Raubkater
„Was macht meine Freundin eigentlich die ganze Zeit bei dir? Und wieso will sie mir nicht erzählen, dass sie bei dir ist?“
Erik stand angriffslustig vor Flo, der mit einem fiesen Kater in seinem Schreibtischsessel saß und apathisch vor sich hin schaukelte. Den Kater hatte er besagter Freundin zu verdanken. Mia war am vorigen Abend mit zwei Flaschen Rum bei ihm aufgeschlagen um sich, mal wieder, über ihren Freund aufzuregen. So sehr er ihren Besuch auch schätzte, es tat seiner Gesundheit nicht gut. Jenny hatte sich die letzten Wochen nicht mehr bei ihm gemeldet und das machte es nicht besser. Er vermisste sie und hasste sich genau dafür.
„Was denn? Keine Antwort? Was läuft da zwischen euch beiden? Und du stinkst schlimmer als ne Hafenkneipe. Was zum Teufel habt ihr gesoffen?“
„Rum. Hat Mia angeschleppt. Nimm dir ein Bier und setz dich aber hör auf so herumzuschreien.“
Flo brummelte in seinen Stoppelbart. Er war heute nicht fähig, laut zu reden. Dass Erik heute bei ihm vorbei gekommen war, passte ihm überhaupt nicht. Schon allein deswegen, weil er sein Bett hatte verlassen müssen, um die Türe zu öffnen. Er fühlte sich abgebrannt, schlapp und verbraucht. Einen widerwärtigen Geschmack auf der Zunge und ein dumpfes Gefühl im Kopf umklammerte er seine Beine, um nicht aus dem Sessel zu fallen, während er vor und zurück wippte.
Erik hatte sich kein Bier genommen und sich auch nicht gesetzt. Er stand mit verschränkten Armen im Türrahmen und wartete immer noch auf eine Antwort. Flo hatte bemerkt wie er mit den Augen möglichst unauffällig versucht hatte den Mülleimer, den Nachttisch und die Bettkante zu untersuchen. Dass er nicht gefunden hatte, wonach er gesucht hatte, würde ihn kaum beruhigen. Flo gähnte ausgiebig und wandte sich seinem Besucher zu.
„Kein Bier? Auch gut. Dann erklär du mir mal bitte, was da im Moment bei Mia und dir falsch läuft. Irgendwas muss da ja kaputt sein, wenn sie plötzlich anfängt, mich abzufüllen, statt dafür zur Schnecke zu machen. Es ist zwar schön, sich mal endlich wieder gepflegt die Kante zu geben aber das ist nur noch übertrieben.“
Erik funkelte ihn finster an. Er war gekommen um Antworten zu bekommen, nicht zu geben. Er wartete ab. Vielleicht sollte er sich doch ein Bier nehmen, einfach nur, damit Flo es nicht mehr trinken konnte. Andererseits sah er im Augenblick so aus, als könne er ihm damit sogar noch einen Gefallen tun und danach stand ihm gerade überhaupt nicht der Sinn. Er fühlte sich verraten und verletzt. Einer seiner besten Freunde und seine Freundin trafen sich hinter seinem Rücken, spät abends, zum Trinken, in einem Raum, dessen beste Sitzmöglichkeit, von einem Schreibtischsessel abgesehen, das Bett war. Er brauchte nicht viel Fantasie, um sich da etwas auszumalen.
Flo wartete auch auf eine Antwort. Eigentlich kämpfte er mehr damit wach zu bleiben und, nicht vorwärts aus dem Stuhl zu fallen. Seine Kopfschmerzen pochten so laut, dass er sich selbst nicht denken hören konnte, und wünschte sich gerade nichts mehr, als eine Tüte fettiger, salziger Chips. Selbst wenn er noch eine gehabt hätte, er hätte wahrscheinlich eh nichts hinunter bekommen. Und Erik hatte nichts Besseres zu tun, als dort zu sitzen und ihn anzuglotzen, als habe er gerade das letzte Stück Kuchen genommen. Hatte er ihm nicht eine Frage gestellt? Dann müsste doch eigentlich auch eine Antwort kommen. Mit etwas Glück könnte er daraus die Frage selbst rekonstruieren, denn er hatte sie wieder völlig vergessen. Es hatte etwas mit dem Kater zu tun, womit auch sonst, aber in welchem Zusammenhang?
Mia war da gewesen, mal wieder. Sie hatte Streit mit Erik gehabt, mal wieder. Die halbe Nacht war sie da gewesen und hatte mit ihm getrunken, mal wieder. Flo hatte nicht verstanden, was genau das Problem mit Erik war, aber die beiden redeten offensichtlich nicht miteinander. Mal wieder.
Es war nicht einmal so sehr das Problem, dass die beiden wohl beschlossen hatten, ihren Streit über ihn auszutragen. Was ihn mehr störte, war die Art, und das überraschte ihn selbst wahrscheinlich am allermeisten. Er, der an keiner Flasche Bier vorbei gehen konnte, störte sich an einem kleinen Kater. Er musste sich eingestehen, dass er alt wurde, und wo er schon dabei war, es war auch schließlich kein normaler Kater. Keine dieser Ausreden wollte so recht zünden und er fühlte sich in seiner Ehre beschmutzt und auf eine merkwürdige Art wie ein Betrüger. Er musste des Pudels Kern finden.
„Also, was ist nun mit Mia und dir?“
Er hatte nicht einmal bemerkt, wie Erik in den Minuten, die er mit seinem Kater gekämpft hatte, in sich zusammengesunken war. Wenn er ihn nun so ansah, hatte er einen beinahe kümmerlichen Haufen Mensch vor sich sitzen. Der eigentlich Größere und Kräftigere der Beiden sah fast so schlimm aus wie Flo sich fühlte, und nur halb so groß.
„Ich weiß es doch auch nicht. Im Augenblick habe ich den Eindruck, sie liebt dich mehr als mich. Jedenfalls verbringt sie mehr Zeit mit dir. Was auch immer ihr beiden da immer anstellt.“
„Du scheinst da ja viel hineinzuinterpretieren. Was traust du ihr eigentlich alles zu? Sie ist immerhin deine Freundin.“
„Ist sie das noch? Ich bin mir nicht so sicher.“
„Bemühst du dich denn um sie oder lässt du sie nur spüren, dass du unglücklich mit ihr bist?“
Flo war über seine Frage genau so überrascht wie Erik. Er hatte nicht erwartet, eine Frage zu stellen, die keinen Schaden anrichten musste und Erik hatte sich über solche Themen bisher keine Gedanken gemacht. Und wieso hätte er das auch tun sollen? Sie verhielt sich doch schließlich nicht anders. Nachdenklich schweigend saß er im Schneidersitz auf Flos Bett. Am Ende hatte er sich doch ein Bier genommen und der Geruch alleine reichte aus, um Flo ins Bad eilen zu lassen. Völlig in Gedanken versunken ließ er sich davon nicht stören.