Archiv für den Monat Dezember 2014

Hörsaalgetuschel – Ausgabe 13

Ausgebrannt

Gelegentlich erreicht der Mensch einen Punkt, an dem er es sich nicht länger aussuchen kann, wann er Pause macht. Sein Körper übernimmt dann die Kontrolle und nimmt sich die Pause, ob man will oder nicht.

Dieser Moment war bei Flo vor zwei Stunden erreicht. Inzwischen war genug Zeit verstrichen, als dass er es sich sogar eingestehen wollte. Sie saßen in ihrer üblichen Dreierkonstellation im Lernraum und lernten. Mia und Erik schrieben fleißig ihre Zusammenfassung während er seit einer Stunde auf dieselbe Folie einer Präsentation glotzte. Die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen. Müdigkeit breitete sich wie Watte in seinem Hirn aus und erstickte jeden sinnvollen Gedanken im Keim.

Es müsste möglich sein, Wissen direkt aus den Büchern in den Kopf zu bekommen. Wie durch Diffusion, direkt aus dem Papier, durch die Stirn ins Gehirn. Im Schlaf sozusagen. Ganz klassisch, Bücher unter das Kopfkissen legen und dann … schlafen. Einfach endlich schlafen. Der billige Kaffee aus den Automaten hatte bei ihm noch nie gewirkt. Von der Brühe bekam er zwar Herzrasen aber keinen wachen Kopf.

Oder es bräuchte eine Steckdose, USB oder Firewire, direkt ins Gehirn. Das wäre zu perfekt! Und es hätte den angenehmen Nebeneffekt, dass man dabei wieder schlafen könnte. Egal wohin er sich drehte, am Ende lief alles auf Schlaf hinaus. Er hatte einfach keine Lust mehr, las die Seiten ohne ihren Inhalt wahrzunehmen.

Träume jagten hinter seinem inneren Auge auf und ab. Fantasien von tausendundeinem Universum. Eine Stadt entstand und zerfiel wieder zu Staub. Flugzeuge schossen durch steile Schluchten, kollidierten nur knapp nicht miteinander oder mit den Felswänden.

Er zwang sich zurück zum Thema, las einige Zeilen ehe ihm auffiel, dass er immer noch durch einen imaginären Canyon flog. Die Welt verschwamm vor seinen Augen und er musste sich bemühen, nicht mit dem Kopf auf den Tisch zu fallen. Er griff nach seinem Stift um sich etwas auf seinem Block zu notieren, vergaß aber was es war, noch ehe er ihn aufsetzen konnte.

Mia sah kurz zu ihm auf, sie kannte den Anblick noch gut genug. Auch wenn Flo sich in den letzten Wochen echt gut geschlagen hatte und sie ihm inzwischen sogar zutraute einige Klausuren zu bestehen, im Augenblick sah er echt nicht gut aus.

„Ist alles okay bei dir?“

Er registrierte kaum, dass er angesprochen wurde. Es war offensichtlich, dass er nicht in seine Lektüre vertieft war. Immerhin hatte er seit sicher einer halben Stunde nicht mehr umgeblättert.

„Keine Ahnung. Ich habe den Eindruck, es bringt heute so überhaupt nichts. Ich kann mich einfach nicht konzentrieren.“

„Ja, das habe ich schon bemerkt. Eben hast du mich nach Sachen gefragt, die du mir letzte Woche selbst noch erklärt hast.“

„Ich habe dich etwas gefragt? Sicher, dass das nicht Erik war?“

Mia sah ihn herablassend an und Erik hob nur verwundert den Blick. Er hatte seinen Namen gehört, ansonsten aber von seiner Umwelt wenig wahrgenommen.

„Geh nach Hause, leg dich ins Bett. Es nützt nichts, wenn du hier am Tisch einschläfst.“

„Ich bin nicht müde, ich kann mich nur nicht konzentrieren.“

„Leg dich einfach ins Bett.“

Der Tonfall in ihrer Stimme machte deutlich, dass sie das nicht als einen Vorschlag sah. Flo wusste genau, sobald er seine Sachen zusammen geräumt hatte und vor der Bibliothek stand, wäre er wieder hellwach. Wenn er jetzt nach Hause ging und sich an den PC setzte, könnte er da immer noch lernen. Er würde es zwar wahrscheinlich nicht tun aber er konnte es immerhin. Oder er legte sich einfach in den Park und schlief da oder las ein Buch. Soweit war es also schon mit ihm, ein Buch lesen. Vielleicht hatte Mia recht, er sollte schlafen.

Fünf Minuten später hatte er seinen Rücksack geschultert und stand an der frischen Luft. Er hatte recht behalten. Von seiner Müdigkeit war nicht viel verblieben, stattdessen hatte er Hunger. Er holte sich auf dem Heimweg ein belegtes Brötchen beim Bäcker und legte sich damit aufs Bett. Lernen konnte gerne bis nach dem Essen warten aber am Ende kam es wieder anders.

Das Essen durfte bis nach dem Schlaf warten denn kaum lag er, war er auch schon weg. Diesmal waren die Träume weniger lebendig, dafür aber hinter geschlossenen Augen. Neunzehn Stunden bis zur nächsten Vorlesung. Dafür brauchte er nicht einmal seinen Wecker, hoffte er.

Hörsaalgetuschel – Ausgabe 12

Hörsaalgetuschel

„Und hast du mal auf seine Hose geachtet? Ich glaube, er hat nur die beiden und alle beide sind kaputt. Eine ganze Woche trägt der die, voll fies.“

So sehr sich Flo auch bemühte, der Vorlesung zu folgen, es war unmöglich. Die beiden Mädels vor ihm quasselten in einer Tour durch und lästerten. Neben ihm ballte Mia zum wiederholten male die Fäuste und Flo befürchtete, sie würde ihren Stift zerbrechen. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn die Beiden auch über ihn gelästert hätten, so schamlos waren sie. Irgendwo hätte er es sogar verstehen können. Seine einst so sorgsam gepflegte Frisur hatte schwer gelitten und der kurze Dreitagebart war zu einem büscheligen Irgendwas verkommen, was sicher nicht kurz war.

„Naja vielleicht kann er sich nur nicht leisten, die anderen zu waschen. Das soll es ja auch geben. Ein Wunder, dass sich überhaupt jemand mit dem abgibt.“

„Die eine Komische meinst du? Die immer nach Energydrinks stinkt? Ist der nicht sogar mit der zusammen?“

„Wie die aussieht, könnte sie sogar von ihm schwanger sein.“

„Boa ja, das könnte wirklich sein. Bestimmt ist die schwanger von dem.“

Während Flo sich bemühte, nicht laut los zu lachen zerpulverte Mia die Spitze ihres Bleistifts. Erik bekam davon nichts mit. Er war völlig in ein Video vertieft, was er auf seinem Tablet abspielte. Flo wusste, über wen das Gespräch vor ihm ging. Die beiden Kommilitonen waren weder ein Paar, noch war das Mädchen schwanger. Im Gegensatz zu den Lästermäulern waren sie sogar ausgesprochen gepflegt und gut aussehend. Die beiden Mädels störten sich nicht an Fakten oder Spiegelbildern.

„Wie deren Kind wohl aussehen wird. Bestimmt hat das rote Haare, so wie seine Mutter. Das arme Ding. Wie heißt der überhaupt? Martin? Michael? Irgendwas mit ‚a‘ war es doch.“

„Felix meinst du. Oh ja, was für ein ‚a‘. Mensch, Schatzi, der sitzt doch bei uns sogar im Tutorium.“

„Stimmt ja. Der guckt dich immer so komisch an, wenn wir rein kommen. Bestimmt steht der heimlich auf dich. Aber du merkst dir ja sogar seinen Namen.“

„Sicher nicht. Hör mal auf zu lügen hier, Mädchen.“

Flo schloss die Augen. Ein einzelner Satz wanderte durch seinen Geist. ‚So unterlasse sie diese Gossensprache‚. Die beiden waren alles, außer besonders helle. Er empfand es seltsamerweise als kleinen Trost. Wenn Leute wie die beiden es schafften, ihren Schulabschluss zu holen und an die Uni zu kommen, dann würde er doch sicher seinen Abschluss schaffen.

„Von wegen lügen, sei mal leise! Außerdem guckt der Prof. dauernd hier hinüber. Vielleicht steht der ja dafür auf dich. Mach uns mal eine gute Note klar.“

„Das kannst du selber machen. Du hast eh die größeren Brüste, da freut der sich bestimmt.“

„Du spinnst doch. Was ist eigentlich mit dem Typen von letztens geworden? Dem aus der Cocktailbar“

Jetzt ging es los. Der spannende Teil des Gesprächs begann. Irgendjemand war offensichtlich leichtsinnig genug gewesen, sich der werten Dame bis auf Riechweite zu nähern. Flo hatte damit unfreiwilliger weise Bekanntschaft gemacht. Jedes mal, wenn sie sich in seiner Nähe einen Platz suchte und ihre Jacke öffnete, verbreitete sich ihr ‚Duft‚ über die umliegenden drei Sitzreihen.

„Ach der, der war doch eh komisch. Ich mein, der hat mir zwar einen Drink ausgegeben, aber er war so aufdringlich. Er hat mich direkt umarmt und wollte ganz eng tanzen. Ich glaube, der war einfach nur scharf.“

„Der sah doch eigentlich ganz süß aus. Da hättest du auch mal einen abbekommen können und lässt ihn abblitzen. Ich versteh dich nicht.“

„Ich habe ihn ja nicht direkt abblitzen lassen. Er ist ja auch später noch mit mir mitgekommen. Aber, das glaubst du nicht, kaum sind wir bei mir, da wirft der mich nicht ins Bett. Der wollte mich ernsthaft unter die Dusche nehmen. Sehe ich aus, als würde ich stinken? Als würde ich mitten in der Nacht duschen.“

„Du meinst wohl ‚unter der Dusche nehmen‘. Und, hat er?“

„Jetzt fang du nicht auch so an … Nein, ich hab ihn einfach ins Bett gezogen. Aber danach war er auch irgendwie ganz komisch und kaum komm ich von der Toilette zurück, ist er auch schon weg.“

„Was für ein Arschloch. Aber ich hab es dir gesagt, Süße. Räum dein Zimmer mal auf. Unter deinem Nachttisch klebt noch immer das Kondom von vor zwei Wochen.“

Da waren sie, die Details, die er dann doch nicht wissen wollte. Zu diesem Zeitpunkt hatte auch der Professor genug von dem Störfaktor in seiner Vorlesung. Das erste mal in seinem übermäßig langen Unileben erlebte Flo es nun, dass ein Professor jemanden vor die Türe bat. Bei den Zielpersonen stieß er damit erst auf Unverständnis, dann verhaltene Empörung. Wenigstens einen Effekt hatte es. Für die nächsten fünf Minuten herrschte Ruhe und alle Beteiligten konnten der Vorlesung folgen. Immerhin fünf Minuten.

„Boa übrigens, hast du gehört, dass die Karo über dich geredet hat?“

„Was? Was hat die gesagt?“

„Keine Ahnung, die Jasmin meinte nur, sie hätte mitbekommen, wie Karo etwas über dich gelästert hat.“

Flo sah nur noch eine Hand von der Seite heran schießen. Dann segelte der nur noch handwarme Kaffeebecher vor ihm auf die Hinterköpfe der beiden Mädels vor ihm zu.

Hörsaalgetuschel – Ausgabe 11

Date

Der Ball flog übers Netz, wieder und wieder, Schlag um Schlag. Flo hatte noch immer den Eindruck, Volleyball wäre einer der langsamsten Ballsportarten überhaupt aber langsam hatte er das System verstanden. Wenn er dann mal die Möglichkeit hatte sich zu bewegen, dann war er zu schlecht um wirklich Punkte zu holen. Seine Lieblingsposition hatte er direkt am Netz gefunden. Nicht ganz so wenig zu tun, einfache Blocks und das Wichtigste: eine gute Aussicht auf die andere Seite des Spielfeldes.

Jenny floss über das Spielfeld und erweckte überhaupt nicht den Eindruck, dass das Spiel langweilig sein könnte. Flo verstand nicht, wie sie das machte aber er gab sich auch keine große Mühe. Er war nicht hier um das Spiel zu verstehen, sondern um einen Grund zu haben zuzusehen. Das hatte er schon immer so getan aber in den letzten Wochen hatte sich die Situation etwas verändert.

Seit sie ihn vor ein paar Wochen angesprochen hatte, schien sie ihn immer mehr wahrzunehmen. Sie bemerkte, dass er sie beim Spiel genau beobachtete und er machte sich nicht einmal mehr die Mühe, das verstecken zu wollen. Gelegentlich erwiderte sie sogar sein Lächeln, wenn sie in seine Richtung sah. Inzwischen hatte er nicht einmal mehr den Eindruck, sie würde ihn unterhalb ihrer Schuhsohlen sehen.

Die letzten Wochen hatte sie ihn sogar nach dem Training ein Stück auf dem Heimweg begleitet, und auch wenn er sich etwas schämte, es zuzugeben, er hatte das ein oder andere Mal tatsächlich noch auf sie gewartet. Bei ihren Gesprächen war es um Volleyball, Uni und die Feiertage gegangen. Banalitäten aber sie hatten ihm auf erstaunliche Weise gut getan. Er genoss diese gemeinsamen Heimwege ohne sich zu trauen, dem Gespräch mehr Tiefe zu geben. Insgeheim ärgerte ihn das und er hatte Pläne, genau das zu ändern.

Heute musste Flo nicht einmal auf Jenny warten. Sie stand bereits vor der Halle und band sich die Schuhe zu, wie es aussah schon zum mindestens vierten Mal in Folge und ungewöhnlich langsam. Er überlegte eine Weile, ob er hinter der Türe stehen bleiben wollte, um sie einen Moment zu beobachten. Nach wenigen Sekunden kam er sich aber schon so gemein vor, dass er doch hinausging und sein Fahrrad losschloss.

Kaum stand er neben ihr, war sie auch mit ihren Schnürsenkeln fertig. Er verkniff sich ein Grinsen und sah zu ihr hinüber. Sie starrte abwesend ins Leere.

„Möchtest du mich vielleicht noch ein Stück begleiten?“ Er nahm all seinen Mut zusammen und bot ihr seinen Arm an. Er rechnete schon mit einer Ohrfeige, auf jeden Fall aber mit ihrem herablassenden Blick. Sie entschied sich für den unwahrscheinlichsten Fall und hakte sich bei ihm unter.

„Und was nun?“ Ging es ihm durch den Kopf. Bis hier hin hatte er die Situation wieder und wieder im Kopf durchgespielt aber nie weiter. Seine Beine setzten ihre Schritte von alleine. Gemächlich, nicht zu schnell, wanderten sie durch die hereinbrechende Nacht. Für Flo stand die Zeit still als die Straßenlaternen und vereinzelten Schaufenster vorüber zogen. Es war leise. Niemand sagte ein Wort, kein Auto fuhr, nicht einmal ein Hund bellte irgendwo. Fast schon zu leise. Er sollte etwas sagen, das spürte er.

„Hast du vielleicht noch Lust auf ein Eis?“

Sie blieb stehen, sah ihn misstrauisch an und zum ersten Mal hatte er nicht den Eindruck, dass sie ihn mit ihrem Blick verspottete.

„Soll das eine … Einladung zu einem Date werden?“

Er überlegte einen Augenblick und entschied dann, dass es nun sowieso zu spät war, die Situation noch zu retten.

„Ja, ich schätze das soll es wohl.“ Sollte er noch etwas nachsetzen? In der Art wie: Tut mir leid, ich wollte dir nicht zu nahe treten? Sie kam ihm zuvor.

„Okay.“

Das war alles. Okay. Für ihn war es alles, was sie sagen musste. Alles Weitere wäre zu viel gewesen. Nun konnte er sich sein Grinsen doch nicht mehr verkneifen und das wollte er auch nicht mehr. Okay. Das war so gut wie ein Ja. Er versuchte die Situation zu erfassen aber konnte es kaum. Er hatte sie auf ein Date eingeladen und sie hatte ja gesagt. Um die Ecke kannte er eine Eisdiele, die bis Mitternacht geöffnet hatte. Das war nun also ihr neues Ziel.

Die Straße war immer noch zu ruhig. Es lag nicht nur daran, dass Jenny inzwischen etwas näher gekommen war und sich fast schon an ihn anschmiegte. Als er um die Ecke bog, fand er den Grund für sein ungutes Gefühl. Ein kleines Blatt Papier in der verschlossenen Türe der Eisdiele:

Liebe Gäste,

aus familiären Gründen bleiben wir heute leider geschlossen.

Wir hoffen Sie morgen wieder bei uns begrüßen zu dürfen.

Mit freundlichen Grüßen.

Das musste ein schlechter Scherz sein. Er stöhnte entsetzt auf. Ganz abgesehen von ihrem Date hatte er sich tatsächlich auf das Eis gefreut. Jenny nahm seine Hand und lächelte ihn sanft an.

„Keine Sorge. Ich habe noch Eis zu Hause. Komm, ich glaube du kennst den Weg eh schon.“

Hörsaalgetuschel – Ausgabe 10

Verkehrtere Welt

Erik schlug nach seinem Wecker und drehte sich noch einmal um. Vorlesungen um zehn Uhr früh waren ihm zu früh. Mia war schon aufgestanden und lärmte in der Küche. Eigentlich hatte sie bei sich zuhause schlafen wollen aber er hatte sie überredet, doch bei ihm zu bleiben. Jetzt wusste er wieder, wieso ihm das wie eine dumme aber verlockende Idee vorgekommen war. Der Geruch einer verpassten Dusche lag in der Luft und mischte sich mit frischem Kaffee.

Eine seltsame Neuerung. Mia trank überhaupt keinen Kaffee und er selbst bevorzugte auch eher Eistee. Den trank er dafür in umso größeren Mengen. Nur was den Kaffee anging, musste er sich getäuscht haben. Mia kam mit einer dampfenden Tasse ins Zimmer, nahm einen Schluck und zog ihm die Decke weg.

„Wenn du jetzt nicht aufstehst, kannst du vor der Vorlesung nicht mehr duschen und ich sitze sicher nicht neben dir, wenn du so stinkst.“

Er versuchte unauffällig an sich zu riechen. Stank er echt? Er fühlte sich klebrig und verschwitzt aber stinkend? Sie sah ihn nur auffordernd an und nahm einen weiteren Schluck. Unter murrendem Protest schleifte er sich mit der Zahnbürste unter die Dusche.

„Und beeile dich! Ich will nicht zu spät kommen!“ rief sie ihm noch nach.

Flo saß bereits im Hörsaal und kaute auf einem trockenen Brot, als sie rein kamen. Mit roten Augen starrte er in die Leere und registrierte nur mit einem knappen Nicken, dass sie sich neben ihn fallen ließen. Mia roch etwas, dass sie an Mundwasser erinnerte und wettete auf Schnaps. Sobald die Vorlesung beginnen würde, wäre sie umgeben von schlafenden Männern. Die konnte es ihnen nicht verübeln, heute war auch nicht ihr großer Tag.

Flos halb aufgegessenes Brot verschwand wieder in seiner Tüte. Noch mehr Dinge, die Mia verwunderten. Seit wann aß er etwas nicht gleich auf? Und seit wann gab er sich so schlampig mit seinem Essen? Außer seinen Kuchen war sie von Flo keine kulinarischen Köstlichkeiten gewohnt aber trockenes Brot? Das erschien ihr etwas viel des Guten. Erik lag bereits mit der Stirn auf seinem Block. Ein geräuschvolles Scheppern hatte den Augenblick gekennzeichnet, als er seinen Kopf ungebremst auf den Tisch hatte fallen lassen.

„Wo nichts mehr kaputt gehen kann…“ hatte Mia den Vorgang kommentiert und ihn in die Seite gepiekst. Sie wusste genau, wie kitzlig ihr Freund war aber heute schien ihn das nicht zu stören. Sie bedauerte für einen Moment, ihn nicht einfach im Bett gelassen zu haben und alleine zu kommen. Immerhin war sie hier, um zu lernen und nicht als Babysitter.

Pünktlich zu Vorlesungsbeginn war Erik eingeschlafen. Mia versuchte ihn zu ignorieren und der Vorlesung zu folgen. Flos Mundwassergeruch, den sie für Schnaps gehalten hatte, schien tatsächlich mit keinem Rausch in Zusammenhang zu stehen denn Flo blieb eisern wach und konzentriert. Sie bewunderte ihn fast ein wenig darum, dann fiel ihr ein, dass sie ja ebenfalls wach und konzentriert war und ihre Bewunderung verflog. Ein Zettel schob sich vor sie auf den Tisch.

Was ist denn mit deinem Freund passiert? Hast du ihn die Nacht nicht schlafen lassen?

Ärger machte sich in ihr breit. Was ging es Flo überhaupt an, was sie beide nachts machten? Und außerdem hatte sie Erik sehr wohl schlafen lassen, auch wenn das nicht seinem Willen entsprach. Das war allerdings etwas, was Flo nicht im Geringsten etwas anging.

Wenn du wüsstest, kommentierte sie auf dem Zettel und beschloss, ein ernstes Wort mit Erik zu reden sobald sie etwas Ruhe füreinander hatten. Neben ihr regte sich etwas. Sie sah eine Chance und ergriff sie, indem sie kräftig zur Seite austrat. Erschrocken fuhr ihr Freund in die Höhe, gerade pünktlich um das neue Kapitel der Vorlesung nicht komplett zu verschlafen.