It‘s the end of the world as we know it

It‘s the end of the world as we know it

 

Es ist so weit, die Apokalypse ist offiziell angekündigt. Das System ist zusammengebrochen und hat sich abgemeldet. Okay, nur das duale System. Jahre der Umwelterziehung fallen einer Krise zum Opfer, die sich den meisten Menschen in erster Linie durch Massenhysterie um ausverkauftes Klopapier bemerkbar macht. Die lokalen Stadtreiniger kürzen alles zusammen und leeren ab sofort nur noch den Restmüll. Wer keinen eigenen Kompost auf dem Balkon hat, möge ihn bitte im Restmüll entsorgen, auch die Papiertonnen werden auf unbestimmte Zeit nicht mehr abgefahren, Wertstoff- und Recyclinghöfe bleiben ebenso geschlossen.

Die Krise hat Deutschland fest im Griff. Schulen und Kindergärten sind genau so geschlossen wie die Konsumtempel. Bei bestem Frühlingswetter sollen die Menschen motiviert sein, sich in ihre vier Wände zurückzuziehen, nur die nötigsten Ausflüge zum Supermarkt oder Arzt zu unternehmen, nach Möglichkeit von zuhause aus zu arbeiten, um keine Kollegen zu infizieren und grundlegende Hygieneregeln wie Händewaschen zu beachten. Treffen mit Freunden? Lieber nicht, und wenn nötig, bitte nur in kleinen Gruppen und mit ausreichend Abstand.

Flatten the curve! Streckt die Neuinfektionen über eine möglichst lange Zeit, damit das Gesundheitssystem es auch auffangen und bearbeiten kann. Und über allem schwebt, bzw. fällt inzwischen das Damoklesschwert der Ausgangssperre als letztes Mittel der Politik, der Situation noch, wenn schon nicht Herr, dann wenigstens aber doch Lehrling zu werden.

Die Leute lassen sich davon kaum abhalten. Solange die Cafés geöffnet sind, sitzen sie auch voll. Nur langsam nimmt der Abstand zwischen den Passanten zu und nur langsam nimmt die Zahl derer ab, die sich dazu entschließen, das Wetter mit Freunden, Verwandten und Bekannten im Park zu verbringen. Immerhin ist doch fast perfektes Wetter zum Grillen. Was fällt Mutter Natur auch ein, da einen Strich durch die Rechnung machen zu wollen? Es wirkt beinahe trotzig, wie etliche Leute sich nun in Gruppen in der Sonne sammeln.

Einige halten sich trotzdem an die Aufforderung, zuhause zu bleiben. Wenigstens haben sie ihre eigene Interpretation dessen, was gefordert wird. Mit Hamsterkäufen und allem was dazu gehört. Auf dem Heimweg von der Arbeit kann man die Ströme von Menschen beobachten, die Massen an Lebensmitteln aus den Supermärkten schleppen. Bei den meisten ist der Blick eher nach innen gekehrt. Nur die, die noch eine Packung Klopapier ergattert haben, gucken irgendwie eher beschämt.

Aus der Fußgängerzone schallt das Rattern der Skateboards. Eine Gruppe Jugendlicher nutzt die Schulsperrung, um dieses Hobby noch einmal aufleben zu lassen. Noch ist die Ausgangssperre schließlich nicht in Kraft getreten. Viele Passanten machen dennoch lieber einen Bogen um die kleine Gruppe, die sich um Bluetooth Box und Palette Energydrinks in Dosen versammelt hat. Ein altes Ehepaar schüttelt verständnislos die Köpfe darüber, bevor sie sich zu ihren Freunden ins Café setzen. Zwei Radfahrer rauschen vorbei. Sie sind offensichtlich nicht auf dem Heimweg von der Arbeit oder zum Einkaufen, sondern nur auf Spazierfahrt unterwegs.

Eine Querstraße weiter staut sich der Verkehr hinter einem Lastwagen, der gerade seine Baustelle beliefert. Die Arbeiter können auf Mindestabstände hier keine Rücksicht nehmen und auch der Innenausbau ist im Homeoffice kaum zu realisieren. Spaß an der Arbeit sieht bei den meisten anders aus. Einzig der König der Baustelle in seinem Kran und der LKW Fahrer gucken, als würden sie das Wetter genießen können. Wobei der Kranfahrer sich auch über sein Pausenbrot freuen könnte, welches er gerade mit einem Bier hinunter spült. Natürlich alkoholfrei! Nicht, dass ich das von hier unten erkennen könnte, aber ich unterstelle es ihm. Denn Arbeitssicherheit gilt immer noch, da wird im Kran bitte nicht gesoffen.

Von dort oben kann er sicherlich auch in den Innenhof im übernächsten Block gucken. Die Abendsonne scheint jedenfalls eifrig hinein, spiegelt sich in einigen Fenstern und wird von den zahlreichen offenen Balkontüren geschluckt. Die ersten Blumenkästen sind bunt geschmückt, Balkonmöbel werden raus gestellt und irgendwo tönt R.E.M. aus einer Wohnung. It‘s the end of the world as we know it hallt durch den offenen Hof auf die Straße, auf einzelnen Balkonen wird getanzt. Es hat etwas von Urlaubsstimmung. In der oberen Etage wirft jemand eine Bierflasche über die Ecke auf den benachbarten Balkon. Sein Freund versucht sie mit einem Kissenbezug zu fangen. Man hört das Reißen des Stoffs, bevor die Flasche dumpf auf dem Balkon zerschellt. Ich höre nur noch das Fluchen, als ich um die Ecke verschwinde.

It‘s the end of the world as we know it and I feel fine begleitet mich auf den Metern bis zum letzten Supermarkt vor der eigenen Haustüre, und irgendwie scheint es das passende Motto der Krise zu sein. Eines ist hier sofort deutlich: Es gibt noch Toilettenpapier! Wein in Tetrapacks, Konservendosen und Klopapier, das dominiert hier das Bild der Einkaufstüten. Die Prioritäten sind klar gesetzt.

Die Kassiererin sitzt hinter einem improvisierten Spritzschutz aus Bilderrahmen und Folien, an der Türe begrüßt mich der Hinweis, bitte mindestens 1,5 m Abstand zu anderen Kunden zu halten und mit Karte zu zahlen. Alles, was mir noch fehlt, sind Kartoffeln und Paprika. Dafür sollte es doch heute noch reichen. Selbst in der Ausgangssperre darf man sich schließlich mit frischen Lebensmitteln versorgen. Vielen scheint das nicht so ganz bewusst zu sein.

Was mich am Ende am meisten beunruhigt, ist, dass ich meine Umgebung nicht verstehen kann. Da sind einerseits die völlig Sorglosen, denen alles egal zu sein scheint, die sich über die Grippewelle vermutlich sogar etwas freuen.Und auf der anderen Seite die Hamsterkäufer und Hysteriker, die sich mit Vorräten für Jahre eindecken, um zwei bis drei Wochen in ihrer Wohnung verschwinden zu können. Wo ist das gesunde Mittelmaß geblieben? Achtsamkeit und Rücksicht auf seine Mitmenschen, Einhaltung der Basishygiene, Gelassenheit und ruhiges Abwarten.

Tut es wirklich so weh, einmal nicht mit den Kollegen im Büro zu kuscheln, auf die dritte Party in dieser Woche zu gehen und sich mit fremden Menschen in viel zu kleine Straßencafés zu quetschen um teuren Kaffee zu schlürfen? Ist es wirklich unzumutbar, darauf hinzuweisen, medizinische Notfallausrüstung auch für medizinische Notfälle verfügbar zu halten und nicht literweise Desinfektionsmittel zu horten? Offenbar ist das zu viel verlangt! Und wenigstens fürs Erste haben R.E.M. recht und es ist wirklich das Ende der Welt, wie wir sie kennen. Aber das war noch nie etwas Neues. Es ändert sich immer wieder alles und ein neues „Normal“ stellt sich ein. Wenigstens bis im Sommer die nächste Hitzewelle kommt und den nächsten Ausnahmefall mit bringt. Und gegen Hitze hilft Klopapier genau so gut, wie gegen Grippe. Wenigstens ist Hitze nichts ansteckendes, ihre Opfer dafür umso abstrakter.

Bleibt gesund!!

6 Gedanken zu „It‘s the end of the world as we know it

  1. puzzleblume

    Deine vielfältigen Beobachtungen zu lesen hat mir wegen der Ausgewogenheit gefallen und wegen der kleinen, drübergestreuten Lichtpünktchen. Vielleicht ist dies das Problem an dem viele Menschen leiden, indem sie jeden Aufreger in einer Weise fokussieren, als wäre es eine faszinierende Droge. Lauter Dopaminabhängige?

    Gefällt 1 Person

    Antwort
    1. dergrafvonborg Autor

      Ich glaube, die Leute behalten durchaus das Große und Ganze im Blick, aber sehen sie sich halt selbst als das Größte und alles andere nur als schmückendes Beiwerk. Die Welt ist dazu da, sie zu unterhalten, also stürzen sie sich auf alles, was ablenkt. Wie eine Droge 😉

      Gefällt 1 Person

      Antwort
  2. Stella, oh, Stella

    Die Gleichgültigen und die Hysteriker, genau so ist es. Die gehobenen Hygieneregeln sollte man während jeder Grippesaison beachten, nicht nur jetzt bei Corona. Ich habe mich schon immer darüber aufgeregt, wenn Leute total verrotzt zur Arbeit kamen oder in der U-Bahn sassen und alle ansteckten. Aber das war teilweise Schuld der Arbeitgeber, die Krankheit nicht akzeptierten. Dann lieber alle anderen anstecken lassen. Dazu gehört naturlich auch, dass man sich nicht in winzigen Cafes zusammenstaut. Aber ein Spaziergang an der Luft schadet niemandem. Man braucht ja andere Leute nicht zu umarmen oder abzuküssen.
    Aber so viel Hysterie von Seiten der Politiker wie dieses Mal wurde in den vergangenen Jahren nie gemacht, nicht einmal bei SARS. Oder bei der schlimmem Grippe-Epidemie 17/18, während der in Deutschland 25.000 (!!) Menschen starben (in Dänemark 2800, prozentual zur Bevölkerung ungefähr das gleiche wie in Deuschland). Und Influenza rafft auch Babies und Jugendliche dahin, nicht „nur“ alte und kranke Menschen (ich bin selber alt). Warum also jetzt alle diese Massnahmen? Konspirationstheorien oder nicht, für viele Dinge kommt diese Corona-Hysterie einfach zu gelegen. Und die Bevölkerung wird hinterher die Rechnung bezahlen müssen, u. a. durch verminderte Sozialleistungen.

    Gefällt 1 Person

    Antwort
    1. dergrafvonborg Autor

      Spazieren gehen ist eine tolle Sache, nur wenn alle es tun, dann wird es wieder so voll in der Stadt, dass der Rest der Quarantäne sinnlos wird. So jedenfalls sah das hier aus. Wie du sagst, eine gewisse Hygiene sollte immer gelten. Und Hände waschen nach dem Klo ist sowieso immer dran!
      Corona ist schon vermutlich etwas gefährlicher, als eine „gewöhnliche“ Grippe. Auch deswegen, weil man gegen viele ältere Stämme bereits Impfstoffe hat und damit ein bisschen etwas tun kann. Und an die ca. 30.000 Grippetote, die es in Deutschland JEDES JAHR gibt haben wir uns vielleicht auch einfach schon gewöhnt. Die 40.000-70.000 Hitzetote, die wir jeden Sommer zu beklagen haben, sind auch nur eine Randnotiz. Das ist etwas, was ich noch nicht ganz begriffen habe. Wieso ist es einmal eine globale Pandemie, die großräumige Quarantäne verlangt, und einmal nur eine tragische Begleiterscheinung, die keine Folgen im Handeln mit sich bringt? Weil Hitze nicht ansteckend ist? Oder ist es, weil die Märkte endgültig ihr bisheriges Geschäftsmodell verlieren würden, wenn wir jedes Jahr eine solche Krise durchlaufen würden?
      Bisher gibt es viele Fragen und wenige Antworten. Warten wir mal ab, wo das alles endet.

      Gefällt 1 Person

      Antwort
  3. Stella, oh, Stella

    Das sind genau die Fragen, die ich mir auch stelle. Ob Corona wirklich gefährlicher ist, weiss niemand. Es gibt viele Fälle, die ganz leicht verlaufen und daher gar nicht erfasst werden. Hier in Dänemark wird erst getestet, wenn man schwere Symptome hat, also Fieber und Atembeschwerden, alle anderen laufen als Dunkelziffer durch. Daher kann man eigentlich nur hinterher sagen, wie schwer es war, und nur im Vergleich Todesfälle zur Gesamtbevölkerung.

    Gefällt 1 Person

    Antwort
    1. dergrafvonborg Autor

      Ich habe den Eindruck, die Dunkelziffer wird erst einmal recht hoch bleiben. Gerade bei jüngeren Menschen habe ich öfter gehört, dass sie symptomfrei bleiben. Kombiniert mit den fehlenden Testmöglichkeiten bleibt eigentlich nur die Statistik. Für mich ist das etwas unbefriedigend.

      Gefällt 1 Person

      Antwort

Hinterlasse einen Kommentar