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Wie war denn nun eigentlich Moskau?

Ich bin euch da noch eine Kleinigkeit schuldig… diese hier, um genau zu sein. Immerhin war das der Abschluss der glorreichen Exkursion.

„Wie war denn nun eigentlich Moskau?“ werde ich immer wieder gefragt. Nun, mein Eindruck von der Stadt ist recht unausgereift, denn so vieles habe ich überhaupt nicht gesehen. Wir haben uns den Rat der Gastgeber zu Herzen genommen und uns hauptsächlich mit der Metro bewegt.

Auch wenn die Moskauer Metro – ähnlich übrigens wie die Sankt Petersburger Metro – sehr sehenswert ist, man sieht naturgemäß eher weniger von der Stadt. Dafür wurde an den Stationen nicht mit Naturstein, Mosaiken und Bronzestatuen gespart. Sie sollten Paläste für das Volk sein und sind gleichzeitig so angelegt, dass sie für die Bevölkerung im Notfall als Atomschutzbunker herhalten können. Dabei liegen die Stationen deutlich flacher als beispielsweise die Metro in Sankt Petersburg mit ihren teilweise über 100 m tiefen Stationen.

Aber die Stadt? Vermutlich hätte man mit dem Bus oder Taxi nicht viel mehr gesehen, denn auf den Straßen herrscht im Allgemeinen ein ziemliches Chaos. Das mag auch dem Fahrstil einiger Individuen geschuldet sein. Wie die Leute hier ohne Metro an ihr Ziel kommen, ist mir etwas schleierhaft. Dafür ist die Metro umso attraktiver. Für eine Fahrt, egal wohin, haben wir etwa 30 Cent gezahlt und die Züge fahren in einer sehr dichten Taktung. Man wartet selten mehr als eine Minute.

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Das Hauptgebäude der Universität in Moskau. Es sieht sehr viel kleiner aus, als es tatsächlich ist.

Was ich gesehen habe, hat auf mich irgendwie den Eindruck von Strukturlosigkeit hinterlassen. Es gibt Gebäude, soweit man gucken kann. Aber ob jetzt vom Zug aus, als wir in die Stadt eingefahren sind, aus dem Hotelzimmer oder vom Balkon der Universität aus, ich könnte ein Viertel nicht vom nächsten unterscheiden. Auch was die Skyline angeht. Es gibt nicht wirklich eine Bestimmte! Klar, da gibt es die sieben Schwestern, die gelegentlich auch Stalin-Hochhäuser genannt werden und schöne Beispiele der Zuckerbäcker-Architektur sind. Es gibt den Fernsehturm, der sich durch seine Höhe auszeichnet, den ich persönlich ansonsten aber eher wenig elegant finde. Er ist halt funktional und soll weit gucken können. Es gibt mit Moskau City sogar einen CBD (Central Business District) mit modernen Hochhäusern, glitzernden Glasfassaden und etwas mehr Etagen, als die umliegenden Plattenbauwohntürme. In der Masse der Stadt gehen sie aber schlicht und ergreifend unter und sind nur hier und da kleine Flecken. Daran können auch die Waldstücke nichts mehr ändern, die jeder für sich schon die Ausmaße einer mittleren Stadt erreichen, hier aber einfach nur Parks sind. Wohin man auch guckt, im Großen und Ganzen sieht der Horizont überall gleich aus.

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Ausblick vom Balkon der Universität auf der 25 Etage. Die Etagen in diesem Teil messen übrigens gute 8 m. Man gönnt sich ja sonst nix. Gesamthöhe von diesem Palast: 235 (für 36 Etagen).

Plattenbau, der in der Ferne im Dunst verschwindet. Das ist auch ein Punkt, bei dem die Stadt für mich eher einen bitteren Geschmack hinterlassen hat. Es gibt keinen Horizont. Irgendwo verschwinden die Silhouetten der Betonklötzchen einfach im allgemeinen Grau des Hintergrunds, der irgendwo in Richtung Zenit zum schmuddeligen Blau des Himmels wird. Besonders deutlich ist das morgens, wenn die Luft noch kühl ist und die Dunstglocke niedrig über der Stadt hängt. Man kann es riechen, schmecken und sehen. Es riecht nach Abgasen von Diesel, Benzin und Kohle, schmeckt säuerlich ungesund und – wie bereits erwähnt – ist deutlich zu jeder Tageszeit am Horizont sichtbar.

Natürlich ist es eine Metropole, eine Weltstadt, die Hauptstadt Russlands, eine Stadt mit über 11 Mio. Einwohnern. Es gibt Wahrzeichen wie den Kreml, den Roten Platz, der eigentlich immer wegen irgendwelcher Events gesperrt ist, das Bolschoi Theater und neben der Basilius Kathedrale noch einen ganzen Blumenstrauß an Kirchen und Kathedralen. Mit dem GUM findet sich direkt am roten Platz ganz nebenbei noch das erste und älteste „Kaufhaus“ der Welt. Direkt um die Ecke wurde ein großer Park mit Konzerthaus und Ausleger über die Moskwa neu angelegt und ist durchaus sehenswert. Das alles konzentriert sich aber in einem recht kleinen Bereich im Zentrum.

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Ein Fernsehturm im Dunst. Was das Foto natürlich nicht einfangen kann, sind Geruch und Geschmack der Luft. Von beidem hat sie reichlich.

Es ist nicht so, dass die Stadt nichts zu bieten hätte. Es gibt sicherlich viele schöne Ecken und Orte, die einen näheren Blick wert sind. Ich habe halt einfach nicht so viele davon sehen können und der Schreck über die miserable Luftqualität hat vieles überlagert. Dabei sind die Moskauer so stolz auf die rot-weiß geringelten Schornsteine, die überall in der Stadt stehen. Sie gehören zu den zahlreichen Blockheizkraftwerken die „extrem umweltfreundlich und schadstofffrei“ aus Erdgas Strom und Wärme erzeugen. Der hohe Wirkungsgrad ist unbestritten, auch wenn bei den 30 Grad, die bei unserem Besuch herrschten, die Wärme kaum Absatz finden dürfte. Aber immerhin ein Anfang, denn Treibstoffe für den Verkehr unterliegen keinerlei Kontrollen oder Beschränkungen.

Die Leute, mit denen ich gesprochen habe, waren sich alle einig. Wenn es um Umweltfragen geht, dann hat Russland noch extremen Aufholbedarf. Müllentsorgung gibt es nur auf der Deponie, Recycling ist nicht existent, Energie ist billig und entsprechend sorglos kann man damit umgehen. Effizienz ist hier einfach nicht so sehr gefragt. Aber besonders bei der jüngeren Generation wächst das Bewusstsein dafür und Kritik an der Regierung wird lauter, wenn wieder einmal Nachhaltigkeitsprojekte sabotiert werden. Mit Kritik hält man sich im Allgemeinen nicht zurück. Es gibt also Hoffnung, dass auch hier die Sache noch nicht verloren ist.

Die Stadt mit dem Puppengesicht

Sie wird das „Venedig des Nordens“ genannt oder die „Perle der Ostsee“. Sankt Petersburg liegt an der Mündung der Newa und war unser erster Kontakt mit russischem Boden. Die Stadt hat vermutlich im Rahmen der hier mit ausgetragenen Fußball WM und ihres Gründungsjubiläums eine gründliche Überarbeitung erhalten. So wurde ein neues System von Stadtautobahnen angelegt und viele Gebäude im Stadtzentrum wurden generalüberholt und frisch saniert.

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Eremitage, gesehen von der Klappbrücke aus. Man sieht den ein oder anderen Reisebus davor aber mir wurde versichert, aktuell sei quasi niemand da. Für einen Besuch darin war leider dennoch keine Zeit.

Man sieht der Stadt an, dass sie den Spagat zwischen alt und neu versucht. Das Leben soll auf die Straßen kommen, die Kanäle rufen nach Leben und doch wirkt die Stadt wie eine Puppe. Nichts hier scheint wirklich alt oder echt zu sein. Wenig verwunderlich, immerhin entstand die Planstadt erst 1703 auf Geheiß von Peter dem Großen. Sie ist übrigens nicht nach ihm selbst benannt, sondern nach seinem Namenspatron. Das muss man schon wissen, denn ansonsten ist es angesichts vieler Denkmäler sehr leicht zu verwechseln.

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Festung Peter-und-Paul von der Newa aus gesehen. Es braucht schon sehr schlechtes Wetter, damit das goldene Dach nicht kräftig glitzert.

Besonders in der Altstadt konzentrieren sich mit beispielsweise der Admiralität, dem Winterpalast, der Eremitage und der Peter-und-Paul-Festung prunkvolle Gebäude, welche erst in den letzten Jahren aufwendig saniert wurden, teilweise auch noch saniert werden und absolut poliert aussehen. Wikipedia führt übrigens etwa 2.300 Paläste, Prunkbauten und Schlösser für die Stadt. Aber so sehr sich die Stadt auch bemühen mag, sie hat das Problem, was so viel Planstädte haben. Es wirkt einfach alles ziemlich konstruiert (was es ja eigentlich auch ist). Man geht an Gebäuden von Hunderten Metern Länge entlang, und ihre Fassaden verändern sich kaum. Es fehlt einfach das Organische, was einer Stadt den Eindruck verleiht, dass Menschen in ihr leben. Die überdimensionierten Zentralgebäude im Bereich der Sowjetstadt helfen hier nicht besonders.

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Der Platz vor dem Winterpalast, eigentlich immer voller Leute. Abends sammelt sich regelmäßig eine Traube von jungen Menschen unter der Säule links und irgendeine Band macht Musik. Am Parkplatz am Rande ist derweil das Schaulaufen der Prolls mit ihren getunten Autos.

An den großen Alleen wie dem Nevsky Prospekt oder auch entlang vieler Kanäle wird das zugegebenermaßen etwas besser. Städtisch wirkt es hier auch dank des Verkehrschaos. Dabei herrscht nicht einmal viel Stillstand. Der Verkehr fließt durchaus, ob auf dem Bürgersteig oder davor. Eines gilt aber so oder so: Jeder will gesehen werden und das erreicht man am besten darüber, der Lauteste zu sein. Vielleicht verstehe ich das aber einfach falsch und es geht eigentlich darum, der Schnellste zu sein. Offiziell gilt die Höchstgeschwindigkeit 60 km/h. Umgesetzt wird etwas anderes.

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Einer von zwei alten Leuchttürmen am ehemaligen Kai der Stadt. Heute werden sie nur noch zu Feiertagen entzündet… aber dies dann nachwievor mit Ölfeuern.

Ich würde übrigens grundsätzlich empfehlen, Strecken wenn möglich zu Fuß zurückzulegen. Das Metro Netz ist gut geeignet, um die einzelnen Stadtteile zu erreichen, aber für die Fläche dann vielleicht doch etwas dünn gesät. Außerdem muss man schon einiges an Geduld mitbringen, um überhaupt bis zum Zug zu kommen. Einige Stationen sind über 100 m tief, da verbringt man schon etliche Minuten nur auf der Rolltreppe hinunter. Dafür sind die Stationen aufwendig dekoriert und verziert. Barrierefreiheit ist hier übrigens kein Fokus. Rollstühle habe ich kaum gesehen und angesichts der vielen hohen Stufen und Treppen ist das kein Stück verwunderlich. Offenbar gibt es in Russland keine körperlich eingeschränkten Personen 😉

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Ich habe vergessen welche Metrostation das hier ist, möglicherweise die Admiralität. An anderer Stelle sind eher Mosaike oder pompöse Kronleuchter vertreten.

Gegen Abend zeigt die Stadt dann eine andere Seite. Ob Wochenende oder nicht, an jeder Ecke steht jemand und macht Musik, wahlweise gibt es auch Tanzschulen, die ihr Angebot einfach auf einen der öffentlichen Plätze verlagert haben oder die Möglichkeit, in der Märchenkutsche durch die Stadt zu fahren. Als ihr Wahrzeichen versteht die Stadt aber wohl ihre Brücken.

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Wem es gefällt, für den stehen verschiedenste Modelle an Kutschen für Stadtrundfahrten bereit. Ein Angebot, was offensichtlich sehr gut angenommen wird.

Jede Nacht werden die Klappbrücken geöffnet um die Schiffe hindurch zu lassen, die ansonsten nicht durch passen würden. Hell erleuchtet und zu pompöser Musik aus dem Lautsprecher klappen die Straßen hoch, Reisebus um Reisebus quetscht sich an die Uferpromenade und tausende Menschen sehen dabei zu, wie die Boote, welche auch tagsüber fleißig Touristenfahrten anbieten, durch die Lücken fahren. Diesmal halt nur nicht einzeln, sondern alle auf einmal.

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Samstagabend am alten Hafenkai. Am Fuß der alten Leuchttürme finden öffentliche Veranstaltungen lokaler Tanzschulen statt. Falls jemand mitmachen möchte…

Sankt Petersburg ist eine Stadt mit Gesicht, aber man muss sich schon an den Anblick gewöhnen. Man hat den Eindruck, eine Puppe vor sich sitzen zu haben. Alt, lange Jahre schwer vernachlässigt worden, und jetzt in mühseliger Kleinarbeit wieder gewaschen, geflickt und überarbeitet. Dabei ist man vielleicht an der ein oder anderen Stelle über das Ziel hinaus geschossen, denn ihr Gesicht ist vielleicht etwas zu sauber. Klar, Augen, Nase und Mund sind vorhanden, aber es fehlen die Akzente, die sie wirklich lebendig machen. Die Sehenswürdigkeiten und „Traditionen“ wirken etwas infantil und unreif. Man hat eher den Eindruck durch einen Freizeitpark zu schlendern, als durch eine Stadt. Dennoch lassen sich die Menschen nicht davon abhalten, sie in ihre ganz eigenen Spiele einzubinden und sticken ihre eigenen kleinen Muster in das Puppenkleid. Es ist ein merkwürdiger Kontrast, der dabei entsteht, aber wenn man sich auf das Bild einlässt, kann es durchaus gefallen.

 

Erste Eindrücke aus Karelien

Es ist bereits eine Weile Funkstille und das liegt nicht nur an vieler Arbeit, wenig Inspiration und rasend schnell verfliegender Zeit, sondern auch daran, dass ich auch einmal dazu gekommen bin, aus meiner Komfortzone gerissen zu werden und in einen mir unbekannten Ort zu reisen. Von alleine wäre ich vermutlich jedenfalls nicht auf die Idee gekommen, nach Russland zu fahren.

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Eine der besseren Straßen, abseits der neuen und frischen Hauptstraße. Dennoch muss man sich schon etwas von den Städten entfernen, um sie derart ruhig vorzufinden.

Karelien ist das Land der zehntausend Seen und weiten Wälder. Zehntausend stimmt dabei nicht so ganz, aber bei dermaßen vielen Seen ist es auch nicht mehr wirklich wichtig, ob es jetzt 60.000 oder 65.000 sind. Fakt ist: Es sind echt sehr sehr viele und mit dem Onegasee und dem Ladogasee finden sich hier auch noch die größten Süßwasserseen des europäischen Kontinents. Was für ein Erbe, welches die letzten Eiszeiten hier zurückgelassen haben!

Zwischen diesen Seen findet sich viel Wald. Sehr viel Wald, denn etwas anderes wird hier üben in der Taiga mit dem Land auch nicht gemacht. Landwirtschaft ist hier zwar möglich, der Boden ist durchaus fruchtbar, aber Spitznamen wie „das Land der immergrünen Tomaten“ lassen schon vermuten, dass die Sommer hier nicht die ergiebigsten sind. Hausgärten werden bewirtschaftet, aber landwirtschaftliche Fläche macht nur etwa 1% der Gesamtfläche Kareliens aus. Und diese ist etwa vergleichbar mit der Fläche Deutschlands.

Was wir hauptsächlich gesehen haben, sind Landschaften, die durch die Gletscher der letzten Eiszeiten gut eingeebnet wurden. In der Region um Sankt Petersburg herum ist das Relief dermaßen flach und stabil, dass Gräben und Krater aus dem Krieg nur unter Moos und niedrigen Büschen verborgen liegen. Obwohl es in der Region viel regnet, sind sie nie verschüttet worden.

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Ich bin übrigens amtierender Europameister im unscharfe Fotos schießen. Nicht offiziell natürlich, aber dafür mit vielen Beweisbildern. Meine Kamera mag mich nicht.

An dieser Stelle möchte ich euch nur einen ersten Eindruck über die Gegend bieten, denn was mich am meisten beeindruckt hat, ist tatsächlich die Gegend. Der Wald hat sich in den letzten 12.000 Jahren nicht verändert und sieht doch noch so jung und hell aus. Flüsse fließen, wie sie nun einmal fließen, und niemand macht sich die Mühe, ihnen ein neues Bett geben zu wollen. Straßen führen Kilometer um Kilometer nur durchs Nichts. Wenn es hier eines im Überfluss gibt, dann ist es Platz, und das alles nur wenige Kilometer von der Grenze der EU entfernt.

PS: WordPress informiert mich gerade darüber, dass heute mein Jahrestag ist. Dieser Blog existiert seit inzwischen vier Jahren. Zur Feier des Tages gibt es wenig Text und viele Bilder 🙂 Ich hoffe, sie gefallen Euch! (Das mit den Kacheln ist ein Experiment. Ich hoffe, es klappt mit dem vergrößern und den Beschriftungen)

Trappist-1 – Sensationsmeldung aus dem Weltall

NASA hält eine Pressekonferenz und löst einen riesigen Wirbel aus. Für den Alltag hat die Meldung keinerlei Relevanz, aber sie greift einen der großen Träume der Menschheit auf: Was ist da draußen?!

Und weil mein Blog schließlich ein Testgelände ist, habe ich es zum Anlass genommen, mal zu üben. Für einen wissenschaftsjournalistischen Artikel hat es wohl nicht gereicht, dafür sind zu viel eigene Meinung und zu wenig Fakten drin. Aber vielleicht kann man es als Kommentar gelten lassen? Hoffentlich bin ich beim nächsten „Artikel“ besser. Lass mir gerne einen Kommentar mit deiner Kritik, Meinung und Anregungen da.

Trappist-1 und die große Hoffnung

 

Es ist wohl einer der ältesten Träume der Menschheit, zu den Sternen zu reisen. Geschichten hierzu sind älter als das Wissen darum, was die Sterne überhaupt sind, abgesehen von hellen Pünktchen am Nachthimmel. So ergibt natürlich auch die Suche nach neuen Welten viel Sinn, jetzt, da wir wissen, dass unser kleiner Planet nur einer von vielen ist.

Verbesserte Methoden und fein kalibrierte Instrumente sowie eine enorm wachsende Datengrundlage haben in den letzten Jahren zu ungeahnten Ergebnissen geführt. Jedes Jahr kommt gleich ein ganzer Katalog von neu nachgewiesenen Exoplaneten hinzu. Zunächst hauptsächlich die weiter außen liegenden, größeren Gasriesen, in den letzten Jahren aber auch verstärkt kleinere, innen liegende Gesteinsplaneten. Es ist also statistisch gesehen nur eine Frage der Zeit, bis sich darunter auch eine zweite Erde verbirgt.

Und genau das, so die Hoffnung, ist nun mit den nachgewiesenen Planeten im Trappist-1 System geschehen. Gleich sieben Planeten von etwa Erdgröße hat das internationale Forscherteam auf Initiative einer belgischen Forschergruppe unter Leitung der NASA hier entdeckt. Drei davon sogar in der habitablen Zone, dem Bereich also, in dem die Einstrahlung des Sterns so viel Energie auf die Oberfläche bringt, dass flüssiges Wasser vorkommen kann.

Im Fall von Trappist-1 ist diese Zone sehr viel enger um den Stern, als im Fall unserer Sonne, da er deutlich kleiner ist. Seine Planeten sind entsprechend dichter beieinander, haben kleinere Umlaufbahnen und, um darauf stabil zu bleiben, höhere Geschwindigkeiten. In etwa in der Größe unseres Mondes sollen sie am gegenseitigen Nachthimmel zu sehen sein. Und davon gleich eine ganze Reihe auf einmal! Die Vorstellung alleine regt die Fantasie an und verständlicherweise vielfach Hoffnungen und Fragen.

Haben wir hier in nicht einmal vierzig Lichtjahren Entfernung die Antwort auf die Frage, ob wir alleine im Universum sind? Liegt da eine zweite Erde direkt in unserer Nachbarschaft? Können wir es bis dorthin schaffen? Immerhin ist uns das Konzept von Generationenraumschiffen ja schon länger bekannt. Wie sehen diese Welten aus? Gibt es dort Wasser? Wie sieht es mit freiem Sauerstoff aus? (Was übrigens ein extrem deutliches Indiz für eine Lebensform wäre, die wir auch als solche erkennen würden.)

Einen Punkt vermisse ich aber dennoch in der Diskussion, den ich in den paar Artikeln, die ich hierzu überflogen habe, nirgends finden konnte. Die tektonische Energie.

Auf der Erde ist das zu vernachlässigen. Auch wenn unser Mond recht groß ist, die Energie, die durch seine „Gezeiten“ auf die Erde wirken, verstecken sich in der Energiebilanz der Erde unter den 0,02 % „Innere Energie“. Bei den Monden unserer Gasriesen Jupiter und Saturn sieht das schon anders aus. Dort reichen die Wechselwirkungen aus, um einen starken Vulkanismus anzuregen und eventuell den Kilometer mächtigen Eisschild Europas teilweise aufzuschmelzen.

Wie sieht das also in einem System aus, in dem gleich sieben Planeten von Erdgröße sich in einen Raum quetschen, der noch innerhalb des Merkurorbits liegt, und sich hier mit hohen Geschwindigkeiten begegnen? Bevor ich diese Reise antrete, würde ich das doch lieber einmal von jemandem durchrechnen lassen, der mit den Zahlen etwas anfangen kann.

Erdgröße allein muss auch noch kein Indiz sein. Unsere Venus ist nur minimal kleiner als die Erde, aber ein Vielfaches ungemütlicher. Mit einem effektiven Treibhauseffekt von über 90 % hat sie sich eine Hochdruckatmosphäre geschaffen, die keinerlei organisches Leben zulässt. Aber in dieser Sache werden von den Planeten um Trappist-1 schon bald die ersten Antworten erwartet, wenn auswertbare Spektraldaten vorliegen. Vielleicht erwartet uns dann ja die nächste Sensationsmeldung von den Sternen.

Die Namen der Planeten, so der Wunsch der belgischen Forscher, soll sich übrigens alle an belgischen Bieren orientieren, wie auch schon der Name des Systems. Es steht noch aus, ob diese Vorschläge akzeptiert werden.

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Bildquelle: NASA

Die Rakete von Fremont

Seit der Mensch denken kann, will er hoch hinaus. Der Traum vom Fliegen ist älter als die Geschichtsschreibung, der Traum, zu den Sternen zu fliegen nur unwesentlich jünger. Inzwischen beherrschen wir beides mehr oder minder gut, doch an Reiz hat es deswegen nichts verloren. Als nun 1991 die Nachricht Fremont erreichte, dass in Bell Town eine überschüssige Rakete aus dem beginnenden Kalten Krieg 1950 verschrottet werden sollte, machten sich Vertreter der Künstlergemeinde sofort auf den Weg.

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Nach einer Grundsanierung und einem fehlgeschlagenen Versuch 1993, konnte die Rakete am dritten Juni 1994 „nach fünf Minuten Suborbitalflug“ auf ihrer aktuellen Position aufgesetzt werden. Ausgerüstet mit einer neuen Nase, neuen Flügeln und dem Wappen und Motto von Fremont, „De Libertas Quirkas“, hat sie sich zu einem kleinen Wahrzeichen entwickelt. Es besteht die Hoffnung, die 16 Meter hohe Rakete in Zukunft zur Sendeantenne von Fremonts eigenem Radiosender zu machen. Wenigstens vorerst wird sie ansonsten wohl nirgendwo sonst hinfliegen, obwohl der Rauch an ihrer Basis es immer wieder ankündigt.

Wer die Rakete sucht, der findet sie unweit der Lenin Statue an der Ecke Evantson Ave und 35th Street.

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Seattles Lenin

Was gibt es Schöneres, als an einem sonnigen Nachmittag bei einem Getränk seiner Wahl mit Freunden gemeinsam auf der Terrasse eines Cafés zu sitzen, das Wetter zu genießen und den Menschen zuzusehen? Diese Frage mag jeder für sich individuell beantworten und zugegebenermaßen, wenn die Terrasse aus den Tischen und Stühlen eines Straßencafés an einer Kreuzung ist, dann erst recht. Aber diese Kreuzung ist nicht so ganz gewöhnlich.

Sie liegt mitten in Seattles Stadtteil Fremont, an der Kreuzung der Evanston Ave, Fremont Pl und N 36th Street. Angrenzend finden sich etliche schmucke Häuschen und Hecken, hinter denen sich Gärten und Terrassen verbergen. Es sieht gepflegt und modern aus, hat sich aber trotzdem noch etwas den Charme eines Künstlerviertels bewahrt. Eine fast normale Hauptstraße, mit Straßencafés, Bars und Bummelmöglichkeiten. Wenn nicht Wladimir Iljitsch Lenin mit fast 4 Metern Höhe und über 7 Tonnen Gewicht über eben diese Kreuzung wachen würde.

Leninstatue vorne

Da läuft man gerade durch die Straßen eines Landes, welches seit mehr als sechzig Jahren die Angst, eher sogar eine paranoide Panik, vor allem kommunistischen gelehrt bekommen hat. Einem Land, in dem alles kommunistische dermaßen Böse ist, dass selbst eine soziale, allgemeine Krankenversicherung, die gut und gerne 85 % der Bevölkerung bitter nötig hat, als das ultimative Böse bekämpft wird. Und plötzlich steht man vor dem Erzfeind, dem Gründervater jener sozialistischen Nemesis. Was ist passiert?

Zehn Jahre lang arbeitete der slawische Künstler Emil Venkov an der Bronzestatue, ehe sie 1988 in Poprad, in der Slowakei aufgestellt werden konnte. Auch wenn sie den Maßgaben der Regierung entsprach, ist sie dennoch einzigartig. Es wird angenommen, dass es die weltweit einzige Statue von Lenin ist, welche ihn nicht als Intellektuellen mit Buch zeigt, oder seinen Hut wedelnd, sondern umgeben von stilisierten Waffen und Flammen. Ein subtiler Protest, welcher die blutige Revolution hervorheben soll, ein Ausdruck der politischen Überzeugung des Künstlers.

Leninstatue hinten

Stilisierte Waffen und Flammen auf dem hinteren Sockel der Statue. Und eine rote Hand als weniger subtiler Protest.

Doch schon nach nur einem Jahr war die Karriere der Statue vorerst vorbei, die Sowjetunion zerbrach und der eiserne Vorhang fiel. In der Revolution von 1989 wurde die Statue gestürzt und von Lewis Carpenter entdeckt, welcher zu dieser Zeit in Poprad unterrichtete. Er erkannte Venkovs Fähigkeiten und die Qualität der Statue und setzte sich dafür ein, sie zu bewahren. Er importierte sie in die USA und starb 1994, ehe ein dauerhafter Standort für sie gefunden werden konnte. In Fremont hat sie einen temporären Standort gefunden, wo sie gesehen, von der Öffentlichkeit bewundert werden kann und an ein wichtiges Kapitel der Geschichte erinnern soll. So lange, bis sie einen Käufer findet und einen Platz im Museum, um ihren Erinnerungsauftrag fortzuführen.

Die Statue in Fremont aufzustellen löste eine ziemliche Debatte unter den Anwohnern aus. Die politische Symbolkraft des Kunstwerks stand dem handwerklichen und bildhauerischen Können des Künstlers entgegen. Unter den öffentlichen Kunstwerken Fremonts ist dieses vielleicht das, welches am stärksten polarisiert. Nicht zuletzt aufgrund der jahrzehntelangen politischen Bildung löst es bei vielen seiner Betrachter wohl die stärksten Gefühle aus, ob positiv oder negativ. Trotzdem, oder auch deswegen, ist es eine beliebte Station der Trollaween Parade, welche alljährlich zu Halloween vom Fremont Troll aus durch den Stadtteil zieht.

Leninstatue Gegenlicht

Der Fremont Troll

Der Legende nach lebte unter der viel befahrenen Aurora Bridge in Seattles Stadtteil Fremont einst ein Troll. Ein Ungetüm, groß wie ein Haus, welches angeblich im Reisegepäck skandinavischer Holzarbeiter seinen Weg hierher gefunden hat. Im Hinterland des Industriegebiets am Nordufer des Lake Union fand er reichlich Nahrung, in Form von unvorsichtigen Saufbolden, Kindern, die sich des Nachts aus dem Haus schlichen und gelegentlich einem Auto und dessen Insassen. So muss er einige Zeit gut gelebt haben, im Schutz der Brücke und der Nächte.

Doch das Stadtbild wandelte sich. Die Industrie zog weiter, als sich die Vororte von Seattle um den See herum ausbreiteten. Zurück blieben leere Hallen und Fabriken, in denen sich bald schon eine Bevölkerungsschicht ansiedelte, die klassischerweise arm, eher dünn und schlecht genährt ist: die Künstler. Für Fremont hieß das, die grauen Fabrikanlagen bekamen etwas bunte Farbe ab. Für den Troll hieß das, seine Suche nach Nahrung wurde erschwert. Immer wieder musste er seine Streifzüge bis in die frühen Morgenstunden ausdehnen.

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Dann, eines Nachts, im Herbst 1990, legte ein junges Pärchen einen Zwischenstopp unter der Aurora Bridge ein, auf ihrem Roadtrip entlang der Küste. Diese Reise war ihre Art, ihr einzig wahres Idol und den König, Elvis, hochleben zu lassen. Unter dem Brückenkopf schienen sie die perfekte Übernachtungsmöglichkeit für sich und ihren VW Käfer gefunden zu haben. Dem Troll kam dies nach einigen ausgehungerten Nächten sehr gelegen und so wagte er sich früher an diesem verregneten Abend aus seiner Höhle. Er rechnete nicht mit dem Undenkbaren. Nämlich, dass ein letzter Sonnenstrahl der Abendsonne durch eine Wolkenlücke über der Salmon Bay schoss. Er traf ihn in dem Moment, als er den Käfer griff, um ihn in seinen Bau zu ziehen, und versteinerte ihn sofort.

Diese Geschichte ist natürlich frei erfunden und grober Unfug (fast), aber der Troll sitzt trotzdem an genau dieser Stelle unter dem Brückenkopf am Nordufer der Aurora Bridge. Er genießt eine wundervolle Aussicht auf das Ständerwerk der Brücke und den Fremont Cut, den Kanal, welcher Lake Union mit der Salmon Bay verbindet, ist etwa fünfeinhalb Meter hoch und wiegt solide 6,35 Tonnen. Sein Oberkörper wenigstens, denn mehr existiert von ihm leider nicht. Es ist eine Statue aus Stahl und Beton, mit einem etwas mürrischen Gesichtsausdruck, welche pünktlich zu Halloween 1990 dort ihre Enthüllung erfuhr und seitdem eines der Wahrzeichen Fremonts und auch Seattles ist.

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Die Geschichte des Fremont Trolls beginnt im Jahre 1989, als dem Fremont Art Council vorgetragen wurde, dass man mit dem leeren Raum unter der Brücke etwas Schönes anfangen sollte. Der Ort hatte sich zur illegalen Müllkippe und einem bevorzugten Umschlagplatz für den lokalen Drogenhandel entwickelt. Der Council schrieb also einen Wettbewerb aus und stellte gleichzeitig die Jury, welche die eingegangenen Vorschläge auf fünf Finalisten zusammenfasste. Diese fünf Besten sollten dann als Modell auf dem Stadtfest den Bürgern zur Wahl gestellt werden. Der Troll des Teams „Jersey Devils“ unter Steve Badanes gewann die Abstimmung dermaßen überragend, dass die anderen Teilnehmer nicht einmal mehr Erwähnung finden.

Das Design des Trolls und seine Geschichte als Menschenfresser ist vor allem an den norwegischen, aber auch etwas den schwedischen Trollen orientiert. In beiden fällen können Trolle riesengroß werden, haben lange Haare und oft auch lange Bärte und einen außergewöhnlichen Hunger auf Menschenfleisch. Sie sind dabei nicht wirklich böse, oder werden nicht als böse Kreaturen wahrgenommen. Auch wenn sie gerne Streiche spielen und Menschen fressen, das ist einfach ihre Natur, für die sie nichts können. Die Inspiration zu diesem Kunstwerk und seine Geschichte entstand wohl in Anlehnung an eine alte (norwegische?) Volkssage um drei Ziegen, welche auf dem Weg zu ihren Bergweiden über eine Brücke müssen, unter welcher ein Troll lebt. „The Billy Goats Gruff“.

Seattle Fremont Troll

Für den Bau des Kunstwerks wurden Stahl, Draht, etwa zwei Tonnen Stahlfaserbeton und ein originaler Käfer mit Nummernschild aus Kalifornien und Erinnerungsstücken an Elvis Presley verbaut. Nummernschild und Elvis Memoria sind durch Vandalismus an der Statue inzwischen verschwunden. Der Käfer ist zur Hälfte unter der linken Pranke des Trolls begraben, mit der Rechten stützt er sich auf dem Boden ab. Es wirkt, als würde er sich vorbeugen, den Kopf mit den langen Haaren, dem Rauschebart und der riesigen Nase hervor strecken. Gerade so, als würde er sich über das rote Auto hinweg aus seiner Höhle ziehen.

Besucher werden dazu aufgefordert, mit dem Troll zu interagieren, auf ihn draufzuklettern (soweit das möglich ist) und ihm in das eine sichtbare Auge zu piksen. Als sein Auge dient übrigens eine Radkappe des Käfers. Die Interaktion umfasst offenbar nicht nur Gekletter, sondern auch bunte Kreide.

In seiner Funktion als Wahrzeichen des Stadtteils dient er als Startpunkt der jährlichen Halloween Parade. Diese ist eigentlich nur ein Randprodukt der „Trollaween Party“ und führt an diversen kuriosen Sehenswürdigkeiten des Ortsteils vorbei. Im Sommer ist der Troll Gastgeber des Theaterfestivals „Shakespeare at the Troll“, wo er als Bühne für ein heiteres Straßentheater herhalten darf. Gelegentlich bekommt er auch eine saisonale Verkleidung. Die Krönung als Wahrzeichen dürfte der Troll allerdings 2005 erfahren haben, als die Straße, über welche er wacht, zu seinen Ehren in „Troll Avenue“ umbenannt wurde.

Fußläufig vom Troll aus zu erreichen befindet sich der Firmensitz von Geocaching.com. So taucht der Troll auch immer wieder in diesem Zusammenhang auf und ist sogar Wächter über seinen ureigenen Cachepoint.

Seattle Gum Wall

Seattle, im U.S. Bundesstaat Washington, verfügt über eine etwas andere Touristenattraktion. Die Gum Wall in der Post Alley. Gut versteckt zwischen, unter, hinter oder neben dem Pike Place Market (je nachdem, von wo aus man guckt) findet sich hier eine Wand, die über und über mit Kaugummis beklebt ist. Mit gekauten Kaugummis, wohlgemerkt.

Market Theater
Ich habe nur Erzählungen und Geschichten von der legendären Gum Wall gehört, ehe ich 2013 selbst in Seattle war, und ich konnte mir nicht wirklich etwas darunter vorstellen. Kaugummis auf dem Boden der Fußgängerzone kennt man ja, aber an den Wänden? Ein Blick kann ja nicht schaden.
Was mir als Erstes auffiel, war, wie schwer dieses „Wahrzeichen“ zu finden ist. Die Post Alley liegt etwas abseits der Straßen und ist wirklich nur eine schattige Gasse durch die Hinterhöfe. Vom Markt aus kommt man über eine Treppe dort hinab und erwischt man den falschen Torbogen, findet man sich statt in einer feuchten Unterführung in einem gequetscht vollem Kram- und Postkartengeschäft wieder. Ich war am Ende von der anderen Seite aus erfolgreicher, wo sogar ein Schild auf die Gasse aufmerksam macht. Verblüffend ist, wie leicht man es übersieht, bedenkt man die Größe.
Und dann findet man tatsächlich eine Backsteinmauer und etwas, was wie der Hintereingang zu einer Kneipe oder ein sehr alternatives Theater aussehen könnte. Etwas zurückliegende Türe und daneben Fenster, die in den letzten zehn oder zwanzig Jahren wahrscheinlich nie geputzt worden sind. Das rote Backsteinmauerwerk tritt absolut in den Hintergrund, angesichts dieser Masse von kunterbunten Kaugummis, welche daran kleben. Es reicht ein Blick, um zu verstehen, wie es dieses Kunstwerk in die Liste der „top 5 germiest tourist attractions in 2009“ in den USA schaffen konnte. Vielen Besuchern hat es nicht gereicht, einfach einen Kaugummi zu hinterlassen. Sie haben Herzchen oder kleine Schriftzüge daraus geformt oder es auch benutzt, um kleine Zettelchen mit Botschaften zu hinterlassen.

Gum Wall

Seinen Ursprung findet diese Sehenswürdigkeit um 1993 herum, als Besucher des Market Theater die Kaugummis benutzten, um Münzen an dessen Außenwand zu kleben. Anfänglich wurden diese noch von den Theaterangestellten entfernt, doch spätestens, seit das Management des Marktes die Wand 1999 als Touristenattraktion deklarierten, gaben sie auf. Die letzte größere Reinigung lag zu diesem Zeitpunkt schon etliche Jahre zurück. Köln und Paris haben Brücken voller Schlösser, New York Graffitikunst, Los Angeles seine Promi-Imitatoren und Seattle halt eine Wand voller Kaugummi.
Damals, 2013, sah es auf jeden Fall beeindruckend aus und auf seine eigene Weise völlig skurril. Auf guten zwanzig Metern länge und so hoch, wie man halt reichen konnte, mal als kleiner Blobb, tropfend oder lang gezogen und zu Buchstaben und Zeichen geformt.
Und dann, im November 2015, gab die Marktleitung bekannt, das Kunstwerk zu entfernen. Das erste mal seit zwanzig Jahren rückten Hochdruckreiniger an und befreiten die Mauern von ihrem bunten Kostüm. Der Grund hierfür ist der Zucker in den Kaugummis. Er greift die Ziegel an und schädigt den Zementmörtel. In dem Versuch, der Erosion und dem Zerfall Einhalt zu gebieten, wurde vom 10. bis 13. November in hundertdreißig Arbeitsstunden über eine Tonne Kaugummi von den Steinen gekratzt. Kurz vorher hatte es noch den öffentlichen Aufruf gegeben, sich mit einem letzten Kaugummi und der Teilnahme an einem Fotomarathon von der Gum Wall in seiner bisherigen Form zu verabschieden.

Gum Wall Seattle
„Die Wand ist wie die Kunst, die dahinter stattfindet, ständigem Wandel unterworfen, durch jene, die sich daran beteiligen.“ Den Offiziellen des Marktes war klar, dass jede Reinigung der Wand nur ein Neubeginn, auf keinen Fall aber ein Ende sein würde und sie behielten recht. Kaum war bekannt gegeben, dass die Wand gereinigt werden sollte, organisierte sich ein Flashmob unter dem Motto „Re-gumming the gum wall.“ Die Marktleitung hatte sich in ihrer Ankündigung neugierig gezeigt, in welcher Form das Kunstwerk neu entstehen würde. Das Ergebnis hatte dann aber keiner erwartet.
Am 13. November, dem Tag, an dem die Reinigung abgeschlossen war, erschütterten Explosionen das viele Tausend Kilometer entfernte Paris. Der Donner hallte nicht nur in Europa wider, sondern dröhnte selbst im jungen, weltoffenen Seattle. „Re-gum“ änderte spontan seinen Zweck und beschloss, statt etwas schrecklich Albernem und Sinnlosem lieber etwas Albernes aber wenigstens ein wenig sinnvollem zu tun. “Re-gumming” the gum wall – for Paris. Unter den ersten Kaugummis auf der neuen Gum Wall waren Kondolenzen und Botschaften für Paris. Sie entstanden, noch bevor die lokale Presse die Bilder der gereinigten Wand veröffentlichen konnte. Seitdem wächst sie wieder und es ist kaum absehbar, wie weit sie es diesmal schaffen wird, ehe die nächste Reinigung das historische Mauerwerk darunter renoviert.