Archiv für den Monat Dezember 2017

Hörsaalgetuschel – Ausgabe 159.

Silvester allein

Erik stand am Fenster seiner winzigen Studentenbude, allein und mit einer Flasche Sekt in der Hand, die jedes Mal übermäßig schäumte, wenn er sie sich an den Hals setzte. Draußen beobachte er die Gruppen von Menschen, die unterwegs waren zu irgendwelchen Partys oder von der einen zur anderen. Es herrschte allgemeine Ausgelassenheit und immer wieder erleuchtete das bunte Aufblitzen einer verfrühten Rakete die Nacht. Das war es also dann gewesen, das letzte Jahr.

Vor einem Jahr noch hatte die Welt gründlich anders ausgesehen. So vieles war passiert und hatte sich verändert. So vieles war noch immer wie damals und so vieles würde in einem Jahr schon völlig in Vergessenheit geraten sein, was aktuell wie ein Ereignis von globaler Tragweite wirkte. Wahlweise im ganz Großen oder auch im ganz Kleinen.

Vor einem Jahr hatte er mit Mia gemeinsam das Feuerwerk bewundert, Arm in Arm, und vom Balkon ihrer gemeinsamen Wohnung aus. Sein größtes Problem war es gewesen, dass Mia ihm eine Affäre mit Tina unterstellte, die so nie stattgefunden hatte. Eben jene Tina wohnte jetzt gemeinsam mit eben jener Mia in ihrer ehemals gemeinsamen Wohnung. Sie belegte nun die Seite im Bett, auf der er einst geschlafen hatte. Es war ein seltsames Gefühl daran zu denken, eines, welches ihm nicht besonders behagte und auch der Sekt wollte es nicht recht aus dem Mund spülen, mochte er auch noch so sehr prickeln und schäumen.

Überhaupt schien dieses Jahr die ganze Welt den Verstand verloren zu haben. Die politischen Führer dieser Erde mussten geschlossen zu dem Entschluss gekommen sein, dass gesunder Menschenverstand nicht mehr zeitgemäß war, und hatten alle Regeln der Diplomatie über Bord gegeben. Wie in blindem Wahn prügelten sie nun verbal aufeinander ein. Angeblich so gerechte und souveräne Demokratien inhaftierten nach Belieben unbequeme Persönlichkeiten oder eigentlich unbeteiligte Angehörige von politischen Gegnern. Alle Seiten drohten blindlings mit Kriegen, die sich keiner der beteiligten hätte leisten können. Gleichzeitig war Hirnleistung in diesen Kreisen derart rar gesät, dass diese ansonsten hohlen Phrasen so ernst genommen wurden, wie lange nicht mehr.

„Die Welt ist im Wandel“ geisterte die Zeile eines seiner Lieblingsbücher durch Eriks Kopf und eine weitere Welle bitteren Geschmacks flutete seinen Mund. Er hatte Flo immer für zu sorglos und naiv gehalten, wenn er mit seiner positiven Grundstimmung nach außen hin und wenigstens zwei Bier nach Innen hin durch die Gegend gehüpft war. Jetzt beneidete er ihn um diese Unbedarftheit, doch auch Flo hatte sich in letzter Zeit geändert. Er war sehr viel ruhiger geworden, öfter einmal einen ganzen Abend nüchtern geblieben und hatte sogar das ein oder andere Mal Pläne für mehr als eine Woche im Voraus gemacht und gehalten. So vieles war passiert.

Von seinen eigenen Plänen war nicht mehr sehr viel übrig geblieben. Dieses Jahr hatte doch eigentlich das seine werden sollen. Die gemeinsame Zukunft mit Mia hatte konsolidiert werden sollen, und wenn sie dann im nächsten Jahr ihren Abschluss schaffte, hatte er mit ihr eine Familie gründen wollen. Klar, sie waren schon lange nicht mehr auf Wolke Sieben. Eher auf Wolke Fünf oder sogar Vier, aber es war beständiger geworden und das hätte ihm völlig gereicht. Die große Liebe war schließlich eh ein Mythos. Es galt immer Kompromisse einzugehen und dies hier wäre seiner gewesen. Er hätte zu Hause bleiben und sich um das Kind kümmern können, während sie ihre Karriere verfolgte.

Statt eines Kinderzimmers hatte er dann aber diesen Schuhkarton von einer Wohnung eingeräumt.

Marlene hatte seinen Kinderwunsch aufgegriffen und hätte diese Lücke liebend gerne gefüllt. Sie hatte sich wirklich um ihn bemüht und es hatte sich für eine Zeit sogar wirklich herrlich angefühlt. Doch er hatte keine wirkliche Verbindung zu ihr finden können und musste sich eingestehen, dass er nicht so weit war. So sehr er ihr diese Chance auch hatte geben wollen, sie wäre für ihn immer nur eine Art Ersatz-Mia gewesen. Ihm wäre das unfair vorgekommen.

Er hatte versucht sich vorzustellen, wie er sich fühlen würde, wenn er nur ein Lückenfüller oder ein Spielzeug in einer Beziehung sein würde. Das Gefühl, was er fand, ähnelte sehr dem, welches er in den letzten Monaten bei Mia empfunden hatte. Allein die Vorstellung, das jemand anderem anzutun, löste Ekel vor sich selbst in ihm aus. Und dennoch hatte er sich auf die Idee fixiert, mit dieser Person eine Familie gründen zu wollen? Vielleicht sollte er doch Flos Rat befolgen und einmal professionelle Hilfe konsultieren.

Vielleicht wäre das ein guter Vorsatz für das neue Jahr. Er konnte sich zwar nicht ausmalen, was das denn bringen sollte, aber was konnte es denn schon schaden? Er würde ohnehin viel Kraft für das Jahr benötigen. Ein Jahr, in dem er vor viel Arbeit stand und an dessen Ende hoffentlich sein Abschluss nur noch in Rufweite stand. Dann würde sich schon wieder alles ändern. Wenigstens in diesem Punkt waren Mia und er sich sehr ähnlich gewesen. Sie waren beide sehr unflexibel und nur mit viel Vorlauf spontan.

Und während draußen immer mehr und mehr Raketen in den Himmel stiegen und die Uhr unerbittlich auf Mitternacht zu hielt, griff er zum Telefon, um Marlene einen guten Rutsch und ein Jahr voller erfüllter Träume zu wünschen. Er traute sich so gerade eben noch zuzugeben, dass er selbst gerne einer dieser Träume war.

Und in diesem Sinne wünsche ich euch einen guten Rutsch in ein erfolgreiches und wunderbar glückliches neues Jahr. Macht das Beste daraus und geht doch einmal diesen einen großen Traum an, der euch schon so lange im Hinterkopf herum spukt (und ich bin überzeugt, Dir ist gerade ein sehr spezifischer Gedanke durch den Kopf gegangen). Bis nächstes Jahr!

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Hinterm Horizont – Teil 9.

Es jagte mir eine Gänsehaut nach der anderen den Rücken hinab und ich beschloss, dass diese Möglichkeit für mich nicht infrage käme. Ich musste mir allerdings eingestehen, dass ich absolut neidisch auf das neuronale Interface war. Eine direkte Kommunkation mit jedem Computer an Bord, keine missverständlichen Sprachbefehle oder umständlichen Konsoleneingaben. Aber was noch wichtiger war, uneingeschränkter und sehr viel einfacherer Zugriff auf die Datenbanken des Schiffs.

Das gesamte Wissen unserer kleinen Gesellschaft, quasi direkt im Gehirn verfügbar. Diese Idee erschien mir wie ein fantastischer Traum. Die dafür notwendige Vernetzung meines Gehirns mit dem Interface hingegen wirkte eher wie ein Alptraum. Wie musste so etwas aussehen? Ein feines Netz von Drähten, welches sich über die Hirnrinde zog, um dann in einem Bioprozessor zu münden, welcher die Signale übersetzen konnte und an die Rechner weiterleitete? War das technisch überhaupt möglich?

Selbst Bobs System war sehr viel einfacher gehalten, und leitete die Signale nur an eine Schnittstelle auf dem Rückenmark weiter. Und es war fraglich, ob es funktionieren würde. In den Datenbanken fand sich kein Eintrag, ob etwas derartiges jemals versucht worden war. Ich würde etwas abwarten, vielleicht einige kleinere Versuche starten, aber mich fürs Erste einmal in Zurückhaltung üben. Ich rechnete sowieso damit, dass sich dieser Gedanke in spätestens einer Woche verflüchtigt hatte und ich mich wieder anderen Problemen widmen würde.

Andere Mitglieder unserer Gruppe reagierten mit größerer Abneigung. Den Menschen erschien es eher befremdlich, dass jemand absolut gesunde Arme in etwas derart unnatürliches verwandelte. Es kitzelte an den Urängsten, die immer dann hervor kamen, dann der Verstand etwas nicht genau erfassen und begreifen konnte. Gleich der Angst vor Spinnen, die ihre acht Beine auf eine Art bewegen können, die sich bei uns Säugetieren nicht wieder findet, oder auch dem Konzept von Nichts, löst es ein subtiles Unwohlsein aus. Überwog bei mir noch die Faszination, war es vielfach doch die Angst, die sich nicht mehr verbergen ließ.

Teilweise waren es auch die Androiden, die deutliche Skepsis zeigten. In allen Generationen war ihnen einprogrammiert worden, sie müssten Menschen stets vor Schaden bewahren und notfalls auch vor sich selbst schützen. Auch wenn sie einen Teil dieser Programmierung inzwischen überwunden hatten, war es ihnen nicht geheuer, dass auf einmal Menschen sich selbst verletzten, um ihnen selbst ähnlicher zu sein. Das widersprach der Programmierung und der Logik, die auch die Basis ihres Handelns war. Selbst jene, welche ihre Regelwerke selbst aktualisiert hatten, konnten es nicht nachvollziehen. Verletzungen von Fleisch oder Maschine war immer nur im Notfall hinzunehmen, als letztes Mittel oder Notwehr. Ein Verstoß dagegen, Verletzung ohne Notwendigkeit, verbot sich. Und dabei spielte es nicht einmal mehr eine Rolle, ob es sich um Mensch oder Maschine handelte. Es war ein Angriff auf die Grundfesten ihrer Logik und Moral. Aber Androiden sind unschlagbar darin, ihre Gefühle zu verbergen. Teilweise schon allein deswegen, weil sie sich grundsätzlich von unseren menschlichen Gefühlen unterscheiden.

Diese Diskussion zu führen war anstrengend, denn auch hier konnten wir Menschen nicht mehr stichhaltig und konsistent zu Argumentieren. Noch vor wenigen Wochen waren wir doch der festen Überzeugung gewesen, Androiden seien uns in jeder nur erdenkbaren Hinsicht hoffnungslos unterlegen. Es waren willenlose Sklaven, deren einziger Daseinszweck gewesen war, uns zu dienen. Wir hingegen mussten einfach nur noch existieren. Das war das Erbe unserer Eltern und Großeltern und wir hielten es in Ehren, schon allein aus reiner Bequemlichkeit. Es wäre uns nie in den Sinn gekommen, dass unsere Aufsehertätigkeiten längst obsolet geworden waren, geschweige denn, dass etwas so ungeheuerliches passieren konnte, wie Maschinen, die eigene Wünsche und Träume entwickeln.

Selbst hier, in dem kleinen Ökosystem im Schiff, jenseits jedes Horizonts, hatte es eine ganze Weile gebraucht, bis wir akzeptieren konnten, dass unsere ganze Weltanschauung ein Trugbild war. Wir waren nicht die Krone der Schöpfung, sondern ihre Schöpfer. Wir waren nicht unverzichtbar, sondern Ballast. Wir waren nicht einmal mehr die Dirigenten unseres eigenen Lebens, selbst das war längst von uns aus der Hand gegeben worden. Aber kein Roboter hatte damit gerechnet, dass wir psychisch komplett kollabieren würden, kaum dass die letzten Strahlen der Sonne uns verlassen hatten.

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Hörsaalgetuschel – Ausgabe 158.

Liebe Leser,

ich wünsche euch allen ein ruhiges und entspanntes Fest und hoffe, dass ihr die Tage gut genießen könnt. Und zu den Feiertagen gibt es dann auch noch einmal eine frische Ausgabe, diesmal über ein Thema, von dem ich kaum glauben konnte, dass es wirklich existiert. Die Welt dreht dennoch unbeeindruckt weiter ihre Kreise.

Smootiepartys

„Noch einmal eben zum Mitschreiben, damit ich sicher sein kann, dass ich mich nicht verhört habe. Ihr wollt wo hingehen?“

„Eine Smoothieparty. Ja, das heißt wirklich so. Nora hat das irgendwo ausgegraben und hat Elly und mich gefragt, ob wir mit kommen wollen.“

Flo und Kristina sahen Mia etwas fassungslos an. Kristina hatte sich auf Anraten einer Freundin einmal an Smoothies probiert, die darauf schwor, dass es den perfekten Hintern machen würde. Nach dem Ersten aber hatte Kristina sich als geheilt betrachtet und war auf einmal überhaupt nicht mehr so unglücklich mit ihrem Körper gewesen. Und nun wollte Mia auf eine Party, bei der sich alles nur um dieses fiese Zeug drehte?

„Das ist da in dem einen Laden in der Altstadt. Die veranstalten wohl einmal im Monat dieses Jahr eine Detox Party, und es gibt nur Smoothies. Aber dafür alle Arten und Sorten. Es soll echt immer ziemlich super sein und gut besucht.“

Das konnte doch unmöglich ernst gemeint sein. Nur Smoothies und das dann auch noch bei guter Stimmung? Es gab Kombinationen, die passten einfach nicht. Kristina kratzte sich auf eine Weise an der Stirn, von der Flo wusste, dass sie ein Indiz für eine geistige Entgleisung war.

„Gut, dann nehme ich bitte einen fermentierten Getreide-Hopfensmootie.“

„Du meinst Bier? Tut mir leid, aber Detox heißt, kein Alkohol. Es gibt echt nur Smoothies, auch keine Cola oder so. Aber der Mixer hat wohl ziemlich gute Rezepte mir Reismilch und der Kurkuma Smoothie soll richtig super sein.“

„Man kann wohl einige verrückte Sachen machen, aber offenbar bin ich nicht hip genug für diese Art der Abendgestaltung.“

Kristina zog die Beine an und schlang die Arme um die Knie. Es gab nicht viel, was ihr gerade weniger verlockend erschien und sie konnte Flos Dankbarkeit für diese Meinung in ihrem Rücken regelrecht fühlen. Es war das richtige Wetter für einen heißen Kakao, einen echten, mit echter Sahne. Oder wahlweise auch einen saftigen Burger. Reisdrinks mit Chiasamen und Bananen waren sicherlich das Letzte, was ihr in den Sinn kam. Mia hingegen zog eine Schnute.

„Muss man hip sein, um eine Party ohne Alkohol zu machen? Das wäre echt traurig.“

„Es geht nicht um den Alkohol. Es geht darum, dass ich noch nie einen leckeren Smootie gefunden habe. Da erscheint mir eine Party, wo es einfach keine brauchbare Alternative gibt, einfach nicht verlockend. Aber ich will dir auf keinen Fall den Spaß daran vermiesen. Tina und du könnt gerne dahin gehen und uns hinterher erzählen, ob es sich lohnt. Oder möchtest du das einmal testen und gleich mit hin, Schatz?“

Sie drehte sich kurz zu Flo um, brauchte ihm nicht einmal in die Augen zu sehen, um die Antwort zu kennen, und stupste ihn stattdessen kichernd an. Eine Party, bei der es kein Bier gab, war für ihn Zeitverschwendung. Auch wenn er sich in letzter Zeit erstaunlich milde gezeigt hatte, weniger trank und sich auch einmal mit Wein zufrieden gegeben hatte. Einiges blieb doch immer noch eine Konstante, die nicht verändert wurde. Alles andere hätte sie auch sehr überrascht.

Damit hat es sich für dieses Jahr dann auch ausgetuschelt. Zu Silvester werde ich vermutlich keine Ausgabe schaffen, da ich die kommenden Tage wohl kein Internet zur Verfügung haben werde.

Wenn ihr es noch nicht längst erledigt habt, dann könnt ihr mir aber vielleicht die Freude machen und euch noch an meiner Umfrage beteiligen 😉 Das ist zwar wenig Freude zum Fest, aber bietet vielleicht noch etwas Diskussionsstoff mit den Lieben Verwandten, falls es mal etwas „unverfänglicheres“ braucht.

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Der Blödsinn der Woche 13.

Ich gebe zu, den folgenden kleinen „Diebstahl“ aus dem Englischen habe ich nicht besser übersetzen können. Irgendwie geht ein guter Teil des Witzes dabei verloren aber ich wollte ihn euch dennoch nicht vorenthalten.

Wenn ich ein Megaphone habe, bin ich besser dran wenn ich es in eine Million (Tele)phone umwandele oder eine Billion Mikrophone?

Und wenn ihr eh gerade da seid, habt ihr euch schon an der Umfrage beteiligt? Der bisherige Zwischenstand ist … interessant. Die Tendenz habe ich zwar erwartet, aber die Ausprägung … nun, ihr werdet es dann ja sehen (kann aber noch etwas dauern).

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Hinterm Horizont – Teil 8.

Ich konnte das Unverständnis ebenfalls gut nachvollziehen. Auch wenn meine Verletzung wieder gut heilte und der Arm bald wieder uneingeschränkt nutzbar war, er würde dennoch immer schwächer bleiben, als ein mechanischer Arm. In den meisten Fällen wäre das völlig unproblematisch, aber immer wieder auch ein nerviges Hindernis, welches mir meine eigene Unzulänglichkeit vor Augen hielt.

Offenbar war ich nicht der Einzige, der sich an diesem Missstand stieß. Wenige Wochen später erschien ein Mitglied unserer Gruppe nicht zum Essen. Seine Eltern hatten es nie für nötig befunden, ihm einen Namen zu geben, und irgendwann hatte er sich selbst den Namen Bob zugelegt, nach einer alten Filmfigur, die ihm gefallen hatte. Seine Eltern hatten generell einiges für unnötig befunden, unter anderem seine Erziehung, seine Ausbildung, ja seine ganze Existenz. Damit hatten Bobs Eltern selbst in unserer Gesellschaft einen neuen Hochpunkt erreicht. Auch wenn Erziehung und Bildung generell sehr rudimentär gehandhabt wurden, so konnten sich die Meisten doch immerhin auf liebende Eltern verlassen. Wieso sonst sollte man den Aufwand betreiben, ein Kind zu zeugen und auszutragen, wenn nicht, um einem uralten Instinkt zu folgen?

Bob jedenfalls blieb für zwei Tage verschollen. Während wir nur rätseln konnten, was mit ihm passiert war, hatte er sich bei den Androiden abgemeldet, aber um Stillschweigen gebeten. Genau wie ich hatte er sich zum Mechaniker ausgebildet und in den vergangenen Tagen war er sehr fleißig gewesen. Es erschien mir zunächst nur logisch, dass er sich zum Ausgleich eine kurze Auszeit genehmigt hatte. Umso größer war die Überraschung, als er am Ende wieder da war, den linken Arm gänzlich bandagiert. Schmerzhaft aussehende Beulen zeichneten sich unter dem dicken Verband ab. Zu stören schien ihn das aber nicht sehr, wirkte eher eher aufgeregt und nervös, als behindert und unter Schmerzen. Er aß nur wenig und behielt trotz vieler Fragen Stillschweigen, was ihm widerfahren war. Bis zum Ende des Essens.

Mit langsamen, bedächtigen Bewegungen wickelte er seinen Verband ab, Lage für Lage. Und mit jeder Lage erhärtete sich ein tiefgreifender Verdacht. Es war kein Unfall gewesen, der ihn verwundet hatte. Er war es selbst gewesen, mit Hilfe des Arztes. Sein Arm war überzogen von frisch verheilten Schnitten und an etlichen Stellen war die Haut noch immer offen, teilte sich um metallische Bauteile, welche aus seinem Arm ragten und im Knochen zu stecken schienen. Graue Linien zeigten an, an welchen Stellen sich Metall unter der Haut verbarg, goldene Leiterbahnen hoben sich hell unter der noch gereizten Oberfläche ab. Mit einer theatralischen Geste hob er den Arm in die Luft und ließ den letzten Verband langsam hinab gleiten.

Mit dem wohligen Schauer faszinierten und neugierigen Gruselns wurde der Arm von uns allen eingehend untersucht. Die fleischlichen Muskeln wurden durch hydraulische Mechanik verstärkt, die Finger durch eine Serie von Werkzeugen ergänzt. Ein in den Zeigefinger eingesetzter Magnet sollte helfen, noch in engen Ecken an die letzten Schrauben zu kommen, ein angegliederter motorisierter Schraubendreher beschleunigte den Betrieb. Eine kleine Auswahl standardisierter Datenstecker sollten über ein neuronales Interface die direkte Kommunikation mit der Maschine erlauben und ein kleiner Lichtbogen stand für feinelektronische Schweißarbeiten zur Verfügung. Versorgt wurde alles durch körpereigene Energie, die lediglich durch eine Serie von Kondensatoren und Akkus unterstützt wurde.

Ich war skeptisch, wie gut es funktionieren würde und gleichzeitig neugierig, welche Möglichkeiten sich dadurch ergeben könnten. Ich hatte noch die Schmerzen im Bewusstsein, die meine eigene kleine Verletzung bei mir verursacht hatte. Wie musste es sich erst anfühlen, nicht einen zentralen großen Schnitt zu haben, sondern eine ganze Serie, über den ganzen Arm verteilt? Und wie musste es erst sein, wenn dann auch noch etwas in diesen Schnitten drin steckte, was nicht zum Körper dazu gehörte?

Es jagte mir eine Gänsehaut nach der anderen den Rücken hinab und ich beschloss, dass diese Möglichkeit für mich nicht infrage käme. Ich musste mir allerdings eingestehen, dass ich absolut neidisch auf das neuronale Interface war. Eine direkte Kommunkation mit jedem Computer an Bord, keine missverständlichen Sprachbefehle oder umständlichen Konsoleneingaben. Aber was noch wichtiger war, uneingeschränkter und sehr viel einfacherer Zugriff auf die Datenbanken des Schiffs.

 

Kleine Erinnerung am Rande: Bitte denkt noch daran, an meiner Umfrage zum Stadtklima teilzunehmen 😉 Ich bin um jeden Teilnehmer dankbar.

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Eine Bitte um etwas Zeit und Meinung

Heute trete ich einmal nicht mit einer Geschichte, sondern mit einer Bitte an euch heran. Könnt ihr etwa zehn Minuten für die Wissenschaft opfern?

Im Rahmen meiner Abschlussarbeit möchte ich untersuchen, inwiefern Stadtklima ein Thema im Bewusstsein der Bürger ist. Dafür habe ich eine Umfrage erstellt und hoffe, dass sie von einem möglichst breiten Publikum beantwortet wird. Da nur nach Meinung und Kenntnisstand gefragt wird gibt es auch keine falschen Antworten.

Das Ergebnis der Umfrage soll es Städten ermöglichen, ihre Anpassungsstrategien so zu planen, dass möglichst wenig Steuergelder verschwendet werden und die umzusetzenden Klimaschutzmaßnahmen auch im Interesse der Bürger sind.

Ich möchte euch also bitten, einmal einen Blick auf die Umfrage zu werfen. Perfekt wäre es natürlich, wenn ihr den Link eifrig verteilt, damit möglichst viele Antworten zusammen kommen. Es ist natürlich alles anonym und ihr würdet mir wirklich sehr damit helfen.

Vielen Dank für eure Mithilfe!

*Link* Hier geht es zur Umfrage (externe Seite) *Link*

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Hörsaalgetuschel – Ausgabe 157.

Weihnachten fällt aus

Weicher Kerzenschein tauchte das Wohnzimmer in ein schummriges aber warmes Licht. Kristina hatte im Herbst einige Kerzenleuchter auf einem Flohmarkt entdeckt, die sie jetzt im Wohnzimmer aufgestellt und montiert hatte. Das Licht glitzerte auf den zarten Schneeflocken, die vor dem Fenster vorbei wirbelten, um sich auf dem Balkon oder dem Fensterbrett niederzulassen. Das dichte Treiben verschwand schon nach nur wenigen Metern in schwarzer Finsternis und selbst die Straßenlaternen auf der anderen Seite der Wohnung hätten kaum mehr hindurch leuchten können.

Die Stimmung hätte nur durch den Einsatz von leiser Musik oder einem knisternden Kaminfeuer noch kitschiger sein können. Umso mehr entsetzte es Flo, als er realisierte, dass es ihm eigentlich sogar gefiel. War er jetzt wirklich alt geworden? War er so sesshaft, dass er keinerlei Bedürfnis nach Rebellion oder Auflehnung gegen das System mehr verspürte? Es war ruhig, leise, entspannend, fehlte ihm an nichts und Kristina hielt ihm einen Keks vor die Nase. Gemeinsam in eine Kuscheldecke gewickelt standen sie am Fenster und beobachteten den filigranen Tanz der Flocken. So ließ es sich doch gut leben.

„Du, Schatz, sag doch mal. Ich habe dich noch überhaupt nicht gefragt, was du dir zu Weihnachten wünschst.“

Damit hatte sie recht, und es war ihm nicht einmal aufgefallen. Weihnachten könnte so schön sein, wenn da nicht dieser Stress wäre, immer etwas finden zu müssen, um die Wirtschaft zu befeuern. Er seufzte.

„Stimmt, das hast du nicht. Aber immerhin habe ich dich das auch nicht gefragt. Bei mir ist es ganz leicht. Ich habe alles, was ich brauche. Abgesehen von einer Zukunft vielleicht, aber das kommt sicherlich noch.“

„Du hast doch eine Zukunft. Mit mir gemeinsam sogar, oder etwa nicht? Und irgendwas muss es doch geben, womit ich dir eine Freude machen kann?“

„Das tust du doch eh schon. Wieso willst du das denn ändern?“

„Das will ich ja nicht, aber zu Weihnachten macht man sich doch immer eine Freude.“

Und da war sie dann doch noch, seine Rebellion gegen das Althergebrachte. Es war so ein gemütlicher Abend gewesen und auf einmal platzte dieses Thema herein und stellte sich breitschultrig und provokant in den Raum. Wieso sollte er zulassen, dass es ihm jetzt die Stimmung vermieste?

„Pass auf, wie würde es denn für dich klingen, wenn wir Weihnachten dieses Jahr einfach mal ausfallen lassen? Wir sparen uns den ganzen Zirkus, legen uns stattdessen einfach schön in die Badewanne, essen etwas Leckeres und machen uns einfach einmal keinen Stress.“

Kristina sah ihn mit großen Augen an und wusste erst einmal nichts zu erwidern. Kein Weihnachten? Beziehungsweise ein Weihnachten, bei dem es einfach einmal nur um sie beide ging? Ein solcher Gedanke war ihr bislang nie wirklich gekommen und er verunsicherte sie gründlich.

„Und dann habe ich überhaupt nichts für dich und du am Ende wohl etwas für mich?“

„Du hast doch dann Zeit und deine Gesellschaft für mich. Reicht das denn nicht? Einfach nur wir beide. Wir können auch dann gemeinsam etwas Lustiges backen, wenn dir das lieber ist. Aber mach dir bitte keinen Stress mit irgendwelchen Geschenken.“

„Nur, wenn du es wirklich so meinst und dir dann auch keinen Stress machst.“ Die Antwort kam zögerlich aber ernst gemeint. Er lächelte zufrieden, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und der Kerzenschein ließ den Schnee besonders golden und friedlich glitzern.

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Und einen kleinen „Bonus“ gibt es noch dazu.

Wer etwa 10 Minuten Zeit erübrigen kann, den möchte ich bitten einmal eben hier zu klicken und seinen Senf abzugeben. Ihr würdet mir damit auf jeden Fall sehr helfen. Es ist dabei auch völlig unerheblich, ob Ihr euch schon einmal mit dem Thema befasst habt oder nicht. (Und ich hoffe, dass es endlich alles funktioniert.)

Der Blödsinn der Woche 12.

Es ist nicht das Essen zwischen Weihnachten und Neujahr, was dick macht. Es ist das Essen zwischen Neujahr und Weihnachten. Für alle, die sich trotzdem Sorgen wegen des nahenden Fressfestes machen …

Wenn ich mein Essen anbrennen lasse, nehme ich dann einfacher ab,

weil die Kalorien/Joules schon verbrannt sind?

 

 

 

Hinterm Horizont – Teil 7.

„Unterteilt ihr inzwischen auch in wir und die, wobei wir neben uns die Roboter einschließt und die sich auf die anderen Menschen bezieht? Ich fühle mich inzwischen eher den Maschinen zugehörig, immerhin arbeiten wir auf das gleiche Ziel hin. Wir sind es, die das Schiff am Laufen halten und die Systeme reparieren. Wir sind es, die eine Kolonie gründen werden und gemeinsam etwas erschaffen. Wir werden ein Erbe hinterlassen. Ist es verrückt, das als ein erstrebenswertes Ziel zu sehen?“

 

Das betretene Schweigen fand erst ein Ende, als es bereits Zeit war, das Essen zu beenden. Vielleicht war ich nicht der erste gewesen, der diesen Gedanken gehabt hatte, aber ich war der erste, der ihn aussprach. Auch wenn es den tiefsten Instinkten zu widersprechen schien, irgendwo mussten sie mir zustimmen. Teils missmutiges Murmeln, teilweise aber auch versteinerte Mienen umringten den Tisch. Ja, sie sahen es ebenfalls so. Selbst Katharina, die jeden Abend wieder zu ihrem Mann ins Bett kroch, den sie angeblich so liebte, stimmte mit leiser und bebender Stimme zu. Bald würde sie sich eingestehen müssen, dass ihre Liebe inzwischen zu Verachtung geworden war, und eine schwere Zeit würde für sie anbrechen. „Generation Taugenichts“ waren unsere Ahnen gerufen worden und ihre Kinder hatten es als einen stolzen Titel etabliert. Wieso wollte uns das einfach nicht mehr reichen?

Wie jeden Samstag war heute Abend Kinoabend und wie jeden Samstag würden wir auch diesmal wenigstens die Hälfte der Zuschauer sein. Die restliche Besatzung würde, statt vor der Leinwand, zu hunderten weiterhin vor dem Fenster kleben oder irgendwelche Streitereien suchen. Sie hatten nichts, wovon sie sich erholen mussten. Wir hingegen schon. Und noch etwas war da, was wir erst spät realisiert hatten.

Unsere Gruppe, welche im Kino immer einen Cluster zu bilden schien, hatte mehr Köpfe als schlagende Herzen. In unserer Mitte fanden sich immer auch einige Androiden, die sich unter dem Vorwand sozialer Studien mit in die Filme setzten und mit uns um die Wette fieberten, ob der Held es schaffen würde, den Tag zu retten, beziehungsweise auf welche Weise er es schaffen würde. Sie waren Bestandteil unserer Gruppe und gehörten zu uns, niemand stellte das infrage. Die Anzahl der stumpfen Augen, manischer Besatzungsmitglieder, welche hier nur ihre Zeit absaßen, war im Laufe der Zeit beständig gesunken. Wenn ich ehrlich mit mir selbst war, dann kam mir das nur gelegen. Ich wollte meine Zeit nicht mit ihnen verbringen. Die meisten von ihnen waren ungepflegt und stanken, wenn sie etwas zu sagen hatten, dann war es meistens nichts von Belang oder Interesse und ihre ewig gelangweilten und müden Blicke strengten mich an.

Viel faszinierender war es außerdem, die Androiden zu beobachten. Sie erschienen mir so viel menschlicher und wärmer, als die fleischlichen Begleiter. Sie folgten den Filmen mit Begeisterung und vor Neugier glühenden Augen. Sie diskutierten mit uns und verstanden nicht, wieso in den alten Zukunftsszenarien so oft ein böser Roboter vorkam, der die Menschheit versklaven wollte. Woher rührte diese Panik vor den eigenen Geschöpfen? Kam es daher, dass sie nach dem Vorbild ihrer Erschaffer entstanden waren und die menschlichen Eltern Angst davor hatten, ihre mechanischen Kinder könnten zu menschlich werden?

Ebenfalls wenig Verständnis gab es für die Geschichte einer lebendigen Holzpuppe, die unbedingt ein echter Junge sein wollte. Wieso wollte er nicht seine Situation analysieren und die Vorteile, die sich ihm daraus boten entsprechend nutzen? Wieso wollte er fehlerhaft, schwach und verletzlich sein, nur um einem Status zu entsprechen? Unseren robotischen Freunden erschloss sich das nicht und einige von uns gaben die Diskussion einzig und allein aus dem Grund auf, weil sie es genau so wenig verstehen konnten.

Ich konnte das Unverständnis ebenfalls gut nachvollziehen. Auch wenn meine Verletzung wieder gut heilte und der Arm bald wieder uneingeschränkt nutzbar war, er würde dennoch immer schwächer bleiben, als ein mechanischer Arm. In den meisten Fällen wäre das völlig unproblematisch, aber immer wieder auch ein nerviges Hindernis, welches mir meine eigene Unzulänglichkeit vor Augen hielt.

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