Hinterm Horizont – Teil 12.

Und dann holte uns die Kreativität doch noch ein. Verborgen im Abfall waren Kanister mit Flüssigkeiten und Pulvern gewesen. Jede für sich harmlos, doch in der Kombination leicht entzündlich. Die Explosion zerstörte den Reißwolf der Wiederaufbereitungsanlage und Enyas linke Körperhälfte. Mit viel Ausdauer hatten die Roboter versucht uns vor genau diesen Situationen zu schützen und sie vor uns zu verheimlichen doch vom einen Moment auf den anderen war nichts mehr, wie es einmal war. Unsere eigene Art hatte uns verraten und den Krieg erklärt. Nicht die Roboter waren es gewesen, obwohl die Geschichten der letzten zweihundert Jahre immer davor gewarnt hatten. Nicht sie waren die Bösen gewesen, sondern Menschen, die es nicht verkraften konnten, dass sich ihr Horizont geändert hatte.

Über eine Woche verbrachte Enya auf der Intensivstation und wir alle arbeiteten mit Hochdruck daran, sie zu retten. Die Schäden an ihren Organen und der gesamten linken Körperhälfte waren enorm. Nur einige wenige Komponenten konnten in den Biodruckern aus geklonten Zellen regeneriert werden, doch sie waren langsam. Für den Rest nutzten wir Bobs Baupläne und Erfahrungen, um neue Körperteile künstlich zu bauen. Alle arbeiteten Hand in Hand, rund um die Uhr, und das Ergebnis war ein Satz von Prothesen von einer Qualität, dass selbst unsere Androiden neidisch darauf waren.

Für Enya war es dennoch ein Erwachen im Schock. Bob hatte sich noch selbst für den kybernetischen Organismus entschieden, aber bei ihr war es aus den Umständen heraus die einzige Möglichkeit gewesen, ihr Leben zu retten. Sie war nicht darauf vorbereitet gewesen, egal in welcher Form.

Umso erstaunlicher war es, dass sie kaum Schwierigkeiten mit der Ansteuerung hatte. Ihr Problem bestand einzig und allein in der Akzeptanz. Mich selbst erfüllte dieser Umstand mit unglaublichem, heimlichem Stolz. Das neuronale Netz war mein Bereich gewesen und ein Meisterstück.

Immerhin hatte ich in meiner freien Zeit versucht die Verbindung zwischen Mensch und Maschine so weit zu perfektionieren, dass ich mich trauen würde, es bei mir selbst einzusetzen. Ich hatte zwar das Gefühl, noch meilenweit von einem umsetzbaren Entwurf entfernt zu sein, aber in der Situation war Zögern keine Option. Also baute ich das, was ich bisher an Wissen und Fähigkeiten gesammelt hatte, in die Prothesen ein und betete, dass es gut gehen würde. Es war ein ungeplanter Feldtest und ich hätte mich wohl kaum gewagt, das Netz freizugeben, wenn nicht das Schiff selbst die Arbeit überprüft und für gut befunden hätte.

Es dauerte nur Tage, bis Enya sich an ihre neuen Körperteile gewöhnt hatte. Natürlich gab es anfänglich noch Schwierigkeiten und Probleme. Einige Einstellungen waren noch nicht justiert worden und der Ellenbogen bewegte sich nur unsauber, aber nachdem dies alles überwunden war, lernte sie, damit umzugehen. Das künstliche Nervennetz war so gebaut, dass es direkt an die alten Verbindungen anschloss. So war kaum eine Umgewöhnung nötig und sie konnte sich weiterhin unbewusst und mit kaum Einschränkungen bewegen. Dennoch hasste sie ihre Erweiterungen.

Für mich aber war der Beweis erbracht, dass neuronale Netzwerke funktionieren konnten, und zwar besser als die rudimentären Systeme, die Bob konstruiert hatte. Aber es stand immer noch die Frage im Raum, ob die Kommunikation zwischen einem menschlichen Gehirn und dem Computer genau so gut funktionierte. Bei Enya und Bob waren es jeweils nur primitive Kommunikationswege zu den Prothesen gewesen. Bob musste, um seine erweiterten Funktionen nutzen zu können, die Werkzeuge aktiv und bewusst ansprechen.

Was ich wollte, würde weiter gehen müssen. Erweiterungen mussten sich in den Organismus einfügen, als hätten sie nie gefehlt. Ich wollte gemeinsam mit der Maschine denken können, über einen Anschluss mein Gedächtnis um die Datenbanken des gesamten Schiffs erweitern können, mit einem tragbaren Computer meine eigenen Fähigkeiten verbessern.

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