du bist ihr ergeben oder halt gegen sie. Sie ist unfähig, irgendetwas dazwischen wahrzunehmen. Und sie sieht nicht ein, dass sie die Eigenschaften ihrer Mitbewohnerinnen annimmt. Sie wird schlampig, lässt überall ihr Zeug rumliegen, geht an alles dran, ohne zu fragen, und will mich dafür kritisieren.“

„Hast du ihr gesagt, dass dich das stört?“

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Erik sah ihn verständnislos an. Ihr das gesagt? Brachte man einen Zug zum Stoppen, indem man sich davor warf? Er mochte leichtsinnig sein aber dafür nicht dumm genug.

„Du kennst sie doch auch schon eine Weile. Was passiert, wenn ich ihr sage, dass sie wie ihre Mitbewohnerinnen geworden ist, von denen sie ja unbedingt weg will?“

Flo überlegte kurz und sah es dann ein. Es gab Dinge, über die musste man gar nicht erst reden. Auch in Beziehungen oder gerade dort. Man kennt sein Gegenüber, weiß, wo Stärken, Schwächen, Vorlieben und Abneigungen sind. Welchen Grund könnte es geben, seinen Partner um etwas zu bitten, von dem man wusste, dass es ihm nicht gefiel? Und in diesem Fall war es nicht nur unangenehm, sondern regelrecht gefährlich. Was würde Mia tun, wenn Erik ihr das eröffnete?

„Ich schätze, in dem Fall würde ich mir eine neue Krawatte kaufen, extra für deine Beerdigung.“

„Dankeschön, zu gnädig.“

„Aber das klingt ja schon so, als hättet ihr da aktuell etwas weiter reichende Probleme, als nur die Wohnung.“

„Tja, eine Beziehung ist halt immer ein Kompromiss, und du weißt ja, wie kompromissbereit sie ist. Es bleibt vieles an mir hängen und irgendwann hab auch ich da mal genug. So sehr ich sie auch liebe, aber das geht nicht auf ewig so weiter. Wir wissen beide gut genug, wie kritikfähig sie ist und wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann will sie es auch umsetzen. Ich glaube, es ist nur völlig neu für sie, dass sie jetzt mit dem Umzug nicht nur von sich selbst, sondern auch von mit ausgehen muss. Damit betritt Madame Einzelkind völliges Neuland.“

„Wie habt ihr das denn bisher immer gemacht? Ich mein, ich weiß ja, dass ihr immer wieder Streit hattet, auch wegen solcher Sachen wie Kompromisse und Meinungen, aber irgendwie müsst ihr doch auf einen gemeinsamen Nenner gekommen sein.“

„Der gemeinsame Nenner ist ihre Meinung gewesen, in den meisten Fällen. In einzelnen Situationen hat ihr auch meine Meinung mal gut genug gefallen aber… ich weiß es doch auch nicht. Ich will ja auch, dass es ihr gut geht, nur wenn es ihr dabei permanent egal ist, was mit mir ist, dann fehlt mir auf Dauer einfach das Gleichgewicht.“

„Und dieses „auf Dauer“ ist jetzt offensichtlich erreicht. Sehr schade.“

Flo seufzte, leerte seine Flasche und machte die nächste auf. Er konnte gut verstehen, was Erik meinte, und doch bekümmerte ihn diese Desillusionierung ein wenig. Sowohl Erik als auch Mia hatten ihn immer wieder in ihre Konflikte mit hineingezogen und davon gab es eine Menge. Nun aber war wohl endgültig ein Punkt erreicht, an dem es so nicht mehr weiter ging. Flo sah nicht, dass Mia in nächster Zeit ein Bewusstsein für Kompromisse und die Bedürfnisse ihrer Mitmenschen entwickelte. Sie hatte ihre Meinungen und Ansichten und war in ihnen fest und unerschütterlich eingefahren. Eine weitere Meinung zu präsentieren wäre für sie vielleicht einen kurzen Gedanken wert, aber sicherlich würde sie sich nicht entsprechend ändern. Das widerstrebte ihrem ganzen Selbst.

Und Erik, der würde trotzdem mit Mia zusammenziehen, auch wenn er es eigentlich nicht wollte. Aber so, wie Flo ihn kannte, würde er nicht mehr einfach nur ihr Anhängsel sein wollen. Er würde Widerstand leisten, wie er es gewohnt war. Subtil aber hartnäckig.

Der 9. Weg – HörBuchtipp

Der_9._WegDer 9. Weg ist ein Fantasyroman von Tom Baumann, der bislang nur in Hörbuchform erschienen ist. Das Hörbuch ist dabei vom Autor selbst gelesen und veröffentlicht worden.

Der Hauptcharakter findet sich gleich zu Anfang in einer ihm fremden Welt wieder, statt in New York, woher er ursprünglich stammt. In dieser mittelalterlichen Welt hat er eine Aufgabe zu erfüllen, die ihm anfangs noch verborgen bleibt. Erst im Laufe der Geschichte eröffnet sich ihm die ganze Tragweite seines Handelns.

Die Handlung gibt sich dabei recht klassisch und könnte sich so auch als Pen-and_Paper Rollenspiel abspielen. Das Schicksal treibt eine kleine Gruppe von Menschen zusammen, die unterschiedlicher kaum sein können. Gemeinsame Ziele oder schlichte Ausweglosigkeit sorgt dafür, dass sie sich zu einer Gruppe zusammenschließen und die gemeinsame Zeit schmiedet schließlich die Bande der Freundschaft. Dabei wird jeder Charakter mit einer markanten und glaubwürdigen Persönlichkeit ausgestattet, so dass man sich die Person gut vorstellen kann.

Auch die Welt wird sehr detailliert geschildert und ist weit ausgereift. Das schließt unterschiedliche Sprachen und eine vollständige Geographie mit ein. Die Welt Soom wird so zu einer glaubhaften Welt mit einer dichten Atmosphäre.

Das Erstlingswerk des Autors ist damit durchaus wert gehört zu werden, und selbst wenn der Protagonist selbst am Ende nicht traurig sein sollte, dass es vorbei ist, den Zuhörer könnten die Abenteuer der kleinen Reisegesellschaft durchaus noch etwas nachhängen. Ich würde es Werk und Autor durchaus wünschen, wenn es eines Tages den Weg zwischen zwei Buchdeckel finden wird.

Hörsaalgetuschel – Ausgabe 77

Wandlungen

Inzwischen war nicht nur Flo, sondern auch Mia und Erik so lange an der Uni, dass auch ihnen gewisse Entwicklungen nicht vorenthalten blieben. Zunächst war es nicht wirklich auffällig jedes mal zum Semesterbeginn, wie auch jetzt wieder, zeigte sich der Kontrast besonders stark. Nicht an jeder Uni, denn nur wenige Unis starten sowohl im Sommer als auch im Winter Studiengänge im ersten Semester, aber hier ist das der Fall. Wer also nach seinem Abi oder vergleichbaren Schulabschluss noch ein halbes Jahr länger Urlaub, Praktikum oder Arbeit haben wollte, oder einfach die Fristen verpasst hatte, der konnte hier trotzdem gleich starten. Oder man hatte zunächst den falschen Studiengang gewählt und wechselte nun nach einem Semester.

Für dieses Semester war das nicht relevant, es war sowieso der übliche Start. Und was für einer. Flo hatte den Eindruck, das halbe Land musste sich plötzlich für ein Studium entschieden haben und alle waren genau hier hergekommen. Mit Mia und Erik gemeinsam saß er auf dem Campus, aß Waffeln und beobachtet die Massen nervöser Erstis, die umhereilten und sich zu orientieren versuchten. Wie um alles in der Welt sollten die alle in die Hörsäle und Seminarräume passen? Wer sollte die alle unterrichten? Ein Teil davon würde zweifelsfrei bei Mia landen, die missmutig abwechselnd auf einem Stück Waffel und einem alten Brötchen kaute. Flo hatte an ihr eine Entwicklung bemerkt, wie er sie schon bei vielen Studenten gesehen hatte, und bei sich selbst immer zu vermeiden versucht hatte.

In den ersten Semestern hatte Mia immer viel Wert auf ihr Erscheinen gelegt. Die lockigen Haare waren gepflegt und oft kunstvoll geflochten, wenigstens aber frisiert und gekämmt. Ihr Outfit hatte immer gut zusammengepasst und war sportlich und schick. Ziemlich bald hatten die Kleidungsstücke nicht mehr so gut harmoniert und das Schicke war Pragmatismus und Bequemlichkeit gewichen. Ausgewaschene und zu große Pullover mit ausgebeulten Jogginghosen waren keine Seltenheit. Seit sie mit Erik zusammen war, schminkte sie sich auch nicht mehr für die Uni und ihre Haare waren des Öfteren wohl nicht einmal gewaschen. Es war ihr einfach egal geworden.

2015-10-03 11.00.55Bei Erik verhielt es sich beinahe entgegengesetzt. Als er an die Uni gekommen war, hatte er gut eingetragene Jeans, Comicshirts und offenbar seit Langem geliebte Kapuzenpullis getragen. Inzwischen hatte er seinen Kleiderschrank etwas umorganisiert. Zwischen den Jeans lag eine wachsende Anzahl an Stoffhosen, die bunten Shirts wurden nach und nach von Hemden ersetzt und die Kapuzenpullis waren wenigstens neu und nicht verwaschen. Er wirkte damit insgesamt reifer, erwachsener und mürrischer.

Eine ähnliche Entwicklung würden viele der neuen Erstis hier wohl auch durchmachen. Einige, die jetzt noch schick herausgeputzt wie auf einer Party herumliefen, würden sich kräftig gehen lassen und es würde ihnen völlig egal sein. Bei ihnen war es am auffälligsten, was das Studium aus ihnen machte. Besonders jetzt, in den ersten Tagen, war der Kontrast zwischen Alt und Neu dabei besonders stark. Auf der einen Seite die energetisch höchst geladenen und in ihren guten Sachen hergerichteten Erstis, auf der anderen, schlurfende Studenten im letzten Lehrjahr, die sich lieber um ihr Studium und die Freizeit dazwischen als um ihr Aussehen kümmerten. Sie hatten ihren Freundeskreis hier gefunden und sahen keine Notwendigkeit, weiterhin für irgendwen Eindruck schinden zu müssen. In ihren Augen spiegelte sich nur all zu oft ein Schimmer Desillusionierung.

Die anderen, in ihren alten Lieblingsklamotten, sind oft eher Mauerblümchen. Sie haben die Schule als Außenseiter, Freaks und Streber durchlebt, mit wenigen sozialen Kontakten und ähnlich viel Selbstbewusstsein. Hier gibt es nun plötzlich ganz viele von ihrer Sorte und zum ersten mal seit vielen Jahren ist es ihre eigene Wahl, ob sie Außenseiter bleiben wollen oder nicht. Es wird eine Weile dauern, bis sie sich daran gewöhnt haben und entsprechend auftreten aber es wird bei den Meisten irgendwann so kommen. Die Uni lässt niemanden so gehen, wie er gekommen ist.

Selbst Flo, der immer versucht hat er selbst zu bleiben, bemerkt Veränderungen bei sich. Der alte Dreitagebart ist inzwischen einem etwas stattlicheren kurzen Vollbart gewichen, seine Haltung hat sich etwas gebessert und die bunt bedruckten T-Shirts sind immer häufiger schlicht einfarbig. Es ist nur eine kleine Wandlung, was ihn tröstet, da es für ihn heißt, dass er sich selbst trotzdem treu bleibt.