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Hinterm Horizont – Teil 14.

Es zeigte mir aber auch noch etwas anderes. Der beste Entwurf war nicht viel Wert, wenn man ihn nicht wenigstens einmal erprobte. Ich benötigte eine Idee, wie ich meine Technologie testen konnte, ohne ein hohes Risiko einzugehen oder Ressourcen zu verschwenden. Und eine solche Idee sollte mir kommen, als ich bald darauf auf die Krankenstation gerufen wurde.

Wieder hatte es einen Angriff gegeben und diesmal hatte es Bob getroffen. Schwer aus einer Wunde am Kopf blutend saß er vor dem Arzt, offenbar nicht mehr ganz Herr seiner Sinne. Seine Bewegungen wirkten unkoordiniert und er war unfähig einen klaren Satz zu formulieren.

„Seine Erweiterungen haben Schaden genommen und wurden gleichzeitig so verschoben, dass sie die Nervensysteme beschädigt haben. Ich kann die Regeneration nicht starten, ohne sie zu entfernen, will dabei aber keinen zusätzlichen Schaden anrichten. Das Problem ist ein kybernetisches. Ich benötige deine Hilfe bei der Reparatur.“

Das kollektive Gehirn des Schiffes und all seiner Roboter traute mir in dieser Angelegenheit mehr zu als sich selbst. Mir, einem Menschen! In akribischer Feinarbeit arbeitete ich die dünnen Drähte des neuronalen Netzes aus seinem Kopf und entfernte die beschädigten Erweiterungen. Sehnlichst vermisste ich eigene Augmentationen, die es mir ermöglicht hätten, parallel die Bauanleitungen für die Ersatzteile an die Werkstatt zu geben. Auf diese Weise hätte ich wertvolle Zeit sparen können.

Denn eines war deutlich, Bob würde nicht mehr ohne seine Verbesserungen auskommen. Zu sehr hatte er sich inzwischen an die neue Situation angepasst und die Entfernung würde einer schweren Amputation gleichkommen. Wieso sollten wir die Gelegenheit also nicht nutzen und sein doch inzwischen mehr als rudimentäres System auf den aktuellsten Stand bringen? Und wenn es nur war, um den Terroristen ihren Sieg vorzuenthalten.

Während ich das zerstörte Netz aus Bobs Gehirn entfernte, war mir eine Idee gekommen, wie man die Verbindungen zwischen Mensch und Maschine optimieren könnte. Die Simulation des Computers aber stieß auf einige Unsicherheiten und warnte vor einem Einbau ohne weitere Tests.

Also führte ich weitere Tests durch. Ich gebe zu, meine Prognosen waren durch Emotionalität und Bauchgefühl geprägt, nicht so sehr durch harte Fakten. Dennoch, ich war überzeugt, dass ich auf dem richtigen Weg war und vor keinen großen Problemen stehen würde. Das größte Problem war es in der Tat, den Arzt dazu zu bewegen, mir zu helfen. Seine Programmierung mochte ihn dazu auffordern, wenn es notwendig war, einen Menschen zu öffnen. Es war ihm zu vermitteln, dass es hilfreich war, Bob in einem künstlichen Koma zu „parken“, bis wir seine Aufwertung vornehmen konnten. Die Erprobung von experimenteller Kybernetik am Menschen aber zählte nicht als grundsätzlich „notwendig“. Ich kann nicht sagen, mit welchem Argument ich ihn am Ende überzeugen konnte. Vielleicht lag es einfach daran, dass ich die Simulation so beeinflussen konnte, dass sie eine hinreichend hohe Erfolgswahrscheinlichkeit ausgab.

Das Versuchsobjekt, was ich ausgewählt hatte, war einer der Patienten. Vielfach als gewalttätig auffällig geworden lag er bereits ein halbes Jahr sediert hier und jeder Versuch, ihn wieder zu erwecken und in die Gesellschaft einzugliedern, endete mit Angriffen auf alles, was sich bewegte. Er war eine reine Verschwendung von Ressourcen und Platz. Nichts an ihm konnte ich in irgendeiner Form achten. In meinen Augen war nichts näher liegend, als das Netz an ihm zu erproben und um besten Fall sogar eine Therapiemethode erschaffen zu können. Vielleicht spielte auch das in die positive Entscheidung des Arztes mit ein. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass wir scheitern würden, wäre der Schaden sehr gering, ja eher sogar ein Nutzen für das Schiff.

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