Softwareexperimente
„Dann sehen wir mal, was das alles taugt hier.“
Mia murmelte in ihren nicht vorhandenen Bart und beugte sich über ihren Laptop. Sie hatte ihn extra für ihre Abschlussarbeit neu gekauft und war bislang einfach zu bequem gewesen, sich richtig mit ihm vertraut zu machen. Die Arbeit selbst erschien ihr gut genug, um einfach gleich damit anzufangen. Zusätzlich kam der Rechner mit einer neuen Software, die angeblich besonders gut geeignet war, um ihre Abschlussarbeit damit zu schreiben. In einem geradezu leichtsinnigen Anflug von Risikofreude hatte sie beschlossen, es einfach gleich damit zu versuchen.
Es wäre vermutlich schlauer gewesen, sich zunächst einmal mit einem Tutorial zu befassen und sich mit den Funktionen vertraut zu machen. Dann hätte sie allerdings damit warten müssen, ihre Abschlussarbeit zu beginnen und wenn sie auf eines brannte, dann darauf, endlich anzufangen.
„Das ist alles ganz leicht mit LaTeX. Du musst nur am Anfang mal deine Einstellungen rein machen, oder später halt, und dann brauchst du eigentlich nur noch deinen Text runter schreiben. Es ist super, wenn du Formeln einbauen willst und auch wenn du Bilder dazu tust zerschießt es dir nicht gleich die ganze Formatierung, sondern macht es so, wie es sein soll.“
Lobeshymnen gab es viele, nur was steckte dahinter? Ihr erster Eindruck überzeugte sie nicht einmal im Ansatz. Das Interface sah seltsam aus und so garnicht bekannt. Hatte sie etwas falsch gemacht? Nun, vielleicht brauchte es nur etwas Zeit, um sich einzuarbeiten. Sie legte sich ihre Bücher zurecht und begann, einfach loszuschreiben. Früher oder später musste sie sich schließlich damit zurechtfinden und so konnte sie schließlich endlich mit ihrer Abschlussarbeit beginnen. Auf diesen Moment hatte sie gewartet, seit sie sich eingeschrieben hatte.
Immerhin ging ihr das Schreiben leicht von der Hand. Sie hatte schon etliche Absätze und hatte für sich selbst längst beschlossen, die Formatierung und alles damit zusammenhängende später zu erledigen. Wenn alles nichts half, dann konnte die den Text später immer noch kopieren und in ihr vertrautes Programm übertragen. Es wäre nur wenig mehr Arbeit, das dort anzupassen. So hoffte sie jedenfalls, denn eigentlich hatte sie dieses Experiment ja nur gestartet, weil es hieß, sie müsse sich hier kaum um irgendetwas kümmern. Alles sollte wie von selbst gehen.
Nur wenn dieses Programm wirklich so toll war, wieso benutzten es dann nicht alle? Wieso war es dann nicht der unangefochtene Standard im Bereich der Textprogramme, sondern nur ein nieschiges Randprodukt, welches nur von einigen wenigen Leuten benutzt wurde und nicht einmal etwas kostete? Sie wollte es trotzdem noch nicht aufgeben. Wäre das Programm schlecht, wäre es nicht vorinstalliert gewesen. Andererseits, es gab auch einen Wetterbericht, der es nicht schaffte, den aktuellen Wetterbericht abzurufen und anzuzeigen.
Sie schätzte, dass sie inzwischen gut drei bis vier Seiten hatte. Für den Anfang war das überhaupt nicht übel. Genau konnte sie es nicht sagen, da sie keine Seitenansicht, sondern nur den reinen Text vor sich hatte. Selbst die eine Grafik, welche sie eingefügt hatte, ließ sich ausblenden. Im Augenblick war es sogar angenehmer so, nur hatte sie absolut keine Kontrolle über den Umfang. Nicht einmal die Anzahl der Wörter im Dokument konnte sie finden. Dafür fand sie nach einigem Suchen etwas anderes.
„Ansehen“, die Option, das Dokument in der Seitenansicht zu betrachten, so also, wie es aus dem Drucker kommen würde. Sie schaltete um, ein neues Fenster öffnete sich und zeigte Mia ihre Arbeit. Es sah kein Stück weit so aus, wie sie es sich vorgestellt hatte. Jetzt begriff sie, wieso sie sich vorher mit der Formatierung hatte befassen sollen. Das war genau das, wofür sie gerade die wenigste Zeit übrig hatte. Entnervt speicherte sie ihre Arbeit, schloss das Programm und verkroch sich schmollend vor den Fernseher. Vielleicht würde sie sich später einige Tutorials im Internet ansehen, oder aber gleich aufgeben und zu ihrem Standard zurückkehren, den sie wenigstens kannte. Oder sie brachte Erik dazu, es ihr zu erklären. Er verstand zwar auch nichts davon, aber wenigstens hatte er die Zeit, sich damit auseinanderzusetzen. Immerhin schrieb er frühestens nächstes Semester seinen Abschluss. Das erschien ihr aber auch wieder etwas gemein.